mica-Interview The More Or The Less

Die Salzburger Band THE MORE OR THE LESS verspricht melancholischen Pop mit aufgefeiltem Songwriting. Das zuvor nur Solo vom Sänger und Gitarristen Tobias Pötzelsberger betriebene Unternehmen ist mittlerweile durch die Zugänge Frank Wendtner (Piano), Hannes Gappmaier (Schlagzeug) und Martin Mörth (Bass) zur echten Band geworden. Das beweist auch ihre aktuelle CD “Keep Calm” (Lindo/Hoanzl) auf der sich die diesjährigen “Heimo-Erbse-Preis”-Träger zwischen Pop, Alternative und Folk eine vielfältig klingende Nische erschaffen haben. Für mica sprach Didi Neidhart mit Tobias Plötzelsberger.

Ein zentraler Song ist “Oh, Santiago” in dem du deine Erlebnisse in Chile während eines Erdbebens im Februar 2010 verarbeitest. Wie sehr hat sich dieses Ereignis generell auf die neue CD ausgewirkt?

Tobias Plötzelsberger: In unterschiedlicher Hinsicht – einerseits ist da eben der besagte Eröffnungstrack „Oh, Santiago“, wo vor allem die Stunden nach dem Erdbeben behandelt werden. Das war ja eine durchaus harte Situation: All die Zerstörung, weinende und schreiende Menschen, alles mitten in der Nacht, ohne Licht, ohne die Sprache zu beherrschen – und aus irgendeinem Garten schallte Bob Marleys „Everything Is Gonna Be Alright“. Eine ziemlich schräge Situation. Jedenfalls hat das Erlebnis bei mir grundlegende Gedanken ausgelöst, die wahrscheinlich jeder irgendwann mal hat: Wie schnell das Leben vorbei sein kann, wie wertvoll es ist und natürlich auch die Tatsache, wie wenig ich mir dessen im Alltag bewusst bin. Dieses Thema kehrt immer wieder auf der Platte zurück. Auch der Albumtitel ist eine Referenz, denn dieses „Keep Calm“ war einfach notgedrungen das Motto, wenn du in einer solchen Situation bist. Der Tag nach dem Erdbeben war ja wunderschön warm und sonnig, eine bizarre Situation – erst die Katastrophe in der Nacht und dann perfektes Wohlfühl-Wetter. Das Cover der Platte soll dieses Nebeneinander von Bedrohung und Schönheit auch ein wenig ausdrücken. Da sind die Berge, die einerseits schön, aber auch gefährlich sein können. Und die dunklen Wolken, von denen man nicht genau weiß, ob sie ein schweres Gewitter bringen oder vielleicht doch abziehen und der Sonne Platz machen.

Als The More or The Less warst du – auch beim 2009er CD-Debüt „We, The People“ – bisher als Solo-Act bekannt. Nun ist aus diesem Projekt eine komplette Band geworden. Wie kam es dazu? War es dir Solo auf der Bühne und im Studio einfach zu fad?

Tobias Plötzelsberger: Ja, das war schon ein wichtiger Grund. Ich finde es zwar wunderschön, allein mit einer Gitarre zu spielen, weil alles sehr unmittelbar und „echt“ ist. Aber man limitiert sich halt auch sehr und ich wollte mich soundmäßig weiterentwickeln, mehr Möglichkeiten haben. Im Studio wäre es grundsätzlich schon möglich, fast alles allein oder nur mit Gastmusikern zu spielen, aber ich wollte die Band in alles einbinden. Man ist viel flexibler, kann alles sofort ausprobieren, das genieße ich gerade sehr.

Was ist ganz persönlich für dich der Unterschied zwischen einem Solo- und einem Band-Projekt?

