Matthias Lošek ist ab heuer künstlerischer Leiter von Wien Modern, in den Jahren zuvor gestaltete er die Bregenzer Festspiele mit, noch weiter zurück liegt seine dramaturgische Tätigkeit bei Sven Hartbergers damaligem „Wiener Operntheater“. Er betrachtet es als seine wichtige Aufgabe, den Kreis der Interessierten in den nächsten Jahren noch mehr zu erweitern. Wien Modern, einst von Claudio Abbado ins Leben gerufen, behauptet im November 2010 drei Wochen lang wieder, dass die Musikstadt Wien eine Stadt im Hier und Jetzt ist.
Auf wichtigen Komponistenpersönlichkeiten unterschiedlicher Generationen liegt der Schwerpunkt des heurigen Festivals. Und auf den besten Ensembles und Solisten der zeitgenössischen Musik der letzten Jahre und Jahrzehnte. Der günstige Preis für den „Generalpass“ macht es allen, die ihn erwerben möglich, dass sie damit dann zu allen Veranstaltungen gehen können, wann sie eben möchten. Auch solchen, die sich erstmals für Neue Musik interessieren. Nicht nur die „Insider“, die Jahr für Jahr fast jeden Tag kommen. Das vom neuen Leiter verwendete Plakatmotiv für Wien Modern 2010 ist – der goldene Schani Strauß vom Stadtpark.
Heinz Rögl:  Was sind für Sie die Ihnen am Herzen liegenden Schwerpunkte für Wien Modern 2010? Sie haben einmal gesagt, Sie möchten auch den Zuhörerkreis erweitern. Es sollen sich auch andere Leute dafür interessieren. 
Matthias Lošek: „Andere“, da möchte ich einhaken, nicht andere aber auch andere zusätzlich. Wir wollen ein seriöses Festival machen, das die Interessierten genauso anspricht wie die noch zu Interessierenden. Inhaltlich präsentiert sich  für mich „Musik der Gegenwart“ in so vielschichtigen Formaten. Damit meine ich jetzt nicht, dass ich mit einem Konzert in eine Disco gehe oder einen Club. Sondern ich meine, die Darstellungsform, die Verquickung mit anderen Formaten, sei’s Film, sei’s Tanz,  wird immer vielschichtiger, auch stringenter. Das heißt aber, die Schubladisieung, dass ich sage, das ist „E“, das „U“, das ist Jazz, das Elektronik und was Gott noch was, ist so nicht mehr wirklich haltbar. Das wiederum ist aber das wirklich Spannende – und das möchte ich stärker noch im Programm 2011 betonen.
Ich bin ein Kommunikator sowohl zum Publikum als auch zu den Künstlern. Ohne dass ich versuche zu performen oder zu viel dreinrede. Ich würde es auch nie wagen, uns mit Donaueschingen zu vergleichen, wir spielen 3 Wochen, Donaueschingen drei Tage, es ist sehr fokussiert: Natürlich gibt es den Austausch mit Donaueschingen, das wollen wir auch. Aber: Wenn wir nur danach trachten hier die Uraufführungen zu haben und der Rest ist uns egal, dann tun wir der Kunst keinen Dienst damit. Es ist das Schlimmste was einem Werk passieren kann. Ich hab das in Bregenz erlebt, wenn man jahrelang an einem Werk arbeitet und dann zwei Aufführungen hat und das war’s. Das wäre eine künstlerische Energie, die dann nicht organisch weiter wächst.
Wir sind kein Konzern, der Autos herstellt, wir produzieren kein Waschpulver. Wir produzieren Kunst,  auch wenn das Wort „produzieren“ für viele negativ besetzt ist. Unsere Ingredienzien sind die Künstler, die wir zusammenzubringen und was die machen, erhält dann – pathetisch formuliert – auch einen Niederschlag in uns selbst. Bei dem Feldman-Forschungsprojekt ist es uns gelungen, Leute aus verschiedenen Ecken zusammenzubringen. Wolfgang Mitterer und Johannes Maria Staud kennen sich seit Jahren, Staud wird auch als Performer mitmachen. Ich glaube auch, dass Wien Modern und Kunst als solches immer eine gesellschaftspolitische Aufgabe hat. Das meine ich auch mit dem „anderen“, zusätzlichen Publikum. Im Museum können Sie die Augen zumachen und blind durchgehen –  nur so werden Sie vielleicht unbeschadet rauskommen – Sie können sich im Konzertsaal auch die Ohren zuhalten, Sie werden nicht unbeschadet hinauskommen, weil die physische, die physikalische Kraft der Musik Sie einfach einnehmen wird.
