Am 6. Dezember erschien das erste Album des Schmusechors – eine Live-Aufnahme, die Mitschnitte ihrer Auftritte im Radiokulturhaus und im WUK umfasst. Die Sammlung enthält Interpretationen von Künstler:innen wie Radiohead, Miley Cyrus, Woodkid und Billie Eilish, ergänzt durch einen beliebten Klassiker der Backstreet Boys. Die Platte zeigt die vielseitige musikalische Ausrichtung des Chors, der für seinen unkonventionellen Ansatz bekannt ist und Genres wie Pop, Jazz und klassische Elemente miteinander verbindet. Im Januar 2025 wird der Chor außerdem sein traditionelles Neujahrskonzert präsentieren – diesmal im Wiener Volkstheater. Im Gespräch mit Michael Ternai erzählt Verena Giesinger, die Gründerin und künstlerische Leiterin des Chors, von der Entstehung des Albums, den Herausforderungen der Songauswahl und ihrer künstlerischen Vision. Sie spricht darüber, wie Musik auch als gesellschaftliches Statement wirken kann und was es bedeutet, einen Chor zu leiten, der Traditionen hinterfragt und musikalische Grenzen überschreitet.
Am 6. Dezember erscheint das Debütalbum des Schmusechors. Zu Neujahr gibt es das mittlerweile zur Tradition gewordene Neujahrskonzert des Chors. Dieses Mal im Volkstheater. Es passiert also einiges in naher Zukunft. Eingangs aber zunächst einmal die Frage, ob es denn immer schon dein Plan war, mit dem Schmusechor ein Album zu veröffentlichen?
Verena Giesinger: Ich würde sagen, es war mehr ein Wunsch als ein Plan. Tatsächlich hat uns aber immer die Zeit gefehlt, ein Album aufzunehmen, weil bei uns eigentlich immer ein Projekt nach dem anderen ansteht. Und wie wir wissen, dauern Albumproduktionen sehr lange. Deshalb habe ich ein Album auch nie konkret als Plan gesehen.
Vor ein paar Monaten kam jedoch Hannes Tschürtz von INK Music mit der Idee auf mich zu, dass wir Teil einer INK-Compilation werden könnten. Als er mir diese Anfrage stellte, waren wir gerade mitten im Mischen unserer Live-Aufnahmen vom letzten Neujahrskonzert. Da dachten wir uns: Warum sollten wir eigentlich ein Studioalbum machen, wenn auch ein Livealbum möglich ist?
Wir hatten das gesamte Neujahrskonzert aufgenommen, und auch eines unserer Konzerte im ORF RadioKulturhaus von 2022. Außerdem bevorzuge ich persönlich Chöre auf Platte, die einen Livecharakter haben. Ich finde, Chöre verlieren im Studio oft etwas von ihrer Authentizität. Diese Perfektion des Chorklangs im Studio nimmt für mich ein Stück vom Charme, der den Chorklang ausmacht – dieses menschliche Vibrieren, das man bei einem Livekonzert spürt, wenn der ganze Raum plötzlich zum Schwingen anfängt. Ich glaube, das lässt sich auf einem Studioalbum nicht so gut einfangen. Deswegen ist es für mich das Allerschönste, dass unser erstes Album ein Livealbum ist.
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Es ist auf jeden Fall auch ein sehr umfangreiches Album und musikalisch sehr abwechslungsreiches. Von den Backstreet Boys geht es bis zu Radiohead. Und trotzdem haben wahrscheinlich nicht alle Songs ihren Weg auf das Album gefunden. Wie schwer gestaltete sich die Auswahl für dich?
Verena Giesinger: Ich fand die Kuration dieses Albums sehr herausfordernd. Ich hätte nicht gedacht, wie schwierig es sein würde, zu entscheiden, welche Stücke auf das Album kommen und welche nicht. Man kennt ja Sprüche wie „Kill your Darlings“, die eigentlich ziemlich drastisch klingen. Aber emotional hat es sich manchmal tatsächlich so angefühlt, wenn du einen Song, den du sehr gerne magst, einfach von der Liste streichen musst.
