mica-Interview mit Wolfgang R. Kubizek

Die NS-Vergangenheit, die Massenvernichtung in den Konzentrationslagern und die “Vergangenheitsbewältigung” auf österreichisch war und muss immer wieder Gegenstand künstlerischer, auch musikalischer Auseinandersetzung sein. Der Komponist Wolfgang R. Kubizek gehört – vergleichbar in der Literatur Erich Hackl oder Vladimir Vertlib (dem Textautor seines Oratoriums . und alle Toten starben friedlich.) – zu jenen Musikern, die sich des Themas beharrlich annehmen. Heinz Rögl sprach mit ihm zur Frage der Notwendigkeit, zeitgemäß Stellung zu beziehen.

Wolfgang  R. Kubizek hat mit seinem 2007 in Mauthausen sowie in Melk aufgeführten Oratorium (sieh mica-Artikel vom 6.2.) und auch zuvor bereits in den neunziger Jahren etwa mit seiner bei den “Hörgängen” gezeigten Oper “Dialog mit einem Schatten” oder dem Ausstellungsprojekt “das ganz normale” versucht, nicht nur zum Gedenken, sondern auch zum Denken anzuregen. Und damit eine heutige Öffentlichkeit zu erreichen.

Wie kam es zu deinem künstlerischen und politischen Engagement?

Einerseits ist es bei mir, wie ich mehr und mehr draufkomme, die Auseinandersetzung mit der eigenen Familiengeschichte. Da gibt es eben meinen Großvater August Kubizek, der in Linz ein Freund Hitlers war und der darüber auch ein Buch (Anm.: Adolf Hitler mein Jugendfreund, erstmals erschienen 1953) verfasst hat. Das war für mich zu Hause als Kind in Form eines Buches gegenwärtig, das auf dem obersten Regal gestanden ist und das man nicht in die Hand nehmen hat dürfen. Als ich begann zu begreifen, warum man das nicht angreifen durfte, habe ich begonnen alles das zu tun was meine Eltern nicht wollten.

Von den Eltern und von der Verwandtschaft her – deinem Onkel – bist du ja auch musikalisch “vorbelastet”.

Ich bin mit der Musik aufgewachsen. Mein Vater war Klarinettist am Linzer Brucknerkonservatorium, mein Onkel Augustin Kubizek Komponist und Professor für Tonsatzlehre und Komposition an der Wiener Musikhochschule. Was mir lange nachhing, denn mit dem Namen Kubizek verband die traditionelle österreichische Musikszene vor allem ihn. Schon mit zehn Jahren kam ich weg vom Elternhaus ins Internat nach Kremsmünster, mit 16 nach Linz ans Konservatorium, dann nach Wien. In Wien ist die politische Bewusstwerdung gekommen. Das war eine Zeit, wo die ANR (“Aktion Neue Rechte”) vor der Uni demonstriert hat, da bin ich dann in die politische Szene hineingekommen, ich war bis 1989 in der KPÖ. Aus all dem ergab sich auch mein musikalischer Schwerpunkt. Für mich war Musik nie etwas, das man nur macht, um einfach zu spielen, sondern in irgendeiner Form immer thematisch auf die Gesellschaft bezogen.

In der Tradition von Hanns Eisler, auf die sich auch Wilhelm Zobl berief?

Mit Willi Zobl hab ich gespielt, mit Martin Schwarzenlander. Und natürlich habe ich viel von Hanns Eisler studiert.

Die andere Wurzel – du warst auch Geiger – liegt im Jazz, du warst Bandmitglied, E-Geiger und Komponist bei Gruppen wie “Paganinis Kinder”,  Mitbegründer des von Christoph Cech geleiteten Janus Ensemble .

