„EINE WUNDERBARE MISCHUNG, DIE AUF VIELEN EBENEN ANREGT.” – JULIA LACHERSTORFER UND SIMON ZÖCHBAUER (INTENDANZ WELLENKLÄNGE) IM MICA-INTERVIEW

Von 16. bis 30. Juli 2021 findet in Lunz am See das Festival WELLENKLÄNGE statt: Konzerte, musikalische Workshops und Podiumsdiskussionen lassen sich in den Rahmen des Festivalthemas “Streben und Sterben” einordnen. Jürgen Plank hat mit der Intendanz, JULIA LACHERSTORFER und SIMON ZÖCHBAUER, über ein Festival in Pandemiezeiten gesprochen und erfragt, welche Themen angesprochen werden und wie sich die Live-Musikszene in Zukunft verändern könnte.

Das Motto des Festivals lautet heuer “Streben und Sterben”, wie kam es dazu?

Julia Lacherstorfer: Mir ist aufgefallen, dass zwischen den beiden Wörtern nur ein sehr kleiner Unterschied ist, dass aber die Bedeutung gegenläufig ist. Ich fand, dass das eine schöne Allegorie ist. Das hat einfach auch gut in diese Pandemiezeit gepasst. Weil Sterben in den Vordergrund gerückt ist. Sterben war plötzlich etwas, was nicht nur in die ältere Generation gerückt wurde und das hat unseren Blick aufs Leben verändert. Davor haben wir uns als Gesellschaft gesehen, in der eine Pandemie nicht passieren kann, im Jahr 2021. Wir haben uns – so war zumindest mein Empfinden – unantastbar gefühlt. Als könnten wir die Natur bezwingen, aber das geht halt nicht. Das erzeugt auch eine gewisse Demut und das finde ich gut.

Das war das Sterben, wie sieht es mit dem Streben aus?

Julia Lacherstorfer: Der strebende Aspekt wird eingebracht und ist wichtig, weil das Festival in einer Region des Weltnaturerbes stattfindet. Dadurch ist hier ein wertschätzender Blick auf Natur und Naturschutz einfach allgegenwärtig. Unser immerwährendes Streben, auch wirtschaftliches Streben, hat einfach Folgen und führt unweigerlich zu Artensterben und wenn wir nicht schnell etwas ändern, auch zum Sterben des Planeten.

Wie hat euer Thema sich auf die musikalische Gestaltung des Festivals ausgewirkt?

Simon Zöchbauer: Wir haben versucht, zu schauen, welches Ensemble geht in welche Richtung. Das ist ja bei Podiumsgesprächen ein bisschen leichter. Über sehr konkrete Themen konkrete Gespräche zu führen. Das ist im musikalischen Sektor aber auch möglich: wir haben zum Beispiel Emily Stewart am 30. Juli. Ihr Konzert heißt “The anatomy of melancholy” und vor dem Konzert gibt es eine Podiumsdiskussion über die Sterbethematik, über Sterbehilfe bzw. Hilfe zum Suizid. Diese ganze Debatte, die jetzt auch in Österreich gerade sehr lebendig ist. Dieser melancholische Ansatz von Emily zieht sich hinüber zum Thema Sterben.

„Wie gestalten wir unsere Zukunft in den nächsten zehn Jahren?” 

Wie fließt das Thema noch bei der Programmierung der Musik ein?

Simon Zöchbauer: Matteo Haitzmann geht am Tag davor auch in eine Richtung, bei der es um Verlust geht, von Minderheiten, von marginalisierten Gruppen. Der Verlust durch die Aids-Krise ist in seinem Programm auf jeden Fall präsent. Leo Skorupa spielt wiederum am ersten Samstag, an dem auch die Podiumsdiskussion zur Zukunft stattfindet, bei der es um die Frage geht: Wie gestalten wir unsere Zukunft in den nächsten zehn Jahren? Nachhaltig, nicht auf Kosten von jemandem. Da ist einfach diese sprudelnde Energie von Leo Skorupa und seinem Ensemble auf jeden Fall in dieser Strebens-Thematik zu sehen. Wir haben da jeweils zu den Programmpunkten zugeordnet.

