„/// STRUMA+IODINE / aus dem Off / akute sonische Statements / wuchernde Nischen Auswege und Störmanöver / Konsensfabrik-Streik / Genre-Blindheit / Dissidenz / Irritation und Immersion / heterogene Elektronik / idiosynkratischer Kosmos / Potlatch und Zeremonie / Experiment und Autonomie / unten durch und oben drüber //„ lautet die Selbstbeschreibung für das ELECTRIC SPRING – Programm 2016. Die Kuratorin SHILLA STRELKA, die auch für das das UNSAFE + SOUNDS-Festival verantwortlich ist betreibt die Veranstaltungsreihe „Struma+Iodine“, kurz S+I inzwischen seit 5 Jahren. In diesem Zeitraum hat sich S+I als ein wesentlicher Bestandteil innerhalb der experimentellen Wiener Musikszene positioniert, an dem man kaum mehr vorbeikommt. Das künstlerische Spektrum der Brookings ist auf den ersten Blick schwer zu fassen und genau darum geht es auch: S+I steht für ästhetische Vielheiten zwischen Dissidenz und Authentizität, ohne dabei Einheiten an den Oberflächen zu suchen. Am 6. November feiert STRUMA+IODINE nun das 5 Jahre-Jubiläum im Wiener RHIZ mit Ex-COIL-Mitglied DREW MCDOWALL, DIDI BRUCKMAYR und ZOSIMA. Im Gespräch mit Ada Karlbauer erzählte SHILLA STRELKA über Clubmusik als Sumpf des Immergleichen, DIY als ein von den Medien abgenützter Begriff, die Suche nach neuen Sprachen und neuen Dialekten in der Musik, sowie die Öffnung von eigenständigen Wahrnehmungswelten.
Wofür steht „Struma+Iodine“? Wie würden Sie einen S+I-Abend in wenigen Worten charakterisieren?
Shilla Strelka: Struma+Iodine steht für Offenheit, Radikalität und zeitgenössische musikalische Positionen, die versuchen Grenzen zu überschreiten. Egal in welche Richtung. Aufsprengen, ausbrechen, sich frei-machen von den Restriktionen der Konvention. Diese Musikerinnen und Musiker basteln an der Zukunft und möchten nicht im Sumpf des Immergleichen feststecken, was vor allem in der Clubmusik oft der Fall ist. Gleichzeitig geht es mir darum, ein Gefühl der Verschworenheit und einen Safe Space zu erzeugen. Wenn wir keine Dinge ausprobieren, können keine Veränderungen stattfinden und dafür benötigst du Freiräume. Diese sollte die Musik dir bieten.
„ Wenn wir keine Dinge ausprobieren, können keine Veränderungen stattfinden.“
S+I wurde 2012 gegründet, was war der Ursprungsgedanke und was hat sich seitdem verändert?
Shilla Strelka: Ich habe die Konzertreihe damals ins Leben gerufen, weil ich Künstlerinnen im Ausland kennengelernt habe, die auf der Suche nach Gigs in Wien waren. Weil ich die meisten davon persönlich kannte, habe ich nur mit Door-Deals gearbeitet, d.h. jeder hat bekommen, was eingenommen wurde und war ok damit. Ich habe anfangs auch noch öfters Off-Spaces bespielt. Mit den Jahren hat sich das geändert. Mittlerweile findet ein Großteil der Konzerte im Rhiz statt und ich arbeite fast nur mehr mit Musikerinnen und Musikern, die fixe Gagen einfordern und teilweise eingeflogen und in Hotels untergebracht werden müssen. War der Ursprungsgedanke aktiv an einer Szene teilzuhaben und diese zu supporten, ist seit einigen Jahren der kuratorische Aspekt dazugekommen. Ich versuche Acts zu buchen, deren Stimme ich relevant finde. Einerseits ist das ein Luxus, andererseits ist das finanzielle Risiko ungleich höher.
Transgression, Dekonstruktion, Intensität nur einige Stichwörter um die bisherigen Bookings mit Wörtern zu charakterisieren, darunter Puce Mary, Kara-Lis Coverdale, Container, Oren Ambarchi, Rabit oder Philip Jeck.Wie würden Sie den Blickwinkel beschreiben, den S+I im musikalischen Vokabular der unterschiedlichsten Künstlerinnen und Künstler sucht und findet?
