Porträt: Rainer Krispel

Beschäftigt man sich eine Weile mit und in der heimischen Musiklandschaft, so ist es bestimmt nur eine Frage der Zeit, bis einem irgendwann einmal Rainer Krispel in den näheren Wahrnehmungsbereich kommt. Egal, ob als Booker, Schreiber, Analysator, politisch Aktiver oder Musiker, ist Rainer Krispel schon längst untrennbar mit dem österreichischen Musikgeschehen verbunden und hat sich im Laufe der Jahre ein umfangreiches Fachwissen angeeignet, das jede Spezialenzyklopädie blass aussehen lassen würde.

Die ersten Schritte zur musikalischen Sozialisation erfolgten bereits in frühester Kindheit im Krispel’schen Familienverband, wo den späteren „Musikarbeiter“ schon die musikaffinen Eltern mit den notwendigen musikalischen Einstiegsdrogen versorgt haben. Die prägendsten Werke waren dabei Arik Brauer’s legendäre Platte mit Liedern wie „Sie hab’n a Haus ‚baut“, das erste Ludwig Hirsch-Album „Komm’ großer schwarzer Vogel“ sowie die zwanzig größten Hits von Creedence Clearwater Revival. Und dann war da noch die Musik, die über Verwandte von jenseits des großen Teichs ihren Weg in diverse Abspielgeräte gefunden haben – alte Haudegen wie Johnny Cash oder Arlo Guthrie, die die Leidenschaft für das ur-amerikanische Songwriting und Storytelling geweckt haben.

Ein „großer Fokusveränderer“, wie es Rainer Krispel ausdrückt, war dann schließlich für ihn die Punkmusik der frühen Achtziger, in der er im Linzer Kapu-Umfeld voll und ganz aufgehen konnte. „Das war so die Initialzündung, wo mir klar war, dass ich mehr machen will. Wobei der Punkbegriff damals sehr offen war. Von The Clash und The Jam über Siouxsie & the Banshees bis hin zu Public Image Ltd. ist damals alles unter ‚Punk’ subsumiert worden. Und dadurch, dass ich sogar für die drei Akkorde des Punk zu ungeschickt war, bin ich halt zum Sänger mutiert und damit sehr eng verbunden waren auch meine schreiberischen Ambitionen.“

Endgültig geschehen war es um Rainer Krispel schließlich mit dem „musikalisch an sich furchtbaren“ Zweit- / und Drittgenerationspunk. „Für Menschen, die keinen emotionalen Bezug dazu haben, ist das sicher schrecklich, aber ich finde das nach wie vor grandios.“ Die grandiosen Idole dieser Zeit waren einschlägig bekannte Rabauken wie Blitz, The Violators oder Notdurft, denen er, neben vielen anderen Bands, signifikanten Einfluss auf sein Musikverständnis attestiert. Später kamen dann noch Hardcore-Bands hinzu, aber auch amerikanische Roots-Musik aus der Country- und Blues-Tradition heraus. Besonders angetan war „ein sehr text- und stimmbezogener“ Rainer Krispel hier aber auch von denjenigen Leuten, die diese alten Traditionen mit einem „Punk-Spirit“ verbunden und damit auch stilistische Grenzen aufgemacht haben.

Mit dem Musikmachen einher gegangen sind zu dieser Zeit auch periphär-musikbezogene Agenden wie etwa das Schreiben für Fanzines, das Verfassen von Konzertankündigungen und natürlich das Veranstalten der betreffenden Konzerte selbst. Ganz in guter alter DIY-Tradition haben sich damals im Kapu-Umfeld „mehrere Bands, Freunde und Freundinnen“ engagiert. Das grundsätzliche Gebot für alle Beteiligten war es, „die Dinge, die man hören und sehen wollte, selbst zu organisieren, da es sonst niemand gemacht hat“. Wie Krispel rückblickend auch feststellt, „waren das damals sehr aufregende und vor allem auch sehr lehrreiche Jahre, weil man viel über die Praxis von Musik gelernt hat, die ohne all die ganzen Business-Praktiken auskommt“.

