„Ich wollte es eigentlich ,Vienna‘ nennen“ – Fennesz im mica-Interview

Sechs Jahre nach seinem letzten Soloalbum „Black Sea“ kehrt der in Wien lebende Burgenländer und Elektroniker von Weltrang Christian Fennesz mit seinem neuen Werk „Bécs“ zurück dorthin, wo seine Solokarriere begann: dem Mego-Label von Peter Rehberg. Und er tritt auch wieder mal hierzulande live auf, ist am 3.5. beim Donaufestival in Krems zu hören. Sebastian Fasthuber hat den Musiker in seiner Studio-Höhle im 7. Bezirk besucht und über das neue Album, seinen Erfolg und seine Pläne befragt.

Mit „Bécs“ kehrt du zum Mego-Label zurück, wo von dir zuletzt das stilbildende „Endless Summer“-Album erschienen ist. Knüpfst du daran an?

Fennesz:
In gewisser Weise schon. „Becs“ schließt für mich nicht stilistisch an „Endless Summer“ und „Hotel Paral.lel“ an, aber von den Gedanken her schon. Tatsache ist, dass ich nach diesen beiden Alben immer ein drittes Album auf Mego machen wollte. Das ging aber nicht, nachdem das Label Probleme hatte. Peter Rehberg hat es aber genial wieder aufgebaut und dadurch gab es die Gelegenheit, wieder etwas auf Mego zu machen. Wir haben schon mehrere Jahre darüber gesprochen, dann hat es gepasst und wir haben gesagt: Ok, wir machen das.

Wie ist das Album entstanden?

Fennesz: Ich bin wie immer ewig gesessen und habe nichts gemacht. (Lacht) Nur nachgedacht und herumprobiert. Irgendwann habe ich es dann eh in drei Wochen fertiggehabt. Aber es ist nicht so, dass ich nichts gemacht habe in der ganzen Zeit. Es gab viele andere Sachen: Kollaborationen, Remixes, Filmmusik. Ich habe die Zeit, die ich für ein Album brauche, einfach nicht gehabt.

Für ein Soloalbum muss der Kopf frei sein?

Fennesz: Genau. Nebenprojekte und Kollaborationen gehen immer. Aber für so ein Album muss man schon auch das Selbstbewusstsein haben. Sich an vorderste Front zu stellen, ist für mich gar nicht so einfach. Du musst einfach die Eier haben, es zu machen. Ich habe immer wahnsinnig viele Vorarbeiten – Skizzen und Teile –, die aber nirgendwo hinführen. Im Archiv ist auch noch einiges, was ich immer wieder ausgrabe und zu kombinieren versuche. Aber der Knopf geht immer erst ganz am Schluss auf. Meistens kommt das durch ein zentrales Stück. In dem Fall war es „Becs“. Als ich das gehabt habe, hat sich auch alles andere entfaltet. Und dann war es relativ schnell fertig.

Wird es von Album zu Album schwerer?

Fennesz: Eigentlich nicht. Mir fallen doch immer wieder Sachen ein. Oft passiert das  im letzten Moment. Die Sachen, an denen du jahrelang herumschraubst, kannst du eh wegschmeißen. Meist sind es die schnellen Tracks am Schluss. Anscheinend ist da die ganze Vorarbeit irgendwie inkludiert und es bricht dann einfach heraus. So klingt es viel frischer.

Wie würdest du das Album beschreiben?

Fennesz (c) Lorenzo Castore

Fennesz: Es ist weniger dronemäßig als das letzte, mehr songorientiert. Das waren die Mego-Alben eigentlich alle. Bei meinen Alben auf Touch habe ich mehr die Drone-Seite ausgelebt. Beim „Black Sea“-Album hab ich außerdem viel länger am Sounddesign gearbeitet. Das war mir jetzt nicht so wichtig. Diesmal ging es mir mehr um die musikalische Aussage, um die Songs. Ich wollte es nicht so perfekt klingen lassen. Ich wollte unter Anführungszeichen ein leichtes Rock- oder Punkelement reinbringen. Eine gewisse Rauheit. Es ist kein Sounddesigner-Album.