Wie passt da das Eröffnungskonzert von Violetta Parisini hinein?

Simon Zöchbauer: Beim Eröffnungskonzert von Violetta Parisini lautet das Thema „Alles bleibt”, in ihrem Programm geht es auch um Fragen der Vergänglichkeit und Endlichkeit. Das sind Aspekte, die manchmal direkt und manchmal indirekt auf das Festival-Thema verweisen. Aber es gibt in den meisten Fällen schon klare Zuordnungen.

Julia Lacherstorfer: Zum Beispiel auch der Abend von Elina Duni, mit ihrem Programm „Partir”, das ist auch ein Programm über den Abschied.

Simon Zöchbauer: Das ganze Festival wird sicher nicht traurig und melancholisch. Christian Muthspiels Orjazztra spielt ja auch und dieses ist ja eher dieser der Zukunft zugewandten Richtung zuzuordnen. Beide Pole sind aber vorhanden.

Und ihr habt den Act Scheibbser3er im Programm. Was macht dieses Trio aus?

Julia Lacherstorfer: Es gibt seit ungefähr 15 Jahren bei den wellenklängen einen Abend, der heißt Jakobisingen. Das ist einfach ein Abend, an dem ganz bewusst traditionelle Musik programmiert wird. Auch um ein Publikum anzusprechen, das zu einem experimentellen Abend nicht kommen würde. Da kommen die Leute auch im Dirndl bzw. in traditioneller Kleidung. ohne dass wir das vorgeben. Zum Scheibbser3er: Elisabeth Handl ist eine der drei Frauen. Die kenne ich seit rund 25 Jahren. Mit ihr habe ich früher in Lunz am See viele Musikwochen verbracht, bei denen sie immer die Gesangsgruppen geleitet hat. Ihr Trio Scheibbser3er kommt einfach aus der Gegend und feiert heuer die ersten 30 Jahre des Bestehens. Elisabeth hat mich einfach gefragt, ob sie heuer beim Festival spielen könnten, weil das einfach schön zum Jubiläum passen würden. Und es ist immer super, wenn eine Gruppe an die Region anknüpft.

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Die Podiumsdiskussionen habt ihr bereits angesprochen, da gibt es auch einen Abend, der in die Zukunft schaut. Welchen Input erhofft ihr euch davon?

Simon Zöchbauer: Generell, die Podiumsgespräche haben wir schon im letzten Jahr etabliert. So ein Format war davor beim Festival noch nicht abgebildet. Uns war es wichtig, eine gesellschaftskritische Ebene, eine Dialog-Ebene zu fördern. Den Austausch über Themen, die gerade brennen und wichtig sind. Das in Verbindung mit Kunst ist, glaube ich, eine wunderbare Mischung, die auf vielen Ebenen anregt. Wir haben also diese zwei Podiumsdiskussionen. Wir haben aber auch einen Seerundgang, bei dem die Wissenschaftlerin Sibylle Chiari sprechen wird. Dazwischen gibt es musikalische Stationen, es sind also Kunst und Wissenschaft miteinander verbunden. “Wohin streben wir?” ist die Grundfrage bei der Podiumsdiskussion mit Anja Kirig und Verena Ringler. Kirig ist Zukunftsforscherin und Trendforscherin, sie beschäftigt sich mit Megatrends, mit großen gesellschaftlichen Veränderungen. Wie sollen wir leben und wie sollen wir nicht leben? Natürlich im Zusammenhang mit der Klimakrise, das ist das Damoklesschwert, das über allem schwebt. Das Publikum wird auch eingeladen sein, mitzudiskutieren.