Begünstigend ausgewirkt hat sich seiner Einschätzung nach auch, dass mit der Kapu ein „geeignetes Spielfeld“ vorhanden war sowie „die Möglichkeit, auch an das süddeutsche Hardcore-Netzwerk anzudocken“. „Darüber hinaus gab es Verbindungen nach Italien, Norwegen und letztendlich auch weltweit. Das mag damals vielleicht ein historischer Zufall gewesen sein, aber auf jeden Fall war es ein sehr glücklicher historischer Zufall und ich habe mich damals explizit als Teil eines ‚Wir’, einer Gemeinschaft, gesehen.“

Wie man heute nur allzu gut weiß, haben sich aus dieser Gemeinschaft einige der wichtigsten und interessantesten heimischen Musikformationen heraus gebildet. Eine Entwicklung, die „wohl tatsächlich auf die Abwesenheit von Medien und Musikverwertungsstrukturen in Linz“ zurück zu führen war. „In Wien“, so Krispel weiter, „wäre das in dieser Weise überhaupt nie möglich gewesen. Da kommt sofort der Musikfunktionär, der das verwerten will und allen den Spaß verdirbt.“

Obwohl die „eher zufällige“ Berufswahl des „Musikarbeiters“, der die Aktivitäten im Kapu-Umfeld jedenfalls als Grundlage und „organisatorische Ausbildung“ für seinen späteren Broterwerb sieht, nach wie vor einen „ständigen Kampf gegen den Schuldenturm“ darstellt, hat er sich jedenfalls den Spaß an der Sache nicht verderben lassen. Zumal sich allen Widrigkeiten zum Trotz doch noch immer Konstruktionen ergeben haben, wo Geld zu verdienen war, sei es als Booker für das Chelsea und die Szene Wien oder als Medienarbeiter. In seiner erwerbsmäßigen Zeit als Booker war es Rainer Krispel aber auch stets bewusst, „dass man immer in einem Kompromiss lebt“ zwischen den Bands, die man selbst sehr schätzt und denjenigen, die einfach bloß den Laden am Laufen halten. „Der Booker wäre ein Idiot“, so Krispel, „wenn er ein Haus, egal, ob kulturell gefördert oder marktwirtschaftlich organisiert, ausschließlich nach seinem eigenen persönlichen Geschmack führen würde“. Vielmehr müsse man eine „möglichst klare Linie“ entwickeln, diese aber „per se möglichst offen“ definieren. Allerdings müsste man auch hin und wieder die Chance bekommen, „den eigenen Vogel ein wenig zu realisieren“, wie er ergänzend hinzu fügt.

Diese Gelassenheit eines Zen-Meisters gegenüber allen Musikstilen und deren Protagonisten zeichnet Rainer Krispel allerdings nicht seit jeher aus. „Früher hätte ich für diese Einstellung, die ich da gerade beschrieben habe, lautstark mit mir gestritten und mir diverse ‚Nettigkeiten“ an den Kopf geworfen. Aber diese Offenheit hat sich einfach durch kreative Erlebnisse mit Künstlern ergeben, die ich früher einmal böse als ‚Jazzer’ definiert hätte. Und wenn man aber schaut, wo die her kommen, wie die ticken und worin sich deren Begeisterung gründet, dann relativiert das schon sehr viel. Und wenn du einmal als Kritiker, als über Musik Schreibender, mit einem Musiker, dessen Sachen du verrissen hast, zu diskutieren beginnst und du merkst, dass ihn so etwas persönlich beleidigt, dann entwickelt man glaube ich eine andere Behutsamkeit.“ Gleichzeitig streicht er aber die Wichtigkeit von Leuten heraus, die auch Sachen ablehnen und das entsprechend artikulieren, Leute also, die „sozusagen in der Musik gegen andere Musik und für den Diskurs äußerst wichtig sind“.

