Kurt Ostbahn lebt weiter, nicht nur in der Erinnerung, wie es immer so schön heißt, sondern auch in Worten, Taten und etwa den Liedern von Seiler und Speer. Christopher Seiler spricht im Interview mit Stefan Niederwieser über Arbeiterkultur, Sozialdemokratie, Cancel Culture und neues Material.
Wie viel von “Horvathslos” steckt noch in deinen Liedern?
Christopher Seiler: Songwriting, Texte, Melodien haben heute nichts mehr damit zu tun. Wir entwickeln uns künstlerisch-menschlich weiter. Vor acht Jahren haben Bernhard [Speer, Anm.] und ich zum ersten Mal zusammengearbeitet, um den Soundtrack von Horvathslos zu machen. Es war überhaupt nicht geplant, dass wir zu den Mitbegründern des neuen Austropop werden, wie man heute so sagt. Damals hatten wir keine Ahnung, was wir eigentlich machen.
Der Ostbahn Kurti von Willi Resetarits war anfangs eine satirische Hackler-Kunst-Figur. Hat er dich beeinflusst?
Christopher Seiler: Sicher. Erst einmal dieser Hüllen-Charakter. Textlich auch sicher. Ich sauge als Künstler viel auf. Nicht nur den Ostbahn Kurti als Kunstfigur des Günter Brödl, sondern auch Wolfgang Ambros, Ludwig Hirsch, Christian Kolonovits – oder Bruce Springsteen, von dem die Nummer “Factory“ ist, die Kurt Ostbahn dann mit “Arbeit” ins Deutsche geholt hat.
“I wüd ned” zeichnet ein lapidares Panorama der Arbeit. Wie ist der Song entstanden?
Christopher Seiler: Das ist ganz einfach der Arbeitsalltag von vielen. Die Nummer war als Schlager-Parodie gedacht, wie man im Musikvideo sieht. Der Text war ganz leichtfüßig geschrieben mit einer Bitterboshaftigkeit dem Arbeitsmarkt gegenüber – und dem Kapitalismus. Wenn man es genau nehmen möchte.
Einmal heißt es, “die Höfte vo dera gschissanen Lohnerhöhung an Steiern wieder ohdruckn“, damit meinst du die kalte Progression?
Christopher Seiler: Genau. Der Song hat wohl dazu beigetragen, dass Seiler und Speer eher der Arbeiterklasse zugerechnet wird. Mir war das persönlich als Künstler immer wichtig. Ich bin ein Kind der Arbeiterklasse und werde es immer sein. Auch wenn ich viel Lyrik oder literarische Werke lese.
Mit der Pandemie interessieren sich heute weniger Leuten denn je für ihre Arbeit. Man spricht von einer Great Resignation. Könnt ihr ein bisschen hellsehen?
Christopher Seiler: Da kann der Künstler im seltensten Fall etwas dafür. Das ist eher trauriger Zufall, dass ein Song aktueller denn je ist. Auch “Weck mi auf” behandelt ja im Wesentlichen den Krieg. Ich achte beim Songwriting darauf, dass ich nicht auf tagespolitische Themen eingehe, sondern versuche, das Ganze größer und zeitloser zu betrachten.
Und zwar?
Christopher Seiler: Ich glaube, gewisse politische Vertreter haben sich von ihrer Kernkompetenz entfernt. Da rede ich durchaus von der Sozialdemokratie. Warum das so ist, habe ich keine Ahnung. Liegt es an den Führungspersönlichkeiten? Es gibt jedenfalls noch eine starke Arbeitervertretung in Österreich. Das ist die Gewerkschaft und die braucht man nicht kleinreden. Die haben Großartiges geleistet.
Auf Songs wie “Fünf Minuten” oder “Deja Vu“ mündet die Arbeit sogar im Tod.
Christopher Seiler: “Deja Vu” beschreibt den Alltag eines Arbeiters. In dem Fall war es mein Onkel, der nichts anderes getan hat, als früh aufstehen, zur Arbeit fahren, wieder heim und sich betrinken. Die Tage haben sich wiederholt. Und irgendwann ist er verstorben. Das hat mir den Anlass gegeben, zu hinterfragen, was dieser Mensch eigentlich vom Leben gehabt und was er sich erwartet hat. Und wenn man Arbeit so betreibt oder gestaltet, dann gleicht sie irgendwann dem Tod. Es kommt dann nichts mehr. Arbeit ist ja immer damit verbunden, was ich leiste, um mir einen Traum zu erfüllen. In den meisten Fällen ist es allerdings die Endstation.
