Im November 2009 feiert er einen “runden” Geburtstag. Bernhard Gander, geboren 1969 in Lienz, kommt heuer wieder zu Wien Modern-Ehren mit einem Porträt von vier Konzerten. Heinz Rögl hat mit ihm im November 2006 anlässlich der bejubelten Aufführung seines Stücks “bunny games” das erste mica-Interview gemacht. In den letzten drei Jahren war Gander als Komponist aber alles andere als untätig. Ein Höhepunkt der Karriere war vergangenes Jahr beim Festival in Donaueschingen: “Beine und Strümpfe” wurde in einer “Ensembliade” von zwei Ensembles aufgeführt – vom Klangforum Wien und vom Ensemble Modern. Zeit, mit dem Komponisten erneut zu sprechen.
Bei Wien Modern 2009 gibt es eine erstmalige Zusammenarbeit des Arditti Quartetts mit der jungen Pianistin Hsin-Huei Huang (Ganders Klavierquintett “Schöne Worte”. 8.11.). Und das das Klangforum Wien interpretiert am 17. November unter der Leitung von Emilio Pomárico Ganders letztes Ensemblewerk “Beine und Strümpfe”. Das Konzert mit dem ensemble on_line in der fluc Wanne am Praterstern (18. November) versammelt die wichtigsten kammermusikalischen Stücke der letzten Jahre. Im Anschluss sind einige Filme jenes Genres zu sehen, das zweifellos zu wichtigen Arbeitsgrundlagen für das Komponieren von Bernhard Gander zählt: Horrorfilmnacht mit handverlesenen Splatter-Movies – “die Veranstaltung ist, für Wien Modern eher ungewöhnlich, nicht jugendfrei” (Pressetext Wien Modern 2009). Den Abschluss des Porträts bildet die Aufführung des von Wien Modern und dem ORF Radio-Symphonieorchester Wien in Auftrag gegebenen neuen Orchesterstücks “lovely monster” unter der Leitung von Peter Eötvös (20. November).
HR: Bei Wien Modern 2006 haben wir sehr gelacht, weil du gestandest, dass du diesen Abend nicht ins Konzerthaus gehst, sondern zu einer Heavy-Metal-Band. Du liebst diese Art von Musik immer noch, deine Kompositionen sind vielleicht von Popmusik inspiriert, entspringen ihr aber nie direkt.
Bernhard Gander: Das stimmt. Aber wenn ich komponiere und einen Hänger habe, dann ziehe ich mir sehr gerne so was rein. Dann geht’s wieder weiter. Aber auch musikalisch – bezüglich Intensität und Direktheit – versuche ich direkt was davon zu nehmen und für meine Stücke zu verwenden.
Hast du etwas in der Art auch einmal selber gespielt?
Ich hatte eine E-Gitarre, aber das reichte nur, um zum Spaß vielleicht in einer Band zu spielen, es gab eine Schülerband, da spielte ich Gitarre, Klavier oder Schlagzeug.
Wichtig wäre nur noch zu vervollständigen, was dir neben Metal-Musik noch taugt: Comics! Mittlerweile gibt es ja sogar zu “Peter Parker” (nach dem Comic und dem Film “Spider Man” 2004) für den Musikunterricht an der AHS-Oberstufe schon ein “Modul zur zeitgenössischen Musik”, einen “Unterrichtsbehelf” .
. den Axel Petri (siehe mica-Interview) für den Dorner-Verlag gestaltet hat. Worauf die alles draufgekommen sind bei dem Stück ist ja toll, das hab ich selber teilweise nicht gewusst, was man da offenbar alles herausholen kann! Schon witzig, da glaubt man was Unübliches zu machen und wird dann als Unterrichtsmaterial verwendet. Aber gut so.
Mir fiel auf, dass deine von dir autorisierte Werkliste in der mica-Datenbank mit dem Stück “bodyguards” für Sopransaxophon beginnt (1998). Daniel Ender vermerkt in seinem Buch mit Porträtskizzen über die Erste Bank Kompositionsaufträge 1989-2007 (Sonderzahl) auch Stücke von dir bis zurück in die frühen Neunziger .?
Ich tendiere eher dazu, bestimmte Sachen von mir – je nachdem, womit ich mich gerade befasse und woran ich arbeite – immer wieder als unwichtig einzuschätzen. So geht es den Komponisten oft. Aber andere, etwa welche vom Klangforum Wien, mit dem mich schon lange eine Zusammenarbeit verbindet, sagen dann oft, das ist doch gut. Wenn ich es dann höre, gefällt es mir auf einmal möglicherweise selbst auf einmal wieder. Es ist ja auch gut, dass die Stücke ein Eigenleben bekommen, dass nicht nur der Komponist entscheidet, was gut ist, was weniger . Ich finde es ja auch interessant, sogenannte “Jugendsünden” von anderen Komponisten zu hören.
