musikprotokoll eröffnet das Festival steirischer herbst – Interview mit Carsten Stabenow & Geert-Jan Hobijn

“Nahe genug” lautet heuer zum 40-jährigen Jubiläum das Leitthema von steirischem herbst und musikprotokoll und in dem gemeinsamen Auftragswerk zur Eröffnung wird das Publikum gleich unmittelbar mit der Materie konfrontiert: Das Staalplaat Soundsystem wird nämlich die Grazer Helmut-List-Halle als Instrument spielen, im Wortsinn. Mit u.a. Hubschraubereinsatz, Rennauto und Boom Car . musikprotoll-Kuratorin Susanna Niedermayr hat für Ö1.orf.at und steirischen herbst mit den Klanginstallateuren Carsten Stabenow & Geert-Jan Hobijn gesprochen.  

Susanna Niedermayr: In eurer Arbeit geht es in vielerlei Hinsicht um Unmittelbarkeit, um die Frage, wie nahe man dem Material, seiner jeweiligen Umgebung und damit auch dem Publikum kommen kann.

Carsten Stabenow: Man kann die Frage aber auch anders herum stellen: Wann kommt einem etwas nahe? Und uns beiden geht es persönlich eigentlich immer so, dass wir ein Konzert nur dann wirklich richtig spannend finden, wenn es eben nicht so unglaublich professionell und abgeklärt ist, sondern wenn man als Konzertbesucher das Gefühl hat, man befindet sich gemeinsam mit dem Künstler auf diesem Balanceakt; auf diesem schmalen Grat der nach rechts und links steil abfällt und wo man ständig droht runterzukippen. Wir versuchen mit unseren Performances und Klanginstallationen Situationen zu schaffen, die dieses Spannungsverhältnis permanent aufrechterhalten und in denen sich dieser Adrenalinschub, den wir im Moment der Aufführung verspüren, auf das Publikum überträgt. Der Musikbereich in dem wir tätig sind ist eine so kleine Mikroszene, ein so kleiner Ausriss aus dem gesamten musikalischen Schaffen und es ist einfach tödlich für diese Szene, wenn man sich auf die Fahnen schreibt, experimentell zu sein und dann aber die Dinge so zu Tode konstruiert. Das passiert sehr oft. Wir versuchen stattdessen Situationen zu schaffen, die die Dinge offen und lebendig halten.

Geert-Jan Hobijn: Man muss immer bereit sein, alles zu riskieren. Man muss immer ein bisschen so arbeiten, als ob morgen der letzte Tag wäre, obwohl man trotzdem die Zukunft weiterhin im Auge behalten muss.

Stabenow: Das war auch immer schon ein wesentliches Grundprinzip von Staalplaat. Immer wenn etwas anfing kommerziell erfolgreich zu werden, dann haben wir bewusst abgebrochen und einen anderen Weg eingeschlagen. Wenn man auf die Bühne geht und schon im Vorfeld weiß, dass das Projekt hundertprozentig funktionieren wird, dann kann man es zwar bis zur Perfektion entwickeln und auch sicherlich richtig gut verkaufen, aber man wird keine neuen Entdeckungen mehr machen.

Hobijn: Eine perfekte Show ist eigentlich schrecklich, weil man sich damit in eine Sackgasse manövriert. Wenn etwas wirklich schlecht ist, dann ist man wütend und das ist super, denn damit hat man einen Riesenhaufen Ansatzpunkte um weiterzuarbeiten. Jedes Mal wenn ein Projekt Pop wurde, dachte ich: Das muss weg, das muss echt weg.

Niedermayr: Wie bereits eingangs angedeutet, habt ihr eure Projekte immer schon für den jeweiligen Ort entwickelt, an dem sie schließlich präsentiert wurden. Die Beschäftigung mit dem jeweiligen Raum, der euch umgibt, war also immer schon ein wichtiges Thema. Im letzten Jahr, mit eurer neuen Projektreihe Architone, wurde dieses Thema nun aber zentral. Wie kam es zu dieser Entwicklung?

Stabenow: Die letztendliche Initialzündung lieferte eigentlich das Projekt, das wir letztes Jahr auf Einladung des Siemens Arts Programm “Der Blick des Komponisten” in der Kunsthalle Kiel realisiert haben. Nach dem konkreten Wortlaut der Einladung sollten wir auf die Ausstellung im Museum und auf die ausstellenden Künstler direkt musikalisch reagieren. Der Wunsch von Siemens damals war, dass durch die Musik der Blick auf die Kunst neu gelenkt wird. Die Kommunikation war dann aber sehr unklar und wir wussten bis wenige Wochen vor Ausstellungsbeginn nicht, was denn nun inhaltlich passieren wird und worauf wir reagieren sollen. Also haben wir schließlich gesagt: Gut, dann müssen wir uns eben direkt mit dem Gebäude auseinandersetzen. So entstand das erste Architone-Projekt und seitdem hat uns die Beschäftigung mit der Architektur eigentlich nicht mehr losgelassen.

