„Viele Besucher:innen wissen gar nicht, was sich alles hinter der Sargfabrik verbirgt.“ – ANNABELLA SUPPER und LUKAS HANDLE (SARGFABRIK) im mica-Interview

In der SARGFABRIK vollzog sich im vergangenen Jahr eine Art Zeitenwende. Nach fast 25 Jahren zog sich der künstlerische Leiter des Wiener Clubs ERNST PERBIN-VOGL aus seiner Funktion zurück, um in den wohlverdienten Ruhestand zu gehen. Ihm folgten ANNABELLA SUPPER und LUKAS HANDLE. Im Interview mit Michael Ternai erzählten die beiden, wie sie es empfanden, gerade in der Zeit der Pandemie diese Funktion zu übernehmen, wie ihre Pläne aussehen und wie sie neues Publikum erreichen wollen.

Die Sargfabrik zeigt sich seit Kurzem mit einem rundumerneuerten Gesicht. Es gibt eine neue Homepage, ein neues Auftreten und mit dem künstlerischen Leiter Lukas Handle und der Kuratorin Annabella Supper ein neues Kreativ-Team. Inwieweit bedeutet euer Antritt auch einen Neustart für die Sargfabrik?

Annabella Supper: Die neue Webseite haben wir seit etwa eineinhalb Jahr. Wir hatten letztes Jahr unser 25-jähriges Jubiläum und da hat sich ein kompletter Neustart mit Relaunch von Drucksorten, Website und einem neuen Logo angeboten. Zufälligerweise hat es sich so ergeben, dass genau in dem Jahr auch Ernst [Ernst Perbin-Vogl, ehemaliger künstlerischer Leiter der Sargfabrik; Anm.] in geblockte Altersteilzeit gegangen ist und die Agenden des Kulturhauses an uns übergeben hat.

Wie ist die Übergabe dann abgelaufen? War es klar, dass ihr die Funktion übernehmen werdet?

Annabella Supper: Es ist relativ fließend vor sich gegangen. Ich habe vor dreizehn Jahren hier mit der Produktion begonnen und auch immer wieder auch ein wenig Booking gemacht. Natürlich war Ernst für das Hauptprogramm zuständig, aber es gab immer wieder auch kleinere Reihen, die ich programmiert habe. Und bei Lukas war das genauso. Wir haben mit Ernst immer sehr offen zusammengearbeitet und so gesehen war es eigentlich ein logischer Schritt, dass wir Leitung und Booking übernehmen. Es hat uns auf jeden Fall sehr gefreut, dass Ernst uns vorgeschlagen hat. Wir haben doch alle drei einen sehr ähnlichen Zugang zur Musik.

Lukas Handle: Es war, wie Annabella gesagt hat, ein logischer Schritt. Und auch der der Vorstand des Vereins für Integrative Lebensgestaltung hat uns grünes Licht gegeben und die Entscheidung unterstützt. Der Vorstand hat unser tägliches Arbeiten ja mitbekommen und uns dementsprechend auch einen Vertrauensvorschuss entgegengebracht. Das fühlt sich schon gut an. Da startet man schon gleich anders in die Sache hinein. Dazu noch ein neues Logo, eine neue Homepage und ein neues Design, das machte es für uns gleich leichter, uns als das neue Kreativ-Team zu präsentieren. Das war ein guter Start.

Es ist also viel sehr günstig zusammengekommen. Wie sehr war das alles tatsächlich auch geplant?

Annabella Supper: Der Relaunch war schon länger ein Thema, da wussten wir noch nicht, dass Ernst in Altersteilzeit geht und schon gar nicht, dass wir den Kulturbereich übernehmen werden. Wir hatten ein veraltetes Logo und zusammengewürfelte Drucksorten und es war auch der Wunsch des Vereinsvorstands, einen einheitlichen Außenauftritt zu entwerfen. All diese Änderungen wären ohnehin gekommen, der glückliche Zufall war, dass alles zeitlich zusammengefallen ist.

Lukas Handle: Das hat auch ein wenig den Druck rausgenommen. Es waren mehrere Veränderungen, die zufällig zur gleichen Zeit zusammengekommen sind. Die Homepage zum Beispiel musste ohnehin neu gemacht werden, weil unser Provider abgesprungen ist. Das heißt, wir mussten hier per se schon aktiv werden, ganz unabhängig vom Wechsel in der Leitung.

Bild Sargfabrik Veranstaltungssaal
Sargfabrik Veranstaltungssaal (c) Christoph Hofer

„Man muss auch sagen, dass die Pandemie nicht nur ausschließlich negative Auswirkungen gehabt hat.“

Dennoch muss man sagen, dass ihr die Leitung jetzt nicht in der unbedingt leichtesten Zeit übernommen habt. Euer Antritt fiel ja Mitten in die Pandemie. Die letzten zwei Jahre waren ja für die gesamte Veranstaltungsbranche sehr herausfordernd. Wie seid ihr mit der Situation umgegangen?

