„DAS IST KEIN SCHLECHTER SATZ, ODER?” – MARTA BEAUCHAMP UND STEFAN GEISSLER IM MICA-INTERVIEW

MARTA BEAUCHAMP und STEFAN GEISSLER sind beauchamp*geissler. Ihre aktuelle Kassette, die „Cassette” heißt, erschien beim Kassettenlabel Goldgelb Records in Wien. Darauf zu hören: eine Blumenwiese, Bärenhonig und der Mutterakkord. Dazu: die Ö3-Charts als Schönbergs Fiebertraum. Davor allerdings: etwas anderes …

Stefan Geissler: Ist dir aufgefallen, dass beide Seiten der Kassette 23 Minuten lang sind?

Nein, wieso?

Stefan Geissler: Wegen Alban Berg. Viele seiner Werke hat er am 23. des Monats vollendet, außerdem starb er am 23. Dezember. Unlängst waren wir sogar an seinem Grab am Hietzinger Friedhof

Marta Beauchamp: Ein ruhiger Ort, dort geht die Sonne zuletzt unter.

Stefan Geissler: Alban Berg hat zu seinen Lebzeiten übrigens auch an einer Musikzeitschrift mitgearbeitet, die „23” hieß.

Marta Beauchamp: Worum ging es?

Stefan Geissler: Um seine Selbst-Popularisierung.

Warum eigentlich Alban Berg?

Marta Beauchamp: Das habe ich Stefan auch gefragt, als wir zu seinem Grab gegangen sind. Du meintest, dass es dich …

Stefan Geissler: Rührt, es rührt mich.

Marta Beauchamp: Du hast auch gesagt, dass Berg sehr langsam komponiert hat. Das ist interessant, weil man es wirklich hört. Seine Kompositionen sind immer intense. Als ich die Akkorde langsam am Klavier gespielt habe, konnte ich aber verstehen, wie die Musik zusammenkommt. Plötzlich merkte ich: Sie ist nicht konfrontativ!

Stefan Geissler: Was meinst du damit?

Marta Beauchamp: Es gibt komplizierte Musik, die den Eindruck vermittelt, man müsse schlau genug sein, um sie zu verstehen. Bergs Musik ist dicht, aber sie beabsichtigt nicht, dich von oben herab zu behandeln. Sie sagt mit wenig sehr viel.

Stefan Geissler: Kennst du seine „Drei Orchesterstücke” von 1913? Adorno hat einmal gesagt, sie klingen wie drei Mahler-Sinfonien gleichzeitig. 

Bild beauchamp*geissler
beauchamp*geissler (c) Dieter Kovacic

Jetzt sind wir mittendrin im Berg, dabei wollte ich euch nur fragen, wie ihr zusammengekommen seid.

Stefan Geissler: Musikalisch, meinst du?

Marta Beauchamp: Weil uns die Musik interessiert, oder? Das ist eine Notwendigkeit.

Stefan Geissler: Na ja, nachdem wir uns kennengelernt haben, wurden wir gegründet. 

Marta Beauchamp: Von einem non-existing God

Stefan Geissler: Jesus, Maria und Josef, wir wollen aber keinen theologischen Absichten Vorschub leisten.

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Marta Beauchamp: Nein, es steckt eher Pragmatik in uns. Wir komponieren, spielen und veröffentlichen Musik …

Stefan Geissler: Deshalb nennen wir uns beauchamp*geissler.

Marta Beauchamp: Ja, weil du auch in deinen anderen Projekten so heißt, wie du heißt.

Stefan Geissler: Ich heiße Stefan Geissler, also steht auf meinen Kassetten auch Stefan Geissler drauf.

Marta Beauchamp: Sich selbst einen Namen zu geben, hat immer etwas Verkrampftes. Das ist, als würde ich mich auf der Bühne verkleiden.

Stefan Geissler: Ich habe auch in Bands gespielt, in denen nicht mein Name vorkam, aber die bürgerlichen Namen lassen mehr offen.