Ich lese auf der letzten Seite der Vorschau. Das letzte Konzert am letzten Tag 2010 ist gleichzeitig der Auftakt, eine Vorschau auf Wien Modern 2011.
Matthias Lošek: Jetzt wollen Sie wissen – was heißt das.
Wie soll es weitergehen, wohin streben Sie? (ich bin dem derzeitigen Konzerthaus-Management gegenüber ein bisschen kritisch geworden).
Matthias Lošek: Das Konzerthaus beeinflusst das Festival ja nicht programmatisch.
Aber es ist der wichtigste Gastgeber, der wichtigste Schauplatz, sagen wir mal so. Es gibt auch heuer sehr schöne weitere Schauplätze – Odeon, Casino Baumgarten, es kommen viele weitere sehr gute Ensembles, es ist ja nicht so, dass es wie damals nur das Klangforum gibt – sondern wieder die reihe, das phace-Ensemble, das Ensemble reconsil, das OENM. Salzburg, die Kontrapunkte unter Peter Keuschnig. Es gibt seit etlichen Jahren eine kontinuierliche Zusammenarbeit mit der Alten Schmiede und Gerald Resch. Es gibt ein Symposium, eine Gesprächsreihe mit Lothar Knessl und einen mica-focus.
Matthias Lošek: Wir haben auch einen sehr aufstrebenden jungen Komponisten im Programm –Thomas Wally. Er spielt auch selbst in verschiedenen Ensembles. Bei phace, im Ensemble Lux, manchmal auch im Klangforum oder beim Roland Freisitzer. Ich kenne ihn seit 7 Jahren, ich hatte schon in Bregenz mit ihm zu tun.
Noch einmal – wie soll es in en 10er Jahren weitergehen. Nach den Nullerjahren?  
Matthias Lošek: Die Erfüllung der Wünsche hängt natürlich auch mit dem Geld zusammen.
Wien Modern hat eingefrorene Subventionen, dauert nur mehr drei Wochen gegenüber vier früher, was vielleicht nicht nur schlimm ist.
Matthias Lošek: Es geht nicht nur um Quantität. Wegen der Subventionen stehen wir auch Im Gespräch. Entscheiden wird sich manches in drei Wochen – nach den Wiener Wahlen und den Landtagswahlen. – Wo soll’s hingehen haben Sie gefragt. Gerne würde ich mehr im Musiktheatralischen anbieten. Weil ich glaube, dass da schon Erwartungen sind – das ist natürlich mit die teuerste Form. Ich glaube, da könnte man mehr machen in der Stadt. Wenn man sich die Häuser hier ansieht – da wird nicht wirklich viel gemacht. Das heißt ja nicht, dass wir unbedingt eine Oper machen. Ich würde etwa im Bereich des instrumentalen Theaters gerne Initiativen setzen.
Wenn man sich etwa „Jagden und Formen“ von Wolfgang Rihm bei den heurigen Salzburger Festspielen ansieht…
Matthias Lošek: … das überstiege natürlich meinen derzeitigen Etat. Aber was wir am letzten Tag von Wien Modern anbieten wollen, das geht in die Richtung. Ohne dass man da aufgrund der beteiligten Komponisten schon Rückschlüsse auf 2011 ziehen sollte. Da werden wir jedenfalls die eine oder andere semi-szenische Produktion anbieten, da sind wir grade dran, das unter Dach und Fach zu bringen. Dann ist mir sehr an einem Programm gelegen, das in sich übergreift, das ineinander Dinge verzahnt. Hoffentlich sieht man das heuer schon. Dass Sie von einem Komponisten zum anderen geleitet werden. Mein Lieblingsbeispiel ist Johannes Maria Staud – Morton Feldman. Dass Johannes eine Affinität zu Feldman hat, wusste ich vorab nicht, das hat sich im Gespräch ergeben. Dass diese Verschränkung auch künstlerisch zulässig war, war eben ein Teil der Arbeit fürs Festival. Dass ein Teil des Publikums wegen Staud kommt und Feldman kennen lernt – oder auch umgekehrt. .. Da macht eine Fokussierung auf vielleicht weniger Namen Sinn.