Annabella Supper: Man fährt dann halt so eine Art Krisenmodus. Der Übergang von Ernst auf uns ist ja genau in diesem Krisenjahr vor sich gegangen. Ernst war in dieser Zeit zwar noch Leiter des Kulturhauses, aber dennoch immer weniger präsent. Er hat diese Pandemie gleich zum Anlass genommen, sich Stück für Stück zurückzuziehen und immer mehr Agenden an uns zu übertragen, obwohl wir offiziell unsere jetzigen Positionen noch nicht bekleidet hatten. Diese Situation hat uns aber ermöglicht, schon ein wenig im Voraus im Hintergrundzu planen.
Man muss auch sagen, dass die Pandemie nicht nur ausschließlich negative Auswirkungen gehabt hat. Der gesamte Relaunch war dermaßen viel Arbeit und wäre unter normalen Bedingungen auch nicht in einem Jahr zu bewältigen gewesen. So haben wir schön im stillen Kämmerlein vor uns hinarbeiten können, sodass es genau jetzt wieder richtig losgehen kann.Der richtige Dämpfer ist erst im vergangenen Herbst gekommen, als wir unser neues Programm präsentieren wollten und vieles nochmals absagen beziehungsweise verschieben mussten. Dennoch kann man sagen, dass wir das alles bis jetzt eigentlich recht positiv gemeistert haben, wobei wir jetzt schon das Gefühl haben, dass uns die Luft langsam ein wenig ausgeht, weil wir diese ganzen Verschiebungen und Absagen mittlerweile wirklich leid sind. Wir merken, dass die Leute auch schon etwas verdrossen sind, weil sie Konzertkarten zum Teil schon drei Mal gekauft haben und das Konzert wieder einmal abgesagt werden musste. Karten werden sehr kurzfristig gekauft. Wir können überhaupt nicht voraussagen, wie viel Leute zu einem Konzert kommen.

Lukas Handle: Grundsätzlich war das erste Pandemiejahr für uns alle etwas Neues. Wir haben Wege finden müssen, mit dieser Situation umzugehen. Es gab einfach viele Momente, in denen wir einfach gearbeitet haben. So haben wir zum Beispiel damit begonnen, aus unserem Audioarchiv Aufnahmen aus den frühen Nullerjahren auszukramen und diese zu streamen. Dann haben wir uns dankenswerter Weise mit der Unterstützung der Stadt Wien eine Videostreaming-Anlage finanzieren können. Das waren alles Prozesse, wo wir täglich immer irgendetwas zu tun hatten. An dieser Stelle möchte ich mich bei den Subventionsgeber:innen, der Stadt Wien, dem BMKOES, dem Bezirk Penzing, dem SKE Fonds, der AKM etc. nochmals dafür bedanken, dass sie die Förderungen auch weiterhin ausbezahlt haben, auch wenn wir keine Konzerte veranstalten konnten. Das hat damals den finanziellen Druck doch merklich rausgenommen. Gleichzeitig hat uns die Kurzarbeit ebenso sehr geholfen.
Mühsam ist es, wie Annabella es bereits gesagt hat, im zweiten Pandemiejahr geworden. Die Verordnungen haben sich fast täglich geändert und die erste Aufgabe an einem Tag war, im Internet zu schauen, welche neuen Regelungen es gibt und was nicht mehr oder wieder gilt. Das bedeutete, dass wir den Saal und das Covid-Präventionskonzept immer wieder neu adaptieren mussten. Das hat den Verwaltungsaufwand wesentlich nach oben geschraubt. Man musste zeitweise gefühlt ein:e Jurist:in sein, damit man die Verordnungen richtig lesen konnte, um am Abend dann keinen Fehler zu machen. Das war schon wahnsinnig mühsam und kompliziert.
Auf der anderen Seite aber macht uns allen die Arbeit sehr viel Spaß. Und das war einfach das, was mich die Zeit hindurch immer über Wasser gehalten hat. Natürlich gab es auch Frust, aber diese grundsätzliche Freude am Konzerte veranstalten und Bands engagieren, das hat vieles einfach vergessen lassen. Jetzt hoffen wir, dass es besser wird. Wir haben jetzt die meisten Unwegsamkeiten, die es gibt, bewältigt und ich habe jetzt eigentlich vor nichts mehr Angst, was kommen könnte.

„Will man jetzt mit internationalen Bands arbeiten, geht man anders an die Sache heran.“

Ich denke mir, auch inhaltlich stellte euch die Pandemie sicher vor einige Herausforderungen.