Was macht deine Stücke für dich zu Songs?
Fennesz: Es sind natürlich in erster Linie Tracks, vom Gefühl aber auch Songs. Zum Beispiel der Titeltrack: Der ist so simpel. Das ist ein ständiges Loop, was immer hin und her geht. Ich finde das schon sehr poppig. Wenn man das anders arrangieren würde, könnte man echt einen Popsong draus machen. Der Song ist immer versteckt.

Weiter in Richtung Pop willst du aber nicht gehen?

Fennesz: Bei eigenen Sachen nicht, in Kollaborationen schon. Ich habe bei Auftritten mit Yello Magic Orchestra ganz normale Popgitarre gespielt – das hat auch Spaß gemacht.

Was macht „Bécs“ zu einem Wien-Album?

Fennesz: Ich bin fast immer in Wien. Eine Zeit lang habe ich zwischen Wien und Paris gelebt. Seit einigen Jahren bin ich wieder fix da. Der Titel spielt natürlich auch auf meine burgenländischen Wurzeln an. Mir hat das als Bild gefallen. Bécs ist auch ein bisschen ein herablassender Name für Wien. Das passt: So nett und schön es hier ist, kann es schon auch dunkle Seiten haben.

Wann findest du im Laufe einer Albumproduktion einen Titel oder oder einen roten Faden?

Fennesz: Unterschiedlich. Bei „Endless Summer“ habe ich gleich gewusst, dass es so heißen muss. Bei dem Album war es nicht so, da habe ich mich mit Peter zusammengesetzt. Ich wollte es eigentlich „Vienna“ nennen. Aber das hätte zu sehr nach Ultravox geklungen. „Bécs“ war dann Peters Idee. Er steht irgendwie auf Ostblock. Ich habe mich in dem Fall schnell überzeugen lassen.

Früher war man als Musiker mit 50 alt. Du agierst auf der Höhe deiner Kunst. Wie nimmst du das Älterwerden wahr?

Fennesz: Ich bin 51. Du kannst ruhig alter Sack zu mir sagen. Aber mir fällt nichts auf. Das einzige, was ich anstrengender finde als mit 35, ist das Reisen. Aber das liegt vielleicht auch daran, dass das Reisen wirklich anstrenger geworden ist durch den ganzen Security-Scheiß. Ansonsten muss ich sagen: Ich weiß nicht, was ich sonst machen würde. Ich habe noch genug Ideen. Und es gibt noch viel, was ich ausprobieren möchte.

Wie sieht es generell mit dem Touren aus? Du spielst in aller Welt. Wie glamourös darf man sich das vorstellen?

Fennesz: Ich jammere da manchmal auf hohem Niveau. Es ist eh super mit dem Touren.Seit zwei Jahren begleitet mich meine Frau. Das ist schon sehr angenehm. Manchmal ist auch der Manager dabei. Eine kleine Reisegruppe.  Aber wenn ich an meine Amerika-Tournee 2010 zurückdenke: Zehn Shows in zehn Tagen und zehn Flüge – das hältst du nicht mehr aus.

Gibt es ein Team, das für dich arbeitet?
Fennesz: Ein kleines Team. Es gibt die beiden Labels, Touch und jetzt wieder Editions Mego. Mein Publisher ist Touch Music. Und eben mein Manager und Agent, der auch fürs Booking zuständig ist. Mehr Leute braucht man nicht, mehr würden sich finanziell auch gar nicht ausgehen.

Reich bist du also noch nicht geworden?

Fennesz: Nein. Ich komme durch. Viel Geld verdient man mit der Musik, die ich mache, nicht. Wenn man lang genug dabei ist und einen Backkatalog hat, geht es.

Du bist kürzlich in der New Yorker Carnegie Hall aufgetreten. Wie war das?

Fennesz: Das war cool. Es ist schon ein Ritterschlag, wenn man dort einmal gespielt hat. Und es hat auch super hingehaut mit dem Sound, die haben einen fantastischen Tontechniker. Natürlich ist auch Abonnement-Publikum drin gesessen, da waren ein paar Mumien drinnen, die nicht gewusst haben, was sie damit anfangen sollen.

Wo überall hast du Fans?

Fennesz: Das kann ich relativ genau sagen: Die meisten sind in Amerika, Japan, England. Dann kommen Italien, Skandinavien, Frankreich, Benelux. Am wenigsten ist in Deutschland, Österreich, Schweiz los. Ich weiß auch nicht, woran das liegt. Ich spiele auch gern da, aber halt nicht so oft.

