“Teil des größeren Ganzen” – Wolfgang Seierl, Begründer des Komponistenforums Mittersill, Betreiber des Labels Einklang, Präsident des mica – music austria und vielseitiger Künstler, über Selbstlosigkeit, Medien-Gags und Genialität. Das Interview führte Markus Deisenberger.
Ein Label gründet man heute meist erst einmal, um eigene Sachen zu veröffentlichen. Bei Einklang stellt sich das Verhältnis zwischen Eigen- und Fremdinteressen offensichtlich anders da. Es scheint, als ob die Vermittlung stets wichtiger war als der Transport eigener Kunst.
Wenn ich eine neue Sprache spreche, verstehen mich die Leute rundherum erst mal nicht. Wenn ich eine neue Sprache entwickle, muss ich also auch etwas dafür tun, dass die Leute diese Sprache verstehen. Idee war es daher, die so genannte Neue Musik in einen Kontext zu bringen, in dem die Kommunikation ertestet wird, weil sie schließlich Grundvoraussetzung ist. Dieses Ertesten war aber auch auf die eigene Arbeit bezogen und ist also nicht aus reiner Selbstlosigkeit passiert. Wir, die wir am Prozess des Musikmachens beteiligt sind, sitzen letztlich doch alle im selben Boot. Ich sehe meine Arbeit auch als Teil des größeren Ganzen. Im Gegensatz dazu gibt es sicher Leute, die ihre Kunst als Solitaire bereifen, ein Label gründen, um ihre Sachen darauf raus zu bringen, eine CD nach der anderen… Ich dagegen bin der Auffassung, dass ich als Musiker oder Komponist nur dann stark bin, wenn auch das Umfeld stark ist. Ab und zu gute Presse reicht nicht, ein größerer Zusammenhang sollte angesprochen sein. Man muss auch das Umfeld stärken, will man etwas bewegen.
Beinhaltet das auch den Brückenschlag zum Publikum, zu den Leuten also, die nicht das entsprechend Vorwissen haben?
Nicht immer im gleichen Maße. Ich kann das Publikum ja nicht so einladen wie ich die Komponisten einlade. Ich kann die Leute nicht an der Hand nehmen. Das Publikum lässt sich nicht steuern, weil es aus freien Stücken kommt. In einem anderen Kontext hatte ich einmal die Idee, auch die Zuhörer zu bezahlen, weil ich das Zuhören im Grunde genommen genauso schätze wie das Komponieren oder Musizieren. Letztlich ist unser Publikum aber sehr interessiert, es herrschte von Anfang an ein sehr lebendiger Diskurs.
Inwiefern ist man als Komponist so genannter Neuer Musik verpflichtet, das Genre zu erneuern, um Aufmerksamkeit zu finden? Anders gefragt: Reicht es, sich mit dem vorhandenen Instrumentarium zu begnügen und innerhalb der bekannten Parameter Außergewöhnliches zu leisten?
In der Kunst wurde immer wieder versucht, mit spektakulären Dingen Aufmerksamkeit zu erzeugen, während das Künstlerische hintangestellt wurde. Manchmal ist das auch mit einer fortschrittlichen künstlerischen Haltung kompatibel, manchmal ist es nur ein Medien-Gag. Die Medien suchen sich etwas aus und es muss bluten oder schreien. Wir versuchen daher seit jeher, unterschiedlichste Positionen in unser Programm einzubinden: Elektronische Musik, Performance, Konventionelles… Sobald unterschiedliche Positionen zusammen kommen, werden diese Fragen ganz automatisch aufgeworfen.
Ein klares Resumee aber lässt sich nicht ziehen?
Nein. In unseren Symposien wird der Kontext von Wissenschaft und Kunst sehr intensiv und teilweise auch sehr kontroversiell diskutiert. Auch nach den Konzerten gibt eine sehr gute Gesprächskultur, die besprochenen Themen verändern sich je nach Gruppierung. Wenn heuer zum Beispiel Peter Ablinger mit einer sehr extremen Haltung und gleichzeitig ein junger polnischer Komponist, der sehr konventionell arbeitet, kommen, kann das zu sehr interessanten Konfrontationen führen.
Peter Ablingers Landschaftsoper wäre doch auch etwas für Mittersill gewesen, oder?
