„ES IST EIGENTLICH COOL, DASS MAN ALLES SELBST MACHEN KANN“ – MARLEY WILDTHING IM MICA-INTERVIEW

Am 3. Mai 2024 erscheint die neue Single „Enough“ von MARLEY WILDTHING: ein Anlass für Jürgen Plank, mit der aus Niederösterreich stammenden Sängerin und Songschreiberin über die im Lied angesprochene Umweltproblematik genauso zu reden wie über die Musikszene in Österreich und in Tschechien – denn MARLEY WILDTHING agiert zurzeit von Wien und von Prag aus. Welche Unterschiede die Musikerin zwischen den Musikszenen festgestellt hat und an welchen Orten das neue Video gedreht wurde ist ebenso ein Thema des Gesprächs wie die Frage, inwiefern sich die umtriebige Musikerin durch Weltmusik-Einflüsse inspirieren lässt.

Anfang Mai 2024 erscheint dein neuer Song „Enough“, der sich mit der Klima-Thematik beschäftigt. Was war für dich der Anstoß zu diesem Song?

Marley Wildthing: Die Inspiration dazu war damals das Camp in der Lobau, in dem gegen die Autobahn protestiert wurde. Ich bin ein paar Mal dort aufgetreten. Als das Lager zum Großteil geräumt wurde, war ich gerade im Ausland und fand das traurig. Andererseits fand ich es bewundernswert, dass Leute dort so viel Zeit verbracht und ausgeharrt haben, damit nicht noch eine Autobahn gebaut wird. Ich habe begonnen, ein Lied darüber zu schreiben, zunächst auf Deutsch, aber dann in englischer Sprache.

Warst du auch im Camp als Aktivistin?

Marley Wildthing: Über Nacht war ich nicht als resident im Lobau-Camp, aber ich bin eben ein paar Mal bei verschiedenen Veranstaltungen dort aufgetreten.

Das Video zum Lied habt ihr aber nicht in der Au gedreht, wo waren die Drehorte?

Marley Wildthing: Das Video haben wir in Prag gedreht, in einer Wohnung und in einem alten Stadion, das noch aus der kommunistischen Zeit stammt. Ich wollte eine dystopische Welt zeigen, dafür hat das Stadion gut gepasst, weil es riesig ist und so aussieht als würde es nicht dorthin gehören.

Überhaupt enthält das Video starke Bilder, die Gestalten, die sich – vielleicht letztlich – als Menschen entpuppen, weisen Farbkontraste auf. Wie kam es zu diesen Bildern?

Marley Wildthing: Ich mag prinzipiell die Farbe Rot, weil sie gut in Kombination mit meiner Haarfarbe funktioniert. Ich trage auch mitunter rotes Make-Up und deswegen habe ich mir gedacht, dass die Farbe Rot sehr intensiv ist. „The Handmaid’s Tale“ war für mich eine wahnsinnig gute Serie, in der hatten sie auch rote Uniformen an. Das war eine Inspiration für mich.

Wie sind die Regie-Ideen zum Video noch entstanden?

Marley Wildthing: Die Idee zum Video hatte ich schon recht lange und die hat sich immer weiterentwickelt. Ich muss sagen, dass meine erste Idee kein Happy End war, jetzt endet das Video doch recht positiv, auch wenn es düster beginnt. Es endet positiv, so wie man es in der Wirklichkeit auch gerne hätte.

Bild Marley Wildthing
Marley Wildthing (c) Olivia Vicky

Rot ist eine Signal-Farbe in der Natur und auch in anderen Kulturen ist Rot eine wichtige Farbe, etwa in Asien, bei traditionellen Festen. Im Lied „Enough“ habe ich Chor-Spuren gehört, die nach indigenen Gesängen aus Nord-Amerika geklungen haben. Ähnliche Ansätze habe ich auch bei deinem Song „Dawn Of Day“ herausgehört. Inwiefern lässt du dich durch Weltmusik inspirieren?

Marley Wildthing: Es ist sicher so, dass ich viel Inspiration von verschiedenen Arten von Worldmusic bekomme, die ich in meine Lieder einfließen lasse. Gerade weil ich sehr viele vocals verwende. Wenn man sich die Anzahl der Gesangs-Spuren bei den Liedern ansieht, wird den Tontechnikern immer schlecht. Ich bekomme sicher viel Inspiration aus dieser Richtung, möchte mich aber nicht komplett in diese Richtung bewegen. Mir gefällt Worldmusic sehr gut, ich möchte sie aber nicht zu sehr nachahmen.

Das Video zum Lied „Flow Wild“ wurde – so scheint es – im arabischen Raum gedreht, da sind ebenfalls Weltmusik-Einflüsse zu hören.

