Wiener Festwochen 2008: Vier zeitgenössische Opern

Das Musikprogramm der Wiener Festwochen 2008 (9. Mai-15. Juni) widmet sich in zwei Neu- und zwei Koproduktionen ausschließlich dem zeitgenössischen europäischen Musiktheater. Zur Aufführung gelangen Werke von Karlheinz Stockhausen, Hans Werner Henze, Wolfgang Rihm und George Benjamin. Musikalische Beiträge österreichischer Provenienz beim “Into the City”-Schwerpunkt kommen von Texta, Didi Bruckmayr, Peter Androsch, Bernd Preinfalk und Wolfgang Mitterer.

Zentrale Positionen des MusiktheatersDem vergangene Woche verstorbenen Karlheinz Stockhausen wird die erste Premiere und nunmehr aus traurigem Anlass auch das gesamte von Stéphane Lissner verantwortete Musiktheaterprogramm gewidmet. “Michaels Reise”, der (instrumentale) 2. Akt aus “Donnerstag aus Licht” (1978), eine Produktion der Wiener Taschenoper, ist in einer Inszenierung von Carlus Padrissa von der katalanischen Theatergruppe La Fura dels Baus ab 12. Mai viermal im Jugendstiltheater zu sehen. Unter der Leitung von Peter Rundel spielt die musikFabrik Köln (Solisten: Marco Blaauw, Trompete + Nicola Jürgensen Jacobsen, Bassetthorn).

 

Die Kammeroper “Jakob Lenz” von Wolfgang Rihm wurde auch 1968, also im selben Jahr komponiert wie Stockhausens “Donnerstag”, in diesem Fall handelt es sich um ein wichtiges und in Folge viel gespieltes Jugendwerk des damaligen Mittzwanzigers. Die Neuinszenierung wird ab 17. Mai in der Halle E des Museumsquartiers gezeigt, der Bariton Georg Nigl wird die Hauptpartie verkörpern, es spielt das Klangforum Wien (Ltg.: Stefan Asbury). Frank Castorf wird in seiner ersten Opernregie das Libretto mit Originalzitaten aus dem Stück “Der Hofmeister” von Jakob Michael Reinhold Lenz und der “Lenz”-Erzählung Büchners bereichern.

 

In Koproduktion mit der Berliner Staatsoper unter den Linden, der Alten Oper Frankfurt und La Monnaie Brüssel bieten die Festwochen des weiteren Hans Werner Henzes neue “Konzertoper” in zwei Akten, in der der Komponist sich mit “Phaedra” einmal mehr einem mythologischen Stoff der Antike widmet und die fünf Sänger-Protagonisten mit gewichtigen Instrumentalsoli paart. Die “expressionistische Personenregie” (FAZ über die Uraufführung im September) stammt von Peter Mussbach, Michael Boder dirigiert das Ensemble Modern – (nur) zweimal im Theater an der Wien (31.5. &1.6.)

 

Auch bloß zwei Vorstellungen sind für George Benjamins Musiktheater-Erstling “Into the Little Hill” (2006) reserviert. Es handelt sich um eine internationale Koproduktion, die bereits vor zwei Jahren beim Festival d’Automne in Paris uraufgeführt worden ist. Die lyrische Erzählung für zwei Stimmen und Ensemble nach einem Libretto des britischen Dramatikers Martin Crimp, das sich anhand des “Rattenfänger von Hameln” sozialkritisch mit der Verführungskraft von Musik auseinandersetzt, gibt es am 4. & 5.Juni im Jugendstiltheater zu sehen: Es spielt wiederum das Ensemble Modern unter der Leitung von Franck Ollu, die Inszenierung besorgt Daniel Jeannetau. Das Spiel beginnt mit zwei Kammerkompositionen George Benjamins für zwei Violen bzw. für Violine (“Viola, Viola” & “Three Miniatures”).

 

Ein extra aufgelegtes (vom Sponsor Raiffeisen ermöglichtes) Sonderabo ermöglicht den Besuch aller vier Musiktheater-Produktionen zum Preis von nur 42 Euro, Tickets für Einzelabende sind bereits ab 14 Euro zu haben: “Aggressive Tiefpreispolitik” (O-Ton Stéphane Lissner bei der heutigen Pressekonferenz).