Ein Vinyl bietet leider nur 45 Minuten Platz, mehr geht einfach nicht. Die Kuration habe ich gemeinsam mit unserem Tontechniker Lukas Froschauer gemacht, der auch alle Aufnahmen gemischt hat.
Es gibt mittlerweile Songs, die einfach total für den Schmusechor stehen. Du hast vorhin schon die Backstreet Boys erwähnt. Als wir beispielsweise das Programm für das Neujahrskonzert kuratiert haben, stand der Song „I Want It That Way“ von den Backstreet Boys zunächst versehentlich nicht auf der Setlist. Da haben wir gemerkt, wie entsetzt wir alle waren bei der Vorstellung, ein Konzert ohne diesen Song zu spielen.
Genauso ging es mir beim Album: Es war vollkommen klar, dass der Song darauf muss, weil er für uns längst zu einem Signature-Song geworden ist. Ebenso gibt es eine wunderschöne Liveaufnahme von „Heavenly Father“, einem Song, den wir im kleinen Ensemble singen. Auch da war sofort klar, dass er aufs Album gehört. Es gibt einfach diese Stücke, die die Geschichte des Chors so wunderbar zusammenfassen – und diese beiden gehören definitiv dazu.
Dann gab es auch noch ein paar wunderschöne neue Songs, die wir ausschließlich beim Neujahrskonzert gesungen haben – in Besetzung mit einem Streichensemble. Die waren ebenfalls gesetzt. Ja, und dann gab es ein paar Songs, die es nicht aufs Album geschafft haben. Das ist natürlich irgendwie traurig für die Stücke, und sie tun mir wirklich leid. Aber ich finde, die Geschichte, die dieses Album jetzt erzählt, ist sehr rund. Es fühlt sich genau richtig an.
Weil du gerade das Streichensemble erwähnt hast. Instrumente waren bei euch aber nicht von Anfang an dabei, oder?
Verena Giesinger: Ich glaube, bei den allerersten Konzerten war tatsächlich nur ein Cajón dabei, das unser Schlagzeuger gespielt hat – der übrigens mittlerweile seit zehn Jahren Teil der Band ist. Anfangs hatten wir tatsächlich sonst gar keine Instrumente dabei. Nach und nach habe ich jedoch erkannt, wie viel Instrumente musikalisch bieten und welche neuen Möglichkeiten sie eröffnen.

Unsere Band wächst eigentlich ständig. Vor Kurzem haben wir entschieden, für das Neujahrskonzert eine großartige Bassistin dazuzuholen. Außerdem werden wir zum ersten Mal Bläser dabeihaben, die direkt aus dem Chor kommen. Ehrlich gesagt glaube ich, dass wir uns langsam darauf hinbewegen, irgendwann einmal mit einem Orchester zu spielen. Das ist das Ziel.
Ein Projekt, dass sich immer weiterentwickelt.
Verena Giesinger: Ich finde, das ist das Reizvolle am Schmusechor: Der Chor ist in seiner Entwicklung nie abgeschlossen. Erst vor kurzem habe ich mir die Frage gestellt, was eigentlich die Vision des Chors ist. Plötzlich eröffnen sich große Räume, in denen wir auftreten können – Räume, von denen ich nie gedacht hätte, dass sie einmal für uns erreichbar wären. Und jetzt erscheint auch noch ein Album. All diese Entwicklungen werfen die Frage auf, wo wir eigentlich hinwollen.
Für mich ist es jedoch nicht das größte Ziel, immer größer zu werden, mehr zu wachsen oder ständig größere Räume zu bespielen. Vielmehr habe ich Lust darauf, Orte zu erobern, an denen wir unsere kreativen Visionen umsetzen können. Dass wir jetzt im Volkstheater sind, ermöglicht es uns, Ideen zu verwirklichen, die auf kleineren Bühnen kaum umsetzbar wären.
