Die Wiener Band WERCKMEISTER hat schon mit ihrer 2020er EP “Großmutter Wolf” eindrucksvoll gezeigt, dass sie den Begriff Pop ein wenig anders als gewöhnlich zu deuten versteht. In den Songs der Truppe rund um den Songwriter DAVID HOWALD verbinden sich Proto-Goth-Ästhetik und Popsong auf kunstvolle und zugleich erfrischend raue Weise zu einem ureigenen Klang, der vor allem auch durch die Stimme sowie die Texte des Frontmanns fesselnde Tiefe und Atmosphäre entwickelt. Mit „Kairos“ (Werk Music) ist nun das erste Full-Length-Album der Band des in Wien lebenden Schweizers erschienen. Im Interview mit Michael Ternai erläutern DAVID HOWALD und FLORIAN HÜMMER (Bass), was es mit dem Begriff „Kairos“ auf sich hat, woher die Einflüsse für die Musik stammen, und ihre Inspirationsquellen.
Was sich schon bereits auf eurer EP „Großmutter Wolf“ angekündigt hat, findet auf eurem Full-Length-Debüt „Kairos“ nun die Bestätigung. Musikalisch entsprechen eure Songs nicht unbedingt dem gewöhnlichen Popschema. Vor allem die Stimmung, die sie transportieren, und die große musikalische Breite und die verschiedenen Intensitäten, die sie abdecken, machen sie besonders.
David Howald: Dieses Album macht sicher dieser extreme Spagat aus, den du gerade angesprochen hast, die große Dynamik zwischen den Tälern und den hochliegenden Plateaus. Man kann sagen, es erzählt in gewisser Weise ein ganzes Leben in zwölf Songs. Warum es so geworden ist, hat zum einen auch damit zu tun, dass die Songs über einen längeren Zeitraum in verschiedenen Phasen entstanden sind. Zum anderen, weil es für mich als Songwriter der erste Rundumschlag in deutscher Sprache war. Auf der „Großmutter Wolf“-EP war es ja noch eher eine Behauptung, dass ich es einmal auf Deutsch versuche. Mit „Kairos“ ist das jetzt in Fleisch und Blut übergegangen.
Florian Hümmer: Das kann man wirklich so sagen. Für mich halten das Album vor allem Davids Texte zusammen. Sie bilden den Roten Faden und die Grundlage für die Musik, die sich dann über eben diese extremen Pole ausdrückt.
David Howald: Was mich schon wundert, ist, dass ich oft auf diese Heterogenität des Albums angesprochen werde. Das lässt mich irgendwie darüber nachdenken, ob heute vielleicht das Serielle mehr gefragt ist und ein Album zwölf Songs haben soll, die alle in etwa gleich klingen, damit es als Ganzes leichter zu verdauen oder besser zu schubladisieren ist. Bei einem etablierten Act wird das viel weniger hinterfragt. Nimm zum Beispiel das Album „Low“ von Bowie oder „Hail to the Thief“ von Radiohead, die stimmungstechnisch eine nahezu verstörende Bandbreite offerieren. Ich finde, ein Erstlingswerk sollte dies auch dürfen.
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Was ebenfalls auffällt, ist dieser rohe und ungeschliffene Sound, der etwas sehr Unmittelbares vermittelt.
David Howald: Man hätte dieses Album sicher auch anders produzieren können. Mit Schichtung, Overdubbing usw. Aber wir haben uns von Beginn an den Anspruch gestellt, alles live einzuspielen. Was du auf dem Album hörst, sind fast ausschließlich One-takes. Uns war wichtig, eher Gleichzeitigkeit, als Schichtung abzubilden. Was auf technischer Ebene auch mit der Bedeutungsebene des Albumtitel „Kairos“ korrespondiert.
Mit meinem letzten englischsprachigen Soloalbum [„The Double“; Anm.] hatte ich eigentlich genau das Gegenteil praktiziert. Da waren zwar viele Musiker*innen daran beteiligt gewesen, nur wurde alles in verschiedenen Städten eingespielt, Berlin, Wien, Basel, Zürich. Die Leute sind sich da eigentlich nur im virtuellen Raum begegnet bzw. wurden sie im Pro-Tools zu einer Art Band zusammengedoppelt. Da hatte ich Songprojekte mit hunderten Schichten und Layern. Ich habe an diesem Album viel zu lange gearbeitet und mich dermaßen im digitalen Editing verzettelt, dass ich am Ende beinahe in der Klapse geendet wäre. [lacht]
Ich kann mir das Album heute zwar immer noch gut anhören, aber ich habe das Gefühl, dass da etwas fehlt. Es ist zwar perfekt gemacht, aber es fehlt irgendwie die Luft zwischen den Musiker*innen. Und es fehlt der Zufall. Danach habe ich angefangen, diese Produktionsweise als Irrweg zu betrachten und mir vorgenommen es beim nächsten Album anders zu machen. Wenn die Songs genug stark sind und man eine Band hat, die sie spielen kann, dann sollte man den Wildwuchs und die Verkrümmungen, die bei der Live-Performance entstehen, schätzen und umarmen.
