Salzburger Festspiele: Kontinent Varèse und Olga Neuwirth (Nachbericht)

Den von Markus Hinterhäuser kuratierten Schwerpunkt zu Edgard Varèse (1893-1965) trommelte Martin Grubinger ein, sehr überzeugend waren dann auch vier Konzerte in der Kollegienkirche mit dem Klangforum Wien u. a. mit einem Werk von Olga Neuwirth,  “les jeunes solistes” sowie dem Ensemble Modern Orchestra. Auch die Wiener Philharmoniker führten Edgard Varèse auf (unter Riccardo Muti), sie spielten aber in der Felsenreitschule besonders gut bei Luigi Nonos azione scenica “Al gran sole carico d’amore” (unter Ingo Metzmachers Leitung). Und der Staatsopernchor sang dazu “Avanti popolo, a la riscossa, bandiera rossa trionferá.” Na also. “Su, lottiamo!” Mit 13 (!) Schlagzeugern ging es am 5. August in der Felsenreitschule auf diesem Kontinent los, neben “Ionisation” erklangen auch Werke von “Verwandten” oder Weggefährten Edgard Varèses wie Iannis Xenakis, Giacomo Manzoni, Luigi Dallapiccola (“Canti di prigionia”), Morton Feldman (“Rothka Chapel”), dem Vorläufer modernen Komponierens Claudio Monteverdi und eben auch Olga Neuwirth mit “Construction in Space – Hommage a Naum Gabo” (2000), gespielt vom Klangforum Wien unter Sylvain Cambreling.

Construction in Space
Olga Neuwirths “Construction in Space” eröffnet in der Tat ein neues Hören von Klang und Raum, ist Neue Musik – eine Utopie, die bereits Edgard Varèse beschäftigte: die Wahrnehmung des Publikums zu verändern. Es beschäftigt vier als Eckpunkte eines Vierecks im Querschiff der Kirche verteilte Solisten (Bassflöte, Bass- und Kontrabassklarinette, Saxophon, Tuba), des Weiteren vier “quadrophonisch” im Raum verteilte Ensemblegruppen und, nicht zu vergessen, faszinierende “Live-Elektronik” (Klangregie: Peter Böhm, Corinne Schweitzer, Markus Urban).

Neuwirths Stück entstand ursprünglich als musikalische Ebene des Films “The Long Rain”, den die Komponistin gemeinsam mit dem Regisseur Michael Kreihsl realisierte. Es geht um die Schilderung einer auf einem fremden Planeten gestrandeten Raumschiff-Besatzung. Dieser Planet wird durch permanenten Regen in allen seinen Erscheinungsformen gekennzeichnet – die Astronauten suchen nach einem künstlich angelegten Zufluchtsort und damit nach Erholung, Wärme und ein bisschen Geborgenheit.

Mit diversen Modifikationen sah Olga Neuwirth diese Komposition aber auch zu einer rein instrumentalen Aufführung unter neuem Titel vor. “Construction in Space” bezieht sich auf die Arbeiten des Konstruktivisten Naum Gabo (1890-1977). Gabo suchte vor allem in seinen Plastiken eine spezifische Anordnung von Flächen und Linien herzustellen, die dynamische Rhythmen und imaginäre Bewegungen simulieren. Neuwirth stellt die Zuhörenden von allen Seiten in den Dauerbeschuss des ständigen (Klang-)Regens, der manchmal zum Orkan anschwillt, der ersehnte Zufluchtsort kann nur erahnt werden. Erst gegen Ende entfaltet sich dieser als identifizierbares Zitat einer Version von Miles Davis von Frank Sinatras Song “There’s a Rainy Day”.

Die Verlaufsform des Werks ließe sich – folgt man dem Kommentar von Stefan Drees – als “variierte Rondostruktur” begreifen: “Musik als sich permanent verändernde, skulpturartige Gesamtheit . Die Konzertsituation wird so zu einer Erfahrung, die eine Abkehr von der passiven Hörhaltung unterstützt und das Publikum mit neuen Gestaltungsformen auf besondere Weise fordert”.