Das wäre sozusagen die eine Seite: Wir müssen auch die Jungen einbeziehen?
Matthias Lošek: Ja. Wenn Sie die Gegenwart miteinbeziehen, dann werden Sie auch die „Historie“ einbeziehen. Denn jeder Komponist hat eine Geschichte, und hat auch ein Verhältnis zur Musikgeschichte.

Matthias Lošek: Wien, das sage ich, sollte heute nicht nur drei Wochen, sondern 365 Tage lang modern sein. Sie haben unser Plakatmotiv schon gesehen?
Das ist der goldene Schani Strauß vom Stadtpark.
Matthias Lošek:Ich überlasse es der Interpretation jedes einzelnen, was damit gesagt sein soll.
Johann Strauß? …Johann Strauß, seine Familie und die Walzerfirma Strauß war im 19. Jahrhundert in gewisser Weise eine ungemein erfolgreiche, auch ungemein versierte – im instrumentalen Niveau der Kapelle, in jeder Musik – Josef Strauß vor allem war ein genialer Komponist ,– die haben aber Johann Strauß Vater alle Stücke andere Komponisten uminstrumentiert und teils zum ersten Mal in Wien gespielt, die haben Wagner gespielt mit ihrer Kapelle, die waren in Russland, die haben Wien berühmt gemacht. Die waren versiert im Marketing, aber auch in gewisser Hinsicht musikalische Avantgarde …
Matthias Lošek: Das stimmt. Das ist eine Ebene. Eine andere: Ich glaube auch wie Abbado, dass ganz Wien modern sein soll. Ich glaube nicht nur drei Wochen lang, ich würde mir wünschen dass Wien 365 Tage modern ist und die Moderne zelebriert wird. Ich denke auch, dass wir von der Tradition in Wien ganz gut leben, aber auch, dass das was jetzt unmittelbar geschrieben und komponiert wird, zugänglich sein soll. Und zugänglich heißt auch wertgeschätzt. Wien ist eine gute Stadt, ich schätze Johann Strauß. Und bei aller seiner Wertschätzung und der Kulturtempel, der musealen Kulturtempel hier dürfen wir nicht vergessen, dass das was wir jetzt hören können ja irgendwann die Historie der Zukunft sein wird. Insofern ist das Plakat kein Angriff auf Strauß. Aber Wien Modern ist drei Wochen und dann vergessen wir es wieder? Dann kommt die Weihnachtszeit, Ostern, die Festwochen …
Es gibt ja auch in der älteren Musik Programmmacher die heute schon sagen, das können wir nicht spielen – zu unbekannt. Das ist meiner Meinung nach ein Blödsinn. Das Publikum auch der „Musentempel“ ist selbstverständlich auf gute Stücke von Komponisten neugierig, von denen sie nicht einmal den Namen kennen. David Pountney war einfolgreich mit Mieczeslaw Weinberg, nicht nur mit den beiden Opern von ihm, die er spielte, sondern auch mit den Weinberg-Konzerten, das waren viele – und das Publikum kam.
Matthias Lošek: Natürlich. Ich habe David Poutney immer sehr bewundert, auch Alfred Wopmann – und viel von ihnen gelernt in Bregenz. Auch Wopmann ist ein großer Verfechter des Neuen. Und David und er haben für Bregenz einen guten Modus gefunden mit der großen Seeoper und deren zeitgenössischer Balance mit Musiktheater im Festspielhaus. Kunst finanziert Kunst – wenn Sie so wollen. In Wien haben wir keine Seebühne. Es ist natürlich auch in Wien eine Aufgabe, Gleichgesinnte und Partner zu finden, damit man Dinge ermöglichen kann.