Auf jeden Fall, obwohl ich ganz klar sagen muss, dass wir nicht in erste Linie werk-, sondern personenorientiert arbeiten. Dh Peter Ablinger holen wir uns nicht, weil wir eine seiner Opern hören, sondern weil wir ihn vor Ort haben wollen und dann etwas hören wollen, was er direkt hier mit und für uns erabeitet. Es kam auch schon vor, dass wir Leute, die wir hier hatten, noch einmal einluden, um eine bestimmte Arbeit zu hören. In erster Linie aber sind wir an den Menschen interessiert, die sich hier begegnen.
Wie werden die auftretenden Künstler ausgesucht?
Alles, was uns in unserem Berufsleben auffällt, kommt auf eine Liste, die wir dann gemeinsam abarbeiten. Die Gruppe, die man dann zusammenstellt, muss homogen und divergent genug ist, dass die einzelnen Akteure zusammenpassen, die Mischung aber auch nicht langweilig ist. Seit einiger Zeit haben wir auch ein Ensemble in Residence, das in Mittersill Stücke erarbeitet, und immer auch einen Künstler bzw Künstlerin, der/die nicht Komponist ist, was zeigen soll, dass wir kein Komponisten-Insidertreff sind, sondern dass hier spartenübergreifendes Denken Platz greift und es sowohl um künstlerische als auch weltanschauliche Dinge geht.
Wie schafft man es, die Genre-Grenzen zu sprengen?
Einmal, indem Genre-Fremdes stattfindet, indem wir etwa Filmabende und Lesungen veranstalten, dann aber auch durch die spezielle Atmosphäre, die wir schaffen. Am Festivalort, einem alten Bauernhof, kommen völlig neue, ganz eigene Lebensaspekte zum Tragen. Es ist jedes Mal völlig anders, jedes Mal aber herrscht eine besonders familiäre und tolle Atmosphäre.
Das Komponistenforum wird von Bund, Land Salzburg und mit kleineren Beträgen auch von AKM/GFÖM und dem SKE-Fonds gefördert. Großen Sprünge lassen sich mit diesem zur Verfügung stehenden Budget jedoch sicher nicht machen.
Nein, das ist alles sehr eng kalkuliert. Komponisten und Musiker kommen zu sehr günstigen Bedingungen, die Organisation ist bewusst sehr schlank gehalten
Von Liebhabern für Liebhaber?
Einerseits ja, andererseits aber freut uns schon, dass es ein ständig bereiter werdendes Interesse gibt. Wir haben mittlerweile eine stattliche Anzahl an Veröffentlichungen vorzuweisen, sind auf der Download-Plattform manymusics.org vertreten und kürzlich haben sich neben dem seit jeher bestehenden Vertrieb über unsere Website mit Lotus und dem Verlag Positionen auch weitere Vertriebsmöglichkeiten ergeben, was sehr dazu beigetragen hat, dass unsere CDs einem größeren Publikum bekannt werden.
Funktioniert das Online-Geschäft in dieser Nische denn?
Da muss man positiv denken: Natürlich funktioniert es! Selbst wenn pro Monat nur zwei Bestellungen kommen, eine aus Japan und eine aus der Schweiz, dann funktioniert es. Ich biete ja nicht Radiohead an, dann würden ohne Zweifel andere Bestellanfragen einlangen. In dem Bereich, in dem wir uns bewegen, muss man schon einmal damit rechnen, dass das eine kleine Gruppe ist. Und so freue ich mich über jede einzelne Bestellung als Zeichen der Anerkennung. Wirtschaftlich denken können wir sowieso nicht, weil diese unsere Musik auch von den Medien viel zu wenig Beachtung geschenkt wird und daher bis auf Weiteres Nischenkunst bleiben wird. Wichtig aber ist, dass es ein Label gibt, dass sich darum kümmert und die Musik bei denen, die sich dafür interessieren, bekannter wird und Zugriff passiert.
Wenn Sie zurück blicken: Hat man die Ziele, die man sich bei Label-Gründung steckte, erreicht? War man erfolgreich?
Das würde ich schon sagen. Das Bedürfnis allein unter Komponisten und Musikern nach solch einem Label ist ungemein groß. Das merken wir an den laufenden Anfragen. Viele, die vorher bei der Extraplatte waren, die ein viel breiteres Spektrum vertritt als wir, haben gemerkt, dass es da jetzt ein Label gibt, dass genau das repräsentiert, was sie machen. Und wenn Zeitschriften wie Freistil oder auch der Falter Rezensionen und Artikel über unsere Musik schreiben, bringt das Anerkennung und irgendwann stellt sich das Gefühl ein, dass man etwas zur musikalischen Landschaft beiträgt. Das alleine ist genug Motivation weiter zu machen. Insgesamt 39 CDs, im letzten Jahr zehnjähriges Bestehen… – wir haben eine schöne Stufe erreicht. Jetzt geht es darum, mit den Angriffspunkten, die man sich erkämpft hat, neue Sichtbarkeit zu erlangen.
