mica-Interview mit Christian Mühlbacher

Der Schlagzeuger, Komponist und Arrangeur Christian Mühlbacher über das Instrument als logische Folge und warum er nicht für Trompeten, sondern für Trompeter schreibt. Das Interview führte Markus Deisenberger.

Mit „Mühlbacher usw“ hast Du zehn Jahre lang jedes Jahr am 5.4. ein Konzert im Wiener Porgy gegeben. Kannst Du die Idee dahinter erläutern?
Es fing mit einer Einladung an mich an, einen Abend zu veranstalten. So habe ich Stücke ausgesucht, um in einem schönen, runden Bogen zwei Stunden lang Musik zu machen. Und beim ersten Mal war es so toll und hat allen – sowohl Musikern als auch Publikum – so viel Spaß gemacht, dass wir uns alle gleich für das nächste Jahr wieder verabredet haben. Dann ist das Porgy übersiedelt, weshalb wir zwei Jahre lang im Radiokulturhaus spielen mussten. Und danach haben wir wieder im neuen Porgy weiter gemacht.

Wie kam es zur Namensgebung?

Ein leider verstorbener Journalist hat mich mal gefragt: „Was ist eigentlich mit Mühlbacher u.s.w?“ So kam das.

Vom Kern waren es immer die gleiche Leute bei Mühlbacher USW, aber es herrschte in gewissem Sinne schon auch ein Kommen und Gehen. War das beabsichtigt?
Durchaus. Schon wenn man sich das Programm fürs nächste Jahr ausdenkt, kommen einem ja bestimmte Arrangement-Ideen in den Sinn, und die sind immer mit ganz bestimmten Musikern verbunden.
Anfangs wollte ich nur Bläser, d.h. also kein Instrument, bei dem die Tonalität so fixiert ist wie bei einem Keyboard, aber alles ist flexibel. Und dann hat man eine bestimmte Idee und denkt sich: Dafür brauch ich eine Hammond-Orgel, und da gibt es nur einen, den Geri Schuller. So kommt eins zum anderen… Nur leider hat es ein Limit.

Inwiefern?
Naja, es lässt sich nicht voll durchziehen, denn was mache ich am 3.8.?

Ach so. Woher kommt Deine Faszination für den Sound einer Bigband eigentlich her?
Das wuchs mit Nouvelle Cuisine (dem gemeinsam mit Christoph Cech betriebenen Projekt, Anm.). Christoph und ich haben im Zuge des Studiums gelernt, mit solchen Apparaten umzugehen. Und gleichzeitig stieg so auch die Lust, mit solchen Apparaten zu hantieren. Das hat sich also ganz natürlich entwickelt: Aus einem Quartett wurde ein Sextett, ein Septett, und dann will man da noch einen zusätzlichen Bläser und dort eine zweite Stimme und schon wächst das, und irgendwann kommt der Zeitpunkt, an dem du dich fragst, warum man, wenn ohnedies schon zwei Posaunen und drei Trompeten im Einsatz sind, nicht gleich vier von beiden nimmt und so weiter und so fort.

USW eben…
(lacht) Genau. Ich habe es aber auch gerne, wenn Leute an einem Strang ziehen
Und bei Bläsern, die so vielfältige Ausdrucksmöglichkeiten haben, umso mehr. Wenn Du Dir die letzte CD ansiehst, spielen auf ihr Franz Hautzinger, Lorenz Raab und Aneel Soomary – drei unterschiedlichere Trompeter gibt es wohl nicht. Das widerspricht ganz klar dieser Satz-Idee. Mir geht es vielmehr darum, verschiedene Farben zu haben. Ich schreib nicht für Trompete, sondern für den Trompeter.

Da wären wir bei dem Vorurteil angelangt, dass der Bigband immer ein bestimmter, vorgegebener und sehr ausdefinierter Sound anhaftet…
Das muss ja eben nicht alles so klingen. Es kann auch völlig anders klingen. Natürlich klingt eine Trompete nach einer Trompete. Aber was mit solch einer Trompete möglich ist, zeigt ja beispielsweise der Franz Hautzinger.

Macht genau das auch den Reiz aus? Dieses fest gefahrene Ding ein bisschen aufzumischen?
Absolut. Bei Posaunen hab ich schon gerne ein Paket, weil die so nah an den tiefen Obertönen sind. Die habe ich gerne kompakt. Bei Trompeten und Saxophonen aber ist das anders. Es geht immer um einzelne Leute, um Personen. Man verbindet Ideen mit bestimmten Menschen.

