Der österreichische Musiker UHILAS veröffentlichte Anfang Juni 2016 sein neues 30-Track-Album „Sumo Babies“ auf BANDCAMP. Das Album versteht sich vor allem als Bestandsaufnahme von persönlichen Stimmungen und Atmosphären. Im Gespräch mit Ada Karlbauer erzählte UHILAS über auditive Selbstreflexion, Filmsamples, der Liebesbeziehung zwischen den Höhen und Tiefen und dem Tod des Rock.
Ihr aktuelles Album „Sumo Babies“ klingt sehr imaginativ und introvertiert, worum geht es dabei?
Uhilas: Es geht um persönliche Gefühle und Stimmungen, die sehr schwer zu erklären sind. Das ist einer der Gründe, warum ich keine Worte verwendet habe, keine von mir gesungenen oder geschriebenen Worte. Ein anderer Grund ist, dass ich mit meiner Gesangsstimme nicht zufrieden bin. Ich bin seit drei Jahren nicht mehr aufgetreten und habe mich auf das Aufnehmen konzentriert. Ich wollte etwas hinterlassen, was ich mir in zehn Jahren anhören kann und so meine Gefühle und meine Entwicklung nachvollziehen kann.
Gab es irgendwelche Einflüsse?
Uhilas: Ich habe nicht das Ziel verfolgt, jeglichen Einflüssen zu entfliehen. Ich habe ziemlich viel Hip-Hop gehört, das Album „To Pimp a Butterfly“ von Kendrick Lamar fand ich vor allem von der Produktion her hervorragend. Auch Death Grips waren unheimlich wichtig für mich, dieses Rohe, das sie rüberbringen, ohne prätentiös zu sein, ohne wichtig klingen zu wollen, ohne plakativ etwas erreichen zu wollen. Flying Lotus und die chinesische Band Nova Heart waren weitere Einflüsse.
Das Aufnehmen des Albums verlief sehr intuitiv und impulsiv. Im Herbst letzten Jahres habe ich angefangen, Beats zusammenzustellen, mit einem Laptop und einer digitalen Drum Machine von Arturia. Ich habe erstmal eine Kick Drum gesucht, die so klingt wie die auf dem Kendrick-Lamar-Album, die schön basslastig und vordergründig ist und einem ihre ganze Fülle in den Magen rammt. Danach kamen Hi-Hats, Claps, Snares und die restlichen Percussions. Dieselben Samples habe ich dann für alle Titel benutzt, damit sich das zusammenklebt. Ich habe so viele Beats, wie mir in den Sinn gekommen sind, zusammengestellt und habe mich dann nach vorne gearbeitet. Melodisch kamen dann Gitarren- und Bassspuren und der ganze Synthesizer-Kram drüber.
Inwieweit ist analoge Klangerzeugung miteingeflossen?
Uhilas: Die E-Gitarre habe ich fast durchgehend benutzt und die Stimme eben. Ich habe versucht, onomatopoetisch zu vokalisieren, wie Talking Heads es teilweise in „Remain In Light“ gemacht haben, und die Spuren dann so verändert, so mit digitalen Effekten verzerrt, dass ich mich nicht selbst dafür schämen muss.
Um bewusst keine Vergleiche mit anderen Sängern aufkommen zu lassen?
Uhilas: Nein, darum ging es mir nicht. Eigentlich habe ich keine Angst davor, ich denke, es geht auch nicht anders; man kann nicht singen, ohne Einflüsse und Prägungen von Anfang an einzubringen. Der wohl wichtigste Grund, warum ich keine Worte benutzt habe, war, dass ich nichts zu sagen hatte.
„Ich habe Angst, das, was ich fühle, zu vergessen.“
Ist Ihr Album in erster Linie eine auditive Selbstreflexion?
Uhilas: Ich benutze Musik eigentlich immer, um im Leben vorwärtszukommen. Ich schreibe über Vergangenes, Gedanken und Gefühle. Das läuft parallel zum Musikmachen. Einerseits versuche ich, das Geschriebene auditiv umzusetzen, und andererseits gibt mir die Musik die Möglichkeit, das, was ich nicht in Worte fassen kann, auf einer anderen Ebene auszudrücken. Seit ich angefangen habe, Musik zu machen und aufzunehmen, habe ich versucht, Gefühle einzufangen. Mit „Sumo Babies“ habe ich das so gut geschafft wie noch nie zuvor. Die Musik ist deswegen auch vor allem auf mich selbst bezogen. Ich habe Angst, das, was ich fühle, zu vergessen. Gefühle, die man nicht beschreiben kann, wenn man zum Beispiel aus dem Fenster schaut, spazieren geht oder man morgens oder nach einem kurzen Mittagsschlaf erwacht. Empfindungen, die einfach da sind, ohne sie einordnen zu können. Deswegen finde ich es wichtig für mich, sie einzufangen und zu versiegeln, und zwar in der Form, in der ich mich am besten ausdrücken kann, um es mir irgendwann später wieder vergegenwärtigen zu können. Ich werde in ein paar Jahren viel besser verstehen, was ich da gemacht habe.
