Es beginnt mit einem Cut. Nach vier Jahren und 28 (!) Tonträgern spaltet sich das Team hinter „Totally Wired Records“ und verlautbart das Ende des bis dahin unter Strom stehenden Labels. Die Antwort auf die Frage nach der Erbfolge erscheint nur wenige Monate später – in Form einer Musikkassette. Darauf zu hören sind die prophetischen Worte des unverwechselbaren AL BIRD DIRT: „One potato, two potato, three potato, four, five potato, six potato, seven – I want more!“
Anna Pühringer und Philipp Hanich führen seit 2016 unter neuer Oberflächenerscheinung als „Cut Surface“ fort, was schon mit „Totally Wired“ nachhaltig angelegt und ausgeführt wurde: die rastlose Verbreitung aktueller und vorrangig lokaler Musikproduktionen unter dem einenden Geiste des (Post-)Punk. Selbiger schwebt nicht nur über dem „Sound“ des Labels, sondern freilich auch über dessen Arbeitsteilung.
Fest eingebettet im wärmenden Nest einer Community brütet man bei „Cut Surface“ jede Veröffentlichung in enger Zusammenarbeit mit den jeweiligen Künstlerinnen und Künstlern Schnitt für Schnitt und Schicht für Schicht aus – vom Artwork-Entwurf bis zum Release-Konzert. Der abgenutzte Begriff „DIY“ ist hier, wo die Leute vom Label noch selbst Aufnahmen abmischen, Prints zuschneiden und Plattencover bemalen (vgl. dazu die vielen manuellen Arbeitsschritte zu Lady Lynchs „Hommage“), wohl noch in seinem naivsten Sinne zu verstehen und dankenswerterweise weit entfernt von hippen Lifestyle-Blogs über individuelle Gartengestaltung.
Coolness jenseits von Kalkül umgibt das Label und die Seinigen schon seit dem folgenschweren ersten Eintreffen der Linzer Kunststudentinnen in Wien, das die Ursuppe rund um „Totally Wired Records“ und in weiterer Folge „Cut Surface“ erstmals zum Blubbern brachte: RABE, Krafftmalerei und The Happy Kids sind genau genommen schon lange Underground-Geschichte – und wirken doch noch immer nach.
„Rip It Up and Start Again“
Gemäß der Stilrichtungen und Denkschulen prägenden Maxime „Rip It Up and Start Again“ (siehe Orange Juice und Simon Reynolds) geht es also mit „Cut Surface“ weiter. Der bisherige Katalog des Labels umfasst vor allem die rhythmusorientierten, experimentierfreudigen und minimalistischen Spielarten des Rock (sprich: Post-Punk), die sich oft durch den Einsatz von charakteristischen Instrumenten wie Drum Machine, Synthesizer, Heimorgel und Saxofon (Lonesome Hot Dudes!) kennzeichnen.
Das Genre-Potpourri reicht damit von Minimal Rock ‘n‘ Roll, Exotica, Garage- und Synth-Punk (Ana Threat, Al Bird Dirt, Bruch, Imposition Man, J.G.G.) über Avant-Pop und Wave (Lady Lynch, Lonesome Hot Dudes, Postman) bis zu Glam-, Noise- und Surfrock (von Tom Wu und Dazed Pilots über Melt Downer bis Beach Girls And The Monster).
Auf der Madchester-Maxi von The Telly, den beiden Releases von Dino Spiluttini/Wrong Body und der Platte von The Boiler werden schließlich auch House, Drone und Techno eingemeindet – überhaupt wird Öffnungen in alle Richtungen gerne der nötige Raum gegeben.
„Cut Surface“ ist laut Hanich trotz oder gerade wegen allem, wofür es stehe, „kein Zirkel, der immer nur unter sich bleibt“.
No future?
Wie hermetisch ist man bei „Cut Surface“ wirklich? Ein oberflächlicher Blick auf die aktuellen drei Releases – in der dominierenden Farbe Schwarz gehalten – kann Unvorbereitete leicht in die Irre führen.
Lady Lynchs selbstbetitelter Longplayer, „Body=Death“ von The Boiler und die „Benzo Edits“ von Dino Spiluttini als Wrong Body erwecken einen pophistorisch vertrauten Weltschmerz: den einer wiedergängerischen No-Future-Generation, die sich in völliger Entfremdung gegenüber einer trostlosen Existenz („Born In A Bag“ – The Boiler, „City Falls“ – Lady Lynch, „The Worst Sky“ – Wrong Body) in Isolation, Exzess und Selbstzerstörung flüchtet.
„Es schwingt da eine Düsternis mit, die generell in der Zeit liegt“, man spüre sie aktuell in der Politik und auch darin, wie man sich darüber unterhält, beobachtet Pühringer. Gleichzeitig handele es sich aber eben auch um intime Geständnisse von Schmerz, Frust und der eigenen Unzulänglichkeiten, die öffentlich verhandelt werden und gerade dadurch Signalwirkung zeigen. Es sei völlig in Ordnung, über deprimierende gesellschaftliche Zustände zu diskutieren, und es sei jetzt höchste Zeit, dass etwas dagegengehalten werde. „Die Künstlerinnen und Künstler gehen schon von einer gewissen Untergangsstimmung aus, mit der man sich auseinandersetzen muss – um damit wieder das andere zu finden“, unterstreicht Hanich.
