Maria Augustin hat Anfang des Jahres ihr klassisches Flötenstudium beendet. In der JazzWerkstatt und in ihrer Band Marynade kommt aber auch die Improvisation nicht zu kurz. Außerdem bringt die vielseitige Musikerin auf originelle und ungezwungen Art und Weise ihre Stimme zum Einsatz, u.a. im A Capella-Trio TRIU.
Du hast als klassisch ausgebildete Flötistin den Sprung in den Jazz gewagt, was eher selten vorkommt. Immerhin bist du die einzige Flötistin der JazzWerkstatt, die sich voll und ganz auf dieses Instrument konzentriert.
Maria Augustin: Es gibt nicht viele Musiker, die Flöte lernen und dann auf den Jazz kommen. Die Flöte ist eben ein rein klassisch besetztes Instrument, und die wenigen Flötisten die es gibt, sind in der Regel Saxophonisten, die Flöte als Zweitinstrument im Repertoire haben. Ich spiele jetzt seit über 18 Jahren Querflöte, das ist das Instrument, das ich gelernt habe – und es taugt mir auch irrsinnig gut (lacht). Als ich damit begonnen habe, mich mit Improvisation zu beschäftigen, hab’ ich mir gedacht, dass ich mir die Flöte jetzt einfach in meine neue Musikrichtung mitnehmen muss. Meine ersten Versuche, auf der Flöte zu improvisieren, haben richtig deppert geklungen. Im Laufe der Zeit hab’ ich mir von meinen Freunden, darunter viele Saxophonisten, abgeschaut, wie das mit dem Phrasing funktioniert – das läuft eben alles ganz anders als in der Klassik. Aber ich komme nun mal von der Klassik, und dort gibt es eben diese ganzen Vorurteile, da sagen viele, Der Jazz, das ist nicht meins, da muss man irgendwie locker sein – lauter so komische Sprüche sind das. Da gibt es große Berührungsängste. Alle, die das irgendwann probiert haben, unter meinen Kollegen, sind irgendwie daran gescheitert. Aus dem einfachen Grund, weil ihnen niemand sagt, wie es funktioniert, ihnen ein paar Tipps gibt. Und dann probieren sie eben einfach drauf los, es klingt komisch, so wie es bei mir komisch geklungen hat, und dann war es das und es heißt Den Jazz kannst bei mir vergessen. Ich hab’ dann viel herumprobiert und bin auf viele Sachen draufgekommen, von denen ich glaube, dass sie gut funktionieren.
Hast du dir das dann mehr oder weniger selbst ausgecheckt?
Maria Augustin: Ja, mehr oder weniger. Ich hab’ einige Stunden beim Klaus Dickbauer genommen, er hat Saxophon gespielt, ich Flöte. Das war so eine einwöchige Schwerpunkt-Geschichte, in der ich eben versucht habe, so viel wie möglich zu erfragen und abzuschauen.”
War dir deine klassische Ausbildung dabei eine große Hilfe?
Maria Augustin: Die Technik und die Funktionsweise des Instruments lernst du natürlich in der Klassik wie nirgendwo sonst. Wenn man dann gut darüber bescheid weiß, wie ein Ton zustande kommt, wie die Stütze funktioniert, muss man überlegen, was man davon für den Jazz gebrauchen kann – für den Einsatz, die geswingten Achteln. Da lässt sich schon vieles umlegen. Mittlerweile hab’ ich meine Erfahrungen in Buchform veröffentlicht, in Form einer Flötenschule für klassische Flötisten, hauptsächlich für junge, 12- bis 18-Jährige. Die höre in der Regel irgendwann damit auf, Querflöte zu spielen, steigen auf Gitarre um oder lassen die Musik überhaupt bleiben. Meine Flötenschule heißt Fit for the Band, es gibt auch eine CD zum Dazuspielen.”
Wie hat sich das ergeben?
Maria Augustin: Meine Klassiklehrerin hat schon viele Bücher veröffentlicht, die verkaufen sich auch sehr gut. Als ich damit begonnen habe, Jazz zu spielen, war sie total daran interessiert, und ich hab’ ihr immer meine neuesten Entdeckungen vorgeführt – Schau her, das muss man mit einer ganz weiche Zunge spielen – und so weiter. Ihr hat das irrsinnig gut gefallen und irgendwann hat sie mich angerufen und gesagt, Maria, jetzt machen wir eine Jazzschule. Ich hab’ mir dann überlegt, wie das am besten funktionieren könnte, mit dem Hintergedanken, den Schülern diese Ängste zu nehmen, die man in der klassischen Ausbildung so entwickelt. Es kommen sehr viele Improvisationen und Phrasierungstipps vor, die Schüler sollen da einfach hineinrutschen, ohne sich groß etwas zu scheren. Wolfgang Puschnig hat noch drei Lieder dafür geschrieben, der Rest ist von mir. Die Idee war auch ein bisschen, den vielen Musikschullehrerinnen und -lehrer, die gerne mit ihren Schülern Improvisation üben wollen, mit den Kids eben auch etwas Moderneres machen wollen und aber irgendwie anstehen, weil es bei ihnen selber nicht gut klingt, und sie nicht wirklich wissen, was sie machen sollen. Das Buch soll eben auch für sie eine Hilfe sein, in diese Spielweise hineinzufinden und festzustellen, dass das eigentlich gar keine so große Tragik ist mit dem Improvisieren. Ich würde mir wünschen, dass mit dem Buch ein bisschen ein Weg geschaffen wird, von der Klassik zum Jazz, und dass die Querflöte eben irgendwann nicht mehr rein klassisch besetzt ist.”