Wann habt ihr eigentlich euch alle zusammengefunden. Wann ist es mit Werckmeister losgegangen?
David Howald: Es war eigentlich ein fließender Übergang von David Howald & Band hin zu Werckmeister. Im Zuge der Veröffentlichung meines letzten, englischen Solo-Albums stand damals die obligate Releaseshow an. Und ich merkte, dass ich das Material eigentlich gar nicht alleine spielen kann. Zumindest nicht so, wie ich es mir vorstellte. Das Album sollte schon mit einer Band und nicht mit einem Computer via Loops und Backing-Tracks präsentiert werden. Und dann habe ich einfach Florian angefragt, ob er nicht Bock hätte, mit mir die Show zu spielen. Und auch zwei andere Musikerfreunde, die heute jedoch nicht Teil von Werckmeister sind.
Bedeutend war das Konzert für mich dahingehend, dass es mir gezeigt hat, wie sehr ich es brauche, mit einer Band auf der Bühne zu stehen. Es fließen einfach viel mehr Einflüsse und viel mehr Energie in die Musik mit ein. Gerade live. Mir wurde klar, dass ich mit einer fixen Band weitermachen will. Dann kam noch der sprachliche Wechsel vom Englischen ins Deutsche hinzu – was einer Vision entsprach. die ich und Flo schon seit Längerem zusammengesponnen hatten und was es notwendig machte, das Ganze wieder als Band und Gesamtkunstwerk zu labeln.
Florian Hümmer: Man kann sagen, dass wir 2018, 2019 als David Howald & Band unterwegs waren und ab Anfang 2020 zu Werckmeister wurden.
Warum eigentlich der schon angesprochene Wechsel von Englisch auf Deutsch?
David Howald: Das hat verschiedene Gründe. Ich habe eigentlich immer schon gewusst – schon als ich mit siebzehn auf Englisch Lieder zu schreiben begonnen habe -, dass irgendwann vermutlich der Moment kommen wird, wo ich ins Deutsch wechseln werden muss. Von Liedtexten abgesehen schreibe ich ja seit je her auf Deutsch. Meine Prosa, meine Gedichte. Irgendwann musste ich merken, dass ich im Englischen sprachlich an meine Grenzen stoße und dass sich das, was in mir und um mich herum passiert, nicht länger in englischer Sprache abbilden lässt. Zugleich war da die Lust, die Komfortzone die ich mir mit den englischen Songs geschaffen hatte, zu verlassen. Mir fiel zunehmend auf, dass das Englische alles, was ich sage, automatisch auf eine ganz bestimmte Weise ästhetisiert. Auch hat man automatisch eine Distanz zu dem, was man sagt. Zumindest ging mir das zunehmend so – für Andere funktioniert das Englisch natürlich wieder anders. Es ist die traditionelle Sprache des Blues und des Rock ‘n’ Roll und ist daher mit sehr vielen, dankbaren wie auch undankbaren Stereotypen und Klischees behaftet. Man spielt gewissermaßen auf einem fremden Spielfeld. Ich habe irgendwann realisiert, dass ich einem Nick Cave auf Englisch nie das Wasser werde reichen können. [lacht] Auf Deutsch natürlich auch nicht.
„Wenn man nämlich schaut, wo wir lyrisch und inhaltlich herkommen, dann geht das oft auf die Anfänge der sogenannten Goth-Musik zurück.“
Die Songs des Albums klingen sehr verschieden und an Einflüssen sehr reich. Sie reichen von Nina Simone über Antony and the Johnsons bis hin zu Joy Division. Und Gothic soll auch eine Rolle spielen.
David Howald: Den Begriff Gothic hängen wir uns selber irgendwie um. Wenn man nämlich schaut, wo wir lyrisch und inhaltlich herkommen, dann geht das oft auf die Anfänge der sogenannten Goth-Musik zurück. Und das sind nicht die angemalten Kids, die in den 1980er Jahren angefangen haben, sich mit Haarspray aufzutakeln, sondern Screaming Jay Hawkins mit „I put a spell on you“ und auch Nina Simone, The Doors oder Velvet Underground – insbesondere die Soloalben von „Nico“. Es geht bei all dem mehr um den Geist als um Genregrenzen. Bei Screaming Jay Hawkins war es die theatrale Art, in der er aufgetreten ist. Bei den Doors ist es der Track „The End“, der zum ersten Mal im Pop das Ödipale, Tod und Sex auf einer Folie vereint. Das wiederum geht dann alles zurück auf schwarz-romantische Literatur wie etwa Charles Baudelaires „Les Fleurs du Mal“. Letzteres war für mich als Jugendlicher lyrisch der vielleicht größte Einfluss. Rein stilistisch für Werckmeister am prägendsten ist vermutlich das Postpunk-Update; also die schmucklose Proto-Goth-Musik der späten 70er – dazu gehören Joy Division, die Swans oder das Album „The Idiot“ von Iggy Pop und David Bowie.
