Anlässlich des 30-jährigen Jubiläums von mica – music austria haben wir 30 Künstler:innen über 30 gefragt, wie sich ihre Musik, ihre Sichtweise und die Musikindustrie im Laufe der Jahre und mit dem Wandel der Zeit entwickelt haben (oder auch nicht). In einer Kultur und Branche, die oft von Neuheiten getrieben wird, wollten wir diese Gelegenheit nutzen, um uns auf ebenso wichtige Aspekte der Musikszene zu konzentrieren: etwa Wissen, Erfahrung und hart erarbeitete Weisheit. Für den dritten Teil der Serie haben wir KATHARINA KLEMENT, OLIVER JOHNSON (a.k.a. DORIAN CONCEPT), VIOLA FALB, OMID DARVISH und PAMELIA STICKNEY zu ihrer Arbeit und ihrem Leben als Musiker:in, ihren Ansichten über die Branche und die Kultur sowie zu den Ratschlägen, die sie der jüngeren Generation geben, befragt.
Wie haben sich deine Erfahrungen in der Musikbranche mit zunehmendem Alter verändert?
Katharina Klement: Die Erfahrungen decken sich mit dem im Alltag: als zunehmend ältere Frau wird man als weniger attraktiv und eher am Rand wahrgenommen. (Das ist dezidiert auch ein weibliches Thema, ältere Männer sind in der Gesellschaft ganz anders verankert mit ihrem sozialen Kapital. Es ist allseits ein Phänomen, dass ältere Männer leicht eine junge Partnerin finden und als attraktiv wahrgenommen werden, umgekehrt in den Geschlechterrollen verhält sich das grundsätzlich anders).
Dass man nicht nur gute Musik, sondern auch ein gutes Äußeres und vor allem eine entsprechende PR hat, die das äußere Erscheinen attraktiv verpackt und anbietet, ist zunehmend wichtig geworden.
Oliver Johnson: Zweierlei – einerseits bin ich routinierter – der Klassiker, dass Erfahrung halt der beste Lehrer ist, stimmt schon – und man lernt, für sich und seine Kunst einzustehen – und auch die eigenen Grenzen, was man leisten kann/will und zu welchem Preis. Ich habe das Gefühl, das sind schon gute Sachen. Andererseits leben wir halt auch in Zeiten, in denen mehr von einem abverlangt wird als noch vor 15 Jahren – und die Schnelligkeit der Zeit ist gefühlt bei mir im Rennen gerade gegen die biologische Uhr. Das macht es auch tricky – aber im Großen und Ganzen kommt da schon eine Ruhe. Ich merke die auch bei Live-Auftritten. Bin hier weniger nervös und genieße das, weil das hat man sich auch selbst erarbeitet, und das kommt von innen. Um es ganz einfach auszudrücken: Da ist eine Reife mit sich gekommen.
Viola Falb: Viola Falb: Natürlich. Weil sich mein Leben verändert hat. Jetzt habe ich zwei Kinder, die Kleinere (fast 2 Jahre) wurde bisher noch nicht fremdbetreut – dh all die Zeit, wo ich nicht arbeiten bin und mir eine Betreuung organisiere, ist sie bei mir. Das heißt kein wirkliches Üben, absolut nur die notwendigsten Dinge organisieren, Komponieren bis spät in die Nacht und hoffen, dass die Kleine nicht zu früh aufwacht. Daher kann ich nur schwer sagen ob sich die Musikbranche verändert hat; mein Drängen in die Branche hat sich quasi auf Grund der zeitlichen Gegebenheiten aufgelöst.
“man lernt, für sich und seine Kunst einzustehen – und auch die eigenen Grenzen […]” – Oliver Johnson
Hast du beobachtet/wahrgenommen, dass die Musikbranche Künstler:innen auf Grund ihres Alters unterschiedlich behandelt?