Das ist deine Mission, sozusagen…
Maria Augustin: Ja, irgendwie schon (lacht). Im Endeffekt läuft das dann eh wieder auf das selbe hinaus, Musik ist Musik und funktioniert nach den selben Regeln. Je mehr ich in diese Jazzwelt eingetaucht bin, desto mehr Ähnlichkeiten stelle ich fest. Das Problem ist, dass in der Klassik alles schon so perfekt geworden ist, dadurch, dass die Leute schon seit Ewigkeiten immer die selben Lieder spielen, sind die Vorstellungen so perfekt und genau, dass es eigentlich schon wieder ablenkt vom Eigentlichen – der Musik. Du hast einfach immer weniger Möglichkeiten, deine Person in die Stücke mit einzubringen. Weil man diese Vorgaben einfach so genau einüben muss, und wirklich Taktweise einüben muss, das es eben den Regeln entspricht. Und dann musst du erst einmal einen Platz finden, wo du du selbst sein kannst. Das ist wahrscheinlich aber auch der Lauf der Dinge. Im Jazz wird es ja auch immer enger, Jazz wird ja mittlerweile auch unterrichtet. Ich glaube, wenn der Jazz einmal so alt ist, wie die Klassik jetzt, wird es vielleicht genau auf dasselbe hinauslaufen. In der Klassik ist ja auch immer improvisiert worden, nur die letzten hundert Jahre nicht.”
Was sind für dich persönlich, die du beide Seiten kennst, die Hauptunterschiede beim Spielen von Klassik und Jazz?
Maria Augustin: Wenn du ein wahnsinnig tolles, improvisiertes Solo spielst, das bezieht seinen Reiz eben dadurch, dass es im Augenblick entsteht. Aber es gibt von Prokofjew zum Beispiel eine unglaublich schöne Flötensonate, mein Lieblingsstück nebenbei bemerkt, wenn man sich überlegt, wie lang er dafür gesessen ist – der hat das einfach perfekt gemacht – da steckt so viel an Energie drinnen. Wenn du ein tolles Solo spielst, kannst du dir das im Nachhinein anhören und dir aus kompositorischer Sicht eventuell denken, Okay, das hätte man vielleicht anders machen können, der Pianist hätte dieses Thema vielleicht mitnehmen können. Die klassischen Komponisten haben einfach die perfekte Musik entworfen, perfekt aus ihrer Sicht zu einem ganz bestimmten Zeitpunkt. Da ergibt sich die Energie aus dieser Bündelung, das ist eben die Energie von aufgeschriebener Musik. Da bin ich mir sicher. Das spürst du auch, wenn du das spielst. So eine 20-miütige Bach-Sonate etwa – das ist auch ein irrsinniges Feeling, so etwas zu spielen. Wobei ich denke, wirklich funktionieren kann das auch nur dann, wenn du dabei das Gefühl hast, das kommt jetzt von dir, in dem Moment. Die richtig guten Klassik-Interpreten verfügen ja meistens auch über eine ganz außerordentliche Persönlichkeit, die man auch in ihrer Musik wahrnehmen kann. Als Klassiker versucht du, den Komponisten total zu verstehen, die Komposition wird dann auch ein Teil von dir und kommt beim Spielen im besten Fall wie aus dir selbst.”
