„Unser Weg ist der der Edelmanufaktur“ – Kreisky im mica-Interview

Kreisky sind die eigensinnigste und beste Band, die der heimischen Popmusiklandschaft in den letzten zehn Jahren passiert ist. Mit ihrem vierten Album „Blick auf die Alpen“ haben sie – und noch zwei Superlative – ihre bislang vielseitigste und stärkste Platte aufgenommen. Musik wie Text sind mitunter ganz weit draußen, aber gleichzeitig auch extrem eingängig. Sebastian Fasthuber hat mit Sänger Franz Adrian Wenzl und Schlagzeuger Klaus Mitter gesprochen, Gitarrist Martin Max Offenhuber und Bassist Gregor Tischberger hatten frei.

Drei Jahre sind nach dem letzten Album „Trouble“ vergangen. An der neuen Platte wurde aber sehr kontinuierlich gearbeitet.

Franz Adrian Wenzl: Wir haben diesmal genauere Soundvorstellungen gehabt und wollten das ganze Ding noch einmal zuspitzen. Mit dem Songwriting haben wir an der Platte kontinuierlich zweieinhalb Jahre gearbeitet. Es sind auch ungewöhnlich viele Nummern entstanden. Drei davon sind letzten Herbst auf der EP gelandet. Eine haben wir gar nicht fertig gemacht, weil wir sie nicht als so stark empfunden haben. Zwei waren für einen Sampler. Wir wollten uns diesmal ans klassische LP-Format von 40 Minuten halten. Es sollten wirklich nur Nummern drauf, wo man sich auch im Nachhinein denkt: Da waren wir inspiriert. Wir machen das ja schon lang genug und könnten uns auch über gewisse Schwächen drüberretten. Beim Korrekturlesen der Texte fürs Booklet habe ich mir aber gedacht: Mir ist tatsächlich bei jedem Song was eingefallen.

Jede Nummer hat für sich einen sehr ausgeprägten Sound. Und als Ganzes beschreibt das Album einen großen Spannungsbogen.

Franz Adrian Wenzl: Auf den letzten Platten haben wir versucht, unseren Stil auf den Punkt zu bringen. „Trouble“ war ein knöcherner Batzen. Bei der neuen war es uns wichtig, dass die Instrumente wieder mehr nach Instrumenten klingen und die Produktion ausgewogener ist. Es sind schon recht viele Feinheiten reingeflossen, rhythmisch oder auch im Sound. Viele Sachen haben wir auch wieder weggelassen. Bei drei Nummern waren einige Keyboardsachen schon eingespielt. Dann habe ich mir gedacht: Da ist die Gitarre vom Offi so schön, lasse ich das Keyboard lieber weg. Es ist eh immer noch genug Keyboard drauf.

Ihr steht mit eurer Musik in der aktuellen Poplandschaft ziemlich allein.

Klaus Mitter: Ich glaube auch. Spätestens mit dem Album ist es Kreisky-Musik.

Habt ihr das bewusst angestrebt?

Franz Adrian Wenzl: Dafür gibt es zwei Gründe. Der eine ist, dass die deutschsprachige Popmusiklandschaft für unser Empfinden sehr öde war, als wir begonnen haben. Es ging nur um Befindlichkeit und Melancholie, alles sehr soft. Darauf wollten wir ein bisschen einprügeln und bewusst auch als Männer auf der Bühne stehen, nicht als nette Typen mit „Umihau“-Frisur und Turnschuhen – einfach  eine gestandene Band sein. Auf der anderen Seite hat keiner von uns eine musikalische Ausbildung. Alles, was wir spielen, haben wir uns selbst beigebracht. Dadurch arbeiten wir mit einem Vokabular, das nur wir so spielen können. Ein Beispiel: Wenn wir sagen, wir machen eine Countrynummer, klingt es nachher eigentlich nicht nach Country. Weil wir es einfach nicht so beherrschen.