 

Das Schauspielprogramm – “mit Projekten für die Zukunft und Erinnerungen an das 20. und 21. Jahrhundert” (Intendant Luc Bondy) – bietet durchwegs Mutiges und Interessantes, stößt Fenster zum europäischen Theatergeschehen auf. Zu den Highlights zählen eine monumentale Produktion von Ariane Mnouchkine und ihrem Théâtre du Soleil (ein episches Schauspiel über das Leben im 20. Jahrhundert), zwei eigene Inszenierungen des Intendanten (Marivaux und Jean Genets “Die Zofen”), eine neue Arbeit von Christoph Marthaler (“PLATZ MANGEL”), Shakespeare-Umsetzungen (u. a. von Luk Perceval), Medienkritisches von Ivo van Hove, Arbeiten neuer Künstlergenerationen aus Brasilien, Südafrika oder dem Libanon sowie – im Hanappi-Stadion – sogar eine Eine-Mann-Nachinszenierung des legendären österreichischen Siegs gegen Deutschland im argentinischen Cordoba Eine Filmretrospektive beschäftigt sich mit Dokumentarfilmern der sechziger Jahre. (Details siehe Link).

 

Into the City
Die von Wolfgang Schlag kuratierte Reihe “Into the City” stellt in ihrer nun schon dritten Ausgabe Projekte mit Themen wie Strafvollzug, interkultureller Dialog und Transformation von Stadträumen in den Mittelpunkt. Die Linzer Hip-Hop-Band Texta wird jugendlichen Strafgefangenen ihre Musik vermitteln und mit diesen dann gemeinsam auf der Bühne stehen – in der Justizanstalt Gerasdorf und bei einem großen Fußball-Picknick im Wiener Augarten (1. Juni). Im Kindermuseum gibt’s ab 17. Mai – in Zusammenarbeit mit blackaustria – eine Ausstellung über “Schwarze” und “Weiße” in Wien. Am 24. Mai übernehmen Künstler für eine Nacht die TU Wien: Musikalische Mitwirkende bei science.art.music sind zum Beispiel die Werkskapelle Lenzing featured by Jazzwerkstatt Wien, Didi Bruckmayr, Peter Androsch, Bernd Preinfalk und Künstler aus Schottland und Deutschland. “Mitten im Achten” lebt wieder auf, aber nicht wie beim Fernseh-Flop: Die Künstlergruppe IMPEX aus dem achten Budapester Bezirk (Józsefváros) untersucht die Wiener Josefstadt, um dort auf überraschende Orte und Geschichten zu stoßen. DJs aus Budapest sind bei der Eröffnung am 6. Juni im Hotel Józsefváros mit von der Partie und die Adrian Gaspar Gypsy Combo (A) gemeinsam mit Wolfgang Mitterer.

“Un sourire”: Festwochenkonzerte im Musikverein

“In Wien spielen die Besten”, meint Thomas Angyan, nicht nur, was die Euro 2008 betrifft, sondern auch die Festwochenkonzerte im Musikverein. Das sei hier eben selbstverständlich. “Spitzenmannschaften” aus Europa treten an: Concertgebouworchester Amsterdam (Jansons), Gewandhausorchester Leipzig (Chailly), Sächsische Staatskapelle Dresden (Myung -Whun Chung), Les Musiciens du Louvre (Minkowski). Und an österreichischen Spitzen-Teams (da brauch’ ma uns wirklich nicht verstecken) die Wiener Philharmoniker (unter Jansons, Barenboim, Muti, Maazel und Welser-Möst) und die Wiener Symphoniker (unter Luisi, Fedosejev, Jordan). Und das Verdi-Requiem und die Missa solemnis und Haydns “Jahreszeiten” und Mahlers Dritte Symphonie und sogar Richard Strauss’ hierzulande geradezu vergessenes “Heldenleben” werden aufgeführt. Alles bestens.

 

Nicht zu vergessen – es gibt sogar auch eine Uraufführung. Von Arvo Pärt. “Stabat Mater”. Mit den Niederösterreichischen Tonkünstlern, längst nicht mehr Regionalliga und unter Chef Kristjan Järvi im Grunde sehr einfallsreich und innovativ in den Programmierungen! Außerdem auch mal ein “Adagio” von Penderecki, eine orchestrale Lotus-Miniatur von Toshio Hosokawa, Gottfried von Einems “Philadelphia Symphony” (Franz Welser-Möst findet, das gehört sich), ein Werk von Altmeister Ivan Eröd. Mit dem RSO Wien unter de Billy gibt es die österreichische Erstaufführung von Johannes Maria Stauds “Incipit III”. Neben Bartoks Zweitem Violinkonzert – Vorsicht Abonnenten, sperrig! – wäre noch vor einem (eh sehr kurzem, aber trotzdem) Werk von Olivier Messiaen im selben Konzert zu warnen: “Un sourire”.
Wozu sollte man sich denn da auch noch im Konzertsaal mit Rihm, Stockhausen, Benjamin oder Henze auch noch belasten? Wo doch die Festwochen kaum Geld hergeben für die Festwochenkonzerte!

 

Ein leicht sarkastisches Lächeln über solche Nummer-Sicher-Programme darf man sich aber schon gestatten, oder? (hr)

 

Fotos: texta, Szenenfotos “Into the little hill” (2), sciene.arts.music, Musikverein
© Wiener Festwochen, Musikverein Wien