Seitdem wir den Schritt gewagt haben, ein Livealbum zu produzieren, stelle ich mir auch die Frage: Wie würde ein Album aussehen, das wir von Anfang an planen? Können wir für den Schmusechor eigene Musik komponieren? Wie würde der Schmusechor klingen, wenn wir nicht nur Covers singen, sondern unsere eigenen Lieder? Und wenn befreundete Musiker:innen etwas für uns schreiben, welche Impulse würden wir ihnen mitgeben? Welche Art von Musik wollen wir machen, welche musikalische Sprache möchten wir entwickeln?
Ich habe das Gefühl, dass jedes Mal etwas machen, sich auch neue Türen zu einer nächsten Möglichkeit öffnen. Das ist total schön.
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Chormusik wird ja oft mit klassischer Musik in Verbindung gebracht. Ihr dagegen verortet euch im Kontext des Pop. Was ist für dich der besondere Reiz daran, dich an dieser Schnittstelle zwischen den musikalischen Welten zu bewegen? Kommst du eigentlich aus der Klassik?
Verena Giesinger: Ja, ich bin sehr klassisch aufgewachsen. Ich hatte Geigen- und Klavierunterricht, habe viel in Orchestern gespielt und an diversen Wettbewerben teilgenommen. Mein musikalischer Weg war anfangs sehr leistungsorientiert – es ging darum, wie man Instrumente spielt und Musik lernt. Mit 19 habe ich dann an der mdw begonnen, Musiktherapie zu studieren. Das war mein erster Zugang zu einer anderen Sichtweise auf Musik: dass sie eben mehr sein kann, als nur Noten zu reproduzieren und Stücke zu spielen, die schon vor über 200 Jahren komponiert wurden und die ich emotional eigentlich gar nicht mehr nachvollziehen kann.
Dieser Zugang zur Improvisation, den man in der Musiktherapie lernt, und die Erkenntnis, dass Musik vor allem Gefühl bedeutet, haben es mir ermöglicht, Musik machen zu wollen, die ich wirklich spüre. Und das war für mich schon immer Pop. Den habe ich immer schon gespürt. Es gibt auch Jazz-Sachen, die mich abholen, aber es war immer Pop, der mich berührt und auch zum Weinen gebracht hat.
Ein Grund für die Gründung des Chors war auch, dass es damals tatsächlich noch keinen Chor in Wien gegeben hat, der Pop gesungen hat. Pop bietet unglaublich viele Schichten, die man zum Ausdruck bringen kann.
Was fasziniert dich eigentlich an Chormusik?
Verena Giesinger: Diese Mehrstimmigkeit hat mich schon immer unglaublich berührt. Ich erinnere mich, dass ich als Kind oft in die Kirche ging – einerseits aus Tradition, andererseits, weil es von mir erwartet wurde. Was mich jedoch in der Kirche wachgehalten hat und warum ich interessiert geblieben bin, war der Kirchenchor, der hinten sang. Die meiste Zeit der Messe verbrachte ich damit, meinen Blick nach hinten zu richten.
Schon damals empfand ich diese Mehrstimmigkeit als etwas Einzigartiges. Sie berührt mich fast noch mehr als Musik mit Instrumenten, weil hier Menschen mit ihren eigenen Körpern diesen Klang erzeugen, ihre Stimme als Instrument nutzen. Dieses Schwingen in der Mehrstimmigkeit ist für mich manchmal sogar eine Art emotionale Nahrung. Ich merke das besonders, wenn es mir nicht gut geht – dann helfen mir Essen, ein warmes Bad oder eben Chormusik. Diese Musik durchdringt bei mir wirklich alle Poren.
Der Schmusechor ist weit mehr als nur eine Musikgruppe. Mit seiner Besetzung vermittelt er eine Botschaft von Offenheit, Toleranz und gesellschaftlicher Vielfalt. Wenn man dir zuhört, entsteht schnell der Eindruck, dass dir dieser Aspekt des Schmusechors genauso wichtig ist wie die Musik selbst. Inwieweit ist der Schmusechor ein Stück weit auch politisch?