Katharina Klement: Ja und nein. Bei Performerinnen auf der Bühne ist das ebenso ein Thema wie bei Komponistinnen. VeranstalterInnen schmücken sich gerne mit jungen Talenten, es ist auch bis zu einem gewissen Grad verständlich, der Jugend und den Newcomern den Vortritt zu lassen. Evtl. sind sie auch günstiger, habe das aber nie überprüft.
Es ist aber auch ein Faktum, dass gern bereits arrivierte Komponisten (ich nehme das eher bei den männlichen Kollegen wahr) wiederholt beim selben Festival eingeladen werden, man quasi „sichere Nummern“ bucht, bzw. sich wohl aus einem Auftrag der nächste ergibt.
In der freien Improvisationsszene ist es allerdings so, dass die Jungen teilweise sowohl auf der Bühne wie im Publikum fast zur Gänze fehlen, es muss wohl mit anderen Hör- und Spielgewohnheiten der Jungen zu tun haben, und die VeranstalterInnen bemühen sich zu wenig um die junge Szene. D.h. man blickt da wenig über den eigenen Tellerrand. Und bei den jungen Festivals gibt es dann oft niemanden über 30, weil man sich auch nicht wahrnimmt außerhalb der eigenen Szene/Blase.
Sowohl die Jungen wie die Alten sollten meines Erachtens einander mehr austauschen.
Viola Falb: Ich habe das Gefühl, dass man im Alter auch noch von Kontakten der früheren Zeit zehrt. Man kann leichter auf Bekanntschaften zurückgreifen als neue Veranstalter überzeugen, dass mein Projekt das Beste auf der Welt ist und er/sie mir einen der begehrten Auftrittsspot gibt.
Glaubst du, dass sich die Wahrnehmung der Fans mit zunehmendem Alter der Künstler:innen ändert?
Katharina Klement: Ha, ich weiß nicht wie viele „Fans“ ich habe, aber natürlich ändert sich auf der Seite der RezipientInnen einiges am Zugang und Verständnis für (in meinem Fall neue) Musik einiges. Ich habe einen Bekannten, der mir gestanden hat, er ist ein „Fan der vierten Stunde“ von mir. Am Anfang konnte er gar nichts mit meiner Musik anfangen, und mit zunehmendem Einhören und Erfahrung und Alter hat sich das geändert. Ich nehme es Gott sei Dank so wahr, dass viele im Alter breiter und offener werden. Aber es gibt sicher auch das Gegenteil, dass viele enger und eingeschworener werden auf eine Richtung. Ich denke, die „Fans“ und Künstler:innen wachsen und altern miteinander. Das, was man in der Jugend gern gehört hat, mag man meist auch noch im Alter.
Viola Falb: Ich denke den Fans blüht dasselbe wie den Künstler:innen auch: sie sind auch im Leben mit Familie und Verpflichtungen angekommen und müssen sich ihre Ausgehzeit, Musikhörzeit, etc. sehr gut einteilen oder sie bleiben ein treuer CD-Käufer und Konzertegeher.
“man macht im Alter nicht mehr alles […] Ein Gig da, ein anderer dort ist nicht mehr attraktiv.” – Katharina Klement
Hast du das Gefühl, dass dein Alter die Möglichkeiten, die dir in der Musikbranche zur Verfügung stehen, verändert hat?
Katharina Klement: Es gibt oft Ausschreibungen für KomponistInnen mit Altersbeschränkungen, ebenso „calls“, die sich tendenziell an jüngere Künstlerinnen richten. Ich plädiere für mehr Ausschreibungen ohne Altersbeschränkungen.
Viola Falb: Ich denke die Musikbranche ist insgesamt härter geworden. Es gibt viele Acts – ob jung oder alt, die Veranstalter müssen immer mehr haushalten und können sich keine Konzerte ohne Publikumsandrang leisten, es wird gerne etwas Neues (neue CD, neue Band…) gebucht – für Neues braucht man aber noch mehr Zeit und wieder Geld.