Die Erprobung deiner Sachen mit Interpreten wie dem Klangforum ist dir dabei wichtig?
Sehr wichtig. Die Arbeit mit jedem Musiker ist schön.
Gehen wir ein wenig die Sachen durch, die nach bunny games entstanden sind, 2007 war das ja eine Menge. Etwa “schöne worte” für Violine, Viola, Violoncello und Klavier (UA im Schömerhaus). Warum “Schöne Worte”?
Das war ironisch gemeint – es ist eigentlich das Gegenteil davon, es waren Flüche, Schimpfworte. Weil dort, wo ich wohne im 10. Bezirk, entstand ein Neubau, der meine Aussicht blockiert. Weiters ist es eine Hommage an Rap Musik, Rapper können ja auch gut fluchen. Über zwei Jahre konnte ich nur mit Ohropax komponieren und schlafen, da der Lärm fürchterlich war. Früher waren Baustellen für mich nostalgische Geräuschlieferanten und sehr inspirierend. Gewidmet habe ich es drittens Hsin-Huei Huang und dem Trio EIS.
Okay. “Horribile dictu”.
. für Streicher, Posaune und Vokalisten war ein Auftrag für Berlin und Klangspuren Schwaz. Es sollte eine Arbeit für den Raum (Mehrchörigkeit) werden. Da der Raum für mich eigentlich nicht so interessant ist – ich bevorzuge die “konservative” Frontalsituation in Konzertsaal – wollte ich aber doch was Raumspezifisches machen. Ich entschloss mich, den Raum nicht als Erweiterung zu sehen sondern im Gegenteil als Bedrohung und Einschränkung. Ich nahm Texte aus Horrorfilmen, in denen Menschen in einen Raum eingesperrt sind und ihn so als bedrohlich beschreiben, zum Beispiel . es ist dunkel, ich höre was, wir werden beobachtet, lasst uns einen Ausweg suchen,.
Das wird jetzt (27.9.) auch in Schwaz bei den Klangspuren aufgeführt, wieder mit dem Ensemble Resonanz und den Neuen Vocalsolisten Stuttgart. Alle diese Werke und auch etwa die Orpheus Akte oder fète. gare sind verlegt bei der Edition Peters. Ist es gut, einen Verlag zu haben?
Ich hab’ mich lange nicht um einen Verlag gekümmert, vielleicht einmal – viel früher – bei der UE, aber das hat nicht geklappt. Das mit Peters geht auch auf die Hilfe von Sven Hartberger und Sylvain Cambreling zurück, der die Leute dort natürlich kennt. Es hat viele Vorteile einen Verlag zu haben. Man ist einfach präsenter, die Noten werden schön gedruckt, man muss nicht immer alles selber kopieren; und dass andere Menschen mit meiner Musik auch was dabei verdienen ist eine schöne Sache.
Die Orpheus Akte (UA 2005 mit dem Ensemble Modern in Schwaz): Da denkt man auch an deinen Lehrer Beat Furrer . [Anm.: Furrers Orpheus’ Bücher I, 2001, eine Bearbeitung der 1. Szene aus Begehren, beschreibt in Ovids bzw. Vergils Worten Orpheus’ Aufstieg ans Licht, seinen Wunsch, sich umzudrehen und das Verschwinden Euridices, des Objekts seines Begehrens]
Ja schon, aber Beat Furrer ist ja nicht allein auf den Orpheus abonniert, dachte ich mir, so hab ich da auch etwas gemacht . Und meistens wird ja Orpheus immer so “poetisch” dargestellt, dem wollte ich eine weniger poetische Version entgegenstellen.
2007 war von dir noch beim Musikprotokoll in Graz “King’s message” für Tenor und Instrumente (mit dem ensemble intégrales) .
Da geht es um Zitate aus der Heavy Metal- und Trashmetalszene, um Interviews über den Zugang dieser Musiker zum Musikmachen und über Inhalte und Texte ihrer Songs. Besonders von Slayer und deren Mastermind Kerry King (deshalb King’s Message).
Und jetzt sind wir bei “Beine und Strümpfe” in Donaueschingen 2008, das spätestens brachte den – wie man so schön sagt – auch “internationalen Durchbruch”?