Shilla Strelka: Das ist eine schwierige Frage, weil ich versuche ganz unterschiedliche Ästhetiken unter einen Hut zu bringen. Es geht mir vorrangig um ein ähnliches Mindset, eine Haltung. Ich persönlich würde es eine Mischung aus Dissidenz und Authentizität nennen. Der Begriff des Authentischen ist zwar schwierig, aber es geht hier mehr um Autorenschaft. Die Möglichkeit in der Musik auf die Wirklichkeit zu reagieren und das auf eine individuelle, aber konsequente Art. So unterschiedlich sie auch sind – es sind Statements, die für sich selbst einstehen können, die nicht Mittel zum Zweck sind oder dem Auftrag der Bespaßung nachkommen wollen und keinen oder nur sehr geringen musik-wirtschaftlichen Restriktionen unterworfen sind. Gleichzeitig ist es die bewusste Abkehr vom Mainstream und damit das Eintauchen in neue Formen der Erfahrung und die Suche nach neuen Sprachen, neuen Dialekten in der Musik. Viele dieser Acts öffnen eigenständige Wahrnehmungswelten oder attackieren physisch, andere wiederum arbeiten mit unwahrscheinlich fragilem, intimen Klangmaterial und andere mit Beats oder großen Genre-Strukturen, die dekonstruiert werden.
Wie würden Sie ihre persönliche musikalische Sozialisierung beschreiben und welche Auswirkungen hatte diese auf die aktuelle Arbeit mit Struma+Iodine oder Unsafe+Sounds?
Shilla Strelka: Ich bin eigentlich mit klassischer Musik großgeworden. Mein Vater war Konzertpianist und danach an der Staatsoper beschäftigt, was sicher Auswirkungen darauf hatte, wie ich Musik rezipiere. Als ich als Teenager auf Free Jazz und schließlich auf Noise gestoßen bin, hat mir das die Augen geöffnet und den Blick darauf, was Musik alles meinen kann. Ich habe nie verstanden, wie jemand sich nur einer Szene, einer Sprache zugehörig fühlen kann und das weite Spektrum avancierter Musik freiwillig begrenzen. In der Konfrontation mit Sound eine Form von Befreiung zu empfinden, ist für mich seitdem ein zentraler Moment und eine Erfahrung, die ich mit anderen teilen möchte. Dieser Moment der Immersion, der gleichzeitig auch etwas sehr Poetisches haben kann ist quasi der Nullpunkt für mich. Er birgt eine ungeheure Potenz. Abstrakte elektronische Musik wie Drone, Noise, Ambient und Techno funktioniert immersiv und katapultiert dich in eine andere Sphäre. Dasselbe schaffen aber auch Musiker wie Florian Hecker oder Marcus Schmickler, die sehr analytisch arbeiten und mit bio-akustischen Experimenten unsere Wahrnehmung durcheinander bringen. Alle diese Sprachen wollen die Wirklichkeit neu oder zumindest auf andere Art erfahrbar machen.
Das Programm wird oftmals mit dem Begriff der Nische assoziiert, was sind Ihre Empfindungen dazu?
Shilla Strelka: Ich habe keine negativen Assoziationen mit dem Begriff der Nische – ich verstehe darunter einen Schlupfwinkel, eine Zone künstlerischer Freiheit. Massentauglichkeit kann sowieso kein relevantes Instrument sein, um die Qualität musikalischer Positionen zu eruieren. Keine Kunstgattung scheint mir ähnlich von der Industrie des Mainstream korrumpiert wie Musik. Insofern ist es fast notwendig, aus dem Hinterhalt zu attackieren.
In der oben zitierten Selbstreflexion wird die Genre-Blindheit erwähnt, wie wesentlich ist es Genre-Zwänge in der Praxis zu überwinden? Handelt es sich dabei um einen konkreten Prozess oder ergibt sich das aus der Arbeitsweise der eingeladenen Künstlerinnen und Künstler?
Shilla Strelka: Genre-Blindheit meint hier, wie oben erwähnt, dass es mir um eine Haltung geht und nicht darum eine bestimmte Szene zu bedienen. Außerdem fühlen sich die wenigsten VertreterInnen elektronischer Musik nur einem Genre zugehörig. Das wird von Musikjournalisten gemacht und fällt dann auf sie drauf. Die Grenzen haben sich mittlerweile verflüssigt, genauso wie Szenen sich tendenziell nicht mehr durch Ausgrenzung definieren. Es finden sich oftmals ästhetische Verwandschaftsverhältnisse und klar, es wird mit ähnlicher Hard- und Software gearbeitet, bzw. die gleichen Instrumente gespielt und niemand produziert aus dem Nichts heraus.
Können Sie sich mit der klassischen Definition einer Kuratorin identifizieren? Wie würden Sie ihre Arbeitsweise beschreiben?
Shilla Strelka: Ja, definitiv. Auch wenn die finanziellen Mittel einen großen Einfluss auf die Kuratierung haben. Im Prinzip geht es darum zu filtern und zu kombinieren und im besten Fall einen größeren Kontext zu öffnen. Gleichzeitig trage ich meistens persönlich das Risiko, insofern ist Kuratorin etwas glamourös ausgedrückt. Ich muss realistisch sein und abwägen, möchte aber auch gewissen Anforderungen gerecht werden.