Klaus Mitter: Wenn wir uns etwas vornehmen, verunglückt das generell meistens.

Welcher ist der verunglückte Country-Soung?

Franz Adrian Wenzl: „Selbe Stadt, anderer Planet“.

Hätte man nicht unbedingt gemerkt.

Franz Adrian Wenzl: Nein, nur ganz entfernt erinnert die Nummer an Country. Diese Unfähigkeit von uns bringt aber den Vorteil, dass wir uns alles erarbeiten müssen. Auf der Platte ist jeder Ton experimentell entstanden. Das merkt man auch an den Strukturen, es gibt relativ wenig Strophe-Refrain. Die meisten Songs erzählen eine Geschichte – nicht nur der Text, auch von der Struktur her. Mir war wichtig, dass auch Überraschungen drin sind. In„Rinderhälften“ wird auf einmal eine Art Witz erzählt. „Wir Unterhaltenen“ verliert sich im Mittelteil total.

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Vom Sound erinnert das Album am ehesten noch an gewisse Rockplatten der frühen 70ern.

Franz Adrian Wenzl: Van der Graaf Generator ist so eine Band, auf die zumindest Teile der Band sich einigen können. Grundsätzlich haben wir schon immer vintage Sounds und ein klassisches Rockinstrumentarium gehabt. Aber auch noch mehr Geprügel. Auf den letzten Platten war amerikanischer Hardcore ein größerer Einfluss, „Blick auf die Alpen“ ist jetzt vielleicht eine klassischere Rockplatte oder auch eine Popplatte. Ich sehe es in Wahrheit als eine Showplatte, als Entertainmentplatte. Es wird viel mit Figuren gespielt. In einem Lied bin ich ein kleines Mädchen. Auch die Musik wird viel erzählerischer eingesetzt. Das Keyboard bei „Die Wildnis“ zum Beispiel macht einen Science-Fiction-Raum auf. Als Punk- oder Postpunkband kann man uns wahrlich nicht mehr bezeichnen.

Klaus Mitter: Für mich ist es eine Antirockplatte, was die „Trouble“ gewiss nicht war. Wir wollen immer auch was Neues bringen. Wir haben eben eine ganz massive Anti-Epigoneneinstellung. Wenn man das durchzieht, klingt man irgendwann nach sich selber. Die Musik kann ruhig ein bissl komisch klingen, aber sie muss immer noch eine Eingängigkeit behalten.

„Wir Unterhaltenen“ könnte man mit ein bisschen Fantasie als Gesellschaftskritik interpretieren. Als politische Band habt ihr euch trotz des Bandnamens aber nie gesehen, oder?

Klaus Mitter: Daran haben wir kein Interesse. Es gibt sehr wenige, bei denen das Politische natürlich rauskommt. Und man kann in tausend Fallen tappen. Außerdem: Wer will heute noch offensichtlich politische Texte hören?

Franz Adrian Wenzl: Wenn es bei mir politisch wird, ist es immer ein Unfall. Ich schätze das total, wenn jemand wichtige Gedanken in seiner Kunst ausdrücken kann – bei mir kommt aber immer ein Scheiß heraus. Ich bin kein großer politischer oder theoretischer Denker. Wir arbeiten viel besser intuitiv. Die Lieder, die bei uns vielleicht zum Nachdenken anregen, transportieren keine Moral und keine Wahrheit. Wir liefern Material, das erst durch den Hörer fertig wird. Gestern hatten wir einen langen Interviewtag. Ich war bass erstaunt, wieviele Interpretationen es gibt. Und alle sind richtig! (Lacht)

Wie entsteht ein Text wie zum Beispiel „Die Wildnis“?

