"Offen sein für alles, das nicht fad ist." – Siegmar Brecher im Porträt

Wenn es darum geht, die wesentlichen Schlüsselfiguren der Grazer Jazzszene zu nennen, dann rangiert  Siegmar Brecher ohne Zweifel in den ersten Rängen. Als Initiator des „Fat Tuesday“ und der „Jazzwerkstatt Graz“ ist Siegmar Brecher einer der treibenden Persönlichkeiten der jungen Jazzcommunity in Graz mit enormer Strahlkraft.

Der jungen Grazer Jazzszene eine Plattform bieten

Siegmar Brecher wurde am 23. Oktober 1978 in Graz geboren. In seinen jungen Jahren widmete er sich zunächst der Architektur und schnupperte nach seinem Maturaabschluss der HTBLA Abteilung Hochbau 1998 auch kurz in das Arbeitsleben eines Architekturbüros. Was seine musikalischen Anfänge anbelangt, startete Brecher 1989 mit Klarinettenunterricht an der Musikschule Feldbach, um dann vier Jahre später auf das Saxophon umzusatteln. Trotz ernsthaften Interesses an der Architektur, nahm die Beschäftigung mit dem Saxophon stetig an Bedeutung zu und mündete schließlich in den Entschluss, den Weg eines Profimusikers einzuschlagen. Als nächstes Etappenziel galt es von nun an die Aufnahmsprüfung für das Studium des Jazzsaxophons an der Jazzabteilung der „Kunstuniversität Graz“ bei Karlheinz Miklin zu bestehen. Der Zivildienst kam wie gerufen und so konnte sich Siegmar Brecher ausgiebig auf die Prüfung vorbereiten. Anfang 2000 war es dann auch so weit, die Einstiegshürde war geschafft und das Studium konnte beginnen. Die Studienzeit bis einschließlich 2009 war von mehreren Stationen geprägt. So studierte Brecher 2004/2005 zusätzlich bei Klaus Dickbauer an der „Musikuniversität Wien“, besuchte 2005 einen hochkarätig besetzten Workshop in Barcelona mit u.a. Steve Wilson und sammelte 2006 im Rahmen eines Förderstipendiums an der „Manhattan School Of Music“ in New York City bei Dick Oatts wertvolle Erfahrungen. Sein Konzertfachstudium konnte Brecher schließlich 2007 abschließen, mit 2009 war dann die letzte Etappe, das Instrumentalpädagogikstudium beendet. Zu seinen weiteren Lehrern und Mentoren zählt Brecher u.a. Charlie Mariano, George Garzone, Don Menza, Heinrich von Kalnein, Gerald Preinfalk und Jürgen Maier.

Schon während seiner Studienzeit war Siegmar Brecher sowohl künstlerisch als auch organisatorisch äußerst aktiv. Wie kaum ein zweiter prägte er mit seinen Initiativen die Grazer Jazzszene. Beginnend 2005 mit der Gründung der monatlichen Konzertreihe „Fat Tuesday“ gemeinsam mit Valentin Czihak in der „Ebene3“ des „Schauspielhauses Graz“. Die Idee war, jungen JazzmusikerInnen eine Bühne im damals sonst eher Swing, Be-Bop und Hard-Bop dominierten Grazer Jazzumfeld zu bieten. Alles, was darüber hinausging, wurde als sperrige Avantgarde gehandelt. Um dem Ganzen auch einen offizielleren Stempel aufzudrücken, wurde ein Jahr darauf der Verein „Fat Tuesday – Verein zur Förderung junger Jazzmusiker“ gegründet. 2007 folgte dann auch die Gründung des Quintetts „We Love Tuesdays“ mit Siegmar Brecher (Sopran- und Altsaxophon, Klarinette), Jan Balaz (Tenorsaxophon), Michael Lagger (Piano), Valentin Czihak (Bass) und Reinhold Schmölzer (Schlagzeug). Mit 2009 wechselte die Konzertreihe dann schließlich ins „Grazer Orpheum“, stilistisch blieb aber alles beim Alten. „Wir versuchen, junges, innovatives Programm zu machen und möglichst vielen Bands, die dabei sind sich aufzumachen, eine Plattform zu bieten“. Im Sommer 2011 lief dann schlussendlich das neue Steckenpferd „Jazzwerkstatt Graz“ dem „Fat Tuesday“ endgültig den Rang ab.

“Wir wollen keine stilistische Enklave schaffen.“

Bereits einige Jahre zuvor, im Frühjahr 2007 wurde in Anlehnung an das Wiener Pendant die „Jazzwerkstatt Graz“ gegründet. Credo des immer noch bestehenden „Produktionsfestivals“ ist es, „einer offenen und freien Musik eine Spielstätte zu lassen“, Neues auszuprobieren und „offen sein für alles, das nicht fad ist, das was Eigenständiges hat und eine Vision verfolgt. Wir wollen keine stilistische Enklave schaffen.“ Im Vordergrund steht jungen MusikerInnen eine Plattform für neue Projekte und Kompositionen zu bieten und den Austausch von MusikerInnen über die Grenzen von Graz und Österreich hinaus zu forcieren. „[…] denn das größte Potenzial liegt in der kollektiven Überwindung der sonst üblichen regionalen Barrieren.“ Das Organisationsteam variiert von Jahr zu Jahr ein wenig und besteht seit 2012 aus Siegmar Brecher, Patrick Dunst, Michael Lagger und Tjasa Fabjancic. Weitere Mitwirkende waren u.a. Valentin Czihak, Ángela Tröndle, Laura Winkler, Reinhold Schmölzer, Michael Ringer oder Phil Yaeger. Die „Jazzwerkstatt Graz“ findet vornehmlich an sechs aufeinander folgenden Tagen Ende März / Anfang April statt und präsentiert im Schnitt knapp 20 Formationen. Aufführungsort war die ersten beiden Male das „Theater am Ortweinplatz“ bis zum Wechsel in das „Grazer Orpheum“ 2009. Das Programm variiert jährlich, setzt neue Themenschwerpunkte mit unterschiedlichen MusikerInnen aus ganz Europa und bindet auch die „Partnerwerkstätten“ Bern und Wien mit ihren Projekten ein. Die „Jazzwerkstatt Graz“ wurde bereits mehrfach vom ORF aufgezeichnet und auch Live in der Ö1 Jazznacht übertagen.

