Fünf Jahre sind vergangen, seit Purple is the Color mit „Epic“ ihr letztes Album veröffentlicht haben – eine Zeit, in der die Band um Pianist und Komponist Simon Raab alles andere als stillstand. Der österreichisch-tschechische Vierer tourte quer durch Europa, verfeinerte seinen Klang und wuchs dabei als Ensemble zusammen. 2023 folgte der Ritterschlag: Als Stageband des Wiener Jazzclubs Porgy & Bess präsentierten sie neun individuelle Programme – ein kreativer Marathon, der schließlich in „Unbemanntes Raumschiff“ (Unit Records) mündete. Das neue Werk dokumentiert diesen Entwicklungsschub: intuitiv eingespielt, kaum nachbearbeitet und erfüllt von unmittelbarer musikalischer Energie. Zwischen zeitgenössischem Jazz, feinen Melodiebögen und unerwarteten Wendungen entfaltet sich ein Sound, der Kopf und Herz gleichermaßen anspricht. Im Interview mit Michael Ternai spricht Simon Raab über den Reifeprozess, den Purple is the Color durchlaufen hat, über das daraus entstandene intuitive Verständnis füreinander – und über das pure, unverfälschte Musikmachen.
Das letzte Mal sind wir vor zwei Jahr zu deinem Soloalbum hier zusammengesessen. Schon damals hast du darüber gesprochen, dass du dich als Musiker – und ihr euch als Band – im Laufe der Jahre stetig weiterentwickelt habt. Gemeinsam mit deinen drei Bandkollegen Štěpán Flagar (Saxophon), Martin Kocián (Kontrabass) und Michał Wierzgoń (Schlagzeug) hast du außerdem als Stageband im Porgy & Bess fungiert und im Rahmen dieser Konzerte ebenfalls viel Neues ausprobiert. Nun erscheint das neue Purple is the Color-Album. Wie haben sich all diese verschiedenen Erfahrungen darauf ausgewirkt? Im Pressetext heißt es, das Album sei musikalisch eine Art Zusammenfassung der vergangenen Jahre. Was sind für dich die größten Veränderungen im Vergleich zu früher: im Bandgefüge, in der gemeinsamen Arbeit, in euren Klangvorstellungen und in der musikalischen Ausrichtung?
Simon Raab: Unser letztes Album „Epic“ ist 2020 bei Session Records erschienen. Trotz der Corona-Zeit haben wir es damals geschafft, sehr viel zu spielen. Ich denke, wir konnten damit eindrucksvoll zeigen, dass wir eine starke Liveband sind. Spannend ist, dass wir bisher ausschließlich Studioalben veröffentlicht haben – und auch das neue, „Unbemanntes Raumschiff“, reiht sich in diese Tradition ein.
Wie du richtig sagst, haben wir in der vergangenen Saison die Rolle der Stageband im Porgy übernommen – eine wirklich großartige Erfahrung, für die ich Christoph Huber sehr dankbar bin. Diese Chance hat vieles ins Rollen gebracht. Auf der Bühne haben wir jeden Monat ein komplett eigenständiges Programm präsentiert. Für mich – beziehungsweise für uns – stand schon früh fest, dass wir im Februar ins Studio gehen würden. Diesen Termin hatte ich sogar noch vor dem Start als Stageband fixiert, weil ich wusste, dass in dieser Zeit sehr viel neues Material entstehen würde.
Und genau so ist es gekommen: Ende Februar waren wir dann wieder im Wavegarden bei Franz Schaden, wo wir bereits das vorherige Album aufgenommen hatten. Was wir im Studio sofort bemerkten, war, dass wir – im Unterschied zur letzten Produktion – viel eingespielter waren. Das hat mit der Erfahrung zu tun, die wir in den letzten Jahren als Band gesammelt haben. Wir sind älter geworden und haben einen Reifungsprozess durchlaufen, der sich nun deutlich in unserer Musik widerspiegelt.
Du betonst immer wieder, wie sehr ihr als Band durch die Stageband gereift seid. Inwiefern spürt man diesen Reifungsprozess jetzt konkret auf „Unbemanntes Raumschiff“?
Simon Raab: Uns gibt es mittlerweile fast zehn Jahre. Wir haben uns 2015 kennengelernt, 2017 markierte mit dem ersten Album unseren offiziellen Bandstart. Seither hat sich extrem viel getan: Das viele Live-Spielen hat unseren Sound regelrecht steingeschliffen. Als Stageband haben wir außerdem eine neue Souveränität und Weitsicht entwickelt – auch, weil jeder von uns in anderen Projekten aktiv ist. Dadurch bringen wir unterschiedliche Erfahrungen ein, und der persönliche wie musikalische Horizont eines jeden von uns ist in den letzten fünf Jahren enorm gewachsen.