Neben der eigenen Entwicklung hinsichtlich der Akzeptanz unterschiedlichster stilistischer Ausprägungen stellt sich vor allem aber auch die Frage, wie Rainer Krispel die Veränderung dieser Musiklandschaft selbst über die Jahre, in denen er sich intensiv mit ihr beschäftigt hat, erlebt hat. Ist alles schlechter geworden, wie so oft in Verbindung mit einer abwinkenden Handbewegung behauptet wird oder gibt es auch Dinge, die sich, ganz im Gegenteil, sogar zum Positiven gewandelt haben? „Ich glaube generell, dass es heute mehr Gedöns um die Musik gibt“, ist Krispel überzeugt. „Es gibt glaube ich heute mehr mediale Wahrnehmung von Musik und generell würden heute wahrscheinlich mehr Möglichkeiten bestehen, sofern die Musiker nur besser in der Lage wären, sich selbst zu organisieren. Aber in Wirklichkeit halte ich es für ein tatsächliches Armutszeugnis, dass es eigentlich keine adäquate politische Vertretung für Musiker gibt.“

Bestehende Institutionen wie etwa der Musikerrat, die Musikergilde oder die AKM wären jedenfalls nicht in der Lage, diese Aufgabe zufriedenstellend zu erfüllen. Ein weiteres Problem macht Rainer Krispel auch in der Abhaltung von „Alibiveranstaltungen“ aus, neben denen die „tatsächliche Lebenssituation von Künstlern in Bereichen wie Pop und Rock komplett verkannt“ würde und diese sich in einer katastrophalen Situation befänden. „Grundsätzlich verdient immer die Struktur, es verdienen die Zwischenhändler und es versickert irrsinnig viel Geld in all denjenigen Körperschaften, die für sich immer beanspruchen, die Künstler zu fördern, in wirklich aber überhaupt nichts zur Verbesserung der Situation beitragen. Es fehlt einfach das politische Bewusstsein dafür, dass es hierzulande diese kreativen Potentiale gibt und die durchaus auch, sofern richtig gefördert, Wertschöpfung zulassen würden.“ Auf den Punkt gebracht, scheint die Situation heimischer Künstler während des letzten Vierteljahrhunderts allerdings weder besser noch schlechter geworden zu sein, sondern sie ist für jemanden wie Krispel, der während der ganzen Zeit alles andere als bloß ein stiller Beobachter war, „einfach konstant komisch geblieben“. Vor dem Hintergrund, dass für das Gros der heimischen Musiker ein finanzielles Auslangen durch ihre Kunst ohnehin nicht möglich ist, wundert er sich dann aber doch, dass die österreichische Musik „nicht viel wahnsinniger und freier ist“, weil ja „überhaupt keine Notwendigkeit gegeben“ wäre, irgendwelche Formate zu erfüllen. Allerdings deute derzeit alles auf eine positive Entwicklung hin, da es gerade jetzt „sehr viele und schöne musikalische Abenteuer in diesem Land“ gäbe, die auch wieder im Zunehmen begriffen wären.

Allen Widrigkeiten zum Trotz ist Rainer Krispel seiner Berufung jedoch treu geblieben und werkt nach wie vor mit ungeheurer Energie in und für die Musiklandschaft, deren Protagonisten und vor allem auch für diverse Sprachrohre, die vielen Künstlern dabei helfen, eine breitere Öffentlichkeit zu erreichen. So finden sich derzeit Krispel-Beiträge etwa im TBA oder im DATUM sowie unter der Rubrik „Musikarbeiter unterwegs“ im Augustin. Darüber hinaus hilft er Bands bei deren Außenpräsentation, indem er ansprechende Bandinfos verfasst und auch die Programmtexte für das Akkordeonfestival sowie das Klezmore Festival erstellt. Außerdem bestehen noch enge Zusammenarbeiten mit Künstlern wie Pieter Gabriel, Stefan Sterzinger oder Rewolfinger, in die Rainer Krispel in beratender Funktion seine langjährige Erfahrung mit einbringt. Und natürlich dürfen auch die eigenen musikalischen Ambitionen nicht zu kurz kommen, wie etwa in der Hardcore-Band Seven Sioux oder der weniger brachialen Zwei-Mann-Countryblues-Combo The Red River Two, von denen man sich noch heuer auf ein wunderbares Album freuen darf.

Michael Masen