„Ein Thema, das sich durchzieht, ist das Aufwachen aus der eigenen Lethargie.“ – Michael Guttenbrunner (ALPHA ROMEO) im mica-Interview

Mit seinem Soloalbum „Pluto im Wassermann“ (Problembär Records; VÖ: 28.11.) vollzieht Michael Guttenbrunner alias Alpha Romeo einen deutlich hörbaren Richtungswechsel: weg vom gitarrenbetonten Zugang seiner Band Sommerreifen, hinein in ein elektronisch aufgeladenes Spannungsfeld aus Erinnerungssplittern, Neubeginn und emotionalem Ausnahmezustand. Der Verlust seines langjährigen Gefährten öffnete eine Tür, durch die ein Schwall an Fragen, Zweifeln und ungefilterten Gefühlen drang. Aus alten Notizen und spontanen Eingebungen entstand ein Album, das zwischen Italo-Glanz, Dialektpop und nächtlichem Synth-Geflacker pendelt. Im Interview mit Michael Ternai spricht Michael Guttenbrunner über seinen Ausbruch aus der Lethargie, seine Experimentierfreude und seine Liebe zu den Beatles.

Bislang gingen die Alben, die du mit deiner Band Sommerreifen veröffentlicht hast, stark in die Austropop-Richtung, zudem war ihr Sound sehr warm und sophisticated. Dein Soloalbum markiert in dieser Hinsicht einen deutlichen Bruch – nicht nur aufgrund der anderen Instrumentierung, sondern vor allem wegen der deutlich größeren musikalischen Vielfalt. Was hat dich dazu bewogen, es in deinem Soloprojekt musikalisch so offen anzugehen?

Michael Gutenbrunner: Eine große Überlegung steckt eigentlich nicht hinter dem Album. Die Musik ist vielmehr einfach entstanden. Mir wird generell schnell fad, wenn ich mich nur mit einem Genre beschäftige. Auch wenn ich mit den Sommerreifen jamme, bleiben wir nie bei einem Stil, sondern es entsteht immer sehr unterschiedliche Musik. Und zu Hause tobe ich mich an meinem Laptop ohnehin gerne aus. Daher dachte ich mir: Bei einem Soloalbum habe ich endlich die Chance, es wirklich ganz offen anzugehen. Und so habe ich halt ein bisschen auf die Genres geschissen. Es war ein spannender Prozess. Die Songs jetzt mit der Band beim Releasekonzert zu spielen, war ebenso aufregend – es hat sehr gut funktioniert, und den ganzen Elektro-Sound hat es bei vielen der Nummern im Grunde gar nicht gebraucht. Ich habe einige der Songs Solo mit einem Sampler und die anderen mit den Sommerreifen gespielt.

Du experimentierst also gerne.

Michael Gutenbrunner: Ja, ich experimentiere wirklich sehr gerne. Dabei kann ich mich oft völlig verlieren. Dann sitze ich in meinem Musikzimmer und tüftele bis tief in die Nacht hinein.

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Ich habe auf deiner Facebook-Seite gelesen, dass das Ableben eines langjährigen Weggefährten, dein Kater, letztlich der auslösende Moment für das Album war. Dieses Ereignis hat dich spürbar berührt. Kann man sagen, dass das der Grund dafür ist, warum dein Soloalbum so nachdenklich geworden ist?

Michael Gutenbrunner: Ja, das kann man schon so sagen. Ein Thema, das sich durchzieht, ist das Aufwachen aus der eigenen Lethargie. Der Tod von Blacky war damals ein Auslöser dafür. Aber es ist nicht das einzige Thema – es gibt auch einige Songs, die inhaltlich in ganz andere Richtungen gehen. Insgesamt geht es aber stark um Veränderung, um das Erwachen aus einem langen Stillstand und um den Versuch, etwas daran zu ändern.

Hattest du das Gefühl, dass du stillstehst?

Michael Gutenbrunner: Ja, voll. Ich hatte das Gefühl, dass sich alles immer wiederholt und nichts Neues passiert. Und es war tatsächlich so, dass mich meine Mutter angerufen und mir gesagt hat, dass der Kater gestorben ist – und ich habe kurz darauf Rotz und Wasser geweint. Dadurch habe ich begonnen zu checken, was mir eigentlich fehlt. Dann kam die Trennung, und dass ich mich wieder in meine Ex-Freundin verliebt habe. Das war wirklich ein arg intensiver Sommer. Ein paar Songs drehen sich auch genau darum.