Ich bin tatsächlich sehr zufrieden mit dem Album – es klingt großartig. Es ist so etwas wie ein Querschnitt, oder vielmehr ein komprimiertes Abbild unserer Bandarbeit, die im letzten Jahr im Rahmen der Stageband entstanden ist. Meiner Meinung nach zeigen wir darauf unsere Vielseitigkeit und vor allem unsere Tightness – aber auch eine besondere Präzision und Musikalität, die sich im Laufe der Zeit deutlich weiterentwickelt hat. Durch die Arbeit in der Stageband hat sich diese Entwicklung noch einmal verstärkt.
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Welchen konkreten Einfluss hatte die Stageband-Geschichte auf das Album? In dieser Saison habt ihr viel über den eigenen Tellerrand hinausgeblickt und euch geöffnet. Ihr habt mit Anna Anderluh einen Abend gestaltet, mit Christian Reiner einen, der völlig anders war als der mit Anna Anderluh, mit Lorenz Raab einen Abend gestaltet und das tschechische Ensemble Beranci a Vlci rund um Marian Friedl eingeladen. Dann auch noch György Ligeti’s musica ricercata vertont (Stepan Flagar arrangiert). Ihr habt also viele verschiedene Facetten kennengelernt und euch mit unterschiedlichsten Musikrichtungen kombiniert. Wie ist all das letztlich auf dem Album spürbar geworden?
Simon Raab: Das stimmt, wir haben Grenzen ausgelotet. Im Grunde ist es wie im Leben allgemein: Wenn man seine Grenzen erweitert, wird auch die Mitte größer oder stärker. Für das Album haben wir uns bewusst entschieden, ausschließlich als Quartett zu agieren – ohne Gäste.
Mit Christian Reiner haben wir zum Beispiel frei improvisiert. Auf dem Album gibt es hingegen nichts, das vollständig frei ist. Wir haben auch nicht in Richtung Song gearbeitet, wie es etwa mit Anna Anderluh der Fall war oder mit Folklore-Einflüssen. Was wir uns in der Rolle als Stageband aber erarbeitet haben, ist ein gewisser Arbeitsethos – wir haben unsere Arbeitsweise verfeinert.
Dies führte im Studio zu einer erstaunlichen Erfahrung für uns alle. Anders als vor fünf Jahren waren wir diesmal extrem entspannt. Wir haben kaum diskutiert, obwohl wir nicht viel Vorbereitungszeit hatten. Für uns waren die Stageband-Konzerte quasi die Proben.
Da zwei meiner Kollegen in Tschechien leben, hatten wir vor jedem Stageband-Konzert immer nur zwei Tage für intensive Proben. So etwas kenne ich tatsächlich von keinem anderen Projekt, außer von klassischer Musik. Jeder von uns war top vorbereitet. Es ging fast ausschließlich ums Musikalische. Wir haben keine Solos geprobt, sondern überlegt, wie das Arrangement funktioniert, und uns dann auf dynamische Feinheiten konzentriert. Ich kenne tatsächlich kein anderes Projekt, in dem der Fokus so intensiv auf diese wenigen Tage gelegt wird.
Im Studio haben wir einfach Musik gemacht, anstatt lange zu editieren. Natürlich gab es ein paar Schnitte und Overdubs, aber im Großen und Ganzen reichten zwei bis drei Takes. Vor fünf Jahren sah das noch ganz anders aus.
Das Album ist also mehr aus dem Spontanen entstanden.
Simon Raab: Also, die Stücke sind schon sehr konkret und zugleich komplex. Einige stammen aus der Stageband, aber wir haben einfach Musik gemacht. Durch das viele Spielen in den letzten Jahren haben wir einfach Erfahrung gesammelt, und das sehe ich als einen schönen Schritt nach vorne.
Wir als Band verbringen viel mehr Zeit auf der Bühne und sind der Live-Situation stärker ausgesetzt als im Studio. Die Studiosituation ist eine andere: Man hört genauer hin, ist wahrscheinlich kritischer. Dieses Mal war es anders – wir hatten einen sehr natürlichen Zugang im Studio.
Vielleicht auch erwähnenswert ist, dass das Album von David Furrer gemischt wurde, wie auch mein Soloalbum. Ich kann nur ein Lobeslied auf ihn singen: Auf dem Titeltrack hat er spontan Gitarren eingespielt. Das hat sich ganz aus dem Moment ergeben. Er rief mich eines Tages an und sagte: „Simon, bitte erschreck dich nicht, ich habe da etwas ausprobiert.“ Ich dachte: spannend, was wird das sein? Und als ich hörte, was er gemacht hatte, dachte ich nur: „Das gibt’s ja nicht!“ David hat genau den Nerv getroffen, der die Melancholie erzeugt, die das Stück gebraucht hat – etwas, das ich mir selbst nicht vorstellen konnte.
David hat einfach ein unglaublich feines Gespür für Nuancen – nicht aufdringlich, aber dennoch präsent. Ich bin sehr dankbar, mit Menschen wie ihm oder Martin Siewert, der das Mastering übernommen hat, arbeiten zu dürfen. Beide haben ein sensibles Gespür für Klang und Stimmung.