Franz Adrian Wenzl: Es entsteht immer alles gleichzeitig, Musik und Text. Ich habe immer ein ausgedrucktes Word-Dokument mit im Proberaum. Während die Musiker an Details feilen, verliere ich mich in meiner Zettelwirtschaft, suche mir ein paar Stellen. Oft ergibt sich dann von selber, dass man einen Fetzen zu einer Geschichte ausbaut und anderes Material reinmontiert. Ich hatte schon lange den eigentlich etwas doofen Reim „Der Mensch gehört nicht in die Wildnis, das ist wider die Natur. Der Mensch gehört in eine Wohung, auf eine Sofagarnitur.“ Als Schlussfazit hat er in den Song gut reingepasst. Es ist von allen Seiten ein sehr experimenteller und intuitiver Prozess.

Franz lebt seit einiger Zeit fix in München. Wie wirkt sich das auf die Band aus?

Klaus Mitter: Ich sehe den Franz nicht öfter als früher, wie er noch in Wien gelebt hat.

Franz Adrian Wenzl: Man muss es besser organisieren. Wenn ich in Wien bin, machen wir gleich am Abend eine Probe und am nächsten Tag noch eine.

Klaus Mitter: Eigentlich fährt der Franz jetzt immer auf Montage, wenn er nach Wien kommt.

Franz Adrian Wenzl: Aber das macht auch Spaß. Wir waren vorher schon recht organisiert. Wir sind ja länger keine Studenten mit völlig freier Zeiteinteilung mehr. Jeder ist mit Arbeit und unterschiedlichen Projekten eingeteilt. Wenn man sich in dem Alter noch den Spaß erlaubt, in einer Popband auf einem gewissen Level zu spielen, ist Organisation das Um und Auf. Zudem hat jeder Familie oder eine langjährige Beziehung, vor der man die Band auch irgendwie verantworten muss, weil man sehr viel Zeit investiert. Es wäre unverantwortlich, dass wir uns heute eine Probe ausmachen und dann lieber nur drei Bier trinken. Das kann man eigentlich nicht bringen.

Geniale Ideen nach Stundenplan?

Klaus Mitter: Dieses Geniale, das in den Künsten ja immer gern gesehen wird, war bei uns nie so vorhanden. Den Moment, in dem Franz von einer Idee wie von einem Blitz gestreift wird…

Franz Adrian Wenzl: Den gibt es schon auch.

Klaus Mitter: Aber du arbeitest auch so lang an deinen Texten, bis du in die Aufnahmekabine reingehst.

Franz Adrian Wenzl: Die Inspiration ist trotzdem auch wichtig. Wenn wer nur das Handwerk beherrscht, wird es keine hörbare Platte ergeben. Es sind 96 Prozent Handwerk und 4 Prozent Inspiration oder – noch besser – Magie, würde ich sagen. Martin behauptet auch immer wieder, ein Gitarrenriff zu träumen.

Klaus Mitter: Mir geht es auch so. Leider kann ich mich am nächsten Tag nie erinnern. Aber im Traum sind es immer total geniale Grooves.

Franz Adrian Wenzl: Die Traumideen werden halt doch überschätzt. Aber den letzten Touch, dass man Ideen haben muss, lasse ich mir nicht nehmen. Wenn ich als Musikhörer nicht ein bissl das Gefühl habe, dass das, was der Bryan Ferry kann, etwas ist, was nur er kann, dann macht ja das alles keinen Sinn. Das Gefühl muss da sein: Es passiert was, das ist größer als die Summe der Teile.

Klaus Mitter: Ich sehe den ganzen Prozess des Musikmachen mittlerweile als Arbeit. Auf jeden Fall seit zwei Alben ist das so. Umso weniger versuche ich im normalen Job zu arbeiten.

Franz Adrian Wenzl: Die Platte muss gar nicht der Superhit werden. Aber sie ist wichtig für die nächste Platte. Sie muss die Motivation aufrechterhalten.

Kreisky gibt es seit neun Jahren. Viele Bands sind nach dem Zeitraum schon ausgelaugt, während ihr eure beste Platte gemacht habt.