In Wien waren Christian Mühlbacher und der Schlagzeuger Michael Pilecky meine Mitschüler. Ich war zuvor ein Jahr in Linz, rückblickend meine vielleicht schönste Zeit was die Ausbildung betrifft,  wurde dann gedrängt, nach Wien zu gehen wegen meiner “Begabung”. Ich bekam Josef Sivo als Lehrer, der wollte, dass ich wieder anfange, leere Saiten zu streichen. Das hat  mir das Genick gebrochen und das klassische Geigenstudium war damit für mich erledigt. Und Christian sagte, so, jetzt hängst an deine Geigen ein Kabel an und spielst mit uns mit. Und so bin ich ziemlich intensiv eben auch mit U-Musik in Berührung gekommen und war insgesamt dreizehn Jahre lang als aktiver Musiker unterwegs, da ist natürlich stilistisch viel bei mir auch fürs Komponieren hängengeblieben.

 

 

. und alle Toten starben friedlich. beginnt mit einer Vokalise der Hauptfigur, begleitet von Trompetensolo und Jazz-Combo, während den Chorpassagen ein klassischer Klarinettist zugeordnet wurde. Auch die Behandlung des Orchesterapparats hat durchaus Anklänge an, sagen wir einmal, Eislersche Traditionen.

Ich bin als Musiker mit Zawinul und “Weather Report”, als Geiger mit Jean Luc Ponty aufgewachsen – im Oratorium lag es auf der Hand, die Hauptfigur des jungen Mädchens mit einer gedachten musikalischen Welt von ihr auszustatten, die natürlich eine ganz andere als zum Beispiel die des Chors der Mauthausen-Opfer darstellt.

Beauftragt wurde das Stück von der Österreichischen Lagergemeinschaft und dem  Mauthausenkomitee Österreich. War der Anlass eine Gedenkjahr-Geschichte?

Entstanden ist das – ich sitze als (nicht stimmberechtigter) Burgenland-Vertreter im Mauthausen-Komitee – aus der Idee, wieder einmal ein Kulturprogramm zu machen. Es gab in Mauthausen schon einmal ein Oratorium, dann eine Oper von Viktor Ullmann. Und als sich für das Gedenkjahr 2005 erneut die Frage stellte, meinte ich, dass man nicht schon wieder etwas Altes aufwärmen sollte. Zum Entdecken gibt es nicht mehr sehr viel und was man entdeckt, entspricht ästhetisch oft nicht dem, wie es sein sollte. Zum Beispiel entdeckt man plötzlich, dass in irgendeinem KZ der Trauermarsch aus der Eroica gespielt wurde, und weil das so war, wird der eben bei einer der nächsten Gedenkveranstaltungen auf einer Bühne dilettiert. Ich denke, man sollte besser Leute von heute anregen etwas zu machen. Beethoven ist ja überhaupt das Schlimmste, Stichwort Neunte Symphonie in Mauthausen . Es ist schon so, dass über ästhetische Fragen in solchen Komitees wenig nachgedacht wird.

Ich treibe die Frage weiter. Schon ok: “Niemals Vergessen”, Erinnerung, Gedenken und – mehr noch – soweit das überhaupt (und noch) möglich ist, natürlich Entschädigungen,  Durchsetzung von Vorhaben wie dem Wiesenthal-Museum – das sollte auch 2008 passieren. Aber genügt das? Um es mit einem Slogan zu umschreiben: Wehret den Anfängen. Sollte man sich nicht auch mehr mit aktuellen Phänomenen – Stichworte wären Fremdenfeindlichkeit, Alltagsrassismus, chauvinistische EU-Phobie, immer noch einsprachige Ortstafeln, eine (Schein)diskussion um humanitäres Bleiberecht   – auseinandersetzen und dagegen auftreten, auch künstlerisch?

