VERENA WAGNER macht ehrliche Musik zwischen nachdenklichem Pop und treibendem Rock – gesungen im Dialekt. Ihr neues Album trägt den Titel „Pionier“, erscheint am 9. Mai und wird im Rahmen einer kleinen Tournee durch Österreich präsentiert. Mit Markus Deisenberger sprach die in Kärnten und Wien lebende Sängerin, Songschreiberin und Live-Performerin über „Pionierdenken“, positive Narren und darüber, warum es wichtig ist, den Traum zwar ins Visier zu nehmen, ihn im selben Moment aber auch loszulassen.
Der Release deines zweiten Albums steht vor der Tür. Wie geht es dir?
Verena Wagner: Gut, aber es ist gerade sehr anstrengend, weil ich alles oder fast alles allein mache. Und das ist schon echt viel Arbeit. Da stellt man sich zwischendurch schon mal die Frage: „Warum mache ich das eigentlich?“
Eine Frage, die man sich oft und bei vielen Dinge stellt.
Verena Wagner: Auf jeden Fall, aber mir kommt vor, in der Musik ist das alle paar Monate so. Es kostet viel Geld, ist viel Arbeit und du hast nicht die geringste Ahnung, ob es irgendjemanden da draußen überhaupt interessieren wird. Dann wieder fahre ich mit dem Auto, höre das neue Album und denke: „Ist schon geil geworden!“
Es schwankt also?
Verena Wagner: Es schwankt. Manchmal freut man sich enorm – und dann sitzt man stundenlang vor einer Kalkulation, weil man um eine Förderung ansuchen will, und verzweifelt. Selber Konzerte zu veranstalten, kostet viel Geld und Energie. Mich wundert es nicht im Geringsten, dass die Live-Branche für mittlere und kleine Künstler:innen schwierig ist.
Dabei habe ich den Eindruck, dass du, nachdem dein erstes Album noch „Nirgendwohin“ hieß, mittlerweile ganz genau zu wissen scheinst, wohin die Reise geht.
Verena Wagner: Da hast du Recht. Ich weiß genau, wohin ich will. Zur Weihnachtszeit etwa war ich beim Ö3 Weihnachtswunder zu Gast. Das war ein echtes Highlight. Da hast du den Eindruck, dass das, was du machst, auch gesehen wird. Aber dann gibt es Momente, in denen man sich schon fragt, ob sich das alles ausgeht. Alle reden immer von künstlerischer Vision und dem Willen, sie umzusetzen, aber am Ende des Tages ist es auch eine knallharte Rechnung. Das wird immer ein bisschen ausgespart. So ein Album kostet, wenn du es wirklich gut machen willst, zwischen 40.000 und 50.000 Euro. Und da sind nur ein Musikvideo und ein bisschen Marketing dabei. Wenn du mehr willst, ist die Rechnung eine andere.
Im Video zur zweiten, vom Album releasten Single „Du schon“ wird der Alltag
einer Musikerin gezeigt, die auf sich allein gestellt ist. Sie kommt zur Konzert-Location, um festzustellen, dass dort keiner auf sie gewartet hat. Ist das überzeichnet oder spielt es sich genauso ab?
Verena Wagner: Das ist nicht stark überzeichnet. Ich habe ja mit der Kommerzmusik, von der ich lebe, ein zweites Standbein. Von meiner eigenen Musik kann ich noch nicht leben. Und da habe ich bestimmt tausendmal erlebt, dass man zu einer Hochzeit oder Firmenfeier kommt – und dem Gastronomen passt es überhaupt nicht, dass man da ist, weil er eine ganz andere Vorstellung vom Ablauf hat. Man ist also vom ersten Moment an nicht willkommen, und es heißt: „Stellen Sie sich halt dort hin, aber bitte stellen’s mir ja nichts um, gelt. Nichts kaputtmachen!“ Solche Geschichten gibt es zu Hauf. Dass irgendwo nicht auf einen gewartet wurde, habe ich unzählige Male erlebt. Natürlich gab es auch viele schöne Erlebnisse.
Aber dass ich – wie im Video zu sehen – einmal vor einem komplett leeren Saal gespielt hätte, ist überzeichnet. Das ist mir nie passiert. Aber eben auch nicht viel überzeichnet.
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Weil das Publikumsinteresse manches Mal hinter den Erwartungen zurückbleibt?
Verena Wagner: Klar, aber manchmal übertrifft es auch die Erwartungen. Ich weiß nicht, warum das mein Thema ist, aber offensichtlich ist es eines meiner Themen und findet im Titelsong „Pionier“ auch Niederschlag.
Was mich zu der Frage bringt: Worum geht es in „Pionier“?