Fühlst du dich unter Druck gesetzt, sich den aktuellen Musik- oder Marketingtrends anzupassen? Glaubst du, dass sich dieser Druck mit dem Alter verändert?
Oliver Johnson: Ja und nein. Ich habe von Anfang meiner Karriere schon immer irgendwie mitgemacht. Ich habe ja 2006, als YouTube entstanden ist, da schon ein Video hochgeladen – oder kurz danach einen Myspace-Account gehabt. Und ich denke, ohne diese Plattformen hätte ich zu dieser Zeit auch nicht die gleiche Anzahl an Leuten erreicht. Ich bin eigentlich so etwas wie ein Urgestein in dieser Ära von Online-Musiker*innen. Aber zur gleichen Zeit habe ich auch immer das Gefühl gehabt, wenn ich es nutze, dann auf eine Art und Weise, bei der ich mir und den anderen nicht viel vormache – was in meinem Fall immer ein sehr direktes “So spiele ich meine Instrumente” war und noch immer ist. Da bin ich nie wirklich Trends gefolgt.
Viola Falb: Ich merke, dass es irgendwie eine Voraussetzung ist diese Trends zu bedienen, um junges Publikum anzusprechen. Ich merke auch, dass ich viele Dinge nicht kann, die ich mir dafür auschecken müsste: Videoschneiden, Soziale Medien Skills, Grafische Programme… aber ich weiß auch dass mein Notenschreibprogramm noch intensiver gelernt werden will, meine Homepage betreut werden will und meine Kompositionen für den Verkauf vorbereitet werden wollen… und ehrlich gesagt weiß ich nicht woher ich die Zeit nehmen soll! Ich denke man kann sagen, der Druck steigt hier mitzukommen.
Katharina Klement: Sobald man ein Ansuchen stellt und man sich selbst vermarktet – und das muss man als Musiker:in – steht man bereits unter Druck, egal welches Alter man hat. Der Druck erhöht sich, je älter man wird, weil es die Meinung gibt, irgendwann muss man es doch geschafft haben, von der eigenen Kunst zu leben. Man bekommt aber nie in der freien Szene ein höheres Honorar, nur weil man älter ist. (Es mag dabei wenige Ausnahmen bei den „großen Namen“ geben). Wenn man mit 60 um ein Staatsstipendium ansucht, wird man bestimmt weniger Chancen haben als mit 25.
Ich versuche grundsätzlich, mich an Musiktrends nicht anzupassen, obwohl es natürlich Beeinflussungen von KollegInnen und ihren Arbeiten gibt. Ich leiste mir den Luxus, nicht an Verkauftrends beim Komponieren zu denken.
“I’ve never seen a concert contract that mentioned anything necessary for people with health conditions or impairments.” – Omid Darvish
Haben sich dein kreativer Prozess, die Themen deiner Musik oder die Art deiner Projekte verändert?
Pamelia Stickney: My creative process and themes have definitely changed out of maturity, growing up and finding faith, which has nothing to do with age.
Oliver Johnson: Ja, das hat er/sie! Ich glaube, als ich anfing, ging es mir schon viel auch um ein Gefühl, da irgendwie kollektiv dabei sein zu wollen. Als ich und mein Freundeskreis damals zu Veranstaltungen gingen oder in Plattenläden Alben kauften, da war es auch spannend, dieses ganze Ökosystem an Labels, Kollektiven und Zeitgenoss:innen zu erforschen. Und wenn man dann seine ersten Partys schmeißt oder auch mal auf diesem oder jenem Festival gespielt hat – das sind ganz große Momente! Mit dem Alter ändert sich alles – und Kollektive gehen auseinander, viele Kreative müssen aufhören, weil es sich nicht ausgeht, oder Leute bewegen sich in andere Bereiche/Genres hinein – und jeden beschäftigt mit dem Alter auch anderes. Um es wieder einfacher auszudrücken: Ich habe das Gefühl, im Alter wird man irgendwann auch ein wenig auf sich zurückgeworfen nach diesen kollektiven Erfahrungen – und man ist irgendwie gezwungen, sich aufs Neue zu fragen, wieso man das alles macht.
