Mia Zabelka/Tungu/Stefan Strasser – „The Confidence of One Swimming Against the Current“

Für dieses Album haben sich drei Musiker:innen mit diversem Background zusammengetan. Das allein schon verspricht ein spannendes Hörerlebnis, freilich kann so etwas auch schiefgehen. Mia Zabelka, eine fixe Größe in der österreichischen zeitgenössischen elektroakustischen Musik, muss man wohl nicht ausführlich vorstellen. Sie ist wohlbekannt für ihre neue Spielweise der akustischen und der elektronischen Violine und nicht zuletzt für ihre zahlreichen, sehr interessanten und ästhetisch erfolgreichen Zusammenarbeiten. Mit ihrem im positiven Sinne akademischen Background hebt sie sich ab von den beiden anderen Musikern. Tungu nennt der ukrainische Bassist, Elektroniker und Produzent Sergey Senchuk sein Soloprojekt. Sein Hintergrund ist der extreme Metal, er war in diversen Metal Formationen tätig. Stefan Strasser ist Improvisator, Komponist und Soundkünstler. Sein Hintergrund ist die DIY-Szene, in der er sich zwischen freier Improvisation, Ambient, Jazz und Noise bewegt. Der Background der drei Musiker:innen ist also geradezu heterogen. Umso überraschender ist es, dass das Album der drei wie aus einem Guss klingt, als hätten sie immer schon miteinander gespielt. Das Album klingt geradezu wie ein Spätwerk einer Band. Wie kann das sein? Nun, die drei Musiker:innen haben etwas gemeinsam, was dieses organische Zusammenspiel ermöglicht. Alle drei sind nicht nur erfahrene Musiker:innen, sondern darüber hinaus höchst erfahren im Dialog. Alle drei haben eine dokumentierte Geschichte von Zusammenarbeiten in Duos und in größeren Formationen. Diese Erfahrung und wohl auch die ähnliche Grundeinstellung ermöglicht es ihnen, aufeinander zu hören, aufeinander zu reagieren, ohne dass sich jemals jemand in den Vordergrund spielen würde.

Zabelka/Tungu/Strasser - Cover

Das erste Stück, „Loopy Floopy“, eröffnet den Klangraum des Albums. Geräuschhafte Perkussion wird immer mehr von den Beats des Schlagzeugs dominiert. „Haunting Memories“, das zweite Stück, wird seinem Titel gerecht. Eine unheimliche Stimmung herrscht von Anfang an, gedämpfte, langgezogene Töne erklingen wie aus der Ferne. Das Stück endet wie eine etwas schmerzhafte Erinnerung. Weiterhin um das Schaffen von Atmosphäre geht es im nächsten Stück, „Elemental Thinking“. Die unheimliche Stimmung ändert sich nicht, doch das Schlagzeug kommt wieder und stellt den Zusammenhang zum Beginn her. „Quantum Noise“ ist, der Titel deutet es schon an, das erste Stück, in dem Mia Zabelkas Handschrift deutlich wird. Hier dominiert ihre einzigartige Noise-Violine, man könnte auch sagen, ein Upgrade der verzerrten elektrischen Gitarre. Es ist das erste wilde und laute Stück des Albums, die zyklischen Klangmassen der elektrischen Violine werden durch gutturale Vocals rhythmisch akzentuiert. Es folgt das für mich zentrale Stück des Albums: „Cellular Resonances“. Hier ist von einem harmonischen Drone mit im wörtlichen Sinn reichen Resonanzen die Rede. Dies ist eine Ruheinsel nach dem Noise, der sich hier aber sozusagen einschleicht und schlussendlich ko-dominant wird. Denn Mia Zabelkas Automatic Playing auf der Violine schiebt sich unmerklich in den Vordergrund, sehr intelligent und zurückhaltend begleitet von Drones. Ergebnis ist eine hochinteressante Mischung aus Drone, elektronischen Akzenten und Noise. „Hope Drone“, das nächste Stück, verdeutlicht klanglich die Ambivalenz der Hoffnung. Der Drone bahnt sich an bis zum Schluss, kommt aber nie wirklich zustande. Das erzeugt eine ähnliche Wirkung wie eine unaufgelöste harmonische Spannung in der tonalen Musik, ohne tonal zu sein. „Reading an Upside-Down Book“ hat wieder einen perkussiv-geräuschvollen Beginn und schafft ein Anknüpfen an den Anfang und einen Neubeginn zugleich. Ein Deja-vu-Erlebnis ist auch „Owls vs. Birds“, hauntology is back, könnte man sagen, eine Melodie geistert zwischen Geräuschen herum. „Profundity Unveiled“ stellt dann die Cut-up-Technik in den Vordergrund. Es ist ein ständiges Aufblitzen von musikalischen Momenten, die miteinander wetteifern, das polyphonste Stück des Albums. „Reverse River Current“ ist minimalistisch repetitiv und wieder entwickelt sich etwas im Ansatz, was dann doch nie manifest wird. Im Gegensatz dazu ist das folgende „Mastery in Motion“ eindeutig laut, verzerrt und getragen von Feedback-Effekten.

Im Kontrast dazu steht „Whimsical Whirls“ mit seinen geräuschvoll zarten Klängen, perkussiv ohne Beat, eine Harmonie huscht vorbei. Vorbeihuschen ist vielleicht die beste Bezeichnung für diese Klangwelt. „Comprehensive Expertise“ klingt wie ein Sonic-Youth-Stück aus der Spätphase der Band, entspannt und klanglich-harmonisch magisch intensiv zugleich. „Inverted Insights“ lässt Sonic Youth sofort wieder vergessen, wieder dominieren die Cut-up-Technik und das Versprechen eines harmonischen Drones, das nicht eingelöst wird, wodurch eine faszinierende Spannung entsteht. In „Inexact Looks“ treffen gutturale Vocals auf lang ausgehaltene Streicherklänge. Das letzte Stück, „Nacht Bild“, ist der zweite Höhepunkt für mich und zugleich Ausklang. Eine Klangfläche wird ausgebreitet mit Andeutungen tonaler Harmonien, die aber immer in der Schwebe bleiben, ein echtes Nocturne eben.

Als Fazit kann man sagen, es handelt sich um ein unglaublich konsistentes Album von drei Ausnahme Musiker:innen. Dieses Album will nicht etwas, es will nichts zeigen, im Gegenteil, es ist, was es ist. Mit anderen Worten, es hat eine Präsenz, die authentisch wirkt.

Karl Katschthaler

++++

Mia Zabelka
Mia Zabelka (music austria Musikdatenbank)
Mia Zabelka/Tungu/Stefan Strasser: the confidence of one swimming against the current (Bandcamp)
„Best of Experimental Music November 2024“ (Bandcamp)
Mia Zabelka – UK-Tour, u. a. Cafe Oto am 5. Februar 2025