Das wirkt sich auch wieder auf die Band aus: Wir merken, dass es nicht mehr um Egos geht, nicht darum, wessen Solo das Beste ist, sondern darum, gemeinsam ein großes Ganzes zu schaffen, das eine Aussage hat. Das wird wichtiger als jede einzelne Note. Wir befinden uns da noch in einem Prozess. Ich merke, dass mir persönlich das Momentum, das Musikmachen, wichtiger wird als das Diskutieren über Details. Nicht falsch verstehen – Details sind extrem wichtig, aber letztlich geht es um das große Ganze, um die Energie und den Fluss der Musik.
Was mir an eurer Musik schon immer sehr gut gefallen hat, ist, dass die Komplexität eurer Stücke nie spürbar wird, sondern stets in einen warmen, gediegenen und zugänglichen Sound übersetzt wird. Ist es durch das Zurücknehmen des eigenen Egos jetzt leichter geworden, klingt es dadurch natürlicher?
Simon Raab: Ich glaube schon. Ich finde es cool, dass es immer noch ein Work in Progress ist – so soll es auch sein. Man ist ja nie wirklich angekommen. Und das ist, glaube ich, auch eine Erkenntnis, die ich in letzter Zeit gewonnen habe: Dass man eben nie ankommt und es wichtig ist, ständig suchend zu bleiben. Es geht gar nicht so sehr darum, ob man dies oder das tatsächlich erreicht – das ist nicht das Wesentliche. Die Stageband hat mir gezeigt, dass man alles schaffen kann, wenn man sich die Zeit und den Fokus nimmt.
Und weil ich vorhin von den Details gesprochen habe: Es ist ganz wichtig, dass man beim Kompositionsblatt – in unserem Fall natürlich am Computer – sehr genau arbeitet und die Details erarbeitet. Beim Erproben geht es dann darum, diesen Vorentwurf so nah wie möglich zur endgültigen Umsetzung zu bringen.
Wenn es dann zum Konzert kommt, zum Momentum des Präsentierens, oder auch zum Moment der Aufnahme, dann geht es ums reine Musikmachen. Die Detailarbeit passiert davor, nicht danach und auch nicht on stage.
Natürlich kann man im Studio noch einiges ausbessern. Aber ich glaube, wenn man im Studio zu viel feilt und herumschnipselt, geht der Flow verloren, den die Musik haben soll.
Aber dass das funktioniert, hängt von der Dauer der Zusammenarbeit ab, vom intuitiven Verständnis füreinander – also von den zehn Jahren, die ihr bereits gemeinsam musiziert.
Simon Raab: Genau. Zehn Jahre kennen wir uns jetzt – als Menschen und als Musiker. Der Vergleich mit einer Beziehung trifft es, wie ich finde, am besten. Egal, ob es eine Liebesbeziehung oder eine freundschaftliche Beziehung ist. Ich kenne das ein bisschen von meinem Auto, einem 26 Jahre alten Passat. Der hat halt keine Sensoren, aber eine Anhängervorrichtung hinten, die gefährlich sein kann. Mittlerweile kann ich in meiner Garage auf den Zentimeter genau rückwärts ranfahren, ohne anzufahren. Ich spüre das Auto.
Ich glaube, genau das ist es, was wir Menschen können: Wir können so etwas spüren – aber es braucht Zeit. So etwas lernt man nicht an einem Tag, auch nicht mit einem neuen Auto. Aber man kann sich darauf einlassen. Sogar auf eine Maschine, lustigerweise. Man kann sie spüren. Auch ein Klavier ist eine Maschine, ein Saxophon. Letztlich ist das nichts anderes als ein kaltes, lebloses Ding – bis man eine Beziehung dazu entwickelt.
Das wird es auch sein, was uns von KI unterscheiden wird. KI wird uns in vielen Dingen überrollen – zum Guten wie zum Schlechten, wie jede Erfindung.
Aber was sie nicht schaffen wird, ist das, was uns Menschen zu Menschen macht: dass wir uns auf etwas einlassen können, Beziehungen führen können – sei es zu anderen Menschen oder zu etwas, das wir selbst erschaffen. Und das finde ich wunderschön.
Und das ist, wie bei einer Beziehung, auch ein Work in Progress. Du kannst nicht sagen, nach fünf Jahren kennst du jetzt deinen Lebenspartner und das war’s. Nein, es geht um ein ständiges Miteinander-Wachsen.
Genauso ist es mit der Band und der eigenen Musikalität. Es gibt jeden Tag neue Einflüsse, neue Gegebenheiten, neue Erfahrungen.
Ihr seid eine Band, die konsequent auf ihrem Weg bleibt. Es kommt ja nicht selten vor, dass Bands auf halbem Weg meinen, sich musikalisch neu erfinden zu müssen, nur weil der große Erfolg nicht sofort eingetreten ist. Das passiert bei euch nicht. Eure Entwicklung wirkt organisch.
Simon