Viola Falb: Eigentlich nicht. Ich habe meine Stilrichtungen vielleicht verstärkt, aber grundsätzlich bin ich dem treu geblieben.
Katharina Klement: Ja, man macht im Alter nicht mehr alles, ich fühle mich eher zu größeren und dafür stimmigeren Projekten für mich hingezogen bzw. stemme sie selbst aus dem Boden. Ein Gig da, ein anderer dort ist nicht mehr attraktiv.
Hat sich deine Einstellung zu Tourneen und Reisen mit zunehmendem Alter verändert (unter Berücksichtigung von Faktoren wie Zeit, Ressourcen, Gesundheit, anderweitige Verpflichtungen usw.)?
Viola Falb: Absolut. Mein großer Traum war es früher als Künstlerin unterwegs zu sein, von einem Konzert zum nächsten zu jetten und die Welt sehen… wenn ich mir das vorstelle, jetzt noch machen zu müssen… das wäre nichts für mich. Wenn ich so manche Kollegen sehe, ständig unterwegs sind, merke ich wie weit weg dieser Traum von mir ist. Ich reise gerne, bleibe dann gern länger, genieße eine Stadt… aber meistens kommt man zu spät an, muss gleich zum Soundcheck, dann Konzert, vielleicht noch ein Getränk, Hotel und am nächsten Tag weiter… und als Mutter ist das quasi unmöglich – außer die Kinder kommen mit, aber das eine geht in die Schule und wer zahlt die Hotels und Betreuung? Ein Riesen Thema, das ihr eh schon mal bearbeitet habt.
Oliver Johnson: Ja, ich habe das Gefühl, dass ich es einerseits mehr schätze denn je – also das Auftritte-Spielen – aber dadurch, dass ich es so lange schon mache, habe ich hier auch schon eine gewisse Hemmschwelle erreicht, bei der ich merke, ich bin nicht gleich belastbar wie früher, in Bezug auf das Reisen. Vielleicht bin ich da ein wenig stressempfindlicher geworden – gerade wenn es ums Fliegen geht (was ich eh versuche, so sehr es geht zu vermeiden – was nie ganz möglich ist). Aber auch hier – es gehört halt einfach dazu – und ich habe auch schon früh checken müssen, das bleibt einfach irgendwie kräftezehrend und anstrengend für mich. Aber im Großen und Ganzen ist das einfach Teil des Jobs – war es schon immer; und ich werde auch nie das Bild vergessen, wie ich mal nach einem Festival in Frankreich den Flieger geteilt habe mit einem Mitte 70-jährigen Mulatu Astatke. Und irgendwie ist mir da dann bewusst geworden: Solange ich Musiker bin, wird das einfach Teil meines Lebens bleiben.
Katharina Klement: Ja, die Energien werden nicht mehr. Das schwere Kofferschleppen mit Equipment darin inklusive stundenlanges Sitzen im Zug wirkt sich auf die Gesundheit aus. Ich versuche nur mehr dann zu reisen, wenn es sich zeitlich und finanziell gut anfühlt.
Gibt es als langjährige/r Künstler:in in Bezug auf deine Gesundheit besondere Beeinträchtigungen, Verletzungen oder andere musikspezifische Leiden, die du oder deine Kolleg:innen erlitten haben und die nicht genügend Anerkennung, Unterstützung oder Entschädigung erhalten?
Omid Darvish: Musicians constantly struggle with what I call hidden health issues, both mental and physical. Playing concerts, recording music, and practicing for years takes a heavy mental toll. Musicians endure extreme pressure for long periods, and physically, they face numerous problems due to long hours of practice and constantly being on the road.