Future now!
Allenfalls hört man also eine Flucht nach vorn. „Schwarzmalerei“ in der Musik und eine bessere Zukunft für alle stehen keinesfalls im Widerspruch zueinander.
Ein kritischer Existentialismus bei The Boiler, Lady Lynch und Co. erstarrt nicht in Apathie, sondern motorisiert die Aktion – nicht weniger als der Expressionismus bei Lonesome Hot Dudes, Imposition Man und Bruch („Should I smash the authorities or my hotel room instead?“). Gerade weil die Geister der Vergangenheit wiederkehren, gerade weil es kälter wird in diesem Land (und über seine Grenzen hinaus) und gerade weil wir unsere wachsamen Blicke darauf werfen, sind wir jetzt zusammen (vgl. „Fundamental Friend Dependability“ – Lady Lynch).
„Cut Surface“ und viele befreundete Labels und Artists engagieren sich seit knapp einem Jahr als „Teil des linken Musiker*innenratnetzwerks“ (siehe Signale 2018), einem politischen Zusammenschluss vieler Musikschaffender der Stadt. Ein Indie-Label zu führen beschränkt sich also nicht auf die Publikation von Tonträgern, sondern wird hier auch als gesellschaftlicher Auftrag verstanden. Hanich zur Signale-Losung „Musik politisch machen“: „Man kann mit Musik allein keine Politik machen, aber man kann den Menschen Brücken bauen, die ihnen dabei helfen, sich Meinungen zu bilden und sich etwas zu trauen – und die Dinge, die sie niedermachen, zu erkennen.“
Zusammensein
Bei „Cut Surface“ interessiert man sich vorrangig für Räume, die „erst mal nicht zu irgendetwas dienen, was einen Nutzen hat“. Abseits eines beengenden Marktes, auf den auch ein Großteil des österreichischen Förderwesens abzielt („Das nennt sich dann ‚Kunst- und Kulturförderung‘, will aber Produkte.“), verfolgt das kleine Label seinen künstlerischen Anspruch mit (un-)wirtschaftlicher Konsequenz: „Doing the most with what we received“, wie bei „Cut Surface“ online zu lesen steht. Für auflagenschwache (man presst meist um die 300 Stück einer Platte) und nicht gewinnorientierte Projekte herrsche ohnehin keine große Offenheit in jener „Kulturstadt Wien“, in der immer wieder die „Hochkultur“ vorgeführt werde (Pühringer).
Das „Independent“ in der Indie-Szene steht bei „Cut Surface“ auch für die bewusste Verweigerung, der allerorts antizipierten Verwertungslogik zu dienen. „Unser Label produziert keinen Erfolg, sondern sorgt dafür, dass die Musik und die Leute zusammenkommen“ (Hanich). Dementsprechend folgt „Cut Surface“ dem Prinzip eines nachbarschaftlichen „Do It Together“, wie Kollaborationen mit anderen Labels wie „Vinylograph“, „KIM/Wilhelm Show Me The Major Label“, „Echokammer“, „Numavi“, “House” und „fettkakao“ zeigen. Man arbeitet im kleinen Rahmen gemeinsam daran, das soziale Netzwerk zu erweitern, indem ein persönlicher Austausch von Tonträgern und Ideen möglich gemacht wird.
Neben den traditionell starken Banden nach Graz und Linz pflegt man auch enge Kontakte nach Barcelona und München – zwei Partnerstädte außerhalb Österreichs, die stellvertretend für die grenzüberschreitenden Ambitionen der Familie „Cut Surface“ gesehen werden sollen.
True to the different
Im dritten Jahr des Labels geht es also sinngemäß expansiv weiter. Noch vor dem Sommer 2019 soll sich die Sippe um drei Bands erweitern: Wirtschaftskammer, das neue Bandprojekt rund um Texter Clemens Denk, sponsert schon bald einen Tonträger, der unser aller Soundtrack zur Insolvenz werden könnte (vgl. „Rechnung (Dub)“ auf CS014).
Mit Just Friends And Lovers meldet sich ein elementarer Bestandteil des Grazer Undergrounds, der in den vergangenen acht Jahren auch schon bei „Wilhelm Show Me The Major Label“ und „fettkakao“ in Erscheinung getreten ist, zum ersten Mal seit seiner Abwanderung nach Wien mit einem Longplayer auf „Cut Surface“.
River, ein neuer Off-spin der Münchner Das Weiße Pferd, soll passenderweise durch die Stile mäandern und sich damit einfachen Zuschreibungen entziehen. Hanich: „Wieder anders. Wenn man ein klassisches Wave-Label wäre, würden die Leute dazu sagen: ‚San’s jetzt deppert woan?‘!“
„Cut Surface“ bleibt „true to the different“.
Michael Giebl
Links:
Cut Surface (Website)
Cut Surface (Bandcamp)
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