Annabella Supper: Das auf jeden Fall. Es sind aufgrund der Pandemie ja viele internationale Bands weggebrochen. Da ist es natürlich notwendig geworden, unser gesamtes Programm noch einmal zu überdenken. Wir haben den Fokus verstärkt auf heimische Musiker:innen gelegt. Und das ist gut so. Dazu muss man sagen, dass, wenn man viel mit Weltmusik arbeitet, man vermehrt internationale Künstler:innen nimmt. Das und der Umstand, dass wir nicht täglich veranstalten können, führte in der Vergangenheit einfach dazu, dass der Platz für heimische Acts etwas begrenzt war.Jetzt hat sich das ein wenig umgedreht. Wir veranstalten jetzt viel mehr österreichische Bands. Und das ist gut so, denn es gibt hierzulande wirklich viele ganz tolle Musiker:innen, die man dem Publikum präsentieren kann. Das Schöne ist, dass wir über diesen Weg die eigene Kulturszene wieder ganz anders kennen- und schätzten gelernt haben.
Will man jetzt mit internationalen Bands arbeiten, geht man anders an die Sache heran. Man könnte sagen, wir haben Tabula rasa gemacht und beginnen wieder von Neuem, indem wir unsere internationalen Kontakte neu aufbauen und schauen, ob es vom Administrativen, den Kosten und der Logistik her überhaupt Sinn macht, das Konzert zu veranstalten.

Musikalisch zeigt sich das aktuelle Programm auf jeden Fall sehr breit aufgestellt. Ihr habt verschiedene Reihen gestartet, die von Weltmusik über Pop und Clubmusik bis hin zur Neuen Musik reichen. Inwieweit knüpft ihr an die alte Tradition an und was macht ihr neu?

Annabella Supper: Was wir tun, ist eine Weiterentwicklung von dem, was war. Ernst hatte das Programm ein wenig anders angelegt gehabt. Er hat Abos eingeführt, die eher genre- und länderspezifisch zusammengefasst waren. Wir haben thematisch einen etwas breiteren, auch außermusikalischen Zugang gewählt. Eine unserer Reihen stellt zum Beispiel das Thema Flucht und Migration in den Fokus.

Lukas Handle: Ernst hat, wie es Annabella gesagt hat, das gesamte Programm ja in diversen Zyklen verteilt, zu denen es jeweils auch Abonnements gegeben hat. Das war uns ein wenig zu steif und ein wenig zu sehr gezwungen. Da wollten wir uns eine wenig mehr Flexibilität in der Programmgestaltung geben, indem wir Reihen eingeführt haben, die nicht jedes Jahr wiederkehrend sein müssen. Und so haben wir ein wenig mehr Planungsfreiheit und können ein wenig mehr durch die Geschichten durchwandern. Daher sind wir auch von einer Halbjahresplanung auf eine Trimesterplanung übergegangen. Das ermöglicht es uns auch, besser auf kurzfristige Anfragen zu reagieren.

Biild Rooftop Festival mit Milos Oscars Folkoteque
Rooftop Festival mit Milos Oscars Folkoteque (c) Wolfgang Zeiner

Ihr habt einige neue Reihen ins Leben gerufen. Und auch das Sommerfestival „Rooftop“.

Annabella Supper: Genau, das Rooftop Festival fand im letzten Jahr zum ersten Mal statt. Wir haben generell im Juli jetzt mehr Programm. Früher hörte die Saison mit Anfang Juni auf, weil uns bei schönem Wetter auch das Publikum ausgeblieben ist. Dadurch, dass wir jetzt auch die Wohnstraße vor der Sargfabrik bespielen können, können wir auch einige Outdoor-Konzerte veranstalten. Zumindest sind solche in Planung. Dadurch dehnt sich die Saison bis Ende Juni aus.

Lukas Handle: Zusätzlich haben wir auch die Reihe „Im Fokus“ ins Leben gerufen. Da hatten wir zuletzt Werner Pirchner, der im letzten Jahr seinen 20. Todestag gehabt hat. Im Herbst war es HC Artmann, der nicht weit von hier in Breitensee aufgewachsen ist. Wir schauen einfach, was wir thematisch machen können und planen dahingehend. Und gewisse Konzerte, wie etwa die reihe: Neue Musik im XIV. mit dem Janus Ensemble ergeben sich aus einer Kooperation heraus. Mit dem Janus Ensemble wollen wir gemeinsam hier im 14. Bezirk einen Ort für neue zeitgenössische Musik schaffen.
Wir schauen, dass wir punktuell einige Highlights bieten können, wie etwa das schon erwähnte Rooftop Festival oder die Kooperation mit dem von kulturen in bewegung veranstalteten Fem*Friday. Der fand letztes Jahr mit einem Konzert von Kerosin95 zum ersten Mal bei uns statt und hat wirklich gut funktioniert.
Was man bei all dem Neuen nicht vergessen darf, sind all unsere langjährigen Kooperationsparnter:innen. Das Akkordeon Festival und KlezMore Festival, die Lange Nacht der Weltmusik in Kooperation mit der IG World Music Austria, Salam Orient sowie das Vienna Jazz Floor-Festival in Kooperation mit der IG Jazz Wien. Diese Kooperationsparnter:innen sind ja nach wie vor da und da ist es einfach schön, auf die 25 Jahre Erfahrung und Vorarbeit von Ernst aufzubauen. Das macht die ganze Sache sehr angenehm.