I believe the music industry is not sensitive enough to these issues. Both the music industry and music academies often contribute to these (mental and physical) problems by imposing pressures on musicians, such as the demand for perfectionism.
I’ve never seen a concert contract that mentioned anything necessary for people with health conditions or impairments. For many years, people with health conditions or impairments have been left out of the music industry or ignored. I believe it’s time to be more aware and conscious of this issue—not only in the music industry but also in music schools, universities, and, ultimately, among the musicians themselves.
Katharina Klement: Stress manifestiert sich körperlich wie geistig, es gibt keine Instanz außer sich selbst, das in den Griff zu bekommen. Musikmachen, in meinem Fall insbesondere das Spielen im Innenklavier ist körperlich sehr anspruchsvoll, habe davon bestimmt ein chronisches Schulterproblem. „Entschädigung“ bekomme ich dafür keine, versuche das mit entsprechenden Übungen/Training hinzubekommen.
Pamelia Stickney: Nobody puts a gun to an artist’s head to do what they do. So, I don’t believe that I (or any other artist or non-artist) am entitled to some sort of compensation for whatever choices I have made.
Bist du der Meinung, dass es genügend finanzielle Absicherungen, Altersvorsorge und andere Einrichtungen gibt, die vor finanziellen Krisen, finanziellen Engpässen oder Existenzangst, insbesondere im Alter, schützen können?
Katharina Klement: Nein absolut nicht. Ich werde in absehbarer Zeit eine Pension bekommen, die wird aber so gering sein, dass ich ohne weiteren Verdienst nicht über die Runden kommen werde. Ich hoffe, ich werde meine künstlerische Arbeit so lange wie möglich ausüben können. Das mache ich ja auch gern, aber für größere Ausgaben bin ich nicht gerüstet. Es müsste für KünstlerInnen eine entsprechende Altersvorsorge eingerichtet werden bzw. müssten sie zeitlebens besser bezahlt werden.
Omid Darvish: In my experience, as age increases, both physical and mental aspects require more stability. There is also external pressure to achieve greater financial stability. While musicians often create more music as they gain experience, achieving financial stability remains challenging for those of us outside the so-called mainstream music market. There needs to be a balance between all these aspects. But do I see the music industry being aware of this? No.
Every day, I see more of my colleagues playing fewer gigs and focusing their energy on other activities, like teaching music. I believe it’s essential to provide support for musicians so they can continue making music.
Viola Falb: Ich denke, dass die finanzielle Situation im Alter vor allem bei freischaffenden Musiker:innen ein Problem werden kann. Auch bei mir, die ich viel unterrichte und wenn ich mir mein Pensionskonto anschaue, wird mir schwindelig, weil ich davon mal nicht leben kann. Ich kann aber nicht davon ausgehen, dass ich weiterhin durch Konzerte/Kompositionen so viel verdienen werde wie jetzt, da natürlich die Gesundheit, die konditionelle Situation und die Nachfrage eine große Rolle spielen. Sich auf eine Unterstützung verlassen, würde ich nicht. Hier muss sich jede:r einen Plan überlegen, das wird noch richtig spannend.
Pamelia Stickney: Compared to where I come from, Austria is very generous to its citizens and legal residents.
“My creative process and themes have definitely changed out of maturity, growing up and finding faith, which has nothing to do with age.”- Pamelia Stickney
Hast du Vorbilder in der Branche, die die Herausforderungen des Älterwerdens erfolgreich gemeistert haben? Was kann man deiner Meinung nach von ihnen lernen?
Viola Falb: Wayne Shorter – der war bis ins hohe Alter künstlerisch beeindruckend und hat noch Konzerte gespielt. Diese Ausdruckskraft wäre schön zu behalten. Auch Benny Golson – mit 95 Jahren hat er, glaube ich, aufgehört zu spielen, aber er war bis vor kurzem noch sehr aktiv. Aber die Gesundheit hat man nur bedingt unter Kontrolle und jeder muss froh sein, wenn‘s körperlich und geistig bis ins hohe Alter möglich ist.