Ich halte ein grundsätzliches Umdenken, etwa auch in dem Gremium, in dem ich sitze, für sehr notwendig. Wenn es kein Umdenken gibt, dann wird man von Aktionen wie “25 pieces” oder “Letter to the Stars” aufgefressen und was da sonst noch alles veranstaltet wird, auch vom Ministerium. Nur: Wenn man etwas tun will, damit das auf diese von dir angesprochene Schiene kommt, dann muss es Leute geben, denen aktueller Bezug im Gedenken ein Anliegen ist. Sonst bleibt es stecken – man arbeitet wieder eine Zeitzeugen-Biographie auf usw. Es gibt ja so viel, allein belletristische Literatur zu dem Thema, dass man gar nicht den Überblick bewahren kann. Aber darunter ganz wenige wirklich herausragende Sachen.

Das ist eben zum Teil zu einer Industrie geworden. Man kann sich fast jeden Tag auf Phönix oder Spiegel-TV eine Doku mit feschen Farbaufnahmen zur NS-Zeit reinziehen. Manchmal verkommt das zu einem perversen Infotainment, das überhaupt nix mehr bringt.

Teilweise glaube ich aber doch das Gegenteil. Viele junge Leute sagen, es steht mir bis da, ich will nichts mehr hören. Ich verbinde mit dem Oratorium von mir die Hoffnung, dass die Leute ein bisschen neugieriger werden. Warum war das, wie war es wirklich?  Ich sehe es als meine Hauptaufgabe, mit diesem Stück junge Leute, eine Generation, die das auch nicht einmal mehr aus der Familie mitbekommen hat, darauf neugierig zu machen, was da damals gelaufen ist. Und ich denke auch, dass sie dadurch angeregt werden, es mit dem was heute passiert in Verbindung zu setzen. Heute etwas ohne Gegenwartsbezug zu dem Thema zu machen, halte ich wirklich für einen Schwachsinn.

 

 

Wie aber kommt man an die ästhetischen Präferenzen junger Leute heran? Natürlich gibt es große Kunstwerke, sagen wir von Luigi Nono oder Karl Amadeus Hartmann .

. oder von Schostakowitsch. Als ich zum ersten Mal seine Symphonie “Babi Jar” hörte (Anm.: 13. Symphonie mit dem Jetuwschenko-Gedicht über die Ermordung von über 30.000 Kiewer Juden in der  Schlucht von Babi Jar), war ich hin und weg. Aber diese Betroffenheit funktioniert heute oft nicht mehr. Gewalt bekommen Jugendliche  im Kino, im Fernsehen und in Computerspielen beeindruckender abgebildet zu sehen als auf den verschwommenen Schwarzweiß-Fotografien, die wir ihnen zeigen können. – Und ich glaube auch nicht, dass das Erzeugen von Betroffenheit der alleinige Schlüssel im künstlerischen Umgang mit dem Thema sein kann. Betroffenheit lähmt, macht inaktiv. Und genau das will ich ja nicht.

Deine Musik und deine Stilmittel setzen bewusst auf Vermittlung, auch auf eine breitere Öffentlichkeit, ein Publikum, das mit Schostakowitsch oder Nono nicht mehr so viel anfangen kann?

Ich will mit meiner Musik nicht im Bereich bleiben, der für elitäre Klüngel reserviert ist. Es war für mich fast das schönste Erlebnis, dass die Besucherinnen eines EDV-Kurses, den ich in Eisenstadt mache – Frauen zwischen 35 und 50 – fast geschlossen in Mauthausen bei der Aufführung waren. Da war eine Bäuerin dabei, eine Supermarkt-Verkäuferin. Wenn ich solche Leute erreiche, die sich damit noch nie beschäftigt haben, die das zum Anlass nehmen, das KZ und die Gedenkstätte zu besuchen, dann habe ich gewonnen, denke ich. Es waren 650 Leute bei der Uraufführung, und die sind auch alle im Regen sitzen geblieben, als es im vierten Teil angefangen hat zu schütten.

Du machst jetzt in ganz Österreich CD-Präsentationen.

Mich begleitet dieses Projekt seit drei Jahren und es ist mir so wichtig geworden, dass ich einfach nicht locker lassen will. Es wird in Zusammenarbeit mit dem Nationalfonds auch Schulmaterial dazu erstellt.

