Popfest Sessions: “Under the Influence”

Neben unzähligen Konzerten mit vielen Highlights und Neuentdeckungen fanden beim diesjährigen Popfest auch wieder die Popfest Sessions im neuen Wienmuseum statt. Am Samstag, den 27. Juli 2024, versammelten sich Sophie Löw (CULK/SOPHIE BLENDA), Veronika Koenig (FARCE/KINDREAD) und Annemarie Reisinger-Treiber (PARRAMATTA) mit Moderator Robert Rotifer (FM4) zum Gespräch „Under the Influence“, um das komplexe und ambivalente Thema des Einflusses sozialer Medien zu diskutieren.

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Talk: Under The Influence / Montage (c) Apollonia Theresa Bitzan, Johannes Reisinger-Treiber, Sophie Loöw, Josef Fischnaller

Soziale Medien sind mittlerweile ein unverzichtbarer Bestandteil der Promotion für Künstlerinnen und Künstler. Die klassischen Medien wurden stark zurückgedrängt, besonders während der Pandemie. „Glücklicherweise sind sie nicht verschwunden – ich finde sie heute umso wichtiger“, sagt Annemarie Reisinger-Treiber, die mehrere Jahre in der Promotion-Abteilung eines Major Labels tätig war und inzwischen ihr eigenes Label und Artist Management Büro leitet. Diese traditionellen Medien erfordern keine umfangreiche Einarbeitung, im Gegensatz zu den sozialen Medien, die viele Menschen – nicht nur Künstler– überfordern.

Ein praktisches Beispiel für diese Überforderung nennt Sophie Löw, indem sie den Wandel der Plattform Instagram beschreibt. Anfangs eine willkommene Möglichkeit, sich als Musikerin visuell darzustellen und eine Community aufzubauen, hat sich die Nutzung durch Änderungen des Algorithmus stark verändert. Das Posten von Fotos, einst ein probates Mittel, eine Fanbase aufzubauen, sei mittlerweile frustrierend, da die Plattform nun überwiegend bewegte Bilder in kurzen, regelmäßigen Abständen verlange. „Das ist einfach nur nervig“, beklagt Löw.

Ein Phänomen, das viele Nutzer großer Plattformen sicherlich bestätigen können. Es ist ein schleichender Prozess, der seinen Nutzern energetisch wie finanziell immer mehr abverlangt, bis er sie letztlich ausgesaugt hat und ihnen suggeriert, noch immer zu wenig zu liefern. Daher kommt es fast einer Heilsbotschaft gleich, als Moderator Robert Rotifer für diesen Prozess auch einen Begriff nannte.

Die “Enshittification“

Der Journalist Cory Doctorow prägte einen Begriff, der ein wiederkehrendes Muster großer Plattformen beschreibt: „Zuerst sind sie gut für ihre Nutzer; dann missbrauchen sie diese, um ihre Angebote für Geschäftskunden zu optimieren; am Ende missbrauchen sie auch diese, um den Umsatz zu steigern. Dann sterben sie.“ Bereits die nächste verheißungsvolle Plattform steht schon in den Startlöchern. Diese „Verschlimmscheisserung“ des Internets führt zu einer immer schlechteren Qualität, da es von belanglosen Inhalten überflutet wird – ein Trend, der durch KI noch verstärkt und beschleunigt wird. Aber natürlich können wir das Internet nicht einfach hinter uns lassen und es „(…) den Rechten und Verschwörungstheoretiker:innen überlassen“, betont Veronika Koenig.

Sind wir alle in der Enshittification Spirale gefangen?

Gewissermaßen ja, und solange große Konzerne uneingeschränkt Abmachungen treffen können, sind wir gefangen in einem System, in dem der Kapitalismus die Probleme selbst schafft, zu denen er dann die Lösung verkauft, erklärt Koenig weiter. Sie plädiert für Regulierungen im Internet, beispielsweise auf EU-Ebene.

Sophie Löw hat sich weitgehend aus dem Wettbewerb der Heavy Content Creator zurückgezogen. Sie brauchte eine Pause und konzentriert sich nun darauf, qualitativ hochwertigen Content zu erstellen, anstatt den Anforderungen der Algorithmen nach Massenproduktion nachzukommen. Das gelingt ihr gut, und ihre Fans haben sich darauf eingestellt.