Sahib Shihab vom Art Ensemble of Chicago hat mal zu mir gesagt, ihm sei jeder Suspekt, der mit der Musik seiner eigenen nichts anzufangen weiß. Du selbst hast aber ohnehin keine Berührungsängste zu modernen Musikrichtungen , was im Programm deiner Band Marynade ja ganz deutlich zum Ausdruck kommt…
Maria Augustin: Ich glaube, irgendwann kommt man einfach an den Punkt, an dem es gar nicht mehr so wichtig ist, was man gerade spielt, Hauptsache das Feeling stimmt. Ab und zu ist ein altes Volkslied total schön, ein andermal ist es halt super, wenn man einfach nur ins Mikrofon hinein schreit. Wenn das Feeling passt, ist das irgendwie dasselbe. Die Beschäftigung mit unterschiedlichen Musikrichtungen kann auf jeden Fall nur eine Bereicherung sein, es gibt ja kaum noch jemanden, der sich nur auf einen bestimmten Stil draufsetzt. Vielleicht ist das auch so ähnlich wie mit den Sprachen. Je mehr Sprachen du bereits sprichst, desto leichter lernst du eine neue dazu, weil das Prinzip irgendwie überall dasselbe ist. Dadurch lernst du dann eben immer leichter – sicher hast du immer noch einen bestimmten Akzent, aber eine Französin, die Österreichisch spricht, mit Akzent, ist ja auch irgendwie süß, finde ich. Arnold Schwarzenegger in Herkules in New York ist vielleicht nicht so süß (lacht), aber wie auch immer. Im Endeffekt geht es ja doch immer darum, was man sagt, und nicht wie gut man die Sprache beherrscht.”
Apropos Sprache, dein Zugang zum Gesang ist ein sehr erfrischender, du hast nach einem Workshop einfach die Lust am stimmliche Ausdruck entdeckt und angefangen, deine Stimme auch auf der Bühne einzusetzen. Hast du jemals daran gedacht, sich dem Gesang auch über einen akademischen Zugang zu nähern?
Maria Augustin: Ich hab’ kurz daran gedacht, Jazz-Gesang zu studieren, das hat mich dann aber einfach nicht gereizt. Diese Bebop-Strömung zu Beispiel, dieses Gescatte, das ist mir eigentlich auch irgendwie suspekt. Obwohl ich selbst auch sehr viel improvisiere, aber eben nicht mit den Silben Scoobie-Doobie-Doo, sondern eben in meiner eigenen Art, mit irgendwelchen Lauten. Ich hatte mir irgendwann eine Scat-Schule aus der Stadtbibliothek ausgeborgt, da stand dann wirklich drinnen Doodlie-Bap, DoodlieTap, Doodlie-Bao. Ich frag’ mich halt schon, wieso ich mit meiner Stimme ein Saxophon oder eine Trompete imitieren soll. Das gilt aber irgendwie auch für viele Beatbox-Formationen, finde ich. Also, entweder hat das etwas Eigenständiges, oder das bringt es einfach nicht. Nur weil jemand mit seiner Stimme klingt wie ein Schlagzeug – ja. okay, nur der Wow-Efffekt ist dann auch irgendwann weg, so was gibt es heutzutage eh zuhauf – nur wenn du genauso klingen willst wie das Original-Instrument mit der Stimme, weiß ich nicht genau wo da der Sinn liegt. Es sei denn, du wolltest schon immer Schlagzeuger werden – aber hast keine Hände.
Wie erklärst du dir die unverhältnismäßige Aufteilung von weiblichen Jazz-Protagonistinnen im Gesangs- bzw. Instrumentalbereich?
Maria Augustin: Es ist mir selbst ein Rätsel, warum es – abgesehen von den vielen Sängerinnen – so weinig Frauen im Jazz gibt. Unter den Instrumentalisten finden sich eben nur ganz, ganz wenige Frauen. Das muss einfach auch einen Grund haben, denke ich. Die JazzWerkstatt hat halt den Ansatz, dass die Leute, die es eben gibt, etwas machen sollen – nur, darunter befinden sich eben nicht allzu viele Frauen. Wenn man sich anhört, wie über bekannte Jazz-Musikerinnen geredet wird, stößt man immer wieder an den Punkt, an dem thematisiert wird, dass es sich eben um eine Frau handelt. Wenn von einem Mann gesprochen wird, gibt es diese Diskussion einfach nicht. Wenn man die Situation beleuchtet, ist es so, das es ein Riesenthema ist, dass es sich um eine Frau handelt. Auch diejenigen, die sagen, es ist für sie kein Thema, machen sich in Wirklichkeit ja auch ihre Gedanken dazu. Da kommen natürlich immer gleich diese Überlegungen – wie hat sie es soweit geschafft, was spielt sie aus, wieso ist sie dort wo sie ist. Bei Männern fällt das alles weg, weil es da auch gar nicht die Tradition gibt, diesen Aspekt zu thematisieren. Man muss sich fragen, wie tief das wirklich sitzt, wenn sich sogar die liberalsten unter den Musikern fragen, ob ein Mann mit den selben Leistungen auch soweit gekommen wäre. Das ist eben einfach eine Tatsache, Frauen denken in dieser Hinsicht ja auch nicht anders als Männer. Die Frage ist, wie lange wird es brauchen, bis dieser Aspekt irgendwann wirklich kein Thema mehr ist.
(Martin Gansinger)