Verena Giesinger: Das ist eine sehr gute Frage. Der Schmusechor ist eine Gruppe, die sich aus den unterschiedlichsten Lebensrealitäten zusammensetzt. Jede Person, die bei uns mitsingt, bringt automatisch ihre ganz eigene Perspektive und Erfahrung mit ein. Es gibt viele Dinge, die uns verbinden, aber genauso viele, die wir voneinander lernen können.

Sobald man auf einer Bühne steht, wird man schnell politisch – allein durch die Sichtbarkeit. Und ich als Dirigentin bin schon deshalb politisch, weil ich eine Frau in dieser Position bin, was leider immer noch eine Seltenheit ist.
Uns war es immer wichtig, die Bühnen, die wir bekommen, für unsere Themen und Anliegen zu nutzen. Ich erinnere mich zum Beispiel an 2015, als wir hier im Prückl waren. Im Keller des Cafés befindet sich ja das Theater Kunst im Prückl, wo unser Auftritt geplant war. Es war sogar unser allererster Auftritt hier in Wien. Doch nur wenige Wochen vor dem Konzert sorgte ein Vorfall für einen großen Aufschrei: Zwei lesbische Frauen wurden von einer Kellnerin aufgefordert, das Café zu verlassen, weil sie sich in der Öffentlichkeit geküsst hatten.
Wir haben uns damals intensiv gefragt, wie wir mit dieser Situation umgehen sollten. Wie können wir als Schmusechor in einem Haus auftreten, in dem wenige Wochen zuvor ein so homophober Vorfall stattgefunden hatte? Schließlich entschieden wir uns, ein klares Statement zu setzen. Am Ende des Konzerts holten wir Freundinnen und Freunde aus dem Publikum auf die Bühne, und gemeinsam küssten wir uns alle gleichgeschlechtlich.
Damals gab es den Schmusechor vielleicht erst ein Jahr, aber schon zu diesem Zeitpunkt war es mir und auch den Sänger:innen wichtig, die Verantwortung, die mit einer Bühne einhergeht, ernst zu nehmen. Wir wollten und wollen diese Plattform bewusst und sensibel nutzen, um ein Zeichen zu setzen.
Der Schmusechor bekommt mittlerweile immer größere Bühnen. Im Volkstheater, wo wir unser Neujahrskonzert spielen werden, haben 850 Menschen Platz. Ich sehe darin eine große Chance, denn Chorgesang erreicht viele Menschen, die mit den unterschiedlichen Lebensrealitäten, die wir repräsentieren, sonst vielleicht nicht oft in Berührung kommen. Sie interessieren sich schlichtweg für Chorgesang.
Tatsächlich sind bei unseren Konzerten oft Menschen im Publikum, die gar nicht genau wissen, wofür der Schmusechor steht, sondern allein wegen des Wortes “Chor” in unserem Namen gekommen sind.
Das empfinde ich als eine enorme Möglichkeit, vor allem in einer Zeit, in der unsere Gesellschaft zunehmend gespalten wird. Für einen Abend können wir versuchen, den Zuhörer:innen etwas von dem, was uns ausmacht, in einer sehr nahbaren Form näherzubringen – sei es durch unsere Themen, unsere Haltung oder einfach durch das, was wir auf der Bühne verkörpern.
Ich würde dennoch sagen, dass für mich der musikalische Aspekt beim Schmusechor an erster Stelle steht. Dennoch drücken wir uns in der Musik, in der Performance oder durch unsere Kostüme immer auch auf eine gewisse Weise politisch aus. Ich glaube, dass unsere politischen Interessen und das, was wir durch sie ausdrücken möchten, zunehmend an Bedeutung gewinnen.
Wenn man sich die aktuellen Geschehnisse ansieht, wird das tatsächlich immer wichtiger. Wie sehr machen dir die aktuellen Entwicklungen Angst?
