Eigentlich hätte die 25. und damit die Jubiläumsausgabe von MICHELS MUSIKSTAMMTISCH Ende März stattfinden sollen. Corona hat das leider verhindert. Doch am 2. Juli wird der Branchentreff für die österreichische Musikbranche im Wiener WUK nachgeholt. Michael Ternai unterhielt sich mit dem Gründer und Betreiber des Musikstammtisches MICHEL ATTIA über seine Beweggründe, ein Vernetzungstreffen für die Branche ins Leben zu rufen, das Zusammenführen verschiedener Szenen und den klar definierten Kreis, an den sich die Veranstaltung richtet.
Wie bist du eigentlich in das Musikbusiness reingerutscht und was hat dich dazu veranlasst, einen Musikstammtisch ins Leben zu rufen?
Michel Attia: Es hat damit begonnen, dass ich Mitte der Neunziger beim Verein Freies Radio Wien, aus dem später Orange 94.0 entstanden ist, Radiobeiträge gemacht habe. Das war damals noch eine Vereinigung aller Piratenradios in Wien und Umgebung. Dann habe ich unter anderem für den Chelsea Chronicle, sozusagen die Mutter aller österreichischen Fanzines, geschrieben und war beim Gründungsteam des GAP Magazins dabei, das im Rahmen eines Tutoriums am Publizistikinstitut entstanden ist. Irgendwie bin ich dann mehr und mehr in die Szene reingerutscht, ich habe auch im Flex, damals der wichtigste Club Österreichs und vielleicht sogar einer der wichtigsten in Europa, Eintritt kassiert. Und Tourmanager für diverse deutsche und internationale Acts wie zum Beispiel Wir Sind Helden und Jimi Tenor war ich auch noch nebenbei. Und irgendwann bin ich dann zu FM4 gekommen. Das war vor knapp 20 Jahren. Dort arbeite ich in der Marketing- und Eventabteilung und konzipiere und buche unter anderem die ganzen Eigenveranstaltungen. Das hat klarerweise auch viel mit Netzwerkarbeit zu tun.
Der Grund, warum ich mir eingebildet habe, den Musikstammtisch ins Leben zu rufen? Nun, es hat vor vielen Jahren einmal die von Walter Gröbchen initiierte Monkey Lounge gegeben und die war auch ziemlich super, nur ist, seitdem diese eingestellt wurde – und das ist schon lange her – nicht mehr so viel in diese Richtung und Größenordnung passiert. So gesehen war es für mich naheliegend da etwas zu machen. Zudem habe ich es nie wirklich verstanden, dass es solche Stammtische in vielen deutschen Großstädten gibt, aber eben nicht in Wien, der zweitgrößten deutschsprachigen Stadt. Das hat mich geärgert. Ich habe mich also drangemacht, auch hier so etwas auf die Beine zu stellen. Der Musikstammtisch sollte – meinen Vorstellungen nach – ein unkompliziertes Zusammentreffen und nettes Beisammensein der Branche sein, ein Rahmen, in dem man sich ohne jede Agenda austauschen kann. Anfangs habe ich damit gerechnet, dass vielleicht 20 Leute kommen werden. Als es dann plötzlich fast vier Mal so viele waren, war ich dann doch etwas überrascht. Das hatte ich mir nicht erwartet. Aber es hat mir gezeigt, dass es da eine Nachfrage gibt.
Obwohl es sich, wie du sagst, um ein geselliges Beisammensein handelt, nehme ich an, dass es beim Musikstammtisch dann doch auch ums Business geht?
Michel Attia: Der Businessgedanke ist natürlich auch da. Und das ist den Leuten, die zum Stammtisch kommen, denke ich, auch irgendwie klar. Natürlich soll die ganze Geschichte Spaß machen, dafür versuche ich als Gastgeber auch zu sorgen. Aber gleichzeitig geht es auch darum, dass die Leute miteinander connecten und vielleicht mit anderen Kreisen in Berührung kommen. Und das funktioniert sehr gut. Es war zum Beispiel einmal eine Musikrechtsanwältin da, die die Gelegenheit genutzt hat mit den Leuten ins Gespräch zu kommen und ihre Visitenkarten zu verteilen. Ein anderes Beispiel ist die Band Oehl, deren Mitglieder sich – was ich erst vor kurzem erfahren habe – beim Musikstammtisch kennengelernt haben.
„Der Musikstammtisch bietet auf jeden Fall den Rahmen auch andere Kreise kennenzulernen und mit diesen in Kontakt zu treten.”
Du bist mit der Musikszene schon lange verbunden. Noch vor ein paar Jahren schien es so, als würden die verschiedenen Szenen nebeneinander existieren. Ein wirklicher Austausch zwischen ihnen fand nicht statt. Daran hat sich doch einiges geändert. Inwieweit, meinst du, befördert der Musikstammtisch diese Entwicklung?