Katharina Klement: Ja, die Rolling Stones, Martha Argerich, Eliane Radigue, Beatriz Ferreyra, Friedrich Cerha. Sie haben alle eine lebenslange Begeisterung für ihre Arbeit beibehalten, bleiben bzw. blieben kreativ bis ins hohe Alter.
Glaubst du, dass die Musikbranche ihre Unterstützung für Künstler:innen aller Altersgruppen verbessern muss? Welche Veränderungen erhoffst du dir für die Zukunft in der Musikbranche in Bezug auf die Integration von Menschen jeden Alters?
Pamelia Stickney: What kind of support is to be expected of an industry that by design is catering to what the masses ‘like’ or give their attention span to in order to sustain itself (make profit)?
Viola Falb: Die Alten sind halt sehr auf sich allein gestellt; ich würde mir wünschen, dass die Musikbranche etwas verbessern könnte – für die jungen gibts ja wirklich schon viel: NASOM, Kick Jazz, Stipendien, Förderungen… Ich finde man könnte die Älteren auch ein wenig unterstützen. Viele machen ja jahrelang schon gute Musik… Auch z.B. beim Jazzpreis: da wäre so ein Preis eventuell fürs Lebenswerk schon gut.
Ich finde die Kombination von Mutter und over-40 in der Musikbranche schon nochmals verschärft. Hätte ich nicht so viele Ensembles, die schon sehr gut aufgestellt sind und Konzerte haben (Studio DAN, …), ein paar Veranstalter, wo ich durch schnelles Organisieren Konzerte schaffe und die besonders gute Fördersituation durch BKA und MA07 Wien, wäre ich diese ersten 2 Jahre verloren gewesen und es hat mir irrsinnig viel Geld gekostet meine künstlerische Tätigkeit aufrecht zu erhalten – oftmals mehr als ich beim Konzert eingenommen hab.
Ich finde auch, dass sich das aktive Musikerfeld im Laufe des älter werden immer weiter ausdünnt, weil es auch nicht so ertragreich ist wie erhofft und dann sucht man sich andere Wege. Das beginnt aber schon im Studium und ist ein Prozess, den man glaub ich nicht künstlerisch oder fördertechnisch aufhalten muss. Aber die, die es bis ins hohe Alter geschafft haben, sollten auf alle Fälle unterstützt werden – vor allem wenn es dann an Spielunfähigkeit geht, da dann die finanzielle Lebensgrundlage fehlt. Aber da weiß ich zu wenig Bescheid, was die SVS hier zur Verfügung hält – quasi so ein Härtefallfonds (bei der SKE hatten wir schon einige unterstützt).
“Ich finde die Kombination von Mutter und over-40 in der Musikbranche schon nochmals verschärft.” – Viola Falb
Welchen Rat würdest du jüngeren Musiker:innen geben, um eine nachhaltige und erfüllende Musikkarriere aufzubauen?
Viola Falb: Viel ausprobieren, schauen welche Musikrichtung für einen passt, früh mit eigenen Projekten starten und diese in die Öffentlichkeit tragen. Mit Freunden agieren, bei Freunden spielen und Erfahrungen sammeln, auch wenn das Geld nicht passt. Die Zeit nutzen… sich dann aber auch um Dinge wie Steuer / Versicherung / Förderungen kümmern um auch abgesichert zu sein.
Pamelia Stickney: Expectations pave the road to disappointment. It is not completely in your hands, no matter what field you choose to try to build a so-called ‘sustainable career.’ I’d say get your spiritual house in order so you can be content with what you have, accept what you cannot control (including if it means not being able to get by on making art alone), and not let ego problems like envy, greed, and fear of ageing and death rule your life.