Verena Giesinger. Sehr. Wenn man Chöre leitet, kommt zum Musikalischen noch ein weiterer wichtiger Aspekt hinzu: Man erlebt die gesellschaftspolitische Situation hautnah mit, weil alle Chorsingenden auf irgendeine Weise ihre Emotionen in die Chorprobe mitbringen. Besonders im letzten Jahr habe ich deutlich gespürt, wie beängstigend unsere aktuelle Lage ist.

Wir sind alle von den politischen Entwicklungen sehr betroffen, haben Ängste und verlieren manchmal sogar die Hoffnung. Deshalb wird es immer wichtiger, Räume zu schaffen, in denen wir unsere Sorgen frei äußern können, ohne Angst davor zu haben, etwas falsch zu sagen. Es gibt einfach so viele Veränderungen. Ich habe im letzten Jahr gemerkt, wie schwierig es momentan ist, einen Chor zu leiten, Es ist zu einer Art Durchführen durch eine schwierige Zeit geworden. Mir persönlich machen die Entwicklungen enorme Angst-
Lass uns vielleicht wieder zu optimistischeren Themen zurückkehren – oder zur Musik. Ich habe gelesen, dass du eigentlich mehr ins Dirigieren hineingestolpert bist, als es wirklich geplant zu haben. Studiert hast du Dirigieren auf jeden Fall nicht.
Verena Giesinger: Mein ursprüngliches Ziel war eigentlich, selbst einmal in einem Chor zu singen. Doch dieser Plan ist, wie sich herausstellte, gründlich nach hinten losgegangen – ich singe bis heute in keinem Chor. Allerdings hatte ich schon lange den Gedanken, einen Chor zu gründen. Wer diesen dann leiten würde, darüber habe ich damals gar nicht nachgedacht. Mit der Gründung wurde mir jedoch schnell klar, dass jemand diese Rolle übernehmen muss. Irgendwie bin ich da einfach hineingewachsen. Es war für mich auch nie ein großes Thema.
Ich merke, dass ich bei Dingen, die ich nicht studiert habe, viel befreiter an die Sache herangehe. Wenn ich mich beispielsweise ans Klavier setze – ein Instrument, das ich studiert habe – bin ich oft viel verkopfter. Da spielen bestimmte Erwartungshaltungen eine große Rolle. Beim Dirigieren ist das anders: Ich habe es nie gelernt, und genau deshalb mache ich es unglaublich frei – so, wie es sich für meinen Körper in dem Moment richtig anfühlt. Darin habe ich eine echte Stärke in mir entdeckt. Es scheint, dass ich etwas richtig mache, ohne je formalen Input dazu bekommen zu haben. Ich lasse mich dabei ganz von meiner Intuition leiten.
Für mich ist Dirigieren auch eine Form des Tanzens. Ich bin ein sehr körperlicher Mensch und jemand, der Gruppen gut lesen kann. Diese Fähigkeiten machen das Dirigieren für mich fast so, als sei es mir in die Wiege gelegt worden – ohne, dass ich es jemals wusste. Ich empfinde diese Unbedachtheit als ein echtes Geschenk.
Ich glaube, wenn ich mir 2014 vorgenommen hätte, Dirigentin zu werden, dann wäre ich es heute nicht. Ich hätte viel zu viel Angst und Sorge gehabt, es nicht richtig zu machen, und hätte es mir einfach nicht zugetraut. Aber so, wie der Chor gewachsen ist, bin auch ich mitgewachsen. Ich habe mir die Dinge Schritt für Schritt angeeignet und mir irgendwann zusätzliches Wissen angeholt. Doch all das ist auf eine ganz befreite und natürliche Weise passiert. Manchmal passiert das Schönste dann, wenn man keine Pläne hat. So ist es zumindest bei mir.
Hast du eigentlich schon Feedback von Leuten vom Fach bekommen?