Neben seinen organisatorischen Tätigkeiten ist Siegmar Brecher auch verstärkt als aktiver Musiker in den unterschiedlichsten Formationen zu hören. Zunächst wäre da die 2011 gegründete Band mit dem seltsam klingenden Namen Edi Nulz zu nennen. Dahinter verbirgt sich das dreiköpfige Musikergespann rund um Siegmar Brecher (Bassklarinette), Julian Pajzs (Gitarre) und Valentin Schuster (Schlagzeug). Bestandteile ihres Spielkosmos lassen sich mit kollektiver Improvisation, jazzigen Grooves bis hin zu Indie-Rock-Riffs und allen nur erdenklichen Kombinationsmöglichkeiten und Zwischenformen beschreiben. Und das Ganze „ungestüm, wild und alles andere als glattgeschliffen aber dennoch leichtfüßig, virtuos und wendig. Eines ist die Musik der Drei aber jedenfalls: unberechenbar.“ Trotz ihres erst relativ jungen Bestehens hat die Formation bereits zwei Tonträger veröffentlicht: „Jetzt“ (2012) und „Ultrakarl“ (2013). Gemeinsam mit der „Tatort“-Schauspielerin Adele Neuhauser bestreitet das Trio außerdem das Douglas Adams-Projekt in dem Texte des britischen Schriftstellers (Anm. unter anderem bekannt durch die Science-Fiction-Reihe „Per Anhalter durch die Galaxis“) aus dem Buch „Die letzten ihrer Art“ mit der Musik von „Edi Nulz“ kombiniert werden.

Das aktuell nicht mehr bestehende Projekt Eject bewegte sich dafür in ganz anderen Gefilden. Neben Thomas Mauerhofer (8-Saitige Gitarre), Herbert Pirker (Schlagzeug) und Siegmar Brecher (Gesang, Komposition, Holzblasinstrumente) bildete der Singer/Songwriter Max Tertinegg (Gesang, Ukulele, Komposition), unter anderem auch bekannt als „Max Min“, den zentralen Bestandteil dieses Quartetts. Erlaubt war, was Spaß machte und im weiten Spannungsfeld zwischen Popmusik und Jazz anzutreffen war. „ […] to boldly go where no man has gone before.“

Längst einen musikalischen Fußabdruck hinterlassen

Als Sideman ist Siegmar Brecher weiters beim Großprojekt Akrostichon von Michael Lagger (Komposition, Konzeption) sowie bei den beiden Formationen der Sängerin und Pianistin Ángela Tröndle The Little Band From Gingerland mit Sophie Abraham (u.a. Chello, Gesang) und Philipp Kopmajer (Schlagzeug) sowie Ángela Tröndle & Mosaik mit Michael Lagger (Klavier), Valentin Czihak und Philipp Kopmajer tätig. Mit Letzterer – teilweise auch ergänzt um ein Streichequartett – war Siegmar Brecher im Rahmen der Initiative des „Bundesministeriums für europäische und internationale Angelegenheiten“ „The New Austrian Sound Music“ auch bereits in mehreren europäischen Ländern auf Tour.

Dem noch nicht genug, war Siegmar Brecher 2012/2013 gemeinsam mit Ángela Tröndle als Kurator im „Arnulf Rainer Museum“ im Rahmen einer interdisziplinären Performancereihe tätig und initiierte 2013 mit „Lutz Hempel /ICG“, einer international tätigen Consulting Firma, ein Coaching für Führungskräfte auf Basis der Konstruktionsprinzipien improvisierter Musik. Das innovative Konzept wurde bereits in Wien, Berlin, Budapest und Warschau umgesetzt.

Kein Wunder, dass diese Fülle an Tätigkeiten bereits wiederholt honoriert wurden, so etwa mit dem von „BSA Steiermark“ vergebenen „Christoph Klauser Kunstpreis“ 2008, dem Vollstipendium 2009 und „Nächste-Generation-Stipendium“ 2010 des „Europäischen Forum Alpbach“, als „Artist in Residence“ des Künstlerateliers „Rondo“ in Graz oder mit dem „Start-Stipendium“ des BMUKK 2010.

Mit 2011 hat Siegmar Brecher seinen Lebensmittelpunkt nach Wien verlagert, fungiert aber weiterhin als Leiter der „Jazzwerkstatt Graz“. Seit Ende 2012 ist er außerdem als Saxophonlehrer an der Musikschule Deutsch-Wagram in Niederösterreich tätig.

Mit seinen Initiativen und Projekten hat Siegmar Brecher bereits jetzt einen nicht zu verachtenden musikalischen Fußabdruck in Österreich hinterlassen und man kann nur darauf hoffen, dass da noch einiges folgen wird. Der österreichischen Jazzszene wäre damit auf jeden Fall gut getan!
Georg Demcisin

Fotos © Gerfried Guggi

http://www.siegmar-brecher.com