Seit Jahren begleitet er als Dj, Produzent und Veranstalter die Grazer Elektronikszene. Einige Zeit war es ruhig um M.A.R.S., doch seit 2013 lässt er, mit neuen Produktionen und Partys, wieder von sich hören. Lucia Laggner sprach mit dem Mann, der mit scheinbarer Leichtigkeit und offensichtlicher Zufriedenheit fantastische Dj- und Live-Sets aus dem Ärmel schüttelt. M.A.R.S. beschränkt sich auf das Wesentliche und lässt in seinen prägnanten Antworten inhaltliche Klarheit walten.
Du hast mit Birds vor einigen Jahren in der Grazer Postgarage deine erste eigene Veranstaltungen gehostet. Was für Erinnerungen hast du an diese Zeit, die ja eigentlich vor der Kommerzialisierung elektronischer Tanzmusik liegt?
M.A.R.S.: 2003 haben wir mit dieser Reihe begonnen. Die Zeiten waren anders und in gewisser Hinsicht auch schwieriger, weil man das Publikum erst gewinnen und aufbauen musste. Wir hatten Probleme die Postgarage, damals unser Veranstaltungsort, voll zu bekommen. Wir haben keine breite Masse angesprochen, sondern gezielt gearbeitet. Das war für die Party natürlich super, weil die Leute, die da waren, sich stark damit identifiziert haben. Dadurch war ein sehr direkter Austausch möglich. Heute ist das Publikum oft sehr breit gefächert. Es kommen Menschen, die irgendwie hineingerutscht sind. Für uns war das damals anders. Wir waren zwar nie super besucht, aber 300-400 Menschen waren dann doch immer da und das war absolut in Ordnung. Unterm Strich war das Publikum einfach ausgewählter und identifizierte sich stark mit unserer Musik.
Nachdem du die letzten Jahre mehrheitlich als Dj in Erscheinung getreten bist, hast du vor ein paar Monaten eine neue Veranstaltungsreihe, River Deep Mountain High (RDMH), gestartet. Aus welcher Motivation heraus ist sie entstanden? Was hat sich seit Birds verändert?
M.A.R.S.: Vorweg möchte ich sagen, dass ich mich mehr als Musiker sehe und weniger als Veranstalter. In jedem Fall hat sich viel verändert. Die Postgarage war damals unser Club und hat sich dann – wie wir wissen – in eine kommerziellere Richtung hin bewegt. Kommerziell waren und sind wir definitiv nicht.
Nachdem vergangenes Jahr das Niesenberger geschlossen hat, war wenig Raum da, wo man sich als Veranstalter hinbewegen konnte. Die Postgarage haben wir (Cheever, Fontarrian, M.A.R.S.) mit RDMH gewählt, um unserem Sound wieder eine Oberfläche zu bieten. Der zweite Floor ist ein wunderbarer Raum und bietet sich dafür an, eine Party für uns und Freunde zu machen. Wir haben allerdings gemerkt, dass unsere Musik, wenn wir in der Postgarage spielen, auf eine andere musikalische Sozialisation stößt. Unser Sound ist kein Mainstream Sound und das hat das Publikum zu Beginn sicher auch irritiert. Oft wollten sie schnellere, härtere Sounds. Schließlich hat uns auch der Türsteher darauf angesprochen, ob das noch tanzbarer wird. Das ist natürlich schräg, aber den Schritt haben wir gehen müssen. Im Moment legen wir eine Pause ein, aber wir werden vermutlich wieder weiter machen, weil wir unserer Sache einfach Raum geben wollen. Es ist in der Postgarage für uns auch deshalb nicht einfach, weil viele Leute uns schon gefragt haben, warum wir dort hin gehen. Unterm Strich muss man sich aber auch fragen, was man für Möglichkeiten hat. Wir hätten ins Forum Stadtpark gehen können, aber sonst gibt es zur Zeit eigentlich kaum passenden Raum.