Marley Wildthing: Genau, das war in Jordanien. Ich verwende gerne Stimmen und es ist spannend, ältere Formen von Gesang einzubringen. Ich wohne ja zum Teil in Prag und dort hört man auch immer wieder Musiker:innen, die slawische Gesangstraditionen einbringen. Traditionen, die mehr nach indigenen Gruppen klingen. Vielstimmige Gesänge gibt es ja in ganz vielen Kulturen. Davon bin ich sicher inspiriert, meinem Indie-Pop gebe ich diesen flavour.

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Dein Vorname Marley deutet auf Reggae hin, eine Musik des Widerstandes. Inwiefern spielt es bei der Namenswahl eine Rolle, dass diese Konnotierung besteht?

Marley Wildthing: Ich muss sagen, dass ich mir diesen Namen nicht selbst ausgesucht habe, sondern der ist von meinem richtigen Namen, von Marlene, abgeleitet. Als ich mit Musik begonnen habe, wusste ich nicht, wie ich mich nennen soll. Diese Entscheidung wurde mir ein wenig abgenommen, denn ich habe bei einem kleinen, alternativen Festival in Prag gespielt. Die Veranstalter:innen haben einfach meinen Facebook-Namen genommen und aufs Plakat geschrieben und so war ich Marley Wildthing. Ich dachte: ja, der Name ist eigentlich okay, bei dem bleibe ich mal.

„VOR LANGER ZEIT, ALS ICH NOCH IN DER SCHULE WAR, HABE ICH VIEL REGGAE GEHÖRT“

Hast du eine Verbindung zu Reggae?

Marley Wildthing: Vor langer Zeit, als ich noch in der Schule war, habe ich viel Reggae gehört. So ist auch mein Spitzname Marley entstanden und wenn die Leute meinen Namen nicht verstehen, ist es auch ganz nett, zu sagen: Marley, wie Bob Marley. Einfach, weil das eine schöne Verbindung ist.

Dein Name ist international verstehbar, ich könnte mir vorstellen, dass deine Musik wirklich weltweit gehört wird. Bekommst du Rückmeldungen von überall?

Marley Wildthing: Es ist natürlich schwierig, wirklich Leute aktiv zu erreichen. Ich spiele großteils schon für ein internationales Publikum, sowohl in Österreich als auch in Tschechien gibt es internationale crowds und das funktioniert ganz gut. Ich tue mir immer ein bisschen schwer damit, zu bestimmen, wo meine Musik funktionieren könnte, weil ich noch immer nicht weiß, ob ich mit dem, was ich mache, am richtigen Ort bin. Ich denke: man könnte meine Musik überall hören und das ist gleichzeitig Segen und Fluch. Weil zum Beispiel in Österreich deutschsprachige Musik sehr gut funktioniert. Das ist aber nicht das, was ich produziere und ich würde mich auch nicht in diese Richtung bringen wollen, wenn das nicht ganz natürlich aus mir kommt.

Mir taugt auch das Reisen mit Musik, gerade war ich in Berlin und ich schaue schon immer darauf, dass ich ein bisschen herumkomme. Ich finde, dass Reisen und Musik die perfekte Kombination sind. Deswegen versuche ich, jedes Jahr an neuen Orten zu spielen. Dadurch, dass ich alleine auftrete, ist das Reisen auch leichter und kostengünstiger.

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Dein Song „Soul For Sale“ setzt sich humorvoll mit dem Musikbusiness auseinander. Im Video ist eine Jury zu sehen, die wie in einer Casting-Show agiert und das Lied enthält die Zeile: „the next record deal is just waiting for me around the corner, right?“ Inwiefern verweist das Lied auf eigene Erfahrungen oder hältst du dem Business einen Spiegel vor?

Marley Wildthing: Im Lied gibt es diesen Mittelteil, in dem es hauptsächlich Stimmen gibt. Da sage ich: i don’t care about your opinion. Oder ich singe: i don’t care if you are an expert bzw. your connections. Das sind schon Zeilen, die man immer wieder hört. Ich meine das nicht böse und sage das auf lustige Weise. Und ich finde es lieb, dass mir Leute nach Konzerten öfters Fotos schicken, auf denen Kinder Ukulele spielen, nachdem sie mich live gesehen haben. Das ist eh total süß, aber ich finde es ganz nett, sich mal ein wenig darüber lustig zu machen.

Gerade über Leute, die auf einen zukommen, die sagen: Ja, sie kennen den und den und können einem weiterhelfen. Meistens ist es so, dass du von solchen Leuten nie wieder etwas hörst. Meistens kann ich mich darüber lustig machen, aber manchmal ist das auch ärgerlich und frustrierend. Ich war mal sehr frustriert und habe dann das Lied geschrieben. Das habe ich lange nicht live gespielt, weil ich gedacht habe, dass es zu kritisch oder unsympathisch rüberkommt. Aber dann habe ich es einmal für ein paar Freunde gespielt und die waren voll begeistert. Auch Musiker:innen haben das Lied ganz gut verstanden und seitdem ist es eines meiner Lieblingslieder, die ich immer spiele.

