„Nichts wäre langweiliger als ein kleines Nova Rock am Karlsplatz“ – MIRA LU KOVACS im mica-Interview

Es gibt Risse im Raumzeitkontinuum, es muss sie geben, wie sonst soll MIRA LU KOVACS das bewältigen: ein mittelschweres Festival kuratieren, in drei vollwertigen Bands spielen, am Festival PRIMAVERA SOUND auftreten und im KUNSTHISTORISCHEN MUSEUM WIEN eine geköpfte Medusa beweinen. Stefan Niederwieser sprach mit der Künstlerin über ihre Bandprojekte, Henry Purcell, Showcase-Festivals und Hexenverbrennungen.

Schmieds Puls, My Ugly Clementine, Ganymed in Love, 5K HD, Co-Kuratorin des Popfests, Musikbeirat in Wien. Wie geht sich das aus?

Mira Lu Kovacs: Es geht sich wundersamerweise aus, mit den richtigen Partnerinnen und Partnern. Ich habe einen Kontrollzwang und gebe Dinge nicht gerne ab. Ich bin in einer Phase mit hohem Output, den ich verarbeiten muss. My Ugly Clementine mit Kathrin Kolleritsch, Barbara Jungreithmeier, Sophie Lindinger und mir ist eine schöne neue Sache, niemand hat mit diesen Reaktionen gerechnet hat. Endlich bin ich Gitarristin, die im Hintergrund steht, in einer sehr begabten Gruppe. Die Kommunikation ist eine andere Welt, was wohl daran liegt, dass wir Frauen sind. Den Musikbeirat habe ich im Dezember aus Zeitgründen verlassen. Das ist eine wichtige Arbeit, es war mit dem Popfest zu viel Verantwortung.

Geht es sich mit Kontrollzwang nicht noch schlechter aus, wenn man bei Bühnen, Videos und Artworks mitreden will?

Mira Lu Kovacs: Genau, es ist ja nie nur das, was man öffentlich sieht. Schmieds Puls in der bisherigen Form wurde aufgelöst, es ändern sich Drummer und Bassist. Die Band war super, aber ich wollte mir die Freiheit geben, meine Musik verändern zu dürfen, für die eine andere Besetzung vielleicht besser passt. Wir waren sieben Jahre zusammen, es gibt kein böses Blut. Und wer denkt, dass jetzt alles anders wird: Ich bin die Komponistin, die Organisatorin, das habe ich mit Partnern zusammen entwickelt, ich kann mit Schmieds Puls nicht aufhören.

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Bekommst du oft kein Feuer auf der Straße wie im Video zu „Never Be Yours“?

Mira Lu Kovacs: Ich bin militante Nichtraucherin, aber aufgewachsen bin ich so, dass alles verraucht war. Seit drei Jahren gehe ich in kein Lokal mehr, in dem geraucht wird. Meine Stimme ist sensibel, das muss ich akzeptieren. Dabei wollte ich immer rauchen, ich würde gerne diese coole Geste machen. Jede von uns hatte zwei Sekunden Cameo. Barbara hat das super gespielt, Kathrin hätte ich fast nicht erkannt und Sophie zeigt sich von ihrer Schokoladenseite.

Sophie Lindinger hat beim Video auch Regie geführt und den Schnitt gemacht.

Mira Lu Kovacs: Sophie ist ein unglaubliches Multitalent. Sie hat das ganze Album produziert, fast alles eingespielt, komponiert, das Konzept gemacht, sie checkt alles. Die höchsten Props! Sophie war eine der ersten Frauen, mit der ich mich nur für „Tech Talk“ getroffen habe. Vor einem Jahr hat sie mich gefragt, ob ich mir vorstellen kann, nur Gitarre zu spielen, ich meinte: „Ja bitte, einmal nicht vorne stehen.“

Eure erste Show in Wien war innerhalb von Stunden ausverkauft. Warum wurde sie nicht verlegt?

Mira Lu Kovacs: Wir haben darüber nachgedacht, aber es passt so. Ich wollte endlich im Rhiz spielen, habe dort noch nie gespielt. Es wird weitere Termine geben.

Ist das Vinyl auf dem Plattenteller im Substance schon das fertige Album von My Ugly Clementine?

Mira Lu Kovacs: Ich glaube, das entsteht noch. Das Album soll sich organisch und stressfrei entwickeln. Es gibt ein Repertoire, das werden wir am 14. Mai im Rhiz präsentieren.

Und die mittelfristigen Pläne?

Mira Lu Kovacs: Puh. Ich weiß nicht, was ich sagen darf. Was meinst du?