Was ich zu Birds noch sagen wollte: Dass wir 2007 aufgehört haben, hatte unterschiedliche Gründe. Wir waren fünf Leute, die das einige Jahre gemeinsam, monatlich betrieben haben. Das große Geld ist dabei nicht herausgesprungen. Wenn du was unentgeltlich machst, müssen die Rahmenbedingungen echt passen und das war irgendwann nicht mehr der Fall.
Soll aus River Deep Mountain High mehr als eine Veranstaltungsreihe werden?
M.A.R.S.: Darüber müssen wir uns alle drei noch klar werden. Wir hatten im Herbst alle viel zu erledigen und dadurch ist die Entscheidung auch noch nicht gefällt. Da wir musikalisch sehr gut zusammenpassen, alle einen sehr musischen Zugang haben, wäre es gut, die Sache weiterzuführen. Die vergangenen Monate waren einfach eng. Marlon (Fontarrian) hat sein Album fertig gemacht, ich habe mein Studium abgeschlossen und einiges im Studio erarbeitet. Die Entscheidung, wie es weitergeht, wird in den nächsten Wochen fallen. Wenn es weitergeht, dann ist auch eine Plattform denkbar, die das Veröffentlichen von Musik ermöglichen soll.
Zurück zum Thema Raum und Musik. Du hast dich im Sommer 2013 an der Occupy Stadtpark Bewegung beteiligt. Kannst du erzählen, wie es zu dieser Auflehnung kam und was sie bewirkt hat?
M.A.R.S.: Zu Beginn wurde das Parkhouse angegriffen, indem es als Institution eingeschränkt wurde, musikalische Veranstaltungen und Abende hosten zu dürfen. Das wurde von oben herab entschieden. Es wird versucht, diesen Raum über die Musik abzudrehen. Zunächst musste leiser geschalten werden und das hat irrsinnig schnell ein sehr breites Echo erzeugt, weil das Parkhouse eine sehr breite Masse anspricht und sich Menschen unterschiedlichster Gruppen (Studenten, Kreative, Arbeitende.. usw.) damit identifizieren. Das hat ziemlich eingeschlagen. Ich selbst mache im Parkhouse seit Jahren Musik, aber der größere Skandal war, dass der letzte öffentliche unverdaute Raum (Anm. Pfauengarten), der im Innenstadtbezirk noch existiert, für Büroräumlichkeiten und dergleichen zur Verfügung gestellt wird. Dadurch wird natürlich öffentlicher Raum, der auch in der Zukunft als solcher genutzt werden könnte, zu privatem, hochpreisigem Raum umfunktioniert und dadurch für die Stadtbewohner zerstört.
Die Bewegung kann den Bau dieses Gebäudes nicht verhindern, aber wie es wirklich weitergeht, kann man auch erst sehen, wenn die Bewohner/ Benutzer dieses Objekt 2015 beziehen. Es wird als Objekt in Ruhelage angepriesen. Das Parkhouse ist etwa hundert Meter Luftlinie von dort entfernt. Schon allein sprechende Menschen erzeugen einen gewissen Schallpegel. Das wird sicher spannend. Die Bewegung konnte den Bau nicht stoppen, aber sie hat darauf aufmerksam gemacht, dass in Graz mit öffentlichem Raum nicht so umgegangen wird, wie das von Seiten der Stadtpolitik kommuniziert wird – von wegen Bürgerbeteiligung und Miteinbeziehung in Entscheidungen. So ist es anscheinend doch nicht.
Was passiert, wenn einer Musikszene Raum entzogen wird?
M.A.R.S.: Eine Folge und das wäre die fatalste, ist, dass sie aufgibt. Das glaube ich allerdings nicht. Gerade in Graz merke ich, dass die Jüngeren sich wieder ihren eigenen Raum suchen und Plätze bespielen, die für ihre Zwecke legal nicht nutzbar wären. Sie bringen ihr Equipment hin und machen dort minimalistisch aufgebaute Parties, die an den Ursprung dieser Bewegung erinnern. Ein kleines Soundsystem, zwei, drei Djs, Getränke zum mitnehmen und nicht mehr. Diese Entwicklung finde ich positiv, weil sie auch das Kernpublikum, das sich wirklich für die Sache interessiert und begeistern lässt, anzieht. Dadurch kann man sich also wieder ein sehr gutes Publikum aufbauen.