In Deinen Ausführungen, was Dich dazu bewog, für Big Bands bzw. große Besetzungen zu komponieren, fehlte mir jetzt irgendwie der Verweis auf den Funk der 70er Jahre. Hat Dich der denn gar nicht beeinflusst?
O doch. Als erstes bin ich als Schlagzeuger natürlich mit Jazzrock und Funk sozialisiert. Dann kam die Aufarbeitung der Tradition, d.h. der Swing, den man als Europäer nicht im Blut hat und den man sich daher hart erarbeiten muss. Gleichzeitig hat mich aber immer auch der Free Jazz inspiriert. Die Big Band kam eigentlich erst danach ins Spiel. Als ich in der Schule war, hab ich mich eher für andere Sachen, Mahavishnu und dergleichen interessiert. Und je länger ich mich mit Jazz beschäftigt habe, desto größer wurde meine Hochachtung vor dem Arrangieren. Das sind alles Reifeprozesse. Genauso wie man eine Zeit lang braucht, um zu begreifen, warum Schubert toll ist und jede Beschäftigung mit ihm lohnenswert ist. Um aber einem häufigen Missverständnis vorzubeugen: USW ist keine Big Band, es ist zwar vielleicht eine Big Band-Besetzung, aber die Protagonisten sind alles „Bunte“.

Was genau verstehst Du unter „Bunten“?
Einzelne unterschiedliche Farben, die zusammen einen großen Farbenreichtum ergeben. Seit den späten 60ern ist die Welt musikalisch ja für die verschiedensten Dinge offen. Wenn einer bei USW ausreißt, macht es nichts.
Aber um auf Deine Frage zurückzukommen: Mein Zugang zur Big Band kam über den späten Gil Evans und den elektrischen Miles Davis. Erst danach habe ich die tollen 50er-Jahre-Sachen entdeckt. Heute liebe ich sie. Porgy & Bess ist die Platte schlechthin für mich.

Schlagzeuger und Komponist/Arrangeur ist eine eher ungewöhnliche Kombination.
Ja, aber das hat mich nie geschreckt. Schlagzeug war für mich eine Reaktion auf meine klassische Kindheit, eine logische Konsequenz sozusagen. Mein Vater war Solo-Hornist bei den Symphonikern. Das bedeutete für mich: Klavier mit vier und Geige mit neun, was mir gehörig gegen den Strich ging. Ich wollte eine Rockband. Und Schlagzeug war das, was in Rockbands meisten fehlte. Also hab ich begonnen Schlagzeug zu spielen.

Gehen wir zu den USW-Live-Konzerten. Wie viel ist vorgegeben? Wie viel geschieht spontan und improvisiert?
Jedes Stück hat pro Spieler ein bis drei Notenblätter. Das heißt, die Themen, bzw. der Pfad ist vorgegeben. Eine offene Möglichkeit ist da, und aus der heraus wächst das eigentliche Stück, das einen bestimmten Groove, eine bestimmte Harmoniefolge aufweist. Thema und die Entwicklung ergeben sich.

Gibt es Möglichkeiten, dazwischen unvorhergesehen abzubiegen?

Abbiegen kann man im Prinzip immer. Und im Porgy kann man das auch ausleben. Letztlich kommt es aber immer darauf an, wo man spielt. Im Stadttheater Gmunden werden wir keine Orgie veranstalten.

Gehen wir zu Deinem Bruckner-Projekt. Wie kamst Du dazu, Bruckner zu bearbeiten?
In Sankt Florian werden Brucknertage veranstaltet. Dazu gehört immer auch ein Jazzmusiker, der sich mit Bruckner beschäftigt. Und Bruckner generell, aber seine Vierte im Speziellen, kam mir sehr gelegen. Das Dramatische vor allem.

Wie weit geht Deine persönliche Bearbeitung von Bruckner weg?

Schwer zu sagen. Ich habe das genommen, was mich angesprungen hat. Ein Thema, eine bestimmte Melodiefolge, aber dann geht es mit Mühlbacher weiter. Schon bei meinem Mozart-Projekt (eine Bearbeitung für das Mozartjahr, Anm.) habe ich besonders gemocht, es mitunter selber nicht mehr genau zu wissen, wo er aufhört und ich anfange. Andererseits habe ich beim berühmten Zizipe-Motiv lange gesucht, bis ich eine Version gefunden habe, die mich zufriedenstellt. Da besteht die Gefahr, dass man zu sülzen beginnt. Ich mag zwar schöne Harmonien. Zwischendurch muss das kommen, um den Leuten auch die nötige Erholung zu geben, aber nicht nur. Da muss schon auch die Faust aufs Auge kommen.

Wie bekommt man klassische Musik und Jazz unter einen Hut?
Bei Bach ist es einfach oder einfacher, weil er diesen steten Puls hat. Bei Mozart ist es hingegen wegen der Kadenzen viel schwieriger.  Eigentlich braucht man ein Lied oder eine lange Entwicklung oder ein annähernd modales Thema. Bei Bruckner ist es einfacher – da gibt es fassbare Einheiten, die ein Jazz-Stück braucht. Nach Mozart wollte ich das eigentlich nicht mehr machen

Warum, weil es so mühsam war?
Ja, es ist ein gewaltiger Aufwand. Das Stück wurde dann zwar sechs Mal aufgeführt, aber für den Aufwand, den man betreibt, ist das immer noch herzlich wenig.