Wie ist es mit dem Publikum? Was beobachtet ihr da? Ist das Publikum mit euch gealtert oder kommt auch neues hinzu?

Annabella Supper: Junge Leute wieder in die Sargfabrik zu holen, ist tatsächlich etwas, an dem wir sehr hart arbeiten. Wir schätzen unser älteres Publikum sehr, wollen aber auch Programm für junge Menschen machen. Da braucht es natürlich noch etwas Anstrengung, um auch in der Öffentlichkeit wahrgenommen zu werden. Einerseits schaffen wir mit den Reihen reihe X und reihe XIV interessantes Programm für ein jüngeres Publikum, versuchen aber auch finanziell mit dem U30-Preis Anreiz zu geben.

Ihr habe jetzt die erste Phase als neues Kreativ-Team der Sargfabrik erfolgreich hinter euch gebracht. Jetzt sind die Dinge auf Schiene. Was wünscht ihr euch für die Zukunft? Ich nehme einmal an, ein großer Wunsch ist, dass es jetzt mit dem Abflauen der Pandemie wirklich losgeht.

Annabella Supper: Genau, dass es jetzt wirklich losgeht. Und ich wünsche mir schon ganz lange, dass es uns gelingt, ein neues Bild der Sargfabrik, das wir auch leben, in der Öffentlichkeit zu verankern. Der Sargfabrik hängt ja leider dieses in sich Gekehrte und Verschlossene an, was aber so gar nicht stimmt, wenn man die vielen Tätigkeiten und das soziale Engagement der Bewohner:innen hier anschaut. Wir sind zwar offen, nur wird das noch zu wenig gesehen. Ich wünsche mir dahingehend, dass wir uns noch mehr öffnen und der Öffentlichkeit das auch so mitteilen können und wir wirklich mit einem neuen Image ankommen. Die Leute sollen uns so sehen, wie wir jetzt sind.

Lukas Handle: Ich wünsche mir auch, dass die Sargfabrik wieder mehr als großes Ganzes wahrgenommen wird, vom Kulturbetrieb, über das Wohnen, das Badehaus bis hin zum Kindergarten. Viele Besucher:innen wissen gar nicht, was sich alles hinter der Sargfabrik verbirgt. Das ist ein Wunsch an uns und unseren Verein selbst. Es ist auch ein Auftrag des Vereins, dass wir uns öffentlich wieder politisch stärker positionieren. Ein zusätzlicher Wunsch wäre natürlich auch eine Spur mehr finanzielle Unterstützung der Subventionsgeber:innen. Aber ich glaube, dies wünschen sich alle.

Herzlichen Dank für das Gespräch!

Michael Ternai

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Annabella Supper

Annabella Supper ist seit April 2021 als Kuratorin gemeinsam mit Lukas Handle für die Programmgestaltung und das Booking verantwortlich, zudem ist sie Leiterin des Bereichs Kommunikation (Presse & Marketing). Bevor es sie vor knapp 13 Jahren in den Kulturbetrieb verschlug, studierte sie Musik- & Kunstpädagogik an der Universität für Musik und darstellende Kunst und der Universität für angewandte Kunst, ein Jahr Grafikdesign an der École supérieure d’arts graphiques in Paris, nahm an mehreren Ausstellungen im In- und Ausland teil und ist ausgebildete Museumspädagogin. Annabella ist passionierte Radfahrerin und Mutter eines 5-jährigen Rebellen.

Lukas Handle

Lukas Handle ist seit April 2021 Leiter des Kulturhauses Sargfabrik in Wien und für die Programmgestaltung, das Booking und die Produktion verantwortlich. Seit 2019 gestaltet er zudem „Spielräume Spezial“-Sendungen für das ORF Radio Ö1 und ist dort auch als Musikaufnahmeleiter tätig. Lukas studiert berufsbegleitend Kulturmanagement an der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien und beendete 2016 das Masterstudium in Musikwissenschaft an der Universität Wien. Lukas ist leidenschaftlicher Bassist, ambitionierter Brot-Bäcker und liebevoller Vater einer 2-jährigen Tochter.

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