Eine andere Möglichkeit wäre natürlich, dass sich Menschen finden, die wieder neuen, offiziellen Raum aufbauen. Das ist mit finanziellen Mitteln und Unterstützung durch die Stadt verbunden, auch wenn zweiteres nicht zwingend notwendig ist. Wenn beispielsweise das Niesenberger allerdings wieder etwas aufbauen will, dann wird es wahrscheinlich die Unterstützung von der Stadt brauchen. Ich finde die Entwicklung gut, dass sich Menschen aus dem Nichts wieder etwas überlegen. Wo können wir hin? Was für Risiken birgt das? Gerade die zweite Frage ist interessant, weil die Polizei dich jederzeit abstrafen kann. Trotzdem gibt es Leute, die sich trauen und Dinge ausprobieren. Das finde ich sehr, sehr lobenswert.
Zeitgleich zur Grazer Krise eröffnen in Wien mehr und mehr kleine Clubs. Was ist hier und dort anders?
M.A.R.S.: Es mag richtig sein, dass wir Grazer etwas träger sind und ich selbst auch verwöhnt bin. Ich bin so sozialisiert worden, dass ich bei einer neuen Idee einfach in die Postgarage gegangen bin, weil ich die Leute dort gut kannte und mit ihnen schnell etwas umsetzen konnte. Dann hat das Niesenberger aufgemacht und ich konnte dort meine Sachen machen. Heute muss ich, will ich was neues aufziehen, Locations scouten, schauen wo überhaupt eine Party möglich wäre und die Anrainer auch keine Probleme machen. Wenn man das in Graz machen will, dann muss man sich am Kragen nehmen und einiges an Zeit und Engagement aufbringen. Ein Freund von mir veranstaltet in Wien Vorabendpartys, die etwa um 19:00 starten und sich um Mitternacht wieder auflösen. Sie finden in ganz kleinen Bars statt, funktionieren sehr gut und bringen einen geringen Aufwand mit sich. Wenn ich an Graz denke, dann fallt mir wenig ein, das so funktioniert.
Demnächst findet das Discokugeln statt, wo man gemeinsam Kegeln geht, aber das ist auch keine Veranstaltung, sondern eher eine Sache für die Szene und ein anderer Event. Ich finde es jedoch erfrischend das die Szene auch mal Wege abseits gewohnter Pfade beschreitet – Danke Disko 404. Dass man wirklich herumgeht und nach Off-Locations sucht, ist für mich auch nicht umsetzbar. Dafür fehlen mir die Zeitressourcen, da mach ich lieber Musik im Studio. Bei anderen Crews scheitert es vermutlich auch an der Überwindung, diesen Aufwand wirklich auf sich nehmen zu wollen, auch wenn es ein paar versuchen. Ich erachte es als natürlich, dass es wieder zu den kleineren Veranstaltungen zurückgeht. Die Elektronik Szene wurde in den letzten Jahren so breit aufgebaut. Der aufkommende und alles überschwemmende House der letzten Jahre war, obwohl ich House liebe, schon fast zu viel. Eine breite Masse wurde angezogen und das hat die Sache den Spirit gekostet. Jetzt geht es wieder zurück ins Kleine, wo sich die Musiker und das interessierte Publikum wohl fühlen, weil sie im authentischen Rahmen eine schöne Nacht genießen können. Das ist eine logische Konsequenz, die sich gerade vollzieht. Großpartys haben die meisten von uns schon erlebt und wir wissen auch, was uns dort blüht.
Du hast gerade dein Studium beendet und stehst schon länger im Berufsleben. Hattest du in deiner Karriere als Dj oder prinzipiell in deinem Leben, je die Vorstellung von Musik leben zu wollen?