Tobias Plötzelsberger: Ein Song muss ganz allein mit einer Gitarre funktionieren. Dann ist es ein grundsätzlich guter, brauchbarer Song. Das ist so eine Grundregel, finde ich. Wenn man also alle Songs ganz allein auf eine Bühne oder eine Platte bringt und damit bestehen kann, dann ist das meiner Meinung nach ein ziemlicher Erfolg, weil das für die Qualität spricht.  Mit einer Band ist das etwas anders. Klar, da muss der Song selbst auch gut, aber die wirkliche Herausforderung ist für mich dabei das Arrangement. Das muss klug sein, abwechslungsreich und logisch. Das ist schon auch spannend. Beim Spielen fühle ich mich momentan sehr wohl, wenn die ganze Band mit mir ist. Ich kann mich auch mal nur aufs Singen konzentrieren, mit der Gitarre weniger machen und alles etwas bewusster setzen. Das ist sehr lässig.

Mit „Show Me Where Your Heart Is“ und „Odyssey“ gibt es aber immer noch reine Akustik-Songs nur mit dir an der Gitarre. Sind die noch von früher übrig geblieben, oder gehören die einfach auch zum neuen TMOTL-Outfit?

Tobias Plötzelsberger: Die gehören schon dringend dazu. Das Balladenfach taugt mir, damit habe ich angefangen und das gehört auch zu dieser Band. Und ich höre auch nach wie vor viel Musik, die getragen und melancholisch ist. Das prägt. Ich wollte auf „Keep Calm“ das ganze Konzept „TMOTL“ erweitern, aber trotzdem noch gewissen Grundzügen verbunden bleiben.

Wie kommt man auf die Idee einen Song über einen Totengräber (“Mr. Undertaker”) zu schreiben? Morbide Faszination oder wahre Begebenheit?

Tobias Plötzelsberger: Das ist eine wahre Begebenheit. Ich wohne im dritten Stock und wenn ich aus dem Fenster blicke, sehe ich unter mir eine kleine Straße mit einer Kurzparkzone. Und dort hat irgendwann einmal (schon vor Jahren) plötzlich ein Totengräber mit seinem komischen Wagen geparkt. Er ist ausgestiegen, hat sich beim Bäcker was zu essen geholt und ist dann so herumgestanden. Ich habe ihn beobachtet und dann sind eben die Gedanken so geflossen – was mit mir mal passiert, wenn es so weit ist.

Als Einflüsse für TMOTL werden u.a. Elliott Smith, Feist, Ron Sexsmith sowie Indie- und Folk-Music genannt. Wie schwer ist es da eine eigene Handschrift zu entwickeln?

Tobias Plötzelsberger: Gar nicht schwer. Namedropping ist einfach wichtig, um Hörern und Kritikern ein bisserl was zur Orientierung zu geben. Das kenne ich von mir selbst. Ich ordne auch immer ein. Aber beim Musikmachen ist mir das vollkommen wurscht. Ich gehe nicht zur Gitarre und denke: „So, jetzt mache ich einen Song, der nach Feist klingt.“ Jeder Musiker ist davon beeinflusst, was er privat so hört, das ist halt einfach eine Frage des persönlichen Geschmacks und auch gut so. Aber eine Heldenanbetung wäre dann doch zu viel. Mir geht es einfach darum, Songs zu schaffen, die ein gutes Gefühl in Bauch und Kopf auslösen, die sich vielleicht dem Idealfall nähern – dass man für die Dauer eines Popsongs einfach zufrieden ist und die Welt ein guter Ort wird.

Ihr habt heuer den Salzburger „Heimo-Erbse-Förderpreis“ erhalten. Wie habt ihr das Preisgeld von EUR 3.000.- angelegt?