Verena Wagner: Es geht um die eigene Leidenschaft und um die Frage: Was ist, wenn man einen großen Traum hat, ihn aber noch nicht verwirklicht hat – sondern erst auf dem Weg dorthin ist? Das ist etwas, das kaum jemand zeigt. Erzählt werden immer nur die Geschichten von jenen, die es bereits geschafft haben.
Und in einer Talkshow sitzend wohlwollend auf das eigene Leben zurückblickt und etwas wie „Ich würde alles wieder genauso machen“ von sich gibt?
Verena Wagner: Genau. Du interviewst Taylor Swift, und sie sagt, es sei zehn Jahre lang hart gewesen. Das mag schon stimmen – aber wenn man es am Ende so schafft wie sie, ist das etwas völlig anderes als das, was hunderttausende Musiker:innen erleben: einen täglichen Struggle, an dessen Ende womöglich kein großer Erfolg steht. Viele befinden sich mittendrin – ohne zu wissen, ob sich das alles jemals auszahlt. Die Frage ist dann: Zahlt es sich nicht trotzdem aus, weil der Weg bunt, spannend und voller Musik und Leidenschaft ist? Vielleicht. Aber was, wenn der große Erfolg nicht kommt? Wer bin ich dann?
Was ist Erfolg? Lässt sich das überhaupt konkret fassen?
Verena Wagner: Für mich ist Erfolg schon etwas sehr Konkretes. Zum Beispiel Headlinerin beim Donauinselfest zu sein – vor 100.000 Menschen spielen, das wäre für mich ein großer Erfolg. Nur ein Beispiel. Wenn man dann weiterdenkt: Langfristig viele Konzerte spielen zu können, auch wenn sie kleiner sind – das wäre ebenfalls ein großer Erfolg. Wenn ich im Jahr 40 bis 50 Auftritte habe, vor ein paar hundert Leuten, dann bin ich angekommen.
Aber tust du das nicht längst?
Verena Wagner: Nein, so weit bin ich noch nicht. Ein paar hundert Leute gehen sich aktuell noch nicht aus. Vielleicht schaffen wir es beim Album-Release in Klagenfurt, dass zwischen 200 und 300 Menschen kommen – das wäre schon ein schöner Erfolg. Im Moment spiele ich eher vor rund hundert Leuten.
Mit „Pionier“ assoziiere ich zuerst nicht den Weg, sondern den Pioniergeist.
Verena Wagner: Genau. Für mich bedeutet „Pionier“ eigentlich, sich von diesem ständigen Rennen zu befreien. Der Begriff tauchte irgendwann auf und gefiel mir sofort. Denn was heißt es, ein Pionier zu sein? Ein Pionier ist ein Leitbild – jemand, der sich von all dem befreit hat. Das heißt aber nicht, dass ich das schon geschafft hätte. Mir ist schon noch wichtig, was andere über mich denken. Erfolg ist mir auch wichtig. Aber das Idealbild wäre, einfach loszugehen, ohne nach links und rechts zu schauen – nur der eigenen Neugier folgend. Pioniere sind nicht unbedingt die, die gewinnen. Es sind die, die etwas entdecken wollen. Diese Erkenntnis war eine spannende Entwicklung für mich: zu merken, dass ich auf dem Weg bin, mich von vielem zu lösen.
Beim ersten Album war ich noch rebellischer – Hauptsache dagegen, alles allein machen, nach dem Motto: Ich werde es euch schon beweisen!
Klingt fast trotzig.
Verena Wagner: Ja, war es auch. Ich habe mir damals im Produktionsprozess weniger reinreden lassen, war weniger offen für gemeinsames Songwriting, habe weniger Ideen angenommen. Beim neuen Album habe ich mich sehr geöffnet. Einige Songs stammen musikalisch von David (Piribauer; Produzent, der nach vielen Jahren in Los Angeles jetzt in Pinkafeld arbeitet und Verenas Sound einen internationalen Touch verleiht, Anm.). Ich habe dafür den Text geschrieben und ein bisschen Melodie beigesteuert. Zwei Songs sind sogar in einer gemeinsamen Songwriting-Session entstanden. Die bessere Idee gewinnt – egal, von wem sie kommt.
War das eine bewusste Entscheidung oder hat sich das einfach ergeben?
Verena Wagner: Das hat sich entwickelt. Wenn man ständig gegen etwas sein will – weil einem angeblich egal ist, was die anderen denken –, dann sind einem die anderen insgeheim doch total wichtig. Wenn man beim „Pionierdenken“ bleibt, existieren die anderen in diesem Vergleich gar nicht. Und genau dieser Gedanke hat in mir ein Gefühl von Freiheit ausgelöst. Deshalb wurde „Pionier“ zum Albumtitel.