Es wird bald mehr Songs geben, irgendwann ein Album, dann wird man sehen, ob die Tour noch im selben Halbjahr passiert oder erst im Halbjahr darauf.

Mira Lu Kovacs: Sophie hat schon in einem Interview gesagt, dass es nächstes Jahr ein Album geben wird. Sie schreibt stetig daran, wir sind jetzt mehr involviert, riechen den Braten und genießen die Zusammenarbeit sehr. Viele Songs sind komplett von ihr, es gibt einen fixen Plan, wir bringen uns bei den neuen Songs ein und machen viel im Arrangement.

Bei „Ganymed in Love“ werden die Gemälde des Kunsthistorischen Museums zum Leben erweckt. Du hast das Bild „Das Haupt der Medusa“ von Rubens gewählt, warum?

Mira Lu Kovacs: Medusas Geschichte ist unglaublich. Sie ist von drei Schwestern die einzige, die sterblich ist. Und womöglich ist sie deshalb die schönste der drei. Weil sie so schön ist, wird sie auf dem Altar der Athena von Poseidon vergewaltigt. Athena ist darüber so erzürnt, dass sie Medusa verflucht. Ihre Schlangenhaare und ihr versteinernder Blick isolieren Medusa von ihrer Welt. Das treibt sie in den Wahnsinn. Sie lebt in einem Figurenpark von versteinerten Menschen. Perseus enthauptet sie, während sie schläft. Und Rubens malt sie als Monster. De facto war sie ein Opfer und wurde wieder und wieder benutzt. Mich hat das so berührt und wütend gemacht. Ich finde, diese Geschichte ist leicht ins Jetzt zu übersetzen. Das ist, was ich mit Liebe assoziiere: Gewalt. Oft kann man sich Liebe nicht aussuchen, Liebe kann ein Rausch sein, in dem man sich gefangen fühlt. Medusa wurde die Fähigkeit genommen, sich zu entscheiden. Deshalb wollte ich das beklagen, ich will um und mit Medusa weinen.

„Hexenverbrennungen waren Genozide an Frauen […]“

Mira Lu Kovacz (c) Helmut Wimmer

Medusa, Hexen, ist das nur Zufall oder muss man diese vom Patriarchat verachteten Frauenfiguren neu interpretieren?

Mira Lu Kovacs: Ganz sicher. Hexenverbrennungen waren Genozide an Frauen, das waren systematische Tötungen von Frauen, weil sie sich gewehrt haben, oft waren das die Heilerinnen der Gesellschaft.

Hörst du viel Henry Purcell?

Mira Lu Kovacs: Ich habe meine Lieblingslieder. Purcell war ein Songwriter wie Schubert später. „When I’m Laid In Earth“, das ich bei „Ganymed“ singe, liebe ich sehr. Aber auch „What power art thou“ aus „King Arthur“, von dem es die berühmte Version „Cold Song“ von Klaus Nomi gibt. Purcell übersetzt den König, der erfriert und stirbt, auf die Art, wie gesungen wird, sehr Staccato mit Vibrato, das ist arg gemacht.

Wie ist das jetzt in der Hochkultur?

Mira Lu Kovacs [lacht]: Die „Seitenblicke“ waren noch nicht da. Ich habe mit zwanzig als Aufseherin im Kunsthistorischen gearbeitet, kenne das Haus, die Hinterwege, ich mag es dort. Es ist ein wenig kalt. Ich stehe anfangs eine halbe Stunde lang auf der Haupttreppe vor der Löwenskulptur in einem schwarzen Trauerkleid und hebe meine Hände. Punkt sieben Uhr gehen wir zu unseren Stationen. Ich habe in meiner Performance einige Minuten Pause und liege auf einem Podest. Ich performe allein. Drei Stunden später bin ich oft erholt, die Arbeit ist intensiv, beinahe meditativ.

Ich würde mir eine Performance wünschen, in der das Knistern des Bodens im KHM verarbeitet wird.

Mira Lu Kovacs: Ja, ich finde, es sollte nicht als so störend empfunden werden, obwohl es das natürlich ist.

Ist Jazz oder Kunst zu studieren ein Irrtum?

Mira Lu Kovacs: Es ist kein Irrtum, aber ich frage mich, wie zielführend es ist. Willst du etwas verstehen, brauchst du einen Anstoß. Manchmal ist es toll, ich bin im Nachhinein sehr glücklich über meinen Weg.

Dieselbe Frage habe ich dir schon in einem Interview vor zwei Jahren gestellt.