Klaus Mitter: Im Alternative Mainstream gibt es eine klare Tendenz. Zuerst werden einzelne Nummern gemacht, um einen Hype um eine Band zu kreieren. Dann kommt die erste EP. Beim ersten Album sagen alle: Woah! Und beim zweiten Album ist es sofort Stadionrock. Danach wird die Band vier Jahre auf Tour geschickt, bis sie tot ist. Das ist überspitzt formuliert, aber teilweise passiert es tatsächlich so.

Franz Adrian Wenzl: In den 70ern und 80ern brauchte man noch Geldgeber für eine professionelle Platte. Dadurch reden viele Leute rein. Oder du machst schundiges Zeug wie die damaligen Underground-Produktionen. Heute kann man alles selber auf einem professionellen Level machen. Es erhöht die Langlebigkeit einer Band ganz gehörig, wenn die dritte Platte kein Hit sein muss. Wir selber betrachten uns eh als erfolgreiche Band. Für die Musik, die wir machen, läuft es wirklich gut. Majorleute würden über unsere Verkaufszahlen aber auch heute noch lachen. Die würden uns sofort den Produzenten von der Christl Stürmer auf’s Aug’ drücken. Das Blöde bei solchen Firmen oder auch beim ORF…

Klaus Mitter: Noch schnell einen ORF-Diss einbauen…

Franz Adrian Wenzl: … ist, dass da teilweise solche Simpeln arbeiten. Die würden sagen: ,Was soll „Pipelines“ für ein Text sein? Das versteht ja kein Mensch.‘ Da muss ich aber sagen: ,Du verstehst es vielleicht nicht, aber es gibt ein Publikum dafür.‘ Die Leute werden leider Gottes heillos unterschätzt. Unser Weg ist der der Edelmanufaktur. Ich sehe das tatsächlich so: Wir schleifen feine Teile in liebevoller Arbeit gut her. Zweieinhalb Jahre haben wir an der Platte gearbeitet. Wir reden von neun depperten Musikstücken.

Produziert habt ihr die Platte mit Ollmann, gemastert wurde in England. Warum?

Klaus Mitter: Für uns macht es im Sound einen Unterschied. Es hat uns einfach mehr gefallen.

Franz Adrian Wenzl: Den Ollmann kann man ruhig erwähnen. Der hat sich soundmäßig sehr stark involviert. Er war auch beim Liederschreiben schon dabei. Bei ihm taugt es mir, dass er eine extreme Bandbreite hat und sich auch in der Elektronik auskennt oder eine Latte Impulse-Platten von John Coltrane herumstehen hat. Der versteht es auch, wenn Sachen anders gedacht werden.

Klaus Mitter: Die Aufnahmen im ehemaligen Austrophon-Studio im Keller des Konzerthauses waren eine spezielle Erfahrung. Es war ein sehr schönes Arbeiten in diesem großen Raum. Als Band ist man sehr viel sehr eng zusammen: Kleiner Proberaum, kleiner Bus, kleiner Club, kleines Hotelzimmer. Da unten im Konzerthaus ist es riesig, da kann man wandern. Das macht irgendwas mit einem. Und natürlich ging es uns auch um den Raumklang.

Ihr kommt auf dem neuen Album nicht mehr gar so zornig rüber. Werden Kreisky jetzt mehrheitsfähig?

Klaus Mitter: Glaub ich nicht, solche Crowdpleaser sind wir dann doch nicht. Wenn wir am Donauinselfest auf der FM4-Bühne spielen, gibt es genug Z’sammg’fangte, die vor der Bühne stehen und „Arschloch“ schreien. Das ist auch total okay, solang nichts geschmissen wird. Das geht bis zurück zur Namensfindung. Schon durch den Namen Kreisky hat es sich geteilt. Wir haben noch kein Album gehabt, aber schon gewusst: Was wir machen, wird der einen Hälfte gefallen, der anderen nicht.

Fotos Kreisky: Ingo Petramer

 

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