Am 4. November wird in der Linzer Stadtpfarrkirche mit “The Compromise Is Not Possible” ein Werk des jungen Grazer Musikers Slobodan Kajkut aufgeführt, der derzeit wohl zu den spannendsten, weil vielseitigsten und experimentierfreudigsten, Komponisten des Landes zählt. Im Interview spricht er über dieses gar nicht so leicht konsumierbare Musikwerk sowie allgemein über seinen Werdegang und das Dasein als unabhängiger Komponist. Das Interview führte Michael Masen.
Am 4. November wird deine Komposition “The Compromise Is Not Possible” in der Linzer Stadtpfarrkirche aufgeführt. Kannst du ein wenig über das dahinter liegende Konzept erzählen?
Das Stück war sozusagen ein Auftrag für das Hörfest 2005, ein Festival das damals vom Komponisten Peter Jakober veranstaltet wurde. Die Idee war es, in einer einzigen Nacht verschiedene Musikstücke an unterschiedlichen Orten zu spielen. Und ich habe mich dabei aus verschiedenen Gründen für die Kirche entschieden. Eine Kirche hat eben immer eine ganz besondere Atmosphäre und es war auch geplant, das Stück genau um Mitternacht zu spielen. Dieser Kontrast ist es, der mich fasziniert hat. Auf der einen Seite ist es total ruhig und dann wird aber so eine Komposition aufgeführt, die total gewaltig ist und diese Stille durchbricht.
Die Idee zu dem Stück ist mir gekommen, als ich ein Konzert von Reflector gehört habe. Es ist eine Kombination aus vielen verschiedenen Stilen, wie etwa Heavy Metal, Doom Metal, Death Metal und Free Jazz kombiniert mit Kompositionstechniken des 20. Jahrhunderts, also Neuer Musik.
Die Musik selbst fällt ja doch etwas härter aus und man würde sie für gewöhnlich wohl kaum mit einer Kirchenaufführung in Verbindung bringen. Hat es da Probleme gegeben, eine Kirche zu finden, wo du das überhaupt aufführen durftest?
Das ist eine sehr gute Frage, die mir gleich auch die Gelegenheit gibt, mich beim Pfarrer der Grazer St. Andrä Kirche, Hermann Glettler, zu bedanken, der wirklich ein total wunderbarer, offener und kunstinteressierter Pfarrer ist und es auch möglich gemacht hat, dass etwas derartig Extremes in seiner Kirche gespielt werden konnte. Natürlich ist das Stück nicht in jeder Kirche aufführbar, wodurch es auch noch nicht allzu oft gespielt wurde. Es finden sich nun mal nicht sehr viele Kirchen, die für derartige Kunst geöffnet sind.
Wie oft wurde das Stück bisher aufgeführt?
Bis jetzt zwei Mal. Einmal eben die Premiere beim Hörfest 2005 und das zweite Mal vor ungefähr einem Jahr, anlässlich der Plattenpräsentation. Und jetzt am 4. November folgt in der Linzer Stadtpfarrkirche, im Rahmen von Linz’09, die dritte Aufführung.
Hast du bereits während des Komponierens gewusst, mit welchen Leuten du das Stück umsetzen willst oder hat sich das erst nach Fertigstellung so ergeben?
Ich habe schon ungefähr gewusst, für wen ich das mache, welche Musiker das, was ich geschrieben habe, auch umsetzen können. Es war jedenfalls kein Kompromiss, sondern ich hatte eine bestimmte Idee und die wurde dann für diese Leute realisiert.
Ist das bei all deinen Kompositionen so, dass du sie immer für bestimmte Musiker schreibst?
Ja. Es ist meistens so, dass ich bereits beim Schreiben weiß, wer das Stück später aufführen soll, weil ich mir ja auch Gedanken darüber mache, wer die Sachen, die ich da schreibe, spielen kann.
Wie konkret wird dir normalerweise bei Auftragsarbeiten vorgegeben, was du machen musst?
Die Aufträge, die ich bisher bekommen habe, kann ich an einer Hand abzählen. Ansonsten ist es meistens so, dass ich einfach das gemacht habe, was ich gerade machen wollte.
Du hast Komposition ja auch studiert. Kannst du ein wenig darüber und generell zu deiner musikalischen Sozialisation erzählen?
Ausgangspunkt meines musikalischen Interesses war eigentlich immer die Rockmusik, wobei mich hier immer mehr die experimentelle Seite interessiert hat. Eine der ersten prägenden Bands war diesbezüglich Sonic Youth und auch King Crimson haben mich im experimentellen Rockbereich sehr beeinflusst.