Im Bereich der experimentellen elektronischen Musik/Clubmusik gibt es oftmals ästhetische Trenderscheinungen die für einen gewissen Zeitraum alle Magazine und Festivals bevölkern, nach kurzer Zeit sind diese dann meist vergessen. Wie schaffen Sie ein ausgewogenes Verhältnis zwischen zeitgemäßen Brookings und autonomen Statements ohne dabei kurzweiligen Strömungen zu folgen? Wie wichtig ist es Ihnen in diesem Kontext Erwartungen einzuhalten?
Shilla Strelka: Mir geht es sehr stark um Verhältnisse. Das heißt das Gegenwärtige auch in Bezug zu seiner Geschichte zu lesen. Wenn ich jemanden wie Merzbow, Bill Orcutt oder Philip Jeck einlade, die alle schon auf die 60 zugehen, dann haben diese Künstler großen Einfluss auf jüngere Kolleginnen und Kollegen gehabt. Ich habe viel von der älteren Generation gelernt und finde diesen Austausch produktiv. Ich glaube dieser Ansatz unterscheidet S+I von anderen Konzertreihen. Genauso wichtig ist es mir aber auch neue Stimmen aufzuspüren. Du wühlst dich durch Label-Kataloge, Soundcloud und Magazine und versuchst zu filtern, welcher Act Potential hat. Intuition spielt da bestimmt eine Rolle.
In der Event-, und Festivalpraxis spielt Theorie sukzessive eine immer zentralere Rolle. Welches Potenzial ergibt sich durch diese Erweiterung? Besteht die Möglichkeit einer Über-Theoretisierung, die Sound selbst nicht mehr einhalten kann?
Shilla Strelka: Es ist optional, ob du dich mit der Theorie auseinandersetzt oder ob dir die sinnliche und soziale Komponente von Musik reicht. Ich finde es bewundernswert, wenn es MusikerInnen schaffen, einen Kontext um ihre Arbeit zu spinnen und versucht wird, Inhalt zu vermitteln. Das Artwork spielt da natürlich eine große Rolle, aber auch Websites, Videos, Interviews, bis hin zu Tracktiteln können aufschlussreich sein. Theorie und Text können eine zusätzliche Perspektive eröffnen und geben mir als Veranstalterin auch die Möglichkeit zu kommunizieren, warum unterschiedliche Positionen zusammengebracht werden. Wenn dir das egal ist, musst du den Text dazu nicht lesen. Es ist nicht notwendig, um die Musik zu erfahren, soviel ist klar. Diese Übersetzungsarbeit von Sound und Sprache ist sehr schwierig und oftmals obsolet, gleichzeitig müssen wir die Möglichkeit haben, zu theoretisieren, weil Musik genauso Aussagen über die Gegenwart trifft, wie jede andere künstlerische Disziplin. Um das endlich zum Common Sense zu machen, ist es vielleicht auch notwendig, Theorie und Text zu verstärken, Diskussionen und Talks zu fördern.
„Musik ist für mich wie ein Wurmloch, ein Weg in eine andere Sphäre, aber auch ein Heranzoomen an das, was wir Wirklichkeit nennen“
Wie wichtig sind Themen wie Weltenflucht, Immersion, temporäre Utopien oder Eskapismen, ausgelöst durch künstlerische Prozesse, für S+I?
Shilla Strelka: Das ist eine gute Frage. Auch deshalb, weil ich mich erinnern kann, dass das für mich anfangs eine große Rolle gespielt hat – Utopien und Eskapismen. Ich war stark geprägt von der Philosophie Hakim Beys. Als ich begonnen habe zu veranstalten oder eigentlich schon davor, hat mich die Idee der TAZ sehr fasziniert. TAZ und DIY folgen für mich dem gleichen Gedanken – für einen Moment einen Bereich der Autonomie und der Selbstbestimmung zu schaffen. DIY bedeutet Idealismus zu leben, Gleichberechtigung, Selbstermächtigung und Partizipation. Das sind im Prinzip die Bausteine aus denen sich Utopien formen lassen. Musik ist für mich wie ein Wurmloch, ein Weg in eine andere Sphäre, aber auch ein Heranzoomen an das, was wir Wirklichkeit nennen. Es kann also etwas Kathartisches, Eskapistisches haben, es kann aber auch die Aufmerksamkeit gegenüber der eigenen Realität anspitzen. Das ist eine großartige Qualität. Musik trägt dich woanders hin, kann aber auch dein analytisches, intellektuelles Interesse anregen.
Welches Potenzial würden Sie Sound als politisches Medium aktuell zuschreiben?