Florian Hümmer: Was die musikalische Prägung betrifft, muss man klarerweise auch Radiohead erwähnen. Das ist eine Band, die für uns beide sehr wichtig war und immer noch ist. Ob man es in unserer Musik hört oder nicht, sei dahingestellt, aber die waren auf jeden Fall ein wirklich großer Einfluss.
Ganz klar ein großes Thema bei euch sind deine Texte, David. Im Pressetext heißt es, „Das Wesen seiner Texte ist das Zyklische, Fluide und Unabgeschlossene.“ Was ist damit gemeint? Welchem inhaltlichen Konzept folgen die Songs?
David Howald: Es ist auf jeden Fall kein Konzeptalbum. Ich bin irgendwann auf den Begriff „Kairos“ gestoßen und habe ihn als eine Art Schlüssel erkannt. „Kairos“ bedeutet eigentlich der Moment oder sowas wie das unendliche Jetzt. Im Gegensatz zu „Chronos“, was die chronologische Verkettung der Zeit bedeutet. „Kairos“ ist die Zeit im verflüssigten Zustand und bietet die Möglichkeit zu Abzweigungen für das Handeln. Beide Dinge sind immer vorhanden; Das Starre und das Bewegliche. Es ist lediglich eine Frage der eigenen Verfassung, was man gerade sieht. Man kann einen Moment wahrnehmen oder nicht. Du kannst handeln oder nicht. Die abendländische Geschichtsschreibung ist der Chronik, dem Linearen verpflichtet. Kairos ist eher das Zyklische.
Was bedeutet das nun auf die Texte bezogen? – ich war nie ein klassischer Geschichtenerzähler, der sein Narrativ von A nach B ausbreitet. Meine Texte waren immer fragmentarischer Natur. Ich habe die Dinge immer aus verschiedenen Perspektiven beleuchtet und versucht, sie in Bewegung zu zeigen, die Figuren aufzufächern und aufzubrechen.
Der britische Maler Francis Bacon hat einmal gesagt, dass eine Fotografie die Wirklichkeit nie vollständig abbilden kann. Wenn du eine Person fotografierst, fängst du nie alle ihre Facetten ein. Deswegen, meinte er, kann ein Foto einer Person nie gerecht werden. Man könnte also sagen, dass ich mit meinen Texten keine Fotos mache, sondern Porträts male.
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Was bildet die Inspirationsquelle für deine Texte?
David Howald: Auf diesem Album sind es schon viele persönliche Geschichten. Was auf jeden Fall in vielen Songs drin steckt, ist die Geburt meiner Tochter. Ein Moment der absoluten Transparenz. Von den Gefühlen her überrollt dich das wie ein Zug. Aber auch die Zeit davor und danach. Der Song „Lilith über der Stadt“ handelt davon. Das Seltsame, wenn ein Kind auf die Welt kommt ist, dass die ganze Welt von diesem Kind durchgeistigt scheint. Es gibt nichts mehr, wo du das Kind nicht mehr drin siehst. Da sind mir wieder mal temporär ein paar Lämpchen aufgegangen. Es ist alles in allem ziemlich persönliche Musik, die man auf „Kairos“ zu hören bekommt.
Wie sehen eure Pläne für die nächste Zeit aus? Ist ein Releasekonzert bzw. sind Konzerte geplant?
David Howald: Es ist ja so, dass wir unser Releasekonzert mittlerweile schon zwei Mal verschoben haben. Ursprünglich hätte es im November stattfinden sollen, was aber aus bekannten Gründen nicht möglich war. Wir haben dann entschieden, den damals geplanten Release gleich mit zu verschieben. Auch weil die Lieferketten für die Vinyl-Produktion stockten und die Platten nicht rechtzeitig gepresst werden konnten. Ein Schicksal, das viele Bands im Moment teilen. Dann haben wir alles auf Februar verschoben und dann kam Omikron. Jetzt soll das Releasekonzert am 18. März im Werk stattfinden. Digital kommt es aber am 4. Februar bereits raus.
Florian Hümmer: Mitte/Ende April folgt eine kleine Albumrelease-Tour durch Deutschland, die Schweiz und Österreich, was, hoffe ich, auch klappen sollte. Aktuell sind es so sechs, sieben Termine und ich denke, dass der eine oder andere noch dazukommt.
Und seid ihr schon am Schreiben von neuen Songs?
David Howald: Im Grunde ist das nächste Album schon fertig. Ich habe es auch bereits in Form eines Soundcloud-Sets zusammengestellt. Das mache ich gerne, solche Sets zusammenstellen und der Band schicken. [lacht] Es wird wahrscheinlich ein bißchen eine Synthese aus dem Live-Konzept von jetzt und diesem Overdubbing-Ding von früher werden – und ein gutes Stück diesseitiger, als das aktuelle Album. „Kairos“ hat doch stark Schlagseite ins Metaphysische. Beim neuen Zeug sind viele Lovesongs mit dabei, es hört sich ein bißchen an wie die Tagebücher eines verliebten Teenagers. [lacht]
Florian Hümmer: Ob wirklich solche wie die eine Teenagers, bezweifle ich … [lacht]
Herzlichen Dank für das Interview!
Michael Ternai
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