Porträt: Christian Muthspiel

Der Komponist, Dirigent, Posaunist, Pianist und Maler Christian Muthspiel, geboren 1962 in Judenburg, war seit frühester Kindheit von Musik umgeben. Sein Vater, Kurt Muthspiel – ein angesehener Chorerzieher und Komponist –, beschäftigte sich intensiv mit weltlicher und geistlicher Chormusik zurück bis in das 13. Jahrhundert und verfasste mit Vorliebe Texte für Volkslieder und Jodler. Dies hinterließ natürlich tiefe Spuren in Christian Muthspiels Karriere, die sich seither gekonnt durch Genregattung wie Jazz und improvisierte Musik, Elektronik, Weltmusik, Neue Musik und Klassik windet. Dabei schöpft Muthspiel nicht selten aus seinem profunden musikalischen Sozialisationsschatz und lässt mit spannenden, bisher unerhörten und genreübergreifenden Projekten aufhorchen.

Im Alter von sechs Jahren begann Christian Muthspiel  mit dem Klavierunterricht, der ab seinem elften Lebensjahr um das Posaunenspiel erweitert wurde. Bereits als junger Musiker wusste er seinen eigenen Weg zu gehen, was aus der Tatsache ersichtlich ist, dass Muthspiel sein Posaunenstudium (Klassik und Jazz) an der Musikhochschule Graz – wie er sagt – „rechtzeitig und freiwillig“ abgebrochen hat.  Stattdessen gründete er lieber gemeinsam mit Tscho Theissing und Heinrich von Kalnein das „Orchesterforum Graz“, das sich rasch im Crossover-Bereich etablierte. Von dieser Formation stammt vermutlich auch Muthspiels erste CD „Aus dem Tagebuch der Grenzgänger“, die 1985 aufgenommen wurde. Parallel betätigte er sich außerdem in der Gruppe „Fidelio & Blasius“ zusammen mit Tscho Theissing, Alex Deutsch und Ewald Oberleitner. Seine musikalische Ausbildung setzte er schließlich in den Jahren 1987 und 88 als Stipendiat am Banff Centre, Kanadas führenden Institution kreativer Künste, in den Fächern Klavier, Posaune und Komposition fort. Seither ist Muthspiel als Musiker in unterschiedlichsten Formationen sowie als Komponist, Dirigent und bildender Künstler tätig.

Betrachtet man Muthspiels mannigfaltigen Aktivitäten als Posaunist und Pianist, sind vor allem die folgenden Projekte zu nennen, bei denen er zum Teil als Leader, Co-Leader oder Sideman tätig war. So etwa das von 1990 bis 95 aktive „Octet Ost I, II und III“ u.a. mit Tomasz Stanko, Nicolas Simion, Anatoly Vapirov, Klaus Koch, Wladimir Tarasov, Anca Parghel und Sainkho Namtchylak, die anschließende neunjährige höchst erfolgreiche Zusammenarbeit mit dem „Vienna Art Orchestra“, die Formation „European Brass“ oder die beiden Duoprojekte „Christian Muthspiel & Motley Mothertongue“, sowie gemeinsam mit seinem Bruder Wolfgang unter dem Titel „Muthspiel & Muthspiel“. Zu seinen aktuellen Projekten zählen das „Christian Muthspiel Trio“ mit dem Vibraphon-Virtuosen Franck Tortiller und Bassisten Georg Breinschmid – das auch teilweise zu einem Quartett mit Franck Tortiller, Steve Swallow am E-Bass und Matthiew Michel an der Trompete erweitert wird –, die viel umjubelte „Yodel Group“ mit Matthiew Michel, Franck Tortiller, Gerald Preinfalk am Saxophon, Jerome Harris am E-Bass und Bobby Previte am Schlagzeug, sowie die Soloprogramme „mozart loops“ und „für und mit ernst“.

Mit dem „Christian Muthspiel Trio“ wurden bereits zwei CDs veröffentlicht, auf denen sich die Musiker höchst unterschiedlichen Themen zuwenden. Zum einen die 2007 erschienene CD „against the wind“ – eine Hommage an zwei der größten Österreichischen Jazzmusiker, Werner Pirchner und Harry Pepl, die gemeinsam als „Jazzzwio“ von 1977 bis 85 für Furore im In- und Ausland sorgten – und zum anderen das 2009 veröffentlichte Album „Dancing Dowland“, wo der Instrumentalzyklus „Lachrimae, or Seven Tears“ des englischen Renaissancekomponisten John Dowland den Ausgangspunkt für eigene Interpretationen darstellte. Dieses Projekt zeigt auch eindrucksvoll, wie Christian Muthspiel die Eindrücke seiner Kindheit verarbeitet: „Als Sohn eines Musikers, der sich schon ab den 1950er-Jahren intensiv mit Alter Musik beschäftigt hat, gehörte die Musik der Renaissance zum Soundtrack meiner Kindheit. Die wie endlos wirkenden, schwerelos schwebenden, von Taktstrichen unbehelligten Linien der polyphonen Stimmengeflechte eines Tallis, Ockeghem, Schütz, Allegri oder eben Dowland üben bis heute größte Faszination auf mich aus.“