Verena Giesinger: Ich habe mich lange und ganz bewusst von der österreichischen Chorszene abgekoppelt, weil ich Sorge hatte, dass mich zu viel Kontakt, Feedback oder Kritik in eine Schublade drängen könnte. Ich wollte vermeiden, dass es meinen freien Zugang zur Musik einengt. Das war auch der Grund, warum ich mich lange nicht Dirigentin genannt habe – der Begriff schien mir in der klassischen Musik so stark aufgeladen. Erst vor zwei oder drei Jahren habe ich mich zum ersten Mal getraut, mich so zu nennen.
Diese Entwicklung hatte viel mit den Kollaborationen zu tun, die wir über die Jahre eingegangen sind. Ich erinnere mich, dass wir 2016 bei einem Festival gemeinsam mit Mira Lu Kovacs auftreten durften – unsere erste Zusammenarbeit. Dieser Moment hat mich unglaublich nervös gemacht, denn für mich ist Mira die Königin vieler Musikgenres. Ihre Kreationen sind für mich Gold und Inspiration. Es folgten weitere Schritte, die uns mit Künstler:innen zusammenbrachten, die sowohl in der klassischen Musik als auch im Pop sehr etabliert waren und die auf uns zukamen. Das fand ich faszinierend.
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Der Moment, in dem ich mich schließlich traute, diese beiden Welten – die klassische und die populäre Musik – bewusst zusammenzubringen, kam, als ich einen sehr guten Freund von mir, Lukas Froschauer, ansprach. Lukas ist Tontechniker und arbeitet viel mit klassischen Chören und Musiker:innen aus der Alten Musik. Ich fragte ihn, ob er bei einem Konzert in Oberösterreich unser Tontechniker sein möchte. Ich war wirklich aufgeregt und rechnete fest damit, dass er absagen würde. Doch er sagte sofort zu.
Das war ein Schlüsselmoment für mich: Zum ersten Mal traute ich mir selbst zu, dass wir offenbar gut genug sind, um in dieser bedeutungsschweren Welt der klassischen Musik mitzuhalten. Denn allein hineinzukommen ist schwer, darin zu bestehen noch viel mehr. Lukas war auch der erste, der mir direkt sagte, dass ich eine Dirigentin bin und dass es an der Zeit ist, das zu akzeptieren. Es brauchte diesen Zuspruch von jemandem, den ich sehr respektiere, um endlich anzuerkennen, dass ich längst das bin, was ich eigentlich immer gemacht habe.
Vielleicht ein Blick in die Zukunft: Einen so großen Chor in Bewegung zu halten und weiterzuentwickeln, ist mit viel Aufwand verbunden. Was denkst du, wie weit es mit dem Schmusechor noch gehen kann? Vielleicht mal auch eine große Tour.
Verena Giesinger: Das versuchen wir gerade herauszufinden. Wir haben eine Jahresförderung beantragt und hoffen, dass wir sie bewilligt bekommen. Wenn wir endlich gefördert würden, könnten solche Dinge möglich werden. Es ist definitiv unser Wunsch und Plan, auf Tour zu gehen. Immer wieder kommen Anfragen aus Deutschland, und die Sehnsucht, die heimischen Grenzen zu überqueren, ist sowohl bei Veranstaltenden als auch bei unseren Fans spürbar – und natürlich auch bei uns.
Wir haben richtig Lust, das Ganze weiter nach außen zu tragen. Bisher scheiterte es meist am Geld, denn wir sind eine ziemlich große Travel Party, was mit hohen Kosten für Hotels und Reisen verbunden ist. Aber die Motivation ist auf jeden Fall da, und ich hoffe, dass wir Wege finden, das Ganze zu finanzieren. Es wäre unglaublich toll!
Herzlichen Dank für das Interview.
Michael Ternai
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Schmusechor live
07.12.2024 – 19:30 Uhr / Auferstehungskirche, Wien
03.01.2025 – 19:30 Uhr / Volkstheater, Wien – Neujahreskonzert
04.01.2025 – 19.30 Uhr / Volkstheater, Wien – Neujahreskonzert
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