Der erste wichtige Kontakt zur Neuen Musik war komischerweise Erik Satie, über den ich schließlich auch auf John Cage gekommen bin. Dann habe ich die Neue Wiener Schule kennen gelernt, der Surrealismus war auch sehr wichtig für mich, wie auch Stockhausen und Messiaen. So spontan fallen mir jetzt gar nicht mehr Namen ein, obwohl es davon natürlich unzählige gibt.
Nach der Mittelschule bin ich jedenfalls nach Graz gegangen, um dort zu studieren, was sich dann auch als die bestmögliche Wahl herausgestellt hat. Gerade mein erster Kompositionslehrer, Georg Friedrich Haas, bei dem ich drei Jahre lang studiert habe, war sehr wichtig für meine Entwicklung. In der Zwischenzeit habe ich dann aber auch Leute wie Bernhard Lang, Clemens Gadenstätter oder Gerd Kühr kennen gelernt, die ebenfalls großen Einfluss auf mich hatten. Letzterer hat auch heuer die Aufführung meiner ersten Oper ermöglicht.
Ist dir der Schritt schwer gefallen, nach “herkömmlichen” Kompositionen dann eine Oper zu machen?
Überhaupt nicht. Einfach deshalb, weil ich schon genaue Vorstellungen davon hatte, was da passieren soll, wie die Instrumentierung sein wird und wie sich dann das Endergebnis anhören soll. Ich habe ja auch die Musiktheater-Richtung studiert, wo die Auseinandersetzung mit Opernaufführungen ohnehin Pflicht gewesen ist. Es war aber natürlich trotzdem etwas Neues für mich, szenische Sachen mit Musik zu kombinieren und überhaupt mich selbst mit dieser Gattung zu beschäftigen. Jedenfalls war das alles super spannend, vor allem, weil auch die Texte allesamt aus meiner Feder stammen. Die sind auch einigermaßen autobiographisch.
Wenn man sich die Liste deiner bisherigen Kompositionen ansieht, so fällt auf, dass du jede Instrumentierung nur einmal verwendest und dich dann einer anderen Kombination widmest. Ist das, weil du so viel verschiedene Sachen wie möglich ausprobieren willst, oder weil du dir denkst, dass du es nicht mehr besser machen kannst?
Eigentlich ist das ganz umgekehrt. Gleich nach der Fertigstellung eines Stückes halte ich dieses immer für großen Mist und will das nie wieder so machen. Deswegen ist das alles immer anders.
Hast du dann keine Angst, dass dir irgendwann einmal die Kombinationsmöglichkeiten ausgehen werden? Irgendwann wirst du doch wieder mit derselben Instrumentierung arbeiten müssen.
Ja, das ist richtig. Es ist einfach so, dass es bei mir viele verschiedene Stimmungen innerhalb kurzer Zeit gibt, die dann natürlich auch Eingang in meine Art zu komponieren finden. Einmal interessiert mich Streichquartett überhaupt nicht, dann mag ich wieder Minimal Techno, dann Gitarren-Noise oder ich spiele Rockmusik mit den Striggles, usw. Einmal habe ich zum Beispiel auch ein 80minütiges Stück für Reflector geschrieben. Das hat ihnen allerdings überhaupt nicht gefallen.
Schließt du immer ein Stück nach dem anderen ab, oder arbeitest du immer an mehreren gleichzeitig?
Ich arbeite sogar an vielen Stücken gleichzeitig. Im Moment sind es glaube ich zehn verschiedene Sachen. Das ist wohl auch der Grund, warum ich keine Aufträge habe und warum ich ein Jahr lang für ein Stück brauche, egal wie einfach es auch ist. Ich bin jedenfalls kein Auftragskomponist. Ich mache wirklich, was ich will und es gibt niemanden, der mich auf irgendeine Weise einschränkt.
Zum Glück gibt es in Graz super Leute, die meine Sachen aufführen können. Ich bin hier wirklich superglücklich, weil ich meine Vorstellungen auch tatsächlich umsetzen kann. Ein wichtiger Punkt hierbei ist auch, dass das alles auf Low Budget-Basis machbar ist. Für The Compromise Is Not Possible brauche ich beispielsweise keine 10000 Euro sondern lediglich die Benzinkosten. Das reicht mir vollkommen. Andere Komponisten sind da viel anspruchsvoller.
Hast du Ideen, die du nur mit einem größeren Budget umsetzen könntest, oder lassen sich alle deine Vorstellungen und musikalischen Wünsche im Rahmen der aktuellen Gegebenheiten verwirklichen?