Christian Muthspiel (c) Joseph Schimmer

Muthspiels Hauptprojekt im Bereich Jazz ist die 2009 eigentlich als Auftragsprojekt für das Jazzfestival Saalfelden ins Leben gerufene „Yodel Group“. Ähnlich wie mit John Dowland, war Muthspiel bereits in früher Kindheit mit Jodlern konfrontiert, die gemeinsam mit seinem Vater und Bruder bei Bergbesteigungen am Gipfel gesungen wurden: „Die Jodler haben oft in mir etwas bewegt, Jodler waren bei uns in der Familie ein Ritual: Nach dem Erreichen des Gipfels singt man einen Jodler ins Tal, es ist eine Belohnung für die Mühe des Aufstiegs.” Seither erfreut sich die österreichisch-französisch-schweizerisch-amerikanisch besetzte Formation im In- und Ausland größter Beliebtheit. Da der Fundus an Volksliedern und Jodlern schier Unendlich ist, wurden in der kurzen Zeit des Bestehens auch bereits die beiden CDs „May“ (2010) und „Huljo“ (2011) veröffentlicht, auf denen auf spannende und teilweise aberwitzige Art und Weise traditionelle Jodler und Volksmusik mit Jazz und Blues zu etwas bis dato noch nicht dagewesenen vermengt werden.

Im Bereich Literatur und Musik setzt sich Muthspiel mit seinem Soloproramm „für und mit ernst“ intensiv mit dem Werk von Ernst Jandl auseinander, dessen Gedichte mit Christian Muthspiels facettenreichem Spiel in Dialog treten und so zusätzliche Tiefe und Intensität erlangen. Daneben arbeitete er im Rahmen von Auftragsarbeiten im Bereich Musiktheater mit Hermann Beil, Manfred Karge oder Andrea Breth zusammen.

Seit 2003 ist Christian Muthspiel verstärkt als Dirigent und Komponist für eine Reihe von namhaften Orchestern wie zum Beispiel Camerata Salzburg , Münchner Kammerorchester, Niederösterreichische Tonkünstler Orchester, Klangforum Wien, Orchester recreation, Ensemble die reihe, Bruckner Orchester Linz, Philharmonie Essen, Staatsorchester Hannover, RSO Wien oder dem MIAGI Jugendorchester Südafrika tätig. Mit diesen setzt er teilweise eigene Zyklen sehr speziell programmierter Konzerte wie etwa dem vierteiligen Projekt „mozart loops“ oder „new series“ um. Kompositionsaufträge erhielt er seither u.a. von der Staatsoper Hannover, dem Wiener Musikverein, dem „Siemens Arts Program“ oder der Ruhrtriennale.

Als neue Facette in Muthspiels bisheriger künstlerischer Karriere werden seit 2006 eine Serie von bisher 18 Ausstellungen seiner „Fenster.Bilder“ sowie Fotoarbeiten gezeigt. Zur Malerei sagte Muthspiel: „Ich betreibe sie seit Jahren intensiv. Erst seit ein paar Jahren ist das mit Ausstellungen auch öffentlich geworden. Meine Malphasen sind meist Zeiträume vor dem Beginn einer Auftragskomposition: Sie dienen dem Sammeln, dem Konzipieren im Kopf, aber auch dem Hinausschieben des Arbeitsbeginns aus Angst vor diesem schrecklich weißen und schrecklich leeren Partiturpapier, bevor dort meine Noten stehen.“

Trotz der von ungeheurem Ideenreichtum strotzenden Projekte, lassen sich in Christian Muthspiels Schaffenskosmos zwei zentrale Gedankenstränge festmachen, die sich wie rote Fäden durch zahlreiche seiner Arbeiten ziehen. Einerseits die Verbindung von improvisierter und komponierter Musik, zwischen deren Polen die „Kraft des Moments mit den formalen Möglichkeiten von Vorgefertigtem“ konfrontiert wird. Und andererseits der Bereich der Umdeutung, Metamorphose oder Neuinterpretation, in dem Altes in neuem, zeitgemäßem Gewand präsentiert und so in einen neuen Kontext gestellt wird. Christian Muthspiel meinte dazu: „Wie bei vielen vorangegangen Metamorphosen auf Vorlagen etwa der Musik der Renaissance oder der alpenländischen Volksmusik ist es […] mein Bestreben, das Spannungsfeld zwischen Original und Eigenem, zwischen Altem und Neuem als Inspirationsquelle und Spielfeld zu nützen.“

Für seine bisherigen Tätigkeiten wurde Muthspiel bereits wiederholt ausgezeichnet, so etwa mit dem Anerkennungs- und Würdigungspreis des Landes Niederösterreich 1996 und 2006, dem Josef Krainer Kulturpreis des Landes Steiermark 2003, dem Österreichischen Würdigungspreis für Musik 2006 oder dem Hans Koller Preis in der Kategorie „Musician of the Year“ 2007.

Georg Demcisin

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