„Ich glaube, ich habe es mit meinem Album geschafft, dass ich mich in 20 Jahren nicht dafür schämen muss, wenn ich es mir anhöre, höchstens für ein paar kitschige Gitarren-Riffs.“
In der Form abgeschlossen, aber mit der Zeit wachsend.
Uhilas: Das auf jeden Fall. Es ist das Wunderbare und zugleich Unerklärliche an der Musik, dass die Wirkung auf die Einzelne und den Einzelnen nie endgültig und vollendet sein kann: Was jemand heute bei einem Stück empfindet, kann in zehn Jahren in neuer Umgebung und mit dem Schatten der Erfahrungen ganz anders sein. Wenn man einen Song so sehr liebt, dass man ihn tagelang rauf- und runterhören muss, ist dieser Song dazu verdammt, einen früher oder später zum Hals rauszuhängen – alle kennen das. Dieser Gedanke hat bei „Sumo Babies“ eine bewusst zentrale Rolle gespielt. Da die Fertigstellung fast neun Monate gedauert hat, war mir klar, dass meine Emotionen vom Anfang des Aufnahmeprozesses mit denen am Ende nicht ganz übereinstimmen werden, und ich habe versucht, das zu benutzen; die Musik ist als Produkt dieser Zeit mit den Erlebnissen und Erfahrungen einhergegangen, war ein Bestandteil meines Alltags, oft auch nicht einmal der wichtigste. Ich habe die einzelnen Tracks wie meine Kinder, meine Babys behandelt; habe sie gezeugt, ernährt, ihnen das Laufen beigebracht und schließlich habe ich sie hinaus in die Welt gelassen. Ich glaube, ich habe es mit meinem Album geschafft, dass ich mich in 20 Jahren nicht dafür schämen muss, wenn ich es mir anhöre, höchstens für ein paar kitschige Gitarren-Riffs.
Eigentlich hatte ich vor, dass ich mir die Beats so lange anhöre, bis ich in meinem Kopf höre, welche Gitarren- und Synthesizer-Layers dazu passen, und dass ich dann versuche, die Vorstellungen in meinem Kopf auf meine Hände zu übertragen. Es hat bei fast keinem der Stücke geklappt und ich musste es so machen wie bei den anderen Alben. Ich habe die Beats in einem Loop laufen lassen und so lange auf der Gitarre dazu gespielt, bis ich mit der Stimmung zufrieden war. Von der Gitarre her war es mir wichtig, keine Autonomie herzustellen. Ich wollte, dass sie so sehr ein Teil des Ganzen ist wie die anderen Teile, dass sie auch an der Rhythmusstruktur kleben bleibt und selbst streng rhythmisch ist. Die Synthesizer-Riffs und -Texturen habe ich hingegen viel freier und vielfältiger gestaltet, sie sollten dem Ganzen eine lebendige Form geben.
Dynamik wollte ich vermeiden, deswegen ist alles auch ziemlich repetitiv. Es ist fast eine Art Liebesbeziehung zwischen den Höhen und den Tiefen, zwischen Gitarre und Bass, zwischen Beat und Synthesizer.
„Film war die vordergründige Inspiration.“
Auffallend ist, dass das gesamte Album von Filmzitaten und Samples durchzogen ist.
Uhilas: Ich habe Szenen aus Filmen, die mir zu der Zeit wichtig waren, benutzt. Das war unter anderem „Woyzeck“ von Werner Herzog, „Die Blechtrommel“ von Volker Schlöndorff, „Drei Farben: Blau“ von Krzysztof Kieslowski und „Lost Highway“ von David Lynch. Ich habe eine ähnliche Herangehensweise erkannt. Da geht es vor allem auch um das Erzeugen von Gefühlen und Stimmungen. Ich habe die Szenen relativ willkürlich ausgewählt, vor allem welche ohne Hintergrundmusik, wo der Dialog klar zu hören ist. Sie haben zu dem Maßstab gepasst, an den ich in Sachen Atmosphäre herankommen wollte.
Samples habe ich versucht zu vermeiden. Es war mir wichtig, das Werk so persönlich wie möglich zu halten. Alle Synthesizer-Sounds habe ich selbst moduliert und verzerrt. Trotzdem habe ich an einigen Stellen von anderen Künstlerinnen und Künstlern kleinere Parts gestohlen, wenn ich es für die Erzeugung der Stimmung meiner Stücke passend gehalten habe. Man kann FKA twigs hören und auch Bowie. Aber ja, Film war die vordergründige Inspiration.
Gibt es auch eine Musikerin bzw. einen Musiker, deren bzw. dessen Arbeitsweise Sie gut finden?
Uhilas: Trent Reznor von Nine Inch Nails. Zwei von den Beatgerüsten meines Albums sind direkt dem Soundtrack von „The Social Network“ entnommen. Er schafft es, Leben und natürlich auch Wut und Aggression in das Elektronische einfließen zu lassen. Das war eine große Inspiration. „Sumo Babies“ ist sicher mein visuellstes Album bisher. Auf jeden Fall so, dass es auch selbstständig so stehen kann, aber auch in einem bildlichen Kontext sehr gut funktionieren kann. Wenn ich elektronische Musik gemacht habe oder Gitarre mit elektronischen Elementen, war das irgendwann zu plastisch. „Sumo Babies“ wollte ich so lebendig wie möglich halten und zum Leben zu erwecken.