In diesem schönen Konzert gab’s überdies eine Konfrontation von Olgas Musik mit Musikgeschichte – im ersten Teil erklang Monteverdis italienischsprachiges “Lamento d’Arianna” a 5 voci (1614) im neuen monodischen Opernstil, das der erste moderne Komponist des Abendlandes kurzerhand ins Lateinische übertragen 1641 in einen “Pianto della Madonna” a voce sola umwandelte, gekrönt von einem im Kontrast dazu polyphon komponierten “Magnificat” a sei voci (aus “Vespro della Beata Vergine” 1610, teils noch im “alten” Palestrina-Stil).

Edgard Varèses “Ameriques” (1929) standen auf dem Programm eines Konzertes des RSO Wien unter Bertrand de Billy, kaum weniger aufwändig besetzt wie die von den Philharmonikern gespielten “Arcana” (1925-27, revidiert 1960). In der Kollegienkirche bestach – mehr noch als die “Philis” – das Ensemble Modern Orchestra unter der Leitung von Francois-Xavier Roth bei Varèse sowie mit James Tenney (1934-2006) und Wolfgang Rihm (“Form / 2 Formen”), von dem im Jahr 2010 eine neue Oper in Salzburg uraufgeführt werden wird (“Dionysos”, wieder unter Ingo Mettzmacher). Im zweiten Konzert mit dem Ensemble Modern faszinierte besonders Otto Katzameier (er war auch die Hauptfigur in Georg Friedrich Haas’ “Melancholia” in Graz) mit Edgard Varèses “Ecuatorial” (1932-34) für Bassbariton solo, acht Blechbläser, Klavier, Orgel, zwei Ondes Martenot und sechs Schlagzeuger, auch Julie Moffat in dessen “Offrandes”. Krönenender Schlusspunkt: Iannis Xenakis’ “Alax” (1985) für drei Ensembles. Da ging die Post ab.

Zum Abschluss von “Kontinent Varèse” am 15. August noch ein Konzert des “ensemble recherche” unter Peter Rundel, vor allem mit Gérard Griseys “Vortex temporum”.

 

Georg Kreisler

Anlässlich des Auftritts von Georg Kreisler, der nunmehr wieder in Salzburg lebt, bei Daniel Kehlmanns Reihe (“Dichter zu Gast”) konnte das mica ein schönes Interview mit ihm in Auftrag geben. Eine Oper von ihm – “Der Aufstand der Schmetterlinge” – wurde in Wien 2001 von der Operngruppe “Netzzeit” von Michael Scheidl uraufgeführt. Seine zweite Oper “Das Aquarium” wird im November 2009 in Rostock uraufgeführt werden. Kreisler wird den Kehlmann-Abend auch in Wien im Oktober wiederholen.

An dem Abend mit Daniel Kehlmann erzählte Kreisler auch, wie er 1945 als Angehöriger der US-Army bei den Nürnberger Prozessen Verhöre mit Hermann Göring und dem “Stürmer”-Autor Streicher zu führen hatte. Kehlmann besorgte die Liederauswahl, nicht zuletzt auch das vom Ober eines Restaurants, der schwört, dass er nicht der erste, aber auch nicht der letzte sein würde, der Bomben streut: “Und liegt der Staatsanwalt in seinem Blut – dann geht’s mir gut, dann geht’s mir .”

Der Autor dieses Beitrages erinnert sich noch an Georg Kreislers Auftritte bei der Wiener “Freien Österreichischen Jugend”, wo er ein bisschen schüchtern und linkisch für sein Publikum die Faust zum sozialistischen Gruß ballte. Und ist sich dessen bewusst, dass, wenn er das hier erzählt, der Kreisler schon wieder nicht ins Fernsehen kommt und seine neue Oper soll in Rostock aber nicht hier aufgeführt werden, nicht wahr .? Schade, aber von seinen Liedern kenn’ ich die meisten auswendig, weil ich so ein Fan von ihm und seiner Kunst bin. Und ich bin vielleicht nicht der einzige.

Heinz Rögl

 

Foto Martin Grubinger: Körner