Katharina Klement: Pragmatische Antwort: nicht ausbeutend arbeiten, also auf gute Honorare und Verträge achten. Früh genug auch eine Pensionsversicherung bedenken, Werk- und befristete Arbeitsverträge meiden sofern möglich. Künstlerische Antwort: immer das tun, wovon man auch künstlerisch überzeugt ist, dem Nachspüren, was man innerlich möchte und kann. Weitermachen, auch wenn es einmal nicht so gut läuft. Offen und neugierig bleiben, den Erfolg nicht als einziges Mass nehmen.
Oliver Johnson: Hmm – das ist schwer. Ich glaube leider, dass es keine Formel gibt für eine nachhaltige Karriere – und in vielen Fällen spielt da auch viel Glück mit, denke ich. Aber ich denke, unabhängig vom Karriere-Denken: Was mich halt einfach trägt, ist die Neugierde – die zu behalten, sehe ich als etwas ganz Essenzielles. Ich glaube, in meinem Fall hätte ich gerne mehr Musik veröffentlicht – und ich habe rückblickend sehr große “Gaps” zwischen meinen Alben. Also irgendwie dranzubleiben – am Machen, am Veröffentlichen, am Spielen – dran- und drinbleiben ist, glaube ich, das, was auch oft nach außen etwas bewirken kann. Das meine ich auch nicht in so einem „Fünfmal die Woche etwas auf Social Media posten“-Kontext, sondern nur für sich – einfach diese Pflanze gießen, die es einem möglich macht, kreativ sein zu können und bleiben zu wollen. Und Geduld zu haben – in langen Bögen zu denken. Und halt nicht zu vergessen: Music is something you do – it’s not who you are!
Arianna Alfreds
Hinweis: Die hier vorgestellten Künstler:innen haben nicht gemeinsam an dem Interview teilgenommen. Die Redaktion hat die einzelnen Antworten zu einem gemeinsamen Artikel zusammengefasst.
Alle „30 über 30“-Artikel findet man hier.
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Der in Wien lebende Sänger, Komponist und Tanbur-Spieler – Omid Darvish – schöpft aus der iranischen Musik, die er in den renommierten Projekten HUUUM und Kurdophone auf innovative Weise mit Jazz, Elektronik und Metal vermischt.
Viola Falb lebt und arbeitet als Saxophonistin, Komponistin und Pädagogin in Wien; sie wurde mit dem Newcomer of the Year – Hans Koller Preis, Staatstipendium für Komposition, Förderpreis der Stadt Wien und dem Annerkennungspreis des Landes NÖ prämiert.
Oliver Johnson a.k.a Dorian Concept ist einer der renommiertesten elektronischen Musiker seiner Generation in Österreich. Als genreübergreifender „Synthesizer-Virtuose“ mischt er experimentelle elektronische Klänge mit Jazz, Ambient und Clubmusik. Mit Veröffentlichungen auf renommierten Labels wie Ninja Tune und Brainfeeder hat er sich zu einem international gefragten Live-Act entwickelt.
Katharina Klement: geboren in Graz/Österreich, lebt seit den späten 1980ern in Wien. Sie ist als composer-performer und Klangkünstlerin in der nationalen und internationalen Szene tätig. In ihrem Werk finden sich zahlreiche querverbindende Projekte innerhalb der Bereiche Musik-Text-Video. Ihr Schwerpunkt liegt auf elektroakustischer Musik und dem Instrument Klavier mit erweiterten Spieltechniken. Sie unterrichtet am Lehrgang für elektroakustische und experimentelle Musik an der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien.
Pamelia Khadijah Stickney begann schon in sehr jungen Jahren Musik zu machen. 1997 fing sie an, “Theremin zu spielen und hörte dann wieder damit auf, um sich auf das Musikmachen zu konzentrieren, bis das Musikmachen nicht mehr die raison d’etre war.”
up next: Teil 4…
Im nächsten „30 over 30“-Artikel werden Elisabeth Schimana, Martin Siewert, Jelena Popržan, Lisa Kortschak und Benny Omerzell interviewt.