Bauchklang waren hierzulande der musikalische Antipode im elektronischen Klima der 1990er Jahre. Der legendäre Lounge- und Kaffeehaus-Sound, der von Wien ausgehend seinen Siegeszug in sämtlichen Clubs des Erdenrundes fortsetzte, vollzog in den frühen 1990er Jahren zunächst eine klangliche Kehrtwende: Das energetische Hämmern und Pulsieren der auf die physis gerichteten Techno-Beats wich hier entspannten, smoothen Rhythmen, die mit ihrer ätherischen Geschmeidigkeit oft eine assoziative Nähe zur Innenarchitektur nahezulegen schienen – sanft-wummernde Bässe, delikate Breakbeat-Produktion, überschaubarer Informationsgehalt. Auch wenn dieser spezifische Wiener Sound durchaus mit dem Analogen liebäugelte, stellte sich gerade die Überführung „natürlicher“ Klänge in ein perfektionistisches Soundtüftler-Korsett als letztlich immunisierend heraus. Allzu oft litten die sterilen Dub-Tapeten mit ihren ewigen Reverbs und Delays an Beliebigkeit: das auditiv Angenehme verband sich mit dem bloß Trendigen zu klinisch-substanzloser Meterware.
Wie eine zeitgerechte Rückeroberung nahm sich folglich der ebenso schlichte wie erfrischende Ansatz von Bauchklang aus: Die stilistische Integrativleistung, welche die DJ-Kultur mit ihrer universal-anonymen Beat-Sprache im ausklingenden 20. Jahrhundert vollzogen hatte, wurde hier in einem einzigen analogen Instrument gebündelt – der menschlichen Stimme, neben dem Trommeln unsere primäre akustische Ausdrucksform. Nicht nur wurde der herkömmliche Fabrikationsweg von Club-Sounds unterlaufen, auch die Sensibilisierung der Parallelwelten „Analog“ und „Digital“ schien bei Bauchklang in einer Weise vorweggenommen, wie sie bis dato in Österreich noch nicht zu hören war.
1995 im Zuge einer Schul-Musical-Produktion geboren, veröffentlichten die ursprünglich sechs St. Pöltner erst 2001 ihr Debütalbum „Jamzero“. Den hierauf entwickelten, urbanen a-Capella-Stil bezeichnen sie damals selbst als „Vocal Groove Project“. Die musikalische Bandbreite speiste sich vor allem aus verschiedenen Genres der „Black Music“, wie etwa Dub, HipHop, Reggae und Soul – also in etwa jene Stilrichtungen, welche auch zum Vokabular der damaligen Clubsprache gehört hatten. Nebenher hielten auch tuwinischer Untertongesang und indische Skalen Einzug in den Soundkosmos der Stimmakrobaten.
Die Resonanz war sowohl national als auch international eine entsprechend Große: Hierzulande heimsten die Newcomer gleich zwei Amadeus Awards ein, es folgten vielbeachtete Auftritte in Kanada, Frankreich und Indien, wo im Jahre 2009 auch das Album „Live in Mumbai“ entstand. Dass die St. Pöltner nicht bei der Wallpaper-Ästhetik von DJ-Mixes stehenbleiben würden, wurde spätestens auf dem 2010 erschienenen, mittlerweile vierten Album „Signs“ klar. Die im langjährigen Zusammenspiel merklich gereiften technischen Fertigkeiten der Vokalisten bündelten sich hörbar zu mehr Songwriting und Melodieseligkeit, freilich ohne die essentiellen vocal grooves hintan zu stellen. Gleichzeitig wurde die erneut veränderte Club-Landschaft reflektiert, welche in den vergangenen Jahren den Minimal Techno für sich (wieder-)entdeckt hat.
Die Hinwendung zur Ästhetik des Maschinellen, die Bauchklang auf ihrem jüngsten Release „Akusmatik“ besonders eindrücklich vollziehen, repräsentiert auch die Suche nach der größtmöglichen Fallhöhe: Das eigentlich dem HipHop entstammende Beatboxing sollte damals ja eine möglichst exakte rhythmische Vorlage für den Rapper liefern; der Beatboxer hatte dabei idealerweise Bassgrooves, Scratches sowie ein komplettes Drumset zu kombinieren. Schon hier lag das Faszinosum an der Schnittstelle von unnatürlichem Sound(mix) und natürlicher „Soundquelle“ – der menschlichen Stimme. Indem Bauchklang sich nun verstärkt an der Welt der exakten, kühlen Techno-Designs abarbeiten, generieren sie einen maximalen Gegensatz – scheint uns das Metallisch-Technoide doch am weitesten von vokalen Klangvorstellungen entfernt. Doch das Gehörte ist gerade nicht Ergebnis einer detailverliebten soundtechnischen Programmierung, sondern über Jahre hinweg perfektionierte ad-hoc-Kunst, die im Moment des gemeinsamen Auftritts entsteht. In diesem Sinne gibt der Begriff „Akusmatik“ einen Albumtitel ab, der niemals in der Bandgeschichte zutreffender war als hier.
Als Tänzer zwischen den Parallelwelten Techno und A-capella kreieren die fünf Niederösterreicher also ein äußerst reizvolles Spannungsverhältnis: Das notorische Mängelwesen Mensch verleibt sich in einer höchst technisierten, unübersichtlich gewordenen Welt ein wichtiges Segment der urbanen Klangkulisse ein. In seinen besten Momenten wirkt es so, als ob die Lücke zwischen der scheinbar antiquierten menschlichen Stimme und der modernen, diffus-technoiden Soundästhetik geschlossen würde – ein hörenswertes Husarenstück.
David Weidinger
Aktuelle Besetzung:
Alex Boeck: human bass, vocal sounds
Bina: human beatbox, mouthpercussions, vocal sounds
Andi Fraenzl: lead vocals, vocal sounds
Gerald Huber: human beatbox, vocal sounds, backing vocals
Phil Sageder: vocal sounds, mouthpercussion, backing vocals
Foto Bauchklang 1: P. Rauchecker
Foto Bauchklang 2: A. Mueller