Salzburger Festspiele: Wolfgang Rihms Dionysos im Haus für Mozart (Premierenbericht von der Uraufführung)

„Es kann kein Komponisten-Äquivalent zu Picasso oder van Gogh als Marktgrößen geben. In der Malerei genügen drei, vier Kenner und ein potenter Käufer, und die Sache ist geregelt. Die Musik ist einem permanenten Plebiszit ausgesetzt“, schreibt der Komponist im Programmheft seiner Opernphantasie „Dionysos“ alias N(ietzsche). Das Plebiszit des Publikums nach der Premiere fiel so aus: Begeisterte Zustimmung und Annahme. Nach Mieczylsaw Weinbergs Auschwitz-Oper „Die Passagierin“ in Bregenz war dieser Rihm die zweite szenische Uraufführung Neuer Musik bei einem großen österreichischen Festival innerhalb von einer Woche.

Das mica verfasst hier keine „Kritik“ der Aufführung gestern Abend, bevor eine solche von den Kritikern der österreichischen und internationalen Presse erscheint. Diese „Szenen und Dithyramben“ (Worte von Friedrich Nietzsche, Text von Wolfgang Rihm) beindruckten jedenfalls sehr. „Off records“  kann der Autor dieser Zeilen erzählen, Salzburgs Bürgermeister auf der Freitreppe vom 1. Rang auf die Gasse nach der Aufführung zufällig getroffen zu haben. Der war auch höchst angetan und sagte zum Autor dieser Zeilen, er sei verwundert und erfreut über die positiven Reaktionen des Premierenpublikums.

Sicher ist: Diese Musik, die auch von häufigen Wortwiederholungen lebt, ist eigentlich auch eingängig, sie ist von unmittelbarer Wirkung. „Ich glaube, dass das Verstehen von Musik ein unabschließbares Öffnen ist. Wir verstehen Musik, indem wir uns immer weiter öffnen, bis zur Möglichkeit des Verschwindens. Musik ist wohl nur in der Form der Hingabe erfahrbar“ Diese hatte hörbar auch das Deutsche Symphonie-Orchester Berlin unter der Leitung des Dirigenten Ingo Metzmacher bewiesen.

Der auch als Autor tätige „Keine Angst vor der Neuen Musik“-Mensch Metzmacher schildert im Programmheft das erste „Überfliegen“ der erst spät fertig gewordenen Partitur: „Der erste Blick kann entscheidend sein. Ein Frauenlachen. Geigentriller aus dem Nichts. Willst du mich ganz? Der erste gesungene Text. Ich blättere weiter. Die Szene spielt auf einem See. N. versucht zwei Nympen zu erhaschen. Der Klang erscheint mir leicht und hell. Hat Nietzsche nicht immer gegen die wolkige Schwermut der deutschen Musikgewettert. Hohes Holz, Harfen, Celesta. Virtuose Streicher. Die Mischung stimmt. Beim Schlagzeug schaue ich genauer hin. Vibraphon, Marimba. Das war zu erwarten. Doch was ist das? Steeldrums? Ich reibe mir die Augen. Die steeldrum stammt aus Trinidad. Ein Instrument des Volkes (…) Eine Ariadne versucht singend alles, um N. zum Sprechen zu bringen. Hoch, höher, am höchsten. Vergeblich. Unförmige Laute quält er sich ab. Dann plötzlich: Ein gesungener Aufgang in c-Moll. Ich bin dein Labyrinth. Molto cantabile.“ Dann folgt der „Gast“, ein Tenor …

In vier Szenen, die keine lineare Erzählung bilden, kann man unterschiedliche Lebensstationen von N. verfolgen. Seine Unfähigkeit zu sprechen und seine Unfähigkeit zu lieben oder sich zu binden treiben ihn in eine Isolation, der er nur mit völliger Hingabe und einer Philosophie der Heiterkeit begegnen kann. Es gibt – sie gehen auf Nietzsche zurück – Wortspiele wie „Einsiedler ohne Gott-Zweisiedler mit dem Teufel; Selbstkenner –Selbsthenker; Das Labyrinth, das Lalalalabyrinth, die Labyrihihihihi; die, deine Wahrheit …“) „Das Werk endet mit jener berühmten Szene auf einem Platz in Turin – sei sie Wahrheit oder Legende – , als Nietzsche mit ansehen musste, wie ein Pferd von einem Kutscher geschlagen wurde, der Philosoph in Tränen ausbrach und sich schützend vor das Tier stellte“, schreibt Klaus Bertisch für die SN-Daily vom 28. Juli. N. hat sich verdoppelt, gegen das Schlagen agiert ein Tänzer als die „Haut“ (!). Denn N. hat Apollon in der Szene zuvor die Haut abgezogen.

Grandios verkörpert der Bariton Johannes Martin Kränzle die Titelrolle, Mojca Erdmann ist der 1. hohe Sopran (die Ariadne), Matthias Klink (Tenor) fungiert als „Ein Gast“ – eine Chiffre für jede Männerfreundschaft, auch für den Eifersüchtigen, den Konkurrenten, schließlich auch für den Gott Apoll. Es gibt auch Chor, den spielt und singt die Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor.

Und das alles kongenial, fast (ek)statisch, “plakativ“, ins Bild gesetzt hat der in Berlin lebende Jonathan Meese, er selbst auch Maler, Skulpturenmacher, er macht Installationen, Performances, Collagen, Videokunst und – Theaterarbeiten. Auch von ihm gibt es Interviews. Auf die Frage des Amsterdamer Chefdramaturgen, ob er sich als Künstler bei den präzisen Vorgaben Rihms für eine Oper nicht eingeengt fühle, antwortet er: „Nein, im Gegenteil! Ich fühle mich vergewaltigt, wenn von außen an mich herangetragen wird, dass ich etwas kompliziert machen soll. Es muss plakativ bleiben. (…) Bei uns geht es um spielerische Elemente: Quadrat, Kreis, Dreieck, das Unendlichkeitszeichen, eigentlich nichts Besonderes“ (hm? möchte man fragen nach dem man das alles gesehen hat!). Visuell gibt es auch Plakate mit japanischen Elementen (Meese wurde 1970 in Tokio geboren): Eine Sake-Flasche mit der Aufschrift: „NIETZSCHE SAKE. Pferdeschnaps. Drink Dionysos-Sake.“

„… ein vielseitiges Werk. Dankbar für alle Beteiligten“, schreibt Metzmacher. Auch wir, die dabeisein durften bei der Premiere, sind dankbar. Aus Salzburg folget im August erneut eine Berichterstattung, diesmal über Neue Musik aus Österreich: „Lulu“ von Alban Berg und Friedrich Cerha in einer Neuinszenierung.
Heinz Rögl

Fotos Dionysos © Ruth Walz
Jonathan Meese © Jan Bauer.Net/ Courtesy Jonathan Meese.Com

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