Michel Attia: Es ist zum Teil immer noch so, dass manche Gruppen unter sich bleiben. Aber es stimmt, es weicht sich ein wenig auf. Der Musikstammtisch bietet auf jeden Fall den Rahmen auch andere Kreise kennenzulernen und mit diesen in Kontakt zu treten. Wer weiß, vielleicht kommen über diesen Weg ja einmal die Managerin eines Acts wie Money Boy – die bei einem der ersten Musikstammtische da war – mit einer Weltmusikcombo zusammen. Das wäre doch lustig. Was ich aber schon beobachte, ist, dass Leute von den Locations selbst, aus der Clubszene, der Hochkultur oder dem Jazz eher weniger vertreten sind. Insgesamt muss man sagen, dass im Moment viele aus der – sagen wir – alternativen Popecke kommen Leute von Major- und Indielabels, von Indie-Agenturen, Vernetzungsmenschen wie zum Beispiel Thomas Heher vom Waves Vienna oder Tatjana Domany vom Österreichischen Musikfonds, die das Vernetzen ja auch zum Beruf haben. Es überwiegt also der sogenannte alternative Mainstream. Wobei sich das schon auch ändert. Mittlerweile kommen auch Leute von Radios wie Ö3, 88.6 oder Energy. Es wird also breiter und kommerzieller. Und das will ich auch so, weil der Musikstammtisch ein Platz für alle sein soll.
Das heißt, es hat sich diesbezüglich doch einiges zum Positiven gewandelt.
Michel Attia: Ich glaube nicht, dass sich Wien jetzt großartig von anderen Städten unterscheidet. Die Leute sind im Vergleich zu vor zehn, zwanzig Jahren einfach lockerer geworden. Sie reden viel mehr miteinander und rücken näher aneinander. Das habe ich früher kompetitiver empfunden. Ich glaube, es hat einfach nur jemanden gebraucht, der halbwegs neutral und relativ gut vernetzt ist und die Sache in die Hand nimmt und so etwas regelmäßig stattfinden lässt.
An welchen Kreis von Menschen richtet sich die Einladung, am Musikstammtisch teilzunehmen. Darf jeder kommen?
Michel Attia: Grundsätzlich richtet sich der Stammtisch an Leute, die wirklich konkret mit Musik zu tun haben. Und da bin ich auch sehr streng. Ich prüfe jede Person, die via Facebook eine Anfrage an die geschlossene Musikstammtischgruppe schickt. Deswegen hängen bei mir auch noch fast 150 Anfragen in der Warteschleife, weil ich nicht entsprechend schnell nachkomme. Ich bekomme wirklich viele Nachfragen von Leuten, die nichts mit Musik zu tun haben, von irgendwelchen Marketing- und Modemenschen und sogar Models. Und die passen nicht wirklich zu meiner Idee des Musikstammtisches.
Betreibst du die Organisation des Musikstammtisches alleine? Oder hast du auch Unterstützung?
Michel Attia: Ja, eigentlich schon alleine. Ich habe natürlich auch eine Grafikerin. Aber sonst mache ich das schon alleine mit Hilfe von ein paar Co-Hosts für die Einladungen auf Facebook. Es ist schon Arbeit, aber der Aufwand ist momentan noch überschaubar.
„[…] so ein Auswärtsspiel in Innsbruck, Graz oder Linz wäre schon eine super Sache.“
Hast du mal angedacht, den Kontakt auch zu anderen Musikstammtischen, wie etwa zu jenen in Deutschland, zu suchen und den Vernetzungsgedanken so weiterzuspinnen?
Michel Attia: Ehrlich gesagt, nein. Zwar kenne ich einige der Leute und man steht natürlich in Kontakt. Hin und wieder besucht man sich auch, wenn man zum Beispiel gerade vor Ort ist und die Zeit es zulässt. Aber generell muss ich sagen, dass es dahingehend keine Pläne gibt. Das wäre auch zu groß gedacht und im Moment habe ich nicht das Bedürfnis, es größer werden zu lassen. Aber es schließt natürlich nicht aus, dass mal jemand aus einer anderen Stadt zu Besuch kommt. So war Jan Clausen von Factory 92 schon mindestens zwei Mal zu Gast. Oder einmal haben Leute von Red Bull jemanden von ihrem Label aus London mitgenommen. Ich finde es super, dass von manchen so mitgedacht wird. Worüber ich mir aber definitiv Gedanken mache, ist, gelegentlich auch in den Bundesländern etwas zu machen. Natürlich geht das nicht in der gleichen Intensität wie in Wien, aber so ein Auswärtsspiel in Innsbruck, Graz oder Linz wäre schon eine super Sache.
Der Andrang ist ja groß. Man kann also vermuten, dass tatsächlich immer wieder neue Leute kommen.
Michel Attia: Ich lerne immer wieder neue Leute kennen. Wirklich jedes Mal. Und das ist schon erstaunlich. Man glaubt ja irgendwie, man kennt irgendwann die meisten. Das stimmt aber überhaupt nicht. Der Musikmanager Bernhard Kaufmann hat vor Kurzem in einem Interview mit dem Volume Magazin auf die Frage, was er einer noch unbekannten Band raten würde, geantwortet, dass sie zum Musikstammtisch gehen sollten, um dort Leute kennenzulernen. Genauso sehe ich das auch.
Was nimmst du eigentlich von diesen Treffen mit? Gibt es Dinge, die auch du dazulernst?
Michel Attia: Würde ich so nicht sagen. Ich bin vielleicht manchmal überrascht, woher manche Leute kommen, aus welchen Bereichen und über welche Umwege. Aber nein, klassisch etwas dazulernen tue ich nicht. Es ist eher so, dass ich mich bei diesen Treffen update, mich am Laufenden darüber halte was die oder der gerade macht oder vorhat. Man bekommt schon viel Insiderwissen mit, womit man dann auch gut arbeiten kann.
Herzlichen Dank für das Interview!
Michael Ternai
Link:
Michels Musikstammtisch