Von ungleichen Schwestern und „Wildnissen“. WOLFRAM SCHURIG bewegt sich zwischen historischen und gegenwärtigen künstlerischen Welten

Das musikalische Schaffen von Wolfram Schurig wird von zwei gleichwertig wirkenden Kräften bestimmt. Als Blockflötist ist er mit der Musiktradition vertraut und dieses Wissen fließt maßgeblich in seine kompositorischen Ausdrucksformen ein. Die Tätigkeitsfelder als Musiker und Komponist würden einander bedingen, betont der in Feldkirch lebende Künstler: „Man kann sich ja nicht als Musiker mit historischer Musik auseinandersetzen, ohne sich über deren Zukunft Gedanken zu machen. Mein Komponieren ist unter anderem eine Konsequenz aus dieser Überlegung.“

Für das Abonnement des Concerto Stella Matutina im Juni 2025 hat Wolfram Schurig unter dem Motto „Die ungleichen Schwestern“ ein exquisites Programm zusammengestellt. Es ist bereits das fünfte Projekt, das er kuratiert und als musikalischer Leiter zusammen mit dem Barockorchester realisiert hat. In den Mittelpunkt der Betrachtung und des Hörens stellte Wolfram Schurig die Travers- und die Blockflöte. Seltene Hörerlebnisse wurden geboten, weil beide Flötentypen unter anderem in einem Doppelkonzert von Telemann zu erleben waren.

Individuelle Eigenschaften

Die Travers- und die Blockflöte würden zwar oft in einem Atemzug genannt, hätten aber unterschiedliche Klangeigenschaften und würden von den Komponisten in unterschiedlicher Weise eingesetzt, erzählt Wolfram Schurig. Während der Hochblüte der beiden Instrumente war keines der beiden ein fixer Bestandteil der Orchesterbesetzung. „Beide Instrumente wurden zur Erzielung spezifischer Klangwirkungen eingesetzt. Erst mit der Entwicklung der Böhm-Flöte hat sich diese Situation in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts gewandelt. Da war die Blockflöte schon längst vergessen. Die Theorie, dass die Blockflöte niemals Einzug ins Orchester gefunden hätte, weil sie zu leise wäre, ist nicht haltbar. Tatsächlich ist sie in dieser Hinsicht der Traversflöte überlegen. Aus meiner Sicht hat dies allein stilistische Gründe. Die Traversflöte mit ihrem modulationsfähigen Klang passte einfach besser in das ästhetische Konzept des empfindsamen Stils, als der definierte und – wenn man so will – starre Klang der Blockflöte.“

Den einzigartigen Klang des Salterios einfangen

Als Komponist wird der ideenreiche Künstler inspiriert von speziellen Klangerfahrungen und innermusikalischen Ausgangsüberlegungen. Aber auch die Umwelt und die Natur bilden die Quintessenz mancher Werke.

Mit Blick auf selten zu hörende Instrumente ist Wolfram Schurig unter anderem fasziniert von den Forschungen und dem Spiel der oberösterreichischen Hackbrett- und Salterio-Spielerin Franziska Fleischanderl. Für ihr exquisites historisches Instrument, einem Salterio des römischen Instrumentenbauers Michele Barbi aus dem Jahr 1725, hat er das Werk „Modes of Locomotion#2 – Saltare“ komponiert. Die Komposition wurde im Rahmen der Reihe „Listening closely“ im Mai 2025 in Wattens präsentiert. Das war eine echte Premiere, freut sich der Komponist, denn für dieses Instrument gebe es seines Wissens keine aktuelle Musik. „Ich wollte ein Stück schreiben, das den einzigartigen Klang dieses Instruments einfängt und dabei die historischen Spieltechniken, die Franziska Fleischanderl im Rahmen ihrer Forschungen nicht nur wiederentdeckt, sondern auch neu erlernt hat, mit einbezieht.“

Inspirationen aus der Bildenden Kunst und der Literatur

In den vergangenen Jahren hat sich Wolfram Schurig mit der musikalischen Gattung des „Capriccio“ beschäftigt. Entstanden ist eine Werktrilogie, die im Herbst bei Wien Modern als Ganzes aufgeführt wird. Inspiriert wurde der Komponist von Künstlerpersönlichkeiten wie dem Zeichner Egon Goldner, dem Schriftsteller Giorgio Manganelli sowie dem bildenden Künstler Gerhard Richter. Vorerst besteht die Reihe aus diesen drei Werken, aber das könne sich rasch ändern, so Wolfram Schurig, denn „die gemeinsame Grundüberlegung der Stücke, zwei Instrumente zu einem Metainstrument zu fusionieren, ist gewiss noch nicht ausgeschöpft.“

Die Beziehung des Menschen zur Natur

Derzeit hat Wolfram Schurig ein großangelegtes Ensemblewerk in Arbeit. Unter dem Werktitel „Wildnisse“ entsteht ein Ensemblewerk für 8-stimmiges Vokalensemble und drei Instrumentalgruppen. Die Natur im weitesten Sinn und ihre Zerstörung durch den Menschen bilden die Ausgangsüberlegungen. Das Verhältnis Mensch-Natur würde ihm nicht nur jeden Tag seines realen Lebens Kopfzerbrechen bereiten, erklärt Wolfram Schurig, sondern beschäftige ihn seit Langem in der künstlerischen Auseinandersetzung. Unter diesem Aspekt sind etwa die Werke „blick:verzaubert“, „…vom gesang der wasserspeier…“ oder zuletzt „Kokoi“ entstanden.

Inhaltlich pendelt „Wildnisse“ zwischen zwei Extremen: „Erstens, die Tendenz des Menschen, das, was wir an der Natur als unkontrollierbar, bedrohlich, vielleicht auch unverständlich, eben als ‚wild‘ erachten, zu überwinden, zu kultivieren, zivilisieren etc. und zweitens die Tendenz der Natur, sich das nicht gefallen zu lassen und den Menschen in seinen Urzustand zurückzuholen. Ich denke, die Pandemie hat uns da einen deutlichen Schuss vor den Bug verpasst“, zeigt der Komponist die aktuelle Relevanz seines Werkes auf.

Dem Vokalpart legt Wolfram Schurig, wie bereits in vorangegangenen Kompositionen, Texte der deutschen Autorin Daniela Danz zugrunde. Sie stammen aus dem 2020 im Wallstein Verlag erschienenen Gedichtband „Wildniß“. Das Ensemble ist in drei Gruppen geteilt. Sie fungieren in räumlicher Distanz als gegenseitige Projektionsflächen. „Eine zentral positionierte dritte Gruppe steht dazu in einer vermittelnden Rolle beziehungsweise übt in gewisser Hinsicht eine Kommentarfunktion aus“, gibt der Komponist Einblick in die Werkkonzeption. 

Silvia Thurner

Dieser Artikel ist zuerst in der Zeitschrift für Kultur und Gesellschaft im Juni 2025 erschienen.

Links:
Wolfram Schurig (Musikdokumentation Vorarlberg)
Stella Matutina
edition gravis