Gehört zu Projekten wie der Bruckner-Bearbeitung nicht auch eine gehörige Portion Größenwahn, indem man sich ausspinnt und selbst auch ein wenig überfordert?
Gefordert hat es mich schon. Pro Jahr war ich an die drei Monate mit dem Porgy-USW-Projekt beschäftigt. Weil alles zum ersten Mal passiert. Deshalb bin ich froh, dass es sich zehn Mal ausgegangen ist.

Aus finanzielle Gründen macht man es nicht, oder?
Im Gegenteil: Das durchzuziehen hat mich in der Größenordnung eines VW-Buses gekostet. Aber die Frage ist doch: Warum macht man überhaupt Musik? Weil man will, weil man muss. Du kannst nicht anders. Purer Gestaltungswille. Fluch. Anderseits habe ich zu Hause sechsundzwanzig Stunden Musik herumliegen, was mich auch mit Stolz erfüllt.

Was hat sich in den Jahren, die es USW gibt, verändert?
Die Band ist größer geworden, alles ist viel leichter geworden, weil alle genau wissen, was zu tun ist. Anfangs war das nicht so klar. Mir war ja auch wichtig, möglichst wenig zu proben, um auch für die Musiker möglichst viel Überraschung drin zu lassen. Es gab immer nur eine Probe.

Hat man da nicht auch ein wenig Panik vor dem Gig?
Natürlich. Ich hab immer zwei, drei Nächte schlecht geschlafen. Es geht ja nicht nur um die Musik, sondern auch um die Administration, denn wer außer dir selber soll das Büro sein und Honorarnoten ausstellen? Aber der Moment danach ist dafür umso schöner, wenn man genießen kann, dass man es geschafft hat.

Waren alle Abende gleich schön oder würdest Du manche besonders hervorheben?
Letztlich waren alle sehr unterschiedlich, aber Favoriten habe ich keinen besonderen. 2003 war es filmtechnisch ein wenig kompliziert. Da hatten wir nur drei eher minderwertige Kameras. Mit drei Kameras ohne Kameramann kommt man nicht weit. Das hat sich natürlich geändert. Aber das Wichtigste jetzt ist mir, dass ich die Mitwirkenden anrufe und schon weiß, dass es funktionieren wird. Und jedes Mal danach das Durchatmen – auch vom Publikum.

Ortest Du eine Reserviertheit von Veranstaltern gegenüber derart großen Besetzungen?
Ja, klar. Es geht um Geld. Und man muss mitunter auch wollen. Und, was ich immer wieder feststelle ist, dass alle Festivals einen Premiere-Wahn haben. Ich verstehe das manchmal nicht so ganz. So viele Leute kennen es doch eh nicht, auch wenn es schon ein paar Mal aufgeführt wurde. Eine Ausnahme waren vielleicht die Inntöne, die immer ein besonders großer Multiplikator sind, weil da traditionell sehr viele Presseleute vor Ort sind. Und wenn die zu staunen beginnen, dann macht das Sinn. Und genau da haben wir viele überraschen können.

Wie würdest Du den Unterschied zwischen Nouvelle Cuisine und Mühlbacher USW beschreiben?

Wenn ich für Nouvelle Cuisine schreibe, dann dürfen auch Flachsen drin sein – also Stellen, die man richtig üben muss. Bei USW muss ich einschätzen, was spontan geht. Aber die jetzige Crew ist sehr beweglich und fit. USW ist bewegliche Energie. Und Nouvelle Cuisine ist feste Energie. Bei Nouvelle Cusine ist viel mehr ausgecheckt, Da gibt es Stücke, Kompositionen und ich muss meinen Vogel mit dem Christoph Cech teilen.

Was ist für die Zukunft geplant?
Ich schaue gerade, ob vom Bruckner-Projekt nicht doch noch eine Scheibe raus geht. Ich habe eine so gute Aufnahme, dass es schade wäre, sie nicht zu veröffentlichen. Andererseits ist es so etwas von unwirtschaftlich geworden, Platten zu machen… Gescheiter ist es, den Leuten heute Youtube-Links zu schicken. Wie Musik heute gehandelt wird, zeigt doch dieser Handy-Spot, in dem damit geworben wird, dass es mit dem Telefon auch gleich acht Millionen Songs gratis dazu gibt. Welche Musik das genau ist, ob übelster Mainstream oder querbeet, ob gut oder schlecht, findet keinerlei Erwähnung. Das macht einen nachdenklich.
Die Leute, die Musik noch suchen und aussuchen, sind rar geworden.

Vielen Dank für das Gespräch.

 

http://www.christianmuehlbacher.com/