Weil es seriöser wirkt? In der neuen Musik nennt sich ja auch niemand, sagen wir, I Wanna Boogie With You.

Stefan Geissler: Das Phänomen der Künstlernamen gibt es fast ausschließlich in der Populärkultur, ja.

Marta Beauchamp: Trotzdem erzeugen wir immer Bilder, auch mit unserem normalen Namen. 

Bilder wie eure musikalische „Blumenwiese” … 

Marta Beauchamp: Ja, unsere Musik ist eklektisch, indem wir uns nicht festlegen. Es sind also die genretypischen Umwege, die uns interessieren – außer vielleicht Metal.

Stefan Geissler: Wir sind aber nicht prinzipiell gegen Metal.

Marta Beauchamp: Wir spielen ihn nur nicht. Was ich mit Eklektizismus meine: Manche meinen, unsere Konzerte sind wie mehrere Konzerte auf einmal.

Das passt zur naiven Musik, die ihr macht.

Stefan Geissler: Ist das ein Kompliment? Na ja, sie ist kindlich, stimmt. Wir machen schließlich Musik, weil sie uns Freude bereitet. 

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Marta Beauchamp: Stimmt, wir beschäftigen uns mit der Gegenwart, wir singen nicht über sie – auch weil wir uns lieber mit den Eigenschaften der Klänge beschäftigen.

Deshalb meine ich naiv: Viel weiter als in die naive Beschäftigung in der Kindheit kann man nicht zurückgehen.

Stefan Geissler: Ja, wir entfernen uns nicht weit von unseren Träumen … Das ist kein schlechter Satz, oder?

Marta Beauchamp: We’re living the dream.

Stefan Geissler: Das ist mir zu amerikanisch. Wir können über Brian Wilson und die Beach Boys reden, aber nicht über den amerikanischen Traum. Übrigens: Der ist mir ähnlich wichtig wie Alban Berg, also der Brian.

Mit dem du dich ähnlich beschäftigt hast, nehme ich an.

Marta Beauchamp: Das ist ein guter Punkt, die analytische Beschäftigung schafft nämlich Distanz. Ich bin durch meine klassische Ausbildung eher verformt worden, während Stefan die autodidaktische Freiheit besitzt.

Stefan Geissler: Na ja, das stimmt nicht ganz. Meine erste Akkordeonlehrerin war die Tochter des Akkordeonlehrers von Joe Zawinul. Ich musste mir die Beach Boys aber selbst erschließen – was passt, weil Brian Wilson mehr oder weniger Autodidakt war.  

Marta Beauchamp: Das bin ich nicht, ich hatte allerdings das Glück, dass ich keine kranke Ausbildung durchmachen musste.

Bild beauchamp*geissler
beauchamp*geissler (c) Musik.Markt

Du meinst, du hast kein Trauma davongezogen?

Marta Beauchamp: Ja, trotzdem war die Ausbildung schwer. Viele Stunden verbrachte ich allein mit dem Repertoire. Man lernt nicht den eigenen Ausdruck, sondern die Interpretation des Vorkomponierten. Ich wollte aber nie ins Orchester.

Stefan Geissler: Weil man da nicht mitrocken kann wie bei uns.

Marta Beauchamp: Ja, tatsächlich. Ich mache parallel Klangkunstarbeit, die auch Teil meiner PhD-Arbeit ist. In diesem Rahmen stelle ich mir spezifische Fragen und meine Ideen müssen konzeptionell schlüssig sein. Das kann schon verkopft sein …

Stefan Geissler: Ja?

Marta Beauchamp: Ja! Allerdings lassen sich installative Ideen in performative Situationen übersetzen und befreien – beauchamp*geissler ermöglicht genau das.

Danke für eure Zeit!

Christoph Benkeser

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Links:
beauchamp*geissler (Homepage)
beauchamp*geissler (Bandcamp)
beauchamp*geissler (Soundcloud)