Tobias Plötzelsberger: Chromverkleidungen, Alufelgen, neues Autoradio und so. Nein, ernsthaft: Wir glauben an die Kraft der Werbung und haben das Geld deshalb in Agenturen investiert, die uns bei der Promotion helfen, sowohl in Österreich als auch in Deutschland, dort wird das Album ja im Herbst 2012 erscheinen. Aber der Heimo-Erbse-Preis hat uns sehr gefreut. Der ist echt zum perfekten Zeitpunkt gekommen, ist eine tolle Unterstützung für die Platte und hat sich mittlerweile auch zu einem schönen Gütesiegel entwickelt – lässig.

Wie wichtig sind solche Preise?

Tobias Plötzelsberger: Wie gesagt: Die Funktion des Gütesiegels ist nicht zu unterschätzen, das ist ein tolles Marketing-Instrument und bringt Aufmerksamkeit, die für eine Band wichtiges Kapital ist. Und natürlich ist der finanzielle Vorteil nicht von der Hand zu weisen.

Bild The More Or Less (c) Herbert Winkler

Das Musikbusiness gehört ja nicht unbedingt zu den sichersten “Arbeitsstätten”. Gerade im Moment scheint erneut eine Phase des Umbruchs eingeleitet zu sein (CD-Käufe gehen zurück, Online-Verkauf wird immer wichtiger, Urheberrecht und Copyright werden thematisiert). Wie seht ihr das? Kann man da als (kleine) Band überhaupt noch Aufmerksamkeit auf sich ziehen?

Tobias Plötzelsberger: Ich denke, dass man als kleine Band derzeit sogar Vorteile hat. Ist natürlich eine Frage der Sichtweise, aber du hast als Nachwuchskünstler relativ wenig Kosten, jedoch durch Online-Wege ein potentiell riesiges Publikum. Das ist schon sehr lässig und ich sehe auch, dass das funktioniert. In meiner ersten Band hätten wir uns nie vorstellen können, dass wir ein Video machen, das tags darauf 1500 mal von irgendwelchen Menschen in Amerika geladen wird… crazy! Und als kleine Band kannst du viel selbst machen, bist nicht auf die ohnehin maroden Großfirmen angewiesen, musst dich nicht verdrehen, usw. Natürlich ist die Masse der Bands da draußen ein Irrsinn und man kann leicht das Gefühl bekommen, dass man in diesem Meer nie wirklich wahrgenommen werden wird. Aber das ist Blödsinn! Gute Musik findet ihr Publikum, egal woher sie kommt. Wer als Newcomer von einer Zukunft als die neuen Coldpay träumt, wird wohl enttäuscht werden – aber wer realistisch ist und die Möglichkeiten unserer Medienwelt nutzen kann, der hat echt Vorteile.

Was ist Musik für dich? Mehr als ein Hobby, aber weniger als ein möglicher Berufsweg?

Tobias Plötzelsberger: Schön gesagt. Ein sehr, sehr, sehr ambitioniertes Hobby. Berufsweg im Moment nicht, vor allem auch, weil ich meinen Job sehr gern mag.

Gibt es neben den zuvor schon genannten Acts noch andere wichtige Einflüsse?

Tobias Plötzelsberger: Uff, das sind schon viele. Ich bin ein Musikliebhaber und grabe mich fast täglich mal durch alle möglichen Blogs und Kanäle. Ich mag viele Bands, bin aber für wenige so richtig leidenschaftlich. Bruce Springsteen verehre ich, aber ich liebe auch Biffy Clyro, die ja ganz was anderes machen als ich. Und dann springt mich auch wieder mal eine Nummer so richtig an, die auf Ö3 läuft. Aber was immer sehr gut reingeht bei mir ist Ron Sexsmith. Umwerfend, einfach groß.

Wie bist du eigentlich zur Musik gekommen? Die meisten kennen dich in Salzburg ja vor allem aus dem Fernsehen als ORF-Reporter.