Wenn ich mehr Geld zur Verfügung hätte, würde ich schon auch größere Sachen machen. Beispielsweise mit größerer Besetzung oder auch eine neue Oper. So dass ich halt nicht warten muss, bis von einem Opernhaus ein Auftrag kommt, sondern ich das einfach machen kann, wann und wie ich es möchte.
Aber durch die The Compromise Is Not Possible-Geschichte habe ich gelernt, dass man sehr viele Sachen selber machen kann. Ich habe die Aufnahme organisiert, habe das Stück selber pressen lassen, usw. Das heißt, man muss nicht warten bis irgendjemand kommt und einem Geld für irgendetwas anbietet, sondern man kann sehr viel auf eigene Faust durchziehen. Wenn ich eine Idee habe, dann setze ich sie um, wenn nicht, dann mache ich nichts.
Also kann man The Compromise Is Not Possible auch als eine Art Schlüsselerlebnis sehen, wo du gemerkt hast, dass du alles alleine machen kannst?
Mit Compromise war es anfangs so, dass wir die Premierenaufführung hatten und das war es dann. Ein abgeschlossenes Stück, ein abgeschlossenes Konzert, super Erlebnis. An dieser Stelle noch einmal mein Dank an Peter Jakober für die Möglichkeit, da teilnehmen zu dürfen.
Ein Jahr später hat dann irgendwann Robert Lepenik, mit dem ich bei The Striggles spiele, gemeint, dass es schade wäre, dass es keine Aufnahme, kein Dokument, von dieser Aufführung gibt. Ich kann mich noch gut daran erinnern. Wir sind nach der Bandprobe in seinem Auto gesessen und ich habe zu ihm gesagt, “weißt du was Robert, ich nehme das Stück auf Platte auf”. Und im Zuge dessen habe ich dann ein System gefunden, alles selber machen zu können. Das Einzige, was wirklich mit Kosten verbunden war, waren die Platten selber, das Presswerk. Das ist alles.
Das heißt, künftig werden mehr deiner Kompositionen auch ihren Weg auf Tonträger finden?
Auf jeden Fall. Ich warte damit nicht auf irgendjemanden. Ich mache das alles selber.
Du hast schon erwähnt, dass du gerade erst eine Oper fertig gestellt hast. Da ist es natürlich schwer, noch eins drauf zu setzen. Gibt es schon neue Ideen, was du weiter machen wirst?
Ideen gibt es viele, aber darüber möchte ich jetzt noch nicht sprechen. Wenn die Sachen fertig sind, wird man sowieso davon hören. Jedenfalls kommt jetzt einmal bald, gegen Ende des Jahres, ein elektronisches Stück von mir raus, für das ich ungefähr vier Jahre gebraucht habe.
Das Interessante an dem Stück ist, dass es eine Kombination aus Trip Hop, Neuer Musik, Noise und byzantinischem Gesang ist. Außerdem wurde es von Oktopus, einer Hälfte von Dälek, gemischt. Eine wirkliche Zusammenarbeit war das aber auch gar nicht. Ich habe ihm das Stück geschickt, er hat es gemischt und fertig.
Und für 2010 gibt es noch ein paar Stücke, an denen ich gerade arbeite. Ob sich das aber ausgeht, hängt davon ab, wie gut ich voran komme. Aber ich hoffe schon, dass davon nächstes Jahr auch etwas auf Vinyl erscheinen wird. Dass Vinyl kommt, ist eh sicher, aber der Zeitpunkt ist noch unklar.
Außerdem werde ich jetzt auch mein eigenes Label gründen, über das ich dann zukünftig meine Sachen veröffentlichen werde, sofern es etwas zu veröffentlichen gibt.
Wird sich das Label auf eigene Sachen beschränken, oder willst du darüber auch fremde Platten raus bringen?
Hauptsächlich wird es schon der Veröffentlichung meiner eigenen Kompositionen dienen, aber ich werde auch schauen, andere interessante Sachen raus bringen zu können. Es ist halt generell schwer. Tatsache ist, dass man sich heute überhaupt nicht mehr so für Musik interessiert, wie es früher einmal war. Heute von einer Platte 500 Stück zu verkaufen ist ja quasi unmöglich und leben kann man vom Musik machen sowieso nicht mehr, zumindest wenn man so etwas macht wie ich. Leider. Oder vielleicht ist das auch gut so. Gut deswegen, weil ich alles machen kann, was ich will und schlecht ist es, weil man die Zeit, die man ansonsten für Musik verwenden könnte, mit vielen anderen, existentiellen, Dingen zubringen muss, die mit Musik überhaupt nichts zu tun haben.
Vielen Dank fürs Interview.
https://www.musicaustria.at/musicaustria/liste-aller-bei-mica-erschienenen-interviews