Der Diskurs über die Mensch-Maschine ist eben noch nicht ganz überwunden.
Uhilas: Man sagt, dass mit der elektronischen Musik eine Objektivierung oder Auslöschung des Subjekts passiert. Aber man kann bewusst dagegenhalten, wie es eben Reznor macht oder wie ich es versucht habe. Eine der Grundideen beim Konzept von „Sumo Babies“ war es, das Digitale, die Maschine so menschlich wie nur irgend möglich klingen zu lassen, den Laptop, von dem das Machen der Musik so abhängig ist, zu einem Freund und Partner zu machen – und damit auch zum Leben zu erwecken. Ich finde, das hat ganz gut geklappt, ich bin zufrieden mit dem Output, aber ich finde, dass es auch ein Stück weit unmöglich ist, Musik völlig wie eine Maschine klingen zu lassen, weil die Maschine ein Ebenbild des Menschen ist, da er sie so erschaffen hat, dass sie immer noch etwas Menschliches in sich hat.
Wird es auch Live-Performances von „Sumo Babies“ geben?
Uhilas: Nein, ich werde damit bestimmt nicht live auftreten, weil das Album nicht dafür gedacht ist, mit anderen Musikerinnen und Musikern gemeinsam gespielt zu werden. Es ist sehr persönlich. Für mich ist es mit der Aufnahme und dem Mixing und Mastering schon abgeschlossen, es ist eine Reflexion, die ich mir später wieder ins Gedächtnis rufen kann, um zu hören, wo ich einmal stand.
Ist Ihr nächster Schritt, mit einem Label zusammenzuarbeiten?
Uhilas: Ich glaube, das wäre sehr spannend. Dieses Album soll eigentlich das letzte sein, das ich als bedroom producer gemacht habe. Ich habe das jetzt drei Jahre lang gemacht und fast zehn Alben produziert. Ich bin ausgelutscht. Außerdem habe ich das Problem entwickelt, dass ich nicht live spielen kann. Ich weiß aber, dass es mit dieser Musik fast unmöglich ist, außer ich trete mit dem Laptop auf und drücke auf „Play“ oder ich hole mir acht bis neun Musikerinnen und Musiker auf die Bühne, aber das wäre, glaube ich, ein sehr tollkühnes Unterfangen.
Sie kommen ursprünglich aus dem Rock- bzw. Bandbereich. Warum arbeiten sie inzwischen nur mehr allein und überwiegend am Computer?
Uhilas: Der Rock in der westlichen Welt ist schlecht. In anderen Teilen der Welt sieht das noch anders aus; in Indonesien kommen Punk-Bands auf, die sich gegen die fundamentalistischen und korrupten Regimes auflehnen, und das ist wichtig. Auch in Osteuropa erleben Bands zurzeit einen Aufschwung. Aber im „Westen“ gilt: Das ganze Konzept der Rockband ist einfach überholt. Man darf vor allem auch nicht vergessen, dass der Rock den Fokus verloren hat. Die westliche Musik ist inzwischen mehr Hip-Hop-bezogen. Der Rock hat den Status einer etablierten Kunstform erreicht, er kann irgendwie kategorisiert werden. Er hat den Status eines Museums erreicht oder den der bildenden Kunst, von Gemälden. Der Gang ins Museum entspricht sozusagen dem Besuch eines Konzerts. Wie Fotos oder Gemälde in Wohnungen an den Wänden hängen, so ist es zur Gewohnheit geworden, ständig Musik im Hintergrund laufen zu lassen, ohne ihr die verdiente Aufmerksamkeit zu schenken. Der Rock hat darunter am meisten zu leiden. Vor allem die Gitarre an sich ist traurigerweise immer mehr ein obsoletes Ausdrucksmittel geworden, wenn sie in einem Rock-Kontext benutzt wird. Jede Verzerrung, jeder Ton klingt so übertrieben und hirnlos. Wenn ich ein Gitarrensolo anhöre, muss ich kotzen.
Solos sind meist noch an diesen obsolet gewordenen Begriff der Virtuosität geknüpft, heute geht es meist niederschwelliger zu. Was wären denn neue Formen?
Uhilas: Dass man sich oberflächlich dessen bewusst wird, dass Rock einfach nicht mehr relevant ist, nicht mehr im Fokus liegt. Und dass man sich schlussfolgernd auf die wichtigsten und am schwersten zu beantwortenden Fragen konzentriert, nämlich die der menschlichen oder universellen Existenz. In der Elektronik wünsche ich mir mehr Aufnahmen in einem menschlichen Kontext, mit der Maschine eine freundschaftliche Bindung eingehend.
Vielen Dank für das Gespräch.
Ada Karlbauer
Links:
Uhilas (bandcamp)