Tobias Plötzelsberger: Musik mach ich jetzt schon 15 Jahre, das gehört einfach dazu. Früher habe ich mit Eva Klampfer alias Lylit gespielt, in einer Band namens On Wings To Kashmir, das war sehr, sehr lustig. Irgendwann war das vorbei und ich hab begonnen, daheim im Schlafzimmer nur für mich ein paar Songideen aufnzunehmen. Die sind dann immer ausgefeilter geworden und schlussendlich habe ich mich in die Hände von Harald Mörth und seinem Late Hour Studio begeben, um mal alles richtig aufzunehmen. Das Ergebnis war dann unsere erste Platte „We, The People“ (2009).

Ist der CD-Titel “Keep Calm” eine Lebensmotto oder eher eine Momentaufnahme?

Tobias Plötzelsberger: Ich bin manchmal ein bissl temperamentvoll – insofern ist das schon ein Lebensmotto auch

Ist es angesichts einer Musiklandschaft, die hauptsächlich von Casting-Shows bestimmt wird, leicht das Prinzip “Keep Calm” auch praktisch umzusetzen?

Tobias Plötzelsberger: Ja klar, das ist mir doch egal, was die bei den Castings machen. Unlängst habe ich mal „The Voice of Germany“ gesehen, da waren tatsächlich sehr lässige Sänger dabei. Aber ich verstehe nicht, was man sich von so einer Sendung erwartet. Instant-Erfolg geht nur sehr selten gut, das zeigt die Musikgeschichte.

Wie siehst du die Entwicklungen der Salzburger Musikszene der letzten Jahre? Da tut sich mittlerweile ja recht viel. Die CD wurde ja auch im prosperierenden Late Hour Studio des umtriebigen Harald Mörth aufgenommen.

Tobias Plötzelsberger: Im Moment geht schon einiges, finde ich, das war schon deutlich lahmer. Gerade jetzt dieser Tage bringt auch meine Singer/Songwriter-Kollegin MEL ihr neues Album raus, bin schon sehr gespannt, sicher toll – und das lenkt dann auch Aufmerksamkeit auf die Stadt. Im Rockbereich kommen auch ein paar neue Sachen, Zufallstreffer sind bald so weit, auch die Skaverells. Stootsie hat zum Glück auch wieder sein Geschäft aufgemacht, „Riverside Guitars“. Das ist auch wieder so ein Umschlagplatz für die Szene geworden, denke ich. In der Szene hat derzeit auffallend oft mein guter Freund Harry Mörth seine Finger im Spiel, stimmt. Ich glaube, er hat fast die Hälfte aller Bands produziert, die heuer auf dem Szene-Querschnitt „Xtra-Ordinary“ drauf sind, dem jährlichen Rockhouse-Sampler. Finde ich lustig  Harry macht halt sehr gute Qualität zu guten Konditionen und ist – das zeichnet ihn besonders aus – fast ein Psychologe. Er hat ein Händchen dafür, zappelige Musiker dazu zu bringen, das Richtige zu tun.

Und generell auf Österreich umgesetzt?

Tobias Plötzelsberger: Ich denke, man sollte nie zufrieden sein – aber derzeit gibt es immer wieder Releases in Österreich, die mir sehr gut gefallen. Ob das jetzt Zufall ist oder ein Weg, der sich fortsetzen wird – keine Ahnung. Ich denke, man sollte Musik in Zeiten wie diesen auch ein wenig trennen von dem Ort der Produktion, das wird in einer vernetzten Welt unwichtiger. Da gibt es gute und schlechte Musik. Was sicher einzigartig ist: FM4, da beneiden uns im Ausland viele um diesen Sender. Aber andererseits hat grade auch wieder ein recht feines Musikmagazin aufgegeben … es ist ein Auf und Ab.

Was sind nun eure nächsten Pläne? Wird es eine Tour geben?

Tobias Plötzelsberger: Yep! Wir reisen jetzt im Frühjahr mal durch Österreich, auch im Herbst gibt es schon fixierte Österreich-Daten. Und im November fahren wir durch Deutschland, das wird ein Spaß

Danke für das Interview.

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