Wie seht ihr als Festival-Intendanz die Corona-Situation: ändert sich dadurch in Zukunft der Zugang zu Tourneen? Streaming hat es natürlich auch gegeben und Videos wurden produziert. Ist Corona eine Zäsur oder wird der Konzertbetrieb in Zukunft wieder zur Normalsituation zurückkehren?

Julia Lacherstorfer: Es war schon eine Zäsur, das kann man nicht wegleugnen, das ist so. Nach dem Stillstand muss alles erst wieder anlaufen. Viele kleinere Kulturinitiativen haben es vielleicht auch nicht durch die Zeit geschafft. Dem muss man ins Auge schauen. Es gibt, glaube ich, Entwicklungen, die gut sein: einfach mal zu sehen, wie es sich anfühlt eineinhalb Jahre nicht herumzufliegen und Konzerte in verschiedenen Ländern zu spielen. Das ist schon irgendwie cool und wir haben das gemacht, aber es ist überhaupt nicht nachhaltig und das wird man in Zukunft mehr hinterfragen, ob man das wirklich braucht. Und ob das den kulturellen Szenen in den jeweiligen Ländern überhaupt hilft. Natürlich ist es wichtig, sich zu vernetzen und internationale Bande zu knüpfen, das ist schon klar, aber die Frage ist schon, wie man nachhaltiger Reisen kann.

Wie könnte das im Zusammenhang mit einer Tournee klappen?

Julia Lacherstorfer: Da gibt es zum Beispiel so engagierte und bewundernswerte Musiker wie Manu Delago, der bei seiner Recycling-Tour mit dem Fahrrad eine Österreich-Tour gestemmt hat. Mit seinem ganzen Equipment. Man muss sich einfach die Mühe machen, inne zu halten und sich zu überlegen, wie es gehen kann. Zu den Streaming Konzerten: das war für diese Zeit eine gute Lösung, aber mein Gefühl ist, dass das nicht ein echtes kulturelles Erlebnis ersetzen kann. Aber wir haben auch erlebt, dass es für manche eine große Erleichterung ist, Meetings online zu machen.

„Ich kann mir schon vorstellen, dass auch die Wellenklänge gewisse Angebote digital zur Verfügung stellen.” 

Simon Zöchbauer: Ich glaube, es gibt nun mehr Bewusstsein für digitale Formate und mehr Bereitschaft in diese Richtung zu experimentieren und zu arbeiten. Ich kann mir schon vorstellen, dass auch die wellenklänge gewisse Angebote digital zur Verfügung stellen. Etwa die Podiumsgespräche. Wie sich das erweitern wird, werden wir sehen. Gerade in Lunz ist die Seebühne so wichtig und wir werden bei Konzerten eher auf der analogen Seite bleiben. Aber wer weiß, das wird sich entwickeln.

Als Teil von wellenklänge 2021 gibt es auch einen Workshop für zeitgenössische Weltmusik. Was ist da geplant?

Julia Lacherstorfer: Zeitgenössische Volksmusik müsste es eher heißen. Auch heuer findet dieser Workshop wieder auf einem Bio-Bauernhof statt, weil ich davon überzeugt bin, dass die Atmosphäre, in der man Musik macht, einen Einfluss darauf hat, wie man sich fühlt und wie man spielt. Musik, die aus den Bergen kommt, in den Bergen zu machen, ist einfach ein sehr schönes Gefühl. Das Musizieren ohne Noten steht im Vordergrund, die Unterrichtenden bringen allen Gruppen die gleichen Stücke bei und am Ende gibt es eine Aufführung auf der Bühne. Es entsteht eine besondere Energie, weil rund 25 Leute in einem Folk-Orchester dasselbe Repertoire spielen. Das macht etwas und ist ganz speziell.

Herzlichen Dank für das Interview. 

Jürgen Plank

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wellenklänge 2021
16.07. – 31.07.2021
Lunz am See

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