Wien hat ja immer Saison wie es so schön heißt, in Salzburg ist die Rettung und Bewahrung der Festspiele regelmäßig mit der Diskussion um die „Umwegrentabilität“ verbunden. In Wien kann man sagen, wir haben eh Touristen und in den Theatern und Konzerthäusern haben wir eine mehr als gute Auslastung das ganze Jahr hindurch. Nur: Das Publikum, das dort hingeht, wird immer älter. Wir werden alle langsam grauhaarig …
Matthias Lošek: Gut, dass Sie das ansprechen: Wir wollen natürlich unser Vermittlungsprogramm ausweiten, das muss man aber gut machen. Wir haben schon den „Dschungel Wien“ im Programm, das Symposium. Unter Vermittlung verstehe ich jede Form der Kommunikation, die den Leuten das Angebot näher bringt, vielleicht auch die Schwellenangst wegnimmt. Was wir heuer meines Wissens erstmals machen: Vor dem eigentlichen Eröffnungstag des Festivals am 29. Oktober machen wir zwei Tage vorher Workshops für Jugendliche. Da werden wir zu Morton Feldman im Konzerthaus etwa 120 Jugendliche erreichen. Damit möchten wir auch ein Signal setzen. Und das wollen wir in Zukunft vermehrt. Die Kommunikation mit einem noch aufzufindenden Publikum von Wien Modern. … Es sollte das nicht passieren, was ich auch schon erlebt hatte: Dass ein Ensemble von 24 Musikern vor einem Publikum von 20 Leuten spielt und ich den 24 das erklären muss. Da habe ich dann Erklärungsnotstand. Denn dann habe ich als Veranstalter meine Aufgabe nicht erfüllt.
Ich weiß, es ist zu früh und Sie müssen sich dafür auch Zeit nehmen. Mit welchen „Musentempeln“ und deren teils neuen Chefs – von Staatsoper über Volksoper, die immerhin „Kehraus um St. Stephan“ (von Krenek) in der Inszenierung von Nora und Michael Scheidl aus Bregenz übernommen hat – und das Volksopernorchester hat hervorragend gespielt – bis zum Theater an der Wien können Sie über gemeinsame Produktionen sprechen?
Matthias Lošek: Ich schließe von vornherein überhaupt keine möglichen Partner aus. Aber es ist keine Frage. Wien Modern steht drei Wochen lang im Herbst für die Musik der Gegenwart in dieser Stadt.
Aber der Direktor Meyer von der Volksoper ist ja kein schlechter, der könnte ja in zwei Jahren eine Produktion mit Ihnen planen …
Matthias Lošek: … es gab und gibt solche Gespräche! Szenische Produktionen werden wir mit unserem Etat alleine nicht schaffen. Aber Sie wissen, wie lange die Vorlaufszeiten in diesen Häusern sind. Es gibt die Gespräche und Roland Geyer (Theater an der Wien) ist mit im Vorstand von Wien Modern.
Und Thomas Angyan vom Musikverein ist im Vorstand von Wien Modern und hat brav bei der Pressekonferenz im vorigen Jahr über mangelnde Subventionen für Wien Modern geklagt.
Matthias Lošek: Ich bin zuversichtlich und gespannt, was sich wirklich umsetzen lässt.
Man kennt ja schon den wichtigsten Hauptkomponisten 2011, Friedrich Cerha, von dem Sie beim „Zeitfluss“ in Bregenz 2006 die „Spiegel“, Cerhas wichtigen Zyklus von Orchesterwerken on 1960/61 aufführen konnten. Was wird das Eröffnungskonzert 2011 bringen. Cerha, nehme ich an!
Matthias Lošek: Ja.
Spielt das RSO Wien?
Matthias Lošek: Ja. Was und unter wem sag’ ich aber noch nicht!
Danke für das Gespräch! 
 
					