Inwiefern ist der Name “Einklang” Programm?
Das hat weniger mit einem bestimmten Klang zu tun als dass wir damals einen Namen für das Künstlerforum suchten und uns “Ein Klang” sehr gefiel. Später haben wir uns allerdings dann entschieden, den Namen bei “Komponistenforum” zu belassen und “Ein Klang für das Label zu verwenden.
Um aber Missverständnissen vorzubeugen: Wir wollen keine enge Position beziehen und die gegen andere verteidigen, sondern sehr unterschiedliche Positionen beziehen und diese in ein größeres Feld einbinden. Die Palette dessen, was wir tun, ist sehr breit gefächert. So möchte ich Einklang nicht verstanden wissen. In der Bedeutung aber, etwas unisono zu bewegen, kann Einklang schon auch als Programm durchscheinen
Musik und Wissenschaft – geht das überhaupt zusammen? Ist nicht – auch vor dem Hintergrund des heuer in Saalfelden gewürdigen Ornette Coleman – der der beste Komponist, der am wenigsten weiß?
Das ist etwas, über das man trefflich streiten kann. Es gibt Komponisten, die einen sehr emotionalen Zugang haben. Wieder andere nutzen die Wissenschaft, indem sie etwa Maschinen konstruieren, ohne die ihre Musik gar nicht möglich wäre. Dann wieder gibt es die reinen Analytiker. Otto M. Zykan hat einmal in Hinblick auf die serielle Musik bemerkt, dass damals viele Komposition mit Buchhaltung verwechselt hätten und daher eher Kreuzworträtsel als Musik geschaffen hätten. Ich denke, dass jede Zeit ihre ganz bestimmten Themen hat. Die Zeit damals war sehr analytisch. Heute hingegen erleben wir eine sehr synthetischen Zeit, die andere Parameter fordert.
Ist das positiv oder negativ zu bewerten?
Ich finde, dass wir in einer sehr aufregenden Zeit leben, weil wir langsam darauf kommen, dass vieles parallel zueinander möglich ist.
Wo bewegen Sie sich?
Mich interessiert es sehr, an die Ränder zu schauen, weil sich dort immer wieder sehr Spannendes ereignet.
Was halten Sie vom Trend innerhalb der Neuen Musik, sich sehr eingehend mit Räumlichkeit zu beschäftigen?
Seit den 60er und 70er Jahren schon spielt dieses Thema ausgehend von der bildenden Kunst eine große Rolle. Räumlichkeit war und ist ein ganz wichtiger Aspekt auch in der Veränderung unseres Bewusstseins für Musik, und ist etwas, was wir forcieren wollen. Insofern bildet sich dieser Zugang auch in Mittersill ab und wir fördern räumliche Ansätze ganz gezielt, auch wenn sich räumliche Kompositionen schwierig oder gar nicht für eine CD-Produktion einfangen lassen. Deshalb haben wir auch immer wieder überlegt DVDs zu machen, was uns bisher aber zu teuer war. Aber selbst das hat etwas Positives: Wenn sich manches nicht dokumentieren lässt, weil es auf die eine oder andere Art tatsächlich einmalig ist, ist das ja auch schön.
Hans Ulrich Obrist, Kurator und Buchautor, hält György Kurtag für den größten lebenden Komponisten. Ist das für Sie nachvollziehbar?
Von Kurtag gibt es nichts, was wirklich schlecht wäre. Ich habe zumindest noch nie etwas von ihm gehört, das mich nicht ergriffen hätte. Insofern kann ich es verstehen, wenn jemand sagt, er sei für ihn der größte lebende Komponist. Aber das ist eine sehr subjektive Sichtweise. Solche Prädikate finde ich immer sehr problematisch, obwohl ich Kurtag sehr schätze. Ich mag auch nicht, wenn man sagt, Mozart sei der größte Komponist, der je gelebt hat. Mozart war genial, aber viele andere waren es auch.
Vielen Dank für das Gespräch.