„Mein Herz war noch nie so leicht“, singst du in „Bis in olle Ewigkeit“.
Verena Wagner: (lacht) Ja, das auch. Ich glaube, dass sich durch das Muttersein viel verändert hat – einfach, weil Zeit und Energie knapper geworden sind. Für viele Dinge habe ich keine Kapazitäten mehr, zum Beispiel fürs ständige Grübeln: Soll ich’s so oder so machen? Ich muss schneller Entscheidungen treffen, Prozesse effizienter gestalten – anders funktioniert’s nicht. Gleichzeitig hat das auch mehr Gelassenheit, Selbstvertrauen und innere Stärke gebracht.
Mehr Entscheidungsfreude?
Verena Wagner: Ich würde es eher als mehr Stärke in meinen Entscheidungen bezeichnen. Früher habe ich mich viel leichter verunsichern lassen. Heute weiß ich ganz genau, was ich will. Ich habe ein ganz anderes Selbstvertrauen – auch, weil ich stolz darauf bin, etwas so Anstrengendes wie das Muttersein gut zu meistern. Wenn jemand sagt, er sei gelassener geworden, kommt oft der Kommentar: „Aha, du willst den großen Erfolg nicht mehr.“ Doch, will ich! Nur weil ich gelassener bin, heißt das nicht, dass ich den Traum vom großen Erfolg aufgegeben habe.
Ich hatte einmal einen Schauspiellehrer in Wien, der hat mir gesagt: „Schau, Verena, das ist so, als würdest du von deinem Riesentraum – Headlining am Donauinselfest – ein Foto machen, es dir an die Wand hängen, aber selbst gehst du weiter und machst dein Ding. Das Bild hängt dort, aber du klammerst dich nicht rund um die Uhr daran fest.“
Den Traum haben und anvisieren – aber gleichzeitig loslassen. Und selbst wenn er sich nicht erfüllt, war die Reise dorthin vielleicht großartig.
Es geht auf dem Album viel um Zwischenmenschliches.
Verena Wagner: Ja.
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Jetzt muss die Frage kommen, gelt? Wie kommt’s?
Verena Wagner: (lacht) Weil mich das am meisten fasziniert. Ich bin im Alltag furchtbar neugierig – ich will wissen, wie Menschen ihre Beziehungen, ihre Liebe leben. Aber mich interessiert nicht das Oberflächliche. Unser Alltag ist doch von Graustufen geprägt. Du kannst jemanden lieben und gleichzeitig hassen. Du kannst für Ehrlichkeit plädieren und dir im selben Moment denken: „Lüg mich lieber an.“
Ich will grundsätzlich Ehrlichkeit – in Beziehungen, im Leben –, aber manchmal ist das eben nicht der beste Weg. Man belügt sich selbst, und manchmal will man das sogar. Ganz ohne Wertung. Diese Ambivalenzen interessieren mich. Auch in der Mutter-Kind-Beziehung finde ich die Widersprüche am spannendsten. Diese Momente, in denen du denkst: „Ich will endlich durchschlafen. Ich will nicht, dass das Kind jede Nacht zu mir ins Bett kommt.“ Und gleichzeitig: „Ich will, dass das nie aufhört.“
Irgendwann wird mein Kind ausziehen – und dann bin ich vielleicht nicht mehr die wichtigste Person. Diese Gleichzeitigkeit widersprüchlicher Gedanken fasziniert mich. Mich interessieren die Brüche, die Stellen, wo es weh tut. Warum ist jemand verhärmt? Warum hat jemand aufgehört, sich zu öffnen? Da bohre ich gerne rein – auch bei mir selbst. Meistens hört man: „Bitte lüg mich nicht an.“ Ich finde viel spannender: „Bitte lüg mich an.“
In „Nur ein Narr“ geht es ums Träumen. Würdest du dich selbst als Träumerin bezeichnen?
Verena Wagner: Auf jeden Fall, ja. „Nur ein Narr“ ist in seiner Grundidee tatsächlich von einem Menschen inspiriert, den ich kannte – jemand, zu dem man gerne mal gesagt hat: „Du bist ein alter Narr!“ Du weißt schon: ältere Männer, die ein bisschen speziell sind und ihr Hobby mit großer Leidenschaft zelebrieren, worüber andere nur den Kopf schütteln. Träumer, Spinner. Aber genau solche Menschen bringen oft viel Leichtigkeit und eine angenehme Naivität ins Leben.