Diente dir das Musikschreiben also auch dazu, diese Erlebnisse zu verarbeiten?

Bild des Musikers Alpha Romeo
Alpha Romeo © Martina Lajczak

Michael Gutenbrunner: Ja, aber das war beim Musikschreiben eigentlich immer schon so. Ich konnte dadurch sehr viel verarbeiten, mich auskotzen und ausjammern über Dinge, die mich beschäftigt haben.

Ist „Pluto im Wassermann“ dennoch dein persönlichstes Album?

Michael Gutenbrunner: Das würde ich gar nicht einmal so sagen. Mein allererstes Album war auch schon sehr persönlich. Aber dadurch, dass „Pluto im Wassermann“ ein Soloalbum ist und ich darauf viel Privates verarbeite, das mit Tod und Trennung zu tun hat, hat es natürlich schon eine sehr persönliche Note. Aber das Persönlichste ist es nicht, nein. Ich glaube, es ist eher eine Momentaufnahme, ein Blick auf diese intensive Zeit.

Du hast das Album ja quasi in Eigenregie auf den Weg gebracht. Wie befreiend war es für dich, die Fäden allein in der Hand zu halten? Oder standen dir auch Leute zur Seite, die dir Feedback gegeben haben?

Michael Gutenbrunner: Ich freue mich immer sehr über Feedback. Das brauche ich irgendwie auch. Es gibt ein paar Leute, bei denen ich mir die Bestätigung hole, ob etwas stimmig ist oder nicht. Es ist wichtig, dass sie mir da helfen, vor allem bei Songs die ich schon hundert tausendmal gehört habe.

Was diesmal aber tatsächlich ganz anders war, ist die Art, wie das Album entstanden ist. Beim „Hunde am Meer“-Album hatte ich schon viele vorproduzierte Demos und bin damit ins Studio gegangen, wo wir die Nummern dann komplett neu aufgenommen haben. Ich finde, dadurch haben ein paar der Nummern etwas von diesem Lo-Fi-Do-It-Yourself-Charme verloren. Bei dem neuen Album dachte ich mir, dass ich diesen Charakter unbedingt behalten möchte und die Demos quasi eins zu eins aufs Album übernehmen will. Und genau so ist es auch passiert. Ich habe die Songs nicht neu aufgenommen, sondern so belassen, wie sie waren und wie ich sie in diesem Moment gefühlt habe.

Das Album klingt generell etwas roher als deine bisherigen Veröffentlichungen – und dass trotz weniger Gitarren. Es gibt diese eine Punk-Nummer, die natürlich gitarrengetrieben ist, aber insgesamt bieten dir die Songs als Sänger viel mehr Raum.

Michael Gutenbrunner: Das war schon ein bisschen bewusst. Wenn wir zu fünft mit der Band spielen, tendieren wir dazu, dass alle Instrumente gleichzeitig loslegen und die Stimmen sich da durchkämpfen müssen. Deshalb habe ich bei diesem Album versucht, die Instrumentierung zunächst minimalistischer zu halten und dann zu schauen, was passiert. Das hat mir gesangstechnisch sehr geholfen, auch einmal sanfter, tiefer und leiser zu singen als sonst. Beim Proben mit den Sommerreifen ist es spannend zu sehen, wie gut es funktioniert, wenn man die Songs in dieser reduzierteren Form umsetzt und der Stimme mehr Raum gibt. Das ist wirklich cool und macht sehr viel Spaß. Und die Nummern dadurch auch live überraschend gut.

Bild des Musikers Alpha Romeo
Alpha Romeo © Martina Lajczak

Was hat es da für musikalische Einflüsse gegeben? Wie sehr hörst du auf solche Einflüsse, wenn du dich hinsetzt und Musik machst? Die dürften jetzt doch etwas anders gewesen sein als bei den Alben davor. Hattest du eine bestimmte Klangvision im Kopf?