Shilla Strelka: Ich habe das schon öfters erwähnt, aber für mich sind Fragen der Ästhetik nicht von Fragen des Politischen zu trennen. Ganz grundsätzlich. Wahrnehmung ist per se politisch, weil die Art, wie wir Dinge wahrnehmen schon ideologisch, d.h. hegemonial vorgeformt ist. Deshalb interessiert mich jede Form von ästhetischer Dissidenz, jede Abweichung, Öffnung, jedes Ausbrechen aus konventionellen Sprachen. Da geht es um Konsequenz, Mut, Neugierde viel mehr noch als um Geschmack. Das ist für mich implizit politisch. Diese Sounds fordern Offenheit ein. Was mich nicht interessiert, ist Musik, die sich explizit mit Politik auseinandersetzt und das in Texten thematisiert. Außerdem verorte ich in der Live-Erfahrung von Musik, die immer kollektiv ist, auch ein demokratisches Moment – eine Gleichschaltung.
Was sind die konkreten Schattenseiten des DIY-Veranstaltens?
Shilla Strelka: Ich denke mittlerweile, dass der Begriff DIY-Veranstalterin nicht mehr auf mich zutrifft und möchte ihn langsam abstreifen. Meine KollegInnen und ich leisten oft das gleiche wie die Booking-Agents der großen Clubs – mit dem einzigen Unterschied, dass wir nicht entlohnt werden, selbst das Risiko tragen und uns dafür auch noch um Produktion und Presse kümmern müssen. Sobald Agenturen, Verträge, Flüge, Hotels, das heißt fixe Kosten involviert sind, geht es nicht mehr um DIY. DIY ist in den letzten zehn Jahren leider zu einem von den Medien abgenützten Begriff verkommen, der im neoliberalen Kontext auch unbezahltes Arbeiten und Selbstausbeutung meinen kann. Die positive Bedeutung der Selbstermächtigung und Autonomie weicht in vielen Darstellungen der Idee des Amateurhaften
Wie wichtig sind Faktoren der virtuellen und lokalen Vernetzung mit anderen Künstlerinnen und Künstlern, Kulturschaffenden und der Wiener Community?
Shilla Strelka: Sehr wichtig. Wobei ich die Community als offen und lose beschreiben würde, nicht exklusiv. Es sind Gleichgesinnte, die auf meinen Veranstaltungen aufeinander treffen. Mir ist über die Jahre bewusst geworden, dass ein Großteil meiner BesucherInnen selbst als MusikerInnen oder VeranstalterInnen aktiv ist. Immer mehr kennen sich untereinander. Auf diese Art webt sich konstant ein Netzwerk, das immer größer wird. Das ist ein schönes Gefühl, auch wenn Leute, die du schon seit vielen Jahren kennst, endlich ihren Durchbruch haben und beginnen auf größeren Festivals zu spielen. Du begleitest diese MusikerInnen ja auch und hast Teil an ihrer Entwicklung, gleichzeitig knüpfen sich Freundschaften,.
Die lokale Wiener Szene stand auch seit Beginn an stets im Fokus darunter Künstlerinnen und Künstler wie etwa Jung an Tagen, Asfast, Nachtbote oder Paul Gründorfer.
Shilla Strelka: Das ist für mich selbstverständlich. Mir ist es wichtig, die lokale Szene genauso in den Blick zu nehmen wie internationale Acts und da einen Austausch zu ermöglichen. In Wien hat sich in den letzten zehn Jahren wirklich sehr viel getan. Es gibt hier extrem viel Potential, das gefördert werden sollte. Und MusikerInnen sollten die Möglichkeit bekommen, ihr Projekt live und über eine gute Anlage einem Publikum vorzustellen. Die Leute untereinander finden so auch mehr zusammen. Da tut sich etwas und ich bin wirklich glücklich, Teil davon sein zu können und das zu supporten
Am 6. November feiert S+I nun das 5-jährige Jubiläum im Wiener Rhiz. Worauf kann man sich gefasst machen?
Shilla Strelka: Ich habe dazu Drew McDowall, ehemaliges Bandmitglied von Coil eingeladen. Er ist eigentlich sowas wie ein Industrial-Urgestein und hat auch schon mit Psychic TV zusammengearbeitet. Didi Bruckmayr von Fuckhead – lokales Enfant Terrible – spielt eines seiner seltenen Solo-Konzerte und Zosima von dem Label Noiztank legt auf.
Vielen Dank für das Gespräch!
Ada Karlbauer
Struma+Iodine = 5 years anniversary
6.11. Rhiz (U-Bahnbögen 37, 1080 Wien)
feat. DREW McDOWALL (ex-Coil, ex-Psychic TV), DIDI BRUCKMAYR (Fuckhead, Wipeout)