Dass man sich manchmal gar nicht mehr mit all dem Schrecklichen in der Welt auseinandersetzen kann, kennt wahrscheinlich jeder. Und dieses Gefühl, nicht zu wissen, wie man mit der eigenen Ohnmacht umgehen soll, auch. In dem Sinne bin ich – wie viele andere – eine Närrin. Weil wir uns trotzdem damit beschäftigen sollten. Das Lied spielt mit genau diesem Gedanken: Dass positive Narren in unserer Gesellschaft mehr Wertschätzung verdienen. Die, die an Wunder glauben. An Sternzeichen.
Ich habe da einen Hang dazu. Wenn mir jemand ein schönes astrologisches Profil schreibt, freue ich mich total. Gleichzeitig weiß ich natürlich, dass das wissenschaftlich nicht fundiert ist. Aber wenn es Spaß macht, mich inspiriert, mir ein gutes Gefühl gibt und niemandem schadet – warum nicht? Ich lese das Horoskop und fühle mich gut danach. So what?
Weil du das Sich-Vergleichen angesprochen hast: In „Evangelista“ geht es genau darum, oder?
Verena Wagner: Genau. Ich wollte schon lange ein Lied über Neid schreiben – auch weil ich selbst immer wieder damit kämpfe. Wir leben in einer Gesellschaft, die sehr hohe moralische Ansprüche stellt und sie auch ständig propagiert. Einerseits finde ich das gut und wichtig. Andererseits ist es manchmal auch anstrengend – und oft nicht ehrlich.
Neid gehört da für mich dazu. Ich finde es viel authentischer, wenn jemand auf mich zukommt und ehrlich sagt: „Ich bin neidisch auf dich.“ Versteh mich nicht falsch – ich gönne anderen ihren Erfolg, wirklich. Aber das ist nicht immer die Realität, vor allem in der Musik. Es ist völlig normal, sich mit anderen Künstler:innen zu vergleichen.
In „Evangelista“ geht es genau darum: Jeder hat sich doch schon mal – bildlich gesprochen – gedacht, dass der Nachbar die coolere Freundin hat, sich weniger mit ihr streitet und fünfmal im Jahr auf Urlaub fährt. Während man selbst… Oder: Jemand, den ich kenne, spielt zehn Konzerte – ich nur drei. Klar, das kratzt. Aber das darf es auch.
Wichtig ist, wie man mit diesem Gefühl umgeht. Du kannst dich vom Neid vergiften lassen – oder du suchst die Verbindung zur Person, auf die du neidisch bist. Du gibst das Gefühl zu und erkennst: Da steckt auch eine Chance drin. In der Ehrlichkeit. In der Bereitschaft, die eigenen Abgründe zu zeigen – und gleichzeitig neugierig zu sein auf die des anderen.
Und warum jetzt genau Linda Evangelista?
Verena Wagner: Ich habe in einem Artikel gelesen, dass sie sich einer Schönheits-OP unterzogen hat, die leider völlig schiefging. Der Eingriff hat ihr Gesicht so sehr entstellt, dass sie sich jahrelang zuhause verkrochen hat – und niemandem erzählt hat, was passiert ist. Erst nach einer halben Ewigkeit ging sie mit der Geschichte an die Öffentlichkeit. Das hat mich tief berührt. Wir haben oft keine Ahnung vom Leben der anderen. Die vermeintlich schönste Frau der Welt sperrt sich zehn Jahre lang ein, weil sie sich für hässlich hält. Unvorstellbar. Diese Geschichte war der Auslöser für den Song.
Lass uns zum Schluss noch über den Sound des Albums sprechen – ich finde ihn sehr vielschichtig und absolut gelungen. Habt ihr – du und Produzent David Piribauer – lange daran gefeilt?
Verena Wagner: Es ist gar nicht so leicht, diesen Prozess zu beschreiben. Soundtechnisch überlasse ich David sehr viel. Zu manchen Songs habe ich eine konkrete Vorstellung, aber was den Sound angeht, übernimmt er meist das Ruder. Er setzt seine Vision um, und wir schauen dann gemeinsam, ob es stimmig ist oder nicht.
Die Idee war schon, den Bandcharakter beizubehalten, ihn aber weiterzuentwickeln – und das Ganze moderner klingen zu lassen, auch wenn ich das Wort eigentlich nicht mag. Weg vom klassischen Singer-Songwriter-Sound. Viele Dinge entstehen einfach im Prozess. Ich spreche oft in Bildern – und David, der mich inzwischen wirklich gut kennt, versteht sofort, was ich meine. Es gab kaum Situationen, in denen wir groß diskutieren mussten.
Vielen Dank für das Gespräch.
Markus Deisenberger
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Verena Wagner live
09.05. Fritz Club, Klagenfurt
15.05. Orpheum Extra, Graz
22.05. Aera, Wien
18.07. Stadtpark, Althofen
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