Michael Gutenbrunner: Eigentlich nicht wirklich. Die Songs sind eher langsam entstanden und gewachsen. Dabei sind teilweise Musikrichtungen herausgekommen, die ich selbst wahrscheinlich gar nicht hören würde. Das fand ich sehr spannend, und ich habe es auch so gelassen, weil ich mir dachte: Das ist irgendwie lustig. Aber ich glaube, dass das nächste Album wieder ganz anders klingen wird. Ich habe das Gefühl, dass es ein Gitarren-, Bass- und Schlagzeugalbum wird – also ein klassisches Rock’n’Roll-Setup. Ich merke gerade, dass mir das wieder extrem viel Spaß macht. Auch weil es mehr fetzt als das Überarrangierte.

Womit bist du musikalisch aufgewachsen?

Michael Gutenbrunner: Eigentlich komme ich voll aus dem Indierock. Ich war früher wirklich so ein richtiger Indie-Boy mit Röhrenjeans und habe Bands wie The Kooks, The Strokes, Arctic Monkeys, Babyshambles und The Libertines gehört. Das habe ich geliebt. Mit 16 habe ich dann auch meine erste Band gegründet. Das war eine schöne Zeit. Wir haben in Wien im B72 gespielt, eine EP aufgenommen und den Traum gehabt, mit der Musik richtig groß zu werden. Auch auf 1960er- und 1970er-Sachen bin ich sehr gestanden und tue das noch immer. Irgendwann habe ich die Beatles entdeckt und mich komplett in ihre Musik verliebt. Ich hatte einen USB-Stick mit allen ihren Alben und habe mir im Dreier-Golf jeden einzelnen Song angehört und dazu laut gesungen. Ich habe sie regelrecht inhaliert. Die Beatles sind sicher einer meiner größten Einflüsse.

Du hast früher auf Englisch gesungen. Wie kamst du dazu, auf Deutsch zu wechseln?

Michael Gutenbrunner: Als ich damals aus Linz nach Wien gekommen bin, gründete ich mit dem Schlagzeuger der Indieband Andreas (Mittermühlner; Anm.), mit Tamara (Leichtfried; Anm), Daniela (Czurda; Anm) und Severin (Jungwirth; Anm.) eine neue Band. Die hieß Dream of Aquarius, und dort habe ich auf Englisch gesungen. Ich dachte immer, dass meine Englische Aussprache komisch klingen würde. Außerdem habe ich damals nicht viel auf den Text gegeben – ich habe einfach irgendetwas gesungen und mich null mit den Inhalten beschäftigt. Es ging mir mehr um die Melodie. Irgendwann habe ich mir mit einem Freund das erste Wolfgang Ambros-Album angehört, und wir waren echt geflasht, wie cool das klingt. Da habe ich mir gedacht: Probier ich es halt mal, einen Song auf Deutsch zu schreiben. Und es war wie eine Offenbarung – plötzlich konnte ich mich ganz anderes ausdrücken. Das Englische hat sich dann langsam aufgelöst, und auch die Indieband hat sich verändert. Die Mitglieder dieser Band wurden schließlich zu Alpha Romeo und die Winterreifen.

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Wie geht es jetzt nach dem Release des Albums, auch in Bezug auf deine Band? Gibt es etwas, das du aus deinem Soloprojekt in die Band mitnimmst?

Michael Gutenbrunner: Spannende Frage. Auf jeden Fall, glaube ich. Bevor das Album herauskam, haben wir im Alpha Romeo und die Sommerreifen-Set schon ein paar Nummern gespielt, die die anderen Songs gut ergänzen. Einige der Songs werden wir sicher weiterspielen.

Und was das Musikalische betrifft – vielleicht die Experimentierfreude?

Michael Gutenbrunner: Das hoffe ich schon, das würde ich auf jeden Fall gern machen. Schon auf dem letzten Bandalbum haben wir uns mehr getraut und auch herumexperimentiert, zum Beispiel beim Song „Mrs. Instagram“, bei dem wir ein sehr langes Intro gemacht haben – der Song dauerte 7–8 Minuten. Mir macht das großen Spaß, und ich glaube, den anderen auch. Man muss sich das halt auch trauen, aber ich glaube, wir haben mittlerweile das Selbstvertrauen, dass wir das in Zukunft sicher öfter machen werden.

Vielen Dank für das Interview.

Michael Ternai

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Links:
Alpha Romeo (Instagram)
Alpha Romeo & Die Sommerreifen (Facebook)
Problembär Records (bandcamp)