Andererseits scheint die Arbeitswelt auf “Ois ok“ noch in Ordnung?
Christopher Seiler: Dem würde ich nicht so viel beimessen, weil “Ois ok“ als Teil einer Kampagne für die Wiener Städtische den bitteren Beigeschmack eines Werbesongs hat. Natürlich habe ich nicht gelogen. Der Song hat viele Leute angesprochen. Aber: „Lustig samma, Puntigamer“ spricht auch was an im Menschen. Wir müssen die Kirche im Dorf lassen.
Gibt es ehrliche Arbeit noch, die Spass macht und einen erfüllt?
Christopher Seiler: Es ist leider das größte Übel in unserer Gesellschaft, dass die Fleißigen meistens durch die Finger schauen und die, die eher mit krimineller Energie ausgestattet sind, zu Nutznießern werden. Wir haben das in der Pandemie erlebt. Sehr viele haben zurückgesteckt, während andere aus der Krise Kapital geschlagen haben. Menschen, die von Haus aus wenig haben, sind dann plötzlich wichtig, wenn es um die Wahlen geht. Danach will keiner mehr etwas von ihnen wissen. Das ist dieser Kreislauf und das Übel des Kapitalismus. Ich habe das weder erfunden, noch kann ich das unterstützen. Aber ich bin Teil davon. Eine bessere Lösung habe ich nicht. Insofern wäre es vermessen, wenn ich mich aufspiele. Was uns bleibt, ist die traurige Gewissheit, dass wir motschkern können. Und das können wir ja.
Ist Influencer – Stichwort “Principessa” – ein ganz normaler Beruf?
Christopher Seiler: Ich möchte nicht sagen, dass auf Plattformen wie Tik Tok niemand Talent hat. Aber wenn Menschen mit wenig Talent zu Superstars werden, frage ich mich warum. Auf Onlyfans machen Menschen ihren Körper zu Kapital. Das ist Prostitution. Aber in unserer Gesellschaft wird das mittlerweile anerkannt und durch das Internet noch beschleunigt. Der Mensch wird zur Ware. Man beschwert sich, wenn Facebook seine AGBs ändert und stellt sich zum Duschen ins Internet. Dieses ganze Spiel ist schon paradox. Auf “Principessa” geht es insofern um einen Hilfeschrei.
Wie findest die Balance aus Respekt und Spott?
Christopher Seiler: Ich gehe auch im echten Leben nicht auf Schwächere los. Künstlerisch kann ich darauf hinweisen, dass etwas nicht stimmt. Die Menschen wollen ja keine blanke Kritik oder nackte Tatsachen hören. Man muss das anders vermitteln, dann fangen sie an nachzudenken. Im Netz vermisse ich andererseits oft die Diskussionskultur. Es gibt viele Menschen, die sich auf Meinungsfreiheit berufen, wenn du aber nicht ihrer Meinung bist, dann bist du weg. Das kann es nicht sein. Mein Leben lebe ich jeden Tag so, dass ich anderen nicht weh dabei tue und darauf schaue, dass es meinen Nächsten gut geht. Wenn das jeder verinnerlichen würde, würde es allen gut gehen. Ganz einfach.
Was kommt als Nächstes?
Christopher Seiler: Ich bin derzeit im Studio. In der Pandemie habe ich über 100 Lieder geschrieben. Diese Zeit war gut, dass man sich wiederfindet. Es soll demnächst soll ein Soloalbum geben mit Gästen wie Wolfgang Ambros oder Norbert Schneider. Und für Seiler und Speer gibt es genug Material.
Stefan Niederwieser
Zum Thema „Arbeit in Popsongs“ wird auf Ö1 von 2. Mai bis 5. Mai täglich um 9.45 ein Radiokolleg ausgestrahlt, u.a. mit Christopher Seiler, Ariel Oehl, Kerosin95 oder Esra Özmen (Esrap).
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