Ist der Song nicht auch ein Plädoyer für die Indie-Kultur?

Marley Wildthing: Ja, schon. Ich veröffentliche einfach alles selbst. Das ist einerseits cool, aber auch ein bisschen anstrengend. Aber es stört mich auch nicht wahnsinnig. In Diskussionen mit befreundeten Musiker:innen gibt es manchmal Beschwerden darüber, wie das Musikbusiness heute ist. Ich denke mir dann immer: Es ist eigentlich cool, dass man alles selbst machen kann. Und dass jeder veröffentlichen kann, man muss nicht erst jemanden kennen, um etwas zu veröffentlichen. Das ist eigentlich auch nicht schlecht.

„IN ÖSTERREICH FINDE ICH SEHR COOL, DASS IN BEZUG AUF DIE GAGEN ALLES EIN BISSCHEN MEHR REGULIERT IST“

Welche Unterschiede bemerkst du zwischen der Musikszene in Österreich und in Tschechien?

Marley Wildthing: Ich habe mir in Tschechien am Anfang leichter getan, weil es dort sehr viele kleine Bars gibt. Dort gibt es eine richtige Barmusik-Szene, das hilft nicht unbedingt bei eigenen Songs, weil es da mehr um das Covern von Songs geht. Aber da kommt man relativ leicht hinein und es hilft beim Sammeln von Erfahrung. Und es gibt viele Jam-Sessions und open mics. Deswegen war ich am Anfang nur in Prag aktiv, jetzt es ist das ausgeglichener.

Bild Marley Wildthing
Marley Wildthing (c) Olivia Vicky

In Österreich finde ich sehr cool, dass in Bezug auf die Gagen alles ein bisschen mehr reguliert ist. Dass man sehr versucht, Musiker:innen Geld zu bezahlen. Das fällt mir in den letzten Jahren auf und das finde ich sehr positiv. Das ist in Tschechien sehr unklar, man hat zwar öfters die Möglichkeit aufzutreten, aber die Umstände sind ein bisschen weniger fix. In Österreich ist alles ein bisschen offizieller.

In vielen Berufsfeldern werden Frauen schlechter bezahlt als Männer. Inwiefern würdest du wahrnehmen, dass eine Benachteiligung für weibliche Musikerinnen besteht?

Marley Wildthing: Es ist schwer zu sagen, weil ich die andere Seite nicht kenne und wahrscheinlich alle Musiker:innen struggeln. Ich tue mir schwer dabei, überhaupt professionelle Leute zu erreichen. Das könnte aber einfach an mir liegen. Manchmal verkaufe ich mich auch unter meinem Wert, das ist natürlich mein Problem. Und vielleicht grundsätzlich ein Problem von weiblichen Künstlerinnen ist, weil man das so von klein auf gelernt bekommt. Daran muss man schon in der Erziehung arbeiten.

Am Anfang hatte ich öfters die Situation, dass mich Clubbesitzer, Tontechniker oder Promoter nicht ganz ernst genommen haben, weil ich etwas unsicher war. Das passiert jetzt nicht mehr, weil ich das nicht mehr zulasse. Weil ich weiß, was ich technisch und künstlerisch mache. Dann traut man sich nicht, irgendwelche blöden Kommentare zu machen. Das ist natürlich keine Entschuldigung dafür, denn gerade, wenn jemand unsicher ist, sollte man ihm ja unter die Arme greifen und sicherstellen, dass sich der wohl fühlt.

Du hast bereits Musikpreise gewonnen, wie kann es positiv weiter gehen? Was wünscht du dir?

Marley Wildthing: Was ich mir wirklich wünsche, kann auf verschiedene Arten passieren: ich wünsche mir ein Team zu haben, mit dem ich gut zusammenarbeiten kann. Ich bin recht happy, viele Sachen alleine zu machen, aber ich merke, dass mir die Zeit ausgeht. Jeden Tag denke ich mir, dass ich noch gerne mehr machen möchte, aber das geht sich dann nicht alles aus. Man braucht ja auch ein Leben und noch ein bisschen Zeit für Inspiration.

Herzlichen Dank für das Interview.

Jürgen Plank

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Marley Wildthing live
09.5.2024: Střelecký Ostrov, Prag, 19h
15.6.2024: Schloss Wolkersdorf, Weinviertel
24.8.2024: Acoustic Campfire, August-Musger-Gasse 3, 8650 Kapfenberg

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Links:
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