Wird es weitere Live-Aufführungen geben?

Ich bin in Verhandlungen mit dem Brucknerhaus bzw. mit Linz 2009. Und es gibt auch einen Kontakt zu Dachau. Für die mitwirkenden Musiker – viele junge Studenten – war das Projekt auch sehr wichtig, sie haben sich hundertprozentig eingesetzt, ich denke, das hört man auch. Die hatten, obwohl es um dieses Thema geht, großen Spaß an dem Projekt. Und Eva Klampfer als Sängerin der Hauptrolle war wirklich ein ganz toller Griff, auch die anderen Solisten.

Gibt es neue Projekte?

Ich getraue es mir ja fast nicht zu sagen, aber zum Gedenkjahr 1938-2008 wird es im Rahmen einer Projektreihe um den Kreis von Peter Wagner im Burgenland im Herbst ein Orchesterkonzert mit einem neuen Stück von mir geben. Hoffentlich mit dem Hochschulorchester  in Oberschützen. Es ist noch im Projektstadium und es  kreist irgendwie zwischen Thomas Bernhard, Ernst Jandl und Theodor Kramer. Es wird wahrscheinlich einen Instrumentalsolisten geben

Gibt es einen Arbeitstitel?

“War ein Burgenländer am Heldenplatz?” 1. Satz: “Ich war nicht” 2. Satz: “Ich auch nicht”.

Annex: Zum Gedenkjahr 2008

Zum Abschluss ein paar kleine Anmerkungen zum Gedenkjahr 2008. Was die Republik offiziell zu bieten hat, ist – gemessen an der EURO 2008 – ein kleinliches Schmalspurprogramm: Zu 1918 wird es eine wahrscheinlich brave und konsensuale  Republikausstellung im Parlament und ein “Konzert für Österreich” der Philharmoniker im Musikverein geben. Zu 1938 nicht viel mehr als eine Sondersitzung des Nationalrats im März und – vielleicht – die verschleppte, längst überfällige Förderzusage für ein Simon Wiesenthal Center. Weiters gibt es noch das von einem Verein getragene, nicht unumstrittene und u. a. von der wissenschaftlichen Leiterin des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstands und Opferverbänden kritisierte “Letter to the Stars”-Projekt mit einer im Mai auf dem Wiener Heldenplatz geplanten Aktion. Und es bleiben die Diskussionen um Entschädigungszahlungen, die Sanierung des Jüdischen (Zentral-)Friedhofs, ein verwüsteter islamischer Friedhof in Graz, Schweineköpfe auf dem Baugrund einer geplanten Moschee. Und vieles, vieles mehr.

Nationalratspräsidentin  Barbara Prammer hat zum Holocaust-Gedenktag richtige und gute Worte gefunden, die hier zitiert seien: “Die Wiederkehr des Jahrestags der Befreiung von Auschwitz am 27. Jänner erinnert uns an die Millionen Opfer des Holocaust. Der Holocaust-Gedenktag ist aber nicht allein ein Zeichen des Respekts für Opfer der Vergangenheit. Er erinnert uns an unsere Verpflichtung gegen Antisemitismus und gegen die Leugnung oder die Verharmlosung des Holocausts aufzustehen. Und er erinnert uns auch daran, jeglicher Diskriminierung von Menschen in unseren Tagen mit Entschiedenheit entgegenzutreten. Wir sehen in diesem Datum den bleibenden Auftrag, die universellen Rechte und die unteilbare Würde des Menschen zu achten und zu verteidigen sowie die Prinzipien des Rechtsstaats und eine lebendige Demokratie in unserer Gesellschaft auch für die kommenden Generationen krisenfest zu verankern.”

Es bliebe, dafür auch wirklich etwas zu tun (hr).

Fotos: © Wolfgang R. Kubizek, Christa Bauer