Mira Lu Kovacs: Ich höre Horrorgeschichten von talentierten Leuten, die an Instituten abtrainiert bekommen, was sie besonders macht. Das ist das Schlimmste. Miles Davis und Charlie Parker haben ihr eigenes Ding gemacht. Dann wurden Institutionen geschaffen, um etwas sehr Eigenständiges zu studieren. Ich glaube, das ist in vielen Fällen nicht der richtige Weg.

Wie hat sich das Bandgefüge bei 5K HD verändert?

Mira Lu Kovacs: Es hat sich verändert. Wir haben unterschiedliche Herangehensweisen. Manu Mayr und ich haben in den letzten Monaten viel zusammen komponiert, manchmal hat erst unser Produzent Monophobe [Maximilian Walch; Anm.] alles in einen Zusammenhang gebracht. Es braut sich ein fantastisches Album zusammen.

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5K HD spielen beim Primavera Sound. Auf welcher Bühne?

Mira Lu Kovacs: Ich glaube, auf der „Night Pro Stage“. Ich habe schon gehört, dass das Publikum auf dieser Bühne dünn sein kann, gerade wenn zeitgleich große Bands spielen. Da habe ich keine rosarote Brille.

Ihr habt beim Eurosonic Festival gespielt. Lässt sich abschätzen, was es gebracht hat?

Mira Lu Kovacs: Sehr viel. Aber das alles steckt noch in den Kinderschuhen. Wir werden ein paar Termine präsentieren, haben Kontakte geknüpft, gerade passieren wichtige Sachen, über die ich noch nichts sagen kann. Letztes Jahr wäre noch nicht der richtige Zeitpunkt für das Eurosonic gewesen, auch nicht für das Reeperbahn. Deshalb die Entscheidung, das heuer zu machen. 5K HD und Schmieds Puls sind auch nicht mehr streng geteilt, das eine Jahr dies, das andere Jahr das. Das ging sich für niemanden richtig aus, ich will auch nicht so lange Pause machen. Ich wehre mich nicht mehr dagegen, die anderen auch nicht, jetzt machen wir wieder alles gleichzeitig [lacht].

„Sie sollten nicht jeden Schas spielen.“

Wann und wie sollten Bands Showcase-Festivals spielen?

Mira Lu Kovacs: Sie sollten nicht jeden Schas spielen. Showcase-Festivals sind nicht alle gleich wichtig. Als deutschsprachige Band ist das Reeperbahn sehr wichtig. Es gibt solche, bei denen steht Indie-Pop im Vordergrund. Für Schmieds Puls bringen nicht alle was, für 5K HD viele. Das Business ist aber generell ein Pokerspiel, viel hängt vom Glück ab, zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort zu sein, das richtige Gesicht und den richtigen Style zu haben. Eine Strategie ist gut, aber auch die beste Strategie kann nicht aufgehen.

Mira Lu Kovacz (c) Ina Aydogan

Wie viele gut gemeinte Ratschläge bekommst du für das Popfest?

Mira Lu Kovacs: Manchmal gibt es Beschwerden, aber wir wissen, warum wir diese und jene Entscheidung getroffen haben. Ich habe versucht, schnell den Ruf als bad cop zu bekommen, das blockt einiges ab. Das Team ist fantastisch. Yasmo [Yasmin Hafedh; Anm.] und ich unterstützen einander, es ist das leicht, mit Yasmo ein Festival zu kuratieren. Ich weiß bei ihr, dass inhaltlich alles passt, da kommen keine rassistischen, sexistischen Menschen auf die Bühne. Es hat nur ein- oder vielleicht zweimal ein Veto gebraucht.

Was wäre ein guter Frauenanteil auf den Bühnen?

Mira Lu Kovacs: Ein guter Anteil von Frauen, people of color, non-binary people und Personen, die sonst nicht sichtbar wären, wäre hundert Prozent. Damit meine ich nicht, dass keine Männer kommen dürfen. Aber all die Geschichten, die nicht erzählt werden können, die Perspektiven, die nicht repräsentiert werden, das ist ein riesiges Versäumnis, es wäre ignorant, sie nicht auf die Bühne zu bringen. Nichts wäre langweiliger als ein kleines Nova Rock am Karlsplatz.

Clubs und Locations beschweren sich über Gratisfestivals, sagen, sie könnten das Wochenende abschreiben. Kann man diese einbinden?

Mira Lu Kovacs: Ich bin interessiert, kulturpolitisch etwas zu verändern, und sehe es als schöne Arbeit, das Festival mitzugestalten und mitzubestimmen, wer diese Bühne bekommt. Aber ich verstehe die Kritik. Die ist hundertprozentig berechtigt, wichtig und richtig.

Herzlichen Dank für das Gespräch!

Stefan Niederwieser

 

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