M.A.R.S.: Schwierige Frage. Das Auflegen hat eigentlich mein ganzes Studium finanziert. In dieser Zeit habe ich sehr viel gespielt. Als ich vor fünf Jahren zu arbeiten begonnen habe, war ich in meinem Arbeitsfeld als Mobilitätsmanager sehr gefordert. Danach habe ich zwar noch aufgelegt und bin auch als Live-Act weiterhin aufgetreten, aber tatsächlich habe ich wenige Produktionen wirklich abgeschlossen. Erst mit der Zeit ist mir bewusst geworden, dass das nicht geht. Ich brauche die Musik, um ein erfülltes Leben zu führen. Deshalb befinde ich mich jetzt an einem Wendepunkt. Ich will meiner Arbeit nachgehen, aber die Musik muss integrativer Bestandteil meines Lebens sein. Das bedeutet nicht nur aufzulegen, sondern im Studio arbeiten zu können. Diese Entwicklung hat sich im letzten Jahr schon teilweise vollzogen. Ich habe die Musik in mein Leben zurückgeholt und sehe es als mein Ziel 2014 wieder eine Platte herauszubringen. In welche Richtung das geht und ob ich dann besser davon leben kann, das weiß ich natürlich nicht. Sollte sich die Möglichkeit ergeben, nur von der Musik leben zu können, dann wäre das natürlich großartig, weil es die Sache ist, die ich am liebsten ausübe.
Als Musikschaffender lässt es sich kaum von der Musik leben. Hast du eine Vorstellung, wie das wieder ermöglicht werden könnte?
M.A.R.S.: Das ist eine schwierige und gute Frage. Wenn ich von der Musik leben will, dann muss ich mich breit aufstellen. Dann möchte ich mich in Zukunft nicht nur auf die Clubmusik konzentrieren. Ich steht sehr auf “echte” Instrumente und würde die gerne unterschiedlich einsetzen. Ich könnte beispielsweise Entspannungsmusik produzieren. Letztens war ich für eine Nacht in einem Thermenhotel, wo ja überall derartiger Sound läuft. Offensichtlich ist das ein großer Markt. Hotels sind bereit dafür zu zahlen, also warum nicht sowas machen. Es gibt Leute, die sind so frei, und rufen im Netz dazu auf, dass Fans sie dabei unterstützen, ihr Album zu finanzieren. Das kann im Einzelfall funktionieren und ist, meiner Meinung nach, eine schöne Idee, kann aber sicher kein Standard Finanzierungskonzept sein. Ich habe Musik mit Bildung verbunden und mein Wissen über Workshops weitergegeben. Das muss auch nicht immer ein Dj- oder Produktionsworkshop, sondern kann auch mit anderen Themen verbunden sein. Musik und Gesellschaft, Musik und Raum. Das habe ich auch schon an Schulen angeboten und das kommt gut an. Dadurch könnte man Geld für Produktionen hereinbekommen. Andere wiederum passen sich an den momentanen Trend an und produzieren immer das, was gerade angesagt ist. Da kann man natürlich auch das Glück haben, ganz schnell weiter zu kommen. Ich habe unlängst von einem Artist gehört, der seit zwei Jahren an seiner Sache arbeitet, gepusht wird und 4500€ für einen Auftritt kassiert. Das steht natürlich in keiner Relation. Das ist für mich kein langfristiges Konzept, weil das, was ich mache, authentisch sein muss.
Was ist Musik?
M.A.R.S.: Musik ist für mich eine Stimmung. Sie hat mit dem persönlichen Befinden zu tun. Das betrifft sowohl das Musikhören, wenn ich bewusst eine Platte aus dem Regal ziehe, die meine Stimmung unterstützt, als auch das Produzieren. Man kann an meinen Nummern genau hören, wie ich mich während dessen gefühlt habe. Musik ist für mich eine andere Sprache. Ohne sie wäre es in meinem Leben farblos, weil sie eine Verstärkung meiner Emotionen ermöglicht. Das gilt sowohl für die Zeit, in der ich für mir alleine an Musik arbeite oder sie rezipiere, als auch für jedes Dj-Set. Mit dem Publikum geht es für mich immer um Emotionen und Stimmungen, weniger um Technik. Ich bin kein großer Techniker, aber ein Mensch, der sehr emotionsgesteuert agiert und die Musik als Kanal nützt.
Lucia Laggner