Popfest Sessions – Panel 1: A&R-Algorithms & Robots?

Im Zuge der achten Auflage des POPFESTS WIEN fanden – neben den heuer von der Musikerin und Medientheoretikerin ANA THREAT und Ö3-Urgestein EBERHARD FORCHER kuratierten Konzerten rund um den Karlsplatz – auch wieder die sogenannten POPFEST SESSIONS statt. In Kooperation mit MICA – MUSIC AUSTRIA, dem ÖSTERREICHISCHEN MUSIKFONDS und dem WIEN MUSEUM wurde an zwei Nachmittagen zum Diskursprogramm geladen, bei dem Musikschaffende, Kulturexpertinnen und -experten sowie Journalistinnen und Journalisten zu Wort kamen. Thematisch ermöglichten die POPFEST SESSIONS einen aktuellen Blick auf internationale Soundpolitiken, die Poesie des Textes, die Magie der Orte und den Einzug von „Digital Data“ in die Musikindustrie.

A&R – Algorithms & Robots?

Gäste: Fiete Klatt (Universal Music, D), Christoph Muck (ForTunes), Elias Oldofredi (Good Life Music), Jack Shankly (Domino Records, UK)
Moderation: Franz Hergovich

Spotify, Instagram, Facebook, YouTube und Co – überall fließen Datenströme. Informationen über Zugriffe, Likes, Plays und Klicks, digitale Abbilder der vermeintlichen Relevanz von Künstlerinnen und Künstlern. Diese Daten dienen vor allem als digitales Futter um Label-Scouts, aber auch Artists über die jeweils andere Seite zu informieren, denn „Digital Data“ werden immer mehr als Primärquellen für ökonomische Entscheidungen genutzt. Diese Wachstumswerte dienen nun als ein möglicher Blick in die Zukunft. Ob Playlist-Platzierungen, Plattenverträge oder Remixes, ein wachsender Anteil der Entscheidungen basiert auf big data, auch wenn diese Tatsache von einigen noch leugnet oder auch aus Nostalgiegründen bewusst übersehen wird. Den Auftakt der diesjährigen Popfest Sessions bildete „Algorithms & Robots“ unter der Moderation von Franz Hergovich und thematisierte den zeitgenössischen Umgang mit öffentlichen Daten im Netz. Im Zentrum stand dabei der Zusammenhang zwischen digitalen Datenmengen, Labels und Künstlerinnen und Künstlern sowie die allgemeinen Auswirkungen dieser Entwicklungen auf das Musikbusiness. Die Diskussionsgäste, eine ausnahmslose Herrenrunde, waren Fiete Klatt (Senior A&R Manager bei Universal Music), Christoph Muck (Gründer der App „For Tunes), Elias Oldofredi (Mitglied des Labels und Artist-Managements „Good Life Music“) und Jack Shankly vom UK-Independent-Label „Domino Records“. 

11.563.352 Aufrufe auf YouTube, 40.662.821 Plays auf Spotify: So lauten die Zahlenwerte von James HerseysComing Over“ im Filous-Remix. Elias Oldofredi öffnete mit diesem Beispiel einen faktischen Einstieg in die grundlegende Panel-Thematik. Gerade an diesem Beispiel lasse sich eine wesentliche Veränderung innerhalb der Musikindustrie erkennen. Digitale Plattformen ermöglichten eine größere Reichweite – keine Neuigkeit, aber trotzdem diskussionswürdig, gerade auch in Bezug auf den Remix, denn dieser kenne hier nun keine Grenzen mehr und verbinde anders als zuvor. Remixes dienen laut Oldofredi in diesem Kontext als Plattform der Vernetzung, ermöglichen durch das Zusammenfließen unterschiedlicher Tracks neue Verbindungen ebenso wie die Symbiose der jeweiligen digitalen Daten am selben Ort. Remixes verbinden KünstlerInnen, so Oldofredi. Dabei stelle sich die jedoch die Frage, welche Rolle klassische Label-Arbeit in Zeiten von Netz-Fame und konstruierten Spotify-Moods noch leisten könne. Der Konsens lautete, dass das reale, physische Konzert trotzdem noch als Ziel aller KünstlerInnen gilt.

Bild (c) Simon Brugner

„As an artist, you use different services for spreading your music, generating tons of data. ForTunes tracks all your statistics and brings them together on one platform. While you’re busy working on your music, we’ll provide you with updates on where your career is going […]“, so lautet die offizielle Beschreibung der App „ForTunes” auf der offiziellen Facebook-Seite. Christoph Muck verteidigte dabei den nach wie vor pessimistisch gefärbten Umgang mit „Digital Data“, da seiner Meinung nach vor allem auf ihnen die Entdeckung neuer Artists fundiert, und zwar sowohl im Internet als auch darüber hinaus. Diese App ermögliche gerade deshalb eine klar strukturierte Sichtung aller relevanten Informationen aus den verschiedenen Social-Media-Kanälen. Der digitale Fußabdruck von Künstlerinnen und Künstlern werde auf diese Weise auf einer Seite gelistet und biete die Möglichkeit, auf Basis dieser Werte Entscheidungen zu treffen, ohne dabei in den Datenströmen zu ertrinken.

Fiete Klatt ging es darum, trotz der wachsenden Möglichkeiten durch das Internet nicht nur auf den virtuellen Ruhm, also die musikalische Verkörperung von Zahlen, zu achten, sondern die künstlerischen Potenziale auch noch außerhalb und unabhängig von diesen feststehenden Zahlenwerten zu suchen, zumindest manchmal. Die klassische Intuition anstelle der datenbasierten Analyse im echten Leben-Life. Das subjektive Scout-Know-how sei noch nicht ganz überflüssig geworden.

Klatt warnte MusikerInnen zudem davor, kurzweiligen Musiktrends auf Basis eines ökonomischen Hintergedankens zu folgen, speziell dem Trend, die Inhalte auch ästhetisch an die dominierenden Strukturen wie etwa einer bestimmten Playlist-Ästhetik anzupassen, denn für MusikerInnen habe das meist negative Auswirkungen auf die eigene künstlerische Sprache und die vermeintliche Originalität. Es gehe stets um die Frage der Interpretation dieser Daten sowohl seitens der Label-BetreiberInnen als auch seitens der KünstlerInnen. Wird die künstlerische Eigenständigkeit durch jene technischen Erneuerungen verblendet? Laut Klatt ist es eine Tatsache, dass „Digital Data“ und Erfolgszahlen im Business niemanden mehr egal sind, denn diese ermöglichen eine neue Form der musikalischen Vernetzung und Distribution.

Jack Shankly kritisierte in diesem Kontext das Phänomen der Streamingplattform Spotify, in dessen Zentrum immer mehr die wirtschaftlich motivierte Playlist stehe: „Playlist to go“. Diese diene ebenso als zeitgenössisches Sinnbild des Individualitätsverlustes wie die überblendete Verkörperung von hohen Hörerzahlen und „Digital Data“. Geld in idealisierter Form. Zahlen versus Geschmack. Ein Vorteil der Playlist als ökonomische Struktur zeige sich im Potenzial, Aufmerksamkeiten zu schaffen, gerade auch für unbekanntere KünstlerInnen. Die Playlist berge somit sowohl Aufmerksamkeitspotenzial als auch die künstlerische Identitätskrise.

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