[Anm.: “Bernhard Gander beschreibt seine Stücke meist über assoziative Analogien zum Alltag und zur Rockmusik. In diesem Fall ließ er sich von außermusikalischen Bildern inspirieren, von Strümpfen, die ihren Weg zunächst auf den Laufsteg, schließlich in die Disco finden – die Komik oder spielerische Absurdität dieses Vergleichs findet sich in Ganders Musik ebenso. Die Bewegungen tanzender Beine übersetzte er in klangliche Bewegungsabläufe, die Dehnbarkeit der Strümpfe in flexible Rhythmisierungen. Wer nach Ganders Selbsterklärungen Klänge erwartet, die direkt der Popularmusik entspringen, wird regelmäßig, so auch hier, enttäuscht – und zwar durchaus im positiven Sinne. Beats, die nur die Magengrube interessieren, finden sich hier nicht. Ganders Klangsprache hat nichts mit direkten Gesten aus Pop oder Rock zu tun, selbst wenn er sich immer wieder von einzelnen Strukturideen, von Dauern, Intensitäten oder Klangperspektiven, gelegentlich auch von rhythmischen Rock und Pop-Patterns inspirieren lässt. Alles aber wird – oft komisch oder grotesk oder anarchisch – transformiert.” (Nina Polaschegg)]Wie fühltest du dich in Donaueschingen, als wahrscheinlich auch viele Journalisten mit dir sprechen wollten?
Das habe ich gar nicht so gemerkt, es waren ja zwei Ensembles, die mein Stück gespielt haben, und ich sollte und wollte möglichst viel bei den Proben dabei sein und habe vor allem die Arbeit in Donaueschingen in Erinnerung.
Aber neben dem Komponieren kellnern oder etwas anderes arbeiten um Geld zu verdienen musst du seitdem wahrscheinlich nicht mehr?
(Lacht). Nein, derzeit nicht. Aber wenn es wieder nötig ist, mach ich es halt. Kellnern ist anstrengend aber es ist oft auch ein schöner Job. Aber ich muss jetzt einmal auch eine Pause machen, und ein bissl weniger schreiben. Ich gehe demnächst für ein paar Monate nach Peking, meine Freundin ist Sinologin und hat dort für ein Jahr einen Job und ich möchte auch dorthin. Dort möchte ich natürlich nicht nur komponieren, sondern auch alles andere .
Um chinesische Musik – etwa die Peking-Oper, so lang es sie noch gibt – besser kennen zu lernen und zu studieren, wie es Tan Dun machte? Der ist ja sehr berühmt derzeit.
(Lacht). Ich habe neulich Lang Lang mit dem Klavierkonzert von ihm “erlebt”, ist das ein Zirkus! – Obwohl, die früheren Sachen von Tan Dun .
. sind ja nicht schlecht. “Marco Polo” etwa.
[Anm.: Das Interview führte Heinz Rögl, aufgeschrieben ist es “by memory” (durch gute Korrekturen und Nachbesserungen Bernhard Ganders verbessert und “autorisiert)”, da das Digital- Wave – Aufnahmegerät zum Aufnahmezeitpunkt “full” war und nicht aufnahm, was er nicht merkte, als er Bernhard Gander im “Espresso” im 7.Bezirk am Abend des 22. September (`s war schon finster) damit interviewte. Der Interviewer und Autor hörte bei der Nachkontrolle auf dem Gerät dann drei Stunden lang zunächst die Geräusche der Lokalbahn Zell am See-Mittersill, Fragen des Autors an einen Gastwirt in einem Gastgarten in Stuhlfelden, wie lang man denn da von hier auf die Bürglhütte gehen müsse (“1 ½ Stunden, das liegt ja auf 1.700 m”), laute Verkehrsgeräusche von der Bundesstraße neben dem Gastgarten in Stuhlfelden, wieder Lokalbahn und Raisonnieren über die Schaffnerin, die dauernd mit dem Handy telefonierte, Aufstiegs-Gehgeräusche vom Bahnhof Mittersill Richtung Schachernhof , usf.: eine “Landschaftsoper”, unbemerkt und ungewollt aufgenommen; anscheinend fällt dem Autor so etwas immer dann ein, wenn er zu Projekten von Peter Ablinger anreist (vgl. den mica-Bericht über die “Landschaftsoper Ulrichsberg” vom Juni 2009, Peter Ablinger). Diesmal führte Peter Ablingers “Selbstportrait mit Mittersill”, das im Mittelsatz (“Adagio”/ 3′), Verkehrs-Geräusche der Pass-Thurn-Bundesstraße wiedergibt, in diesem speziellen Fall zu einer Art dreistündigen anderen Version: “musique concréte” ohne Willen des “Urhebers”, besser Verursachers].
Bernhard Gander bei Wien Modern 2009:
So 8. November 2009 | 19:30 Arditti Quartett
Di 17. November 2009 | 19:30 Klangforum III
Mi 18. November 2009 | 21:00 Gander | fluc ‘n’ flex
Fr 20. November 2009 | 19:30 RSO II
https://www.musicaustria.at/musicaustria/liste-aller-bei-mica-erschienenen-interviews