Was rät man jungen talentierten Künstlern, deren Stärke mehr im Musikmachen liegt als in der Selbstvermarktung?

Laut Reisinger-Treiber ist es für eine Band, die ihre Fans bei Live-Konzerten fesseln kann, durchaus möglich, eine Community aufzubauen, ohne ein Doppelleben als Influencer führen zu müssen. Doch die sozialen Medien sind unvermeidbar geworden, und man muss sie so gut wie möglich nutzen. Wenn jedoch die Gesundheit auf dem Spiel steht, sollte man sich zu Pausen zwingen – auch wenn das kein Label gerne hört. Es ist bedauerlich, so Reisinger-Treiber, dass Zahlen mittlerweile eine höhere Priorität genießen als die Musik selbst. Dies wird regelmäßig in Verhandlungen im Musikbusiness deutlich, wo oft über monatliche Hörer:innenzahlen gesprochen wird, bevor überhaupt die Musik angehört wurde. Angesichts dieser nüchternen Darstellung verliert die nächste Frage des Moderators auch ihren unmoralischen Beigeschmack.

Darf man Klicks kaufen? Welchen Sinn macht es, Zahlen zu fälschen?

Als Labelbetreiberin und Artist Managerin rät Reisinger-Treiber dringend davon ab, Klicks oder Likes zu kaufen. Es sei leicht herauszufinden, ob diese aus organischen Quellen stammen oder nicht, was der Authentizität eines Künstlers enorm schaden könne. Veronika Koenig hingegen wirft eine realistische Gegenfrage auf: „Die Frage sollte nicht lauten, ob man darf, sondern wer darf Klicks kaufen?“ Denn Payola ist seit jeher eine übliche Praxis in der Popmusik. Dieses System sei „alive and well“. Der Algorithmus, ein menschengemachtes Konstrukt, kann sehr wohl feststellen, ob ein Klick gekauft wurde, denn er möchte auch wissen, von wem er gekauft wurde.

Koenig nennt als Beispiel das offene Geheimnis des ersten Songvorschlags auf Spotify. Viele Leute tauschen sich in Foren darüber aus, warum immer derselbe Song als erster Vorschlag erscheint, unabhängig davon, welche Musik zuvor gehört wurde. Natürlich landet dieser Song dann auf Platz 1 der Billboard-Charts, weil er viral ging – dank eines Budgets, das ihn viral hat gehen lassen. Es sei nichts „Dreckiges“ daran, solange es nicht geheim gehalten werde. Industrie und Werbung funktionieren nun mal so, und daran sei nichts Verwerfliches. Es werde nur nicht offen darüber gesprochen. Die meisten behaupten stattdessen: „Klicks kaufen eh nur die Verzweifelten.“

Früher war es auch üblich, dass Plattenfirmen ihre eigenen Platten aufkauften, um in die Charts aufzusteigen, erinnert Rotifer. Dass diese Praxis in abgewandelter Form auch heute noch absolut gängig ist, könne man ganz einfach in den FAQs von Spotify nachlesen, wo klargestellt wird, dass Playlisting kein Betrug ist, „solange du mit den richtigen Services arbeitest“.

Angesichts dieser Tatsachen, dass der gesamte Markt so zu funktionieren scheint, ist es durchaus frustrierend, all diese Ziele ohne großes Kapital erreichen zu wollen. Ganz zu schweigen davon, dass die wirtschaftlich vorbildliche Selbstvermarktung von Künstler:innen, aus therapeutischer Sicht eigentlich den sicheren Weg in eine narzisstische Störung oder gar Neurose bedeute.

FAZIT

Mit der Flut an KI-generiertem Content wird der echte, von authentischen Kreatoren geschaffene Content nur umso wertvoller werden – schließlich sehnen sich die Menschen nach etwas Echtem inmitten all der digitalen Perfektion. Doch das Popbusiness bleibt hart: Ein bisschen Realismus ist sicher hilfreich und gut für die Gesundheit. Denn manchmal ist es eben doch mehr Schein als Sein – auch wenn wir alle gerne daran glauben möchten, dass echte Kreativität immer gewinnt.

Dominik Beyer

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Links:

Sophie Löw
Culk, Sophie Blenda

Veronika Koenig
Farce, kindread

Annemarie Reisinger-treiber
Parramatta

Robert Rotifer (instagram)