Wie sehen deine Konzerte aus?

Fennesz: Es ist immer unterschiedlich. Ich will das auch so belassen. Ich gehe an die Konzerte wie ein Jazzer heran. Ich würde es fad finden, nur ein Programm abzuspulen. Das Material durchmischt sich total. Ich habe alles vor mir. Ich baue manchmal was Altes ein, zerlege das dann wieder, in ganz anderer Form. Es hat sehr viel Gitarre.

Du wirkst extrem geerdet. Aber es freut dich schon, dass du weltweit so hochgeschätzt wirst?

Fennesz: Ja, sicher. Ich bin aber auch schon lang dabei.

Das sind andere auch – und niemand nimmt von ihrer Musik Kenntnis.

Fennesz:
Bei mir hat es einfach funktioniert. Ich habe mir da ein eigenes kleines klangliches Universum aufgebaut.  Ein ganz wichtiger Grund war der Erfolg, den ich mit „Endless Summer“ in Amerika und England gehabt habe. In London wird es immer noch bei jedem Konzert größer. Das Witzige ist, dass immer neue Generationen „Endless Summer“ entdecken. Ich wundere mich immer wieder, dass teilweise extrem junge Leute zu meinen Konzerten kommen.

In gewisser Weise schließt sich mit diesem Album der Kreis.

Fennesz:
Absolut.

Wie wird es weitergehen?

Fennesz: Weiß ich noch gar nicht. Ich habe jetzt außer den Konzerten zum ersten Mal seit Jahren gar nichts vor. Das finde ich echt angenehm. Ich schau grad viel fern. Das Studio gehört wieder mal aufgeräumt und auf Vordermann gebracht. Ich habe das immer ganz optimal, dass alles funktioniert, wenn ich in der früh herkomme und einschalte. Vielleicht mache ich genau in der Art von „Bécs“ weiter. Vielleicht mache ich auch wieder was auf Touch, da habe ich ja nur eine Auszeit genommen. Oder ich lande endlich auf der Deutschen Grammophon. (Lacht)

War das ein Scherz?

Fennesz: Sagen wir: ein Halbscherz. Ich finde einfach, Deutsche Grammophon klingt so schön monumental.

Gibt es noch unerfüllte Träume?

Fennesz: Ich habe neulich in einem Interview im Scherz gesagt, ich würde gern einmal mit U2 arbeiten. Da habe ich gleich einen Shitstorm bekommen. Was ich sehr bereue, ist, dass mein bester Freund Mark Linkous sich 2010 das Leben genommen hat. Wir hätten eigentlich noch so viel vorgehabt. Abgesehen davon, dass es ein wahnsinniger Verlust war.

Es muss auch persönlich passen?

Fennesz: Ja. Im Herbst mache ich einen kurzen Abstecher nach Japan und bleibe eine Woche bei Jim O’Rourke im Studio. Und zwar mit Gitarren: Nix Improvisation, sondern gemeinsam komponieren.

Wie nimmst du die Szene in Wien wahr? Gehst du auf Konzerte?

Fennesz: Nein. Wenn ich unterwegs bin, schaue ich mir eh an, was mich interessiert. Hier in Wien würde ich auf Konzerten höchstens meine Tochter treffen. Ich lebe hier echt zurückgezogen und verlasse den 7. Bezirk auch nicht gern. Aber Ja, Panik habe ich mitverfolgt. Den Andreas Spechtl kenne ich schon sehr lang, weil er wie ich aus Neusiedl am See kommt. Da gab es vor Jahren so ein kleines Beisl-Café, da hat Andreas im Sommer immer gearbeitet. Ich habe das also von Anfang an mitverfolgt. Der ist super und weiß schon, was er tut.

Was hörst du zu Hause für Musik?

Fennesz: Ich stehe schon auf Songs. Ich bin nicht der, der zu Hause Plink-Plonk hört. Eher so Sachen wie Neil Young. Den schaue ich mir auch in Wien an. Der hat einen Sound, über den seine Musik fast spirituell wird. Nach Jahrzehnten weiß der einfach genau, wie es klingen muss.