Hobijn: Eigentlich ist Architone eine logische Weiterentwicklung unserer Maschinenorchester. Früher haben wir zum Beispiel einen Staubsauger hergenommen und geguckt, wie man durch eine kleine Veränderung den Charakter dieses Gegenstandes verändern kann, etwa indem man ihn Luft pusten statt Luft saugen lässt. Genauso fragen wir jetzt was passiert, wenn man ein Haus oder einen Ort hernimmt und dessen Charakter ein wenig verändert. Wie auch den Staubsauger kann man das Haus oder den Ort dann plötzlich steuern und als Instrument benutzen. Eigentlich machen wir in unserer Arbeit keine großen Sprünge, sondern wir laufen Treppen. Wir machen einen Schritt nach dem anderen und dringen so immer tiefer in die Materie ein.

 

 

Niedermayr: In Kiel habt ihr vor allem mit eigens für dieses Projekt entwickelten Schwingkörpern gearbeitet. Wie haben diese nun konkret mit dem Raum, mit dem Museumsgebäude interagiert?

Stabenow: Wir wollten, so wie wir das ja auch schon immer getan haben, ausschließlich mit mechanischen Klangerzeugern arbeiten, also kein PA-System verwenden. Die Schwingkörper haben wir dann aus den großen Holzkisten gebaut, die wir oft benutzen, um die Instrumente unseres Maschinenorchesters zu transportieren. In diesem Fall haben wir sie als große Resonanzkörper genutzt, indem wir sie mit einfachen Schwingschleifern ausgestattet haben, die sich wiederum über Spannung kontrollieren ließen und die Holzkisten in bestimmte Resonanzfrequenzen, also in sehr massive Bassfrequenzen gebracht haben. Die Schwingkörper haben wir schließlich im gesamten Gebäude um das Publikum herum verteilt. Nur in dem Raum, in dem sich das Publikum befand waren keine Schwingkörper positioniert. Das Publikum konnte die Klangquelle also nicht direkt sehen. Die Resonanzboxen befanden sich in den Räumen links und rechts und in den Stockwerken oberhalb und unterhalb des Publikums und so konnten wir die Töne durch die verschiedenen Ebenen des Gebäudes schicken und damit die räumliche Dimension des Gebäudes hörbar machen. Das ist nur ein ganz einfaches Prinzip, das aber sehr wirkungsvoll funktioniert hat.

Niedermayr: Und wohin wird nun in Graz der nächste Schritt führen?

Stabenow: Wir haben auch in Kiel schon Experimente gemacht, um die Gebäudestruktur selbst als Schwingkörper zu benutzen. Wir haben also Teile des Gebäudes auf ihre Schwingfähigkeit oder auf ihr Resonanzverhalten hin untersucht, um einfach noch stärker mit der Materialität des Ortes zu arbeiten. Das Projekt in Kiel war eine Auseinandersetzung mit dem spezifischen Charakter des Hauses. Es ist schon mehrfach umgebaut worden, wodurch es viele Bruchstellen und Übergänge gibt, die wir uns zu Nutze gemacht haben. Wir haben also genau nach diesen Stellen und gesucht, wo man sozusagen dazwischen steigen kann und als Museum ist dieses Haus auch als ein Ort konzipiert, der vermittelt, der Öffnung und Transparenz transportiert. Die Helmut-List-Halle ist nun das komplette Gegenteil. Sie ist neu und eigentlich ein Raum der gebaut wurde, um die Außenwelt auszusperren; um eine komplett isolierte, konzentrierte und hundertprozentig kontrollierbare Situation herzustellen. Die Grundidee der Helmut-List-Halle war es einen Konzertraum zu schaffen, der quasi Studioqualität hat.

Hobijn: Wie aber soll man Klänge durch ein Haus steuern, das komplett isoliert und schalldicht ist? Wir mussten also zurück zum grundlegenden Prinzip, nämlich zu der Frage, wie man ein Haus als Instrument benutzen kann.

Niedermayr: Für die Idee, die daraufhin entstanden ist, habt ihr auch einmal den schönen Namen Listophon benutzt.

Hobijn: Ja, weil man sich die Helmut-List-Halle auch wie ein Saxophon vorstellen kann. Es ist ein langes Gebäude mit einer Reihe von riesigen Türen an beiden Seiten, die wir nun wie die Klappen eines Instrumentes steuern werden. Wenn sich die Türen öffnen, dann fließt der Klang, dringt von außen in das Gebäude ein, wobei wir sehr massive Klangquellen benutzen werden, zum Beispiel einen Hubschrauber, ein Rennauto oder auch ein Boom Car, damit man das Volumen und die Kraft dieser Klangströme richtiggehend spürt. Die Herausforderung ist es dann aber, nicht nur die Architektur hörbar zu machen, sondern die Architektur auch zu komponieren.

Niedermayr: Eine ziemlich große Herausforderung, wie ich mir vorstellen kann.

Hobijn: Ja, das ist eigentlich ein Monsterauftrag, den wir uns da selber stellen, auch weil sich bestimmte Elemente sehr schwer testen lassen. Auch wissen wir nicht wie der Raum mit Publikum klingt. Aber ein Hubschrauber hat eine ganz andere Klangfarbe als etwa eine Sirene und so kann man im Vorfeld einen dramaturgischen Bogen bauen.

 

 

Stabenow: Ein Dilemma in dieser Szene ist ja auch, dass es wunderbare Instrumentenbauer gibt, die das von ihnen entwickelte Instrument dann aber nicht spielen können, weshalb viele wunderbare Erfindungen auch verkümmern. Ab einem gewissen Punkt muss man sein Instrument auch weitergeben können, an jemanden der es vielleicht besser spielen kann. Uns macht es sehr viel Spaß zu sehen, wie andere mit unseren Instrumenten umgehen, weshalb wir auch sehr froh darüber sind, dass wir die Möglichkeit haben in einem zweiten Schritt, im Zuge eines gemeinsamen Produktionswochenendes, dann auch noch einmal FM3, Owl Project und Goodiepal/Gæoudjiparl an unser Instrument ranzulassen. Außerdem haben wir uns für die Eröffnungsperformance des steirischen herbstes quasi als Random Filter Mark Bain und bmb.con eingeladen.

Niedermayr: Und wird auch das Publikum, wie bei manch anderen Projekten von euch, durch Interaktion direkt am Kompositionsprozess beteiligt sein?

Hobijn: Nicht direkt während des Konzertes. Aber es wird eine achtkanalige Architektur-Jukebox geben, über die das Publikum im Anschluss an das Konzert die Fenster der Helmut-List-Halle wird spielen können, um selber ein Gefühl dafür zu bekommen, wie man Teile eines Gebäudes als Klangkörper nutzen kann.

Niedermayr: Ein zentrales Anliegen eurer Projekt-Reihe Architone ist es, die Aufmerksamkeit auf die von Architektinnen und Stadtplanern oftmals stiefmütterlich behandelte Beziehung von Raum und Klang zu lenken. Geht man die Treppe eine Stufe zurück, um in dem vorab von Geert-Jan gezeichnetem Bild zu bleiben, zoomt man also wieder ein Stück weit aus der Tiefe der Materie heraus, so stellt sich dieses Anliegen plötzlich als Teilaspekt eines noch viel größeren Anliegens dar, nämlich – und damit wären wir wieder beim Anfang unseres Gesprächs angelangt – als ein Teilaspekt des Versuches die Augen und Ohren des Publikums für die Kraft des Unmittelbaren zu öffnen. Und für die Poesie des Alltages.

Hobijn: Wenn es eine größere Message hinter Staalplaat Soundsystem gibt, dann ist es wohl die Aufforderung, genauer hinzugucken und die Welt vielleicht auch einmal anders zu sehen. Wir sind sehr auf die Funktionen fixiert, die den Dingen zugeschrieben werden. Wenn man dann aber genauer hinguckt, das jeweilige Ding als Ding an sich begreift, kommt man drauf, dass man es auch noch auf ganz andere Art und Weise nützen könnte, als dies gemeinhin üblich ist. Kinder können das, die nehmen eine Steckdose und sagen das ist ein Raumschiff, und wenn man dann genauer hinguckt denkt man sich: Stimmt sieht eigentlich aus wie ein Raumschiff.

Staalplaat Soundsystem: “Closed Enough”, Eröffnung steirischer herbst und musikprotokoll 2007, Donnerstag, 20. September, Helmut-List-Halle, Graz, Beginn: 19.30 Uhr (Folgeveranstaltung: Freitag, 21. September, ebenfalls 19.30 Uhr)
Gemeinsam mit Mark Bain und bmb.con.

Veranstaltungs-Tipps
Staalplaat Soundsystem: “Closed Enough: Architone. Wie spielt man ein Gebäude. Ein Praxisversuch.”, Auftakt zum Kernwochenende des musikprotokoll 2007 mit der Präsentation neuer Klanggeneratoren, die in einem Workshop im Bauch des Instruments Helmut-List-Halle entwickelt wurden, Dienstag, 2. Oktober, Helmut-List-Halle, Graz, Beginn: 19.30 Uhr
(Folgeveranstaltung: Mittwoch, 3. Oktober, ebenfalls 19.30 Uhr)

Dieses Interview wurde im Auftrag von Zeit-Ton, musikprotokoll und steirischer herbst von Susanna Niedermayr geführt.

 

 

https://www.musicaustria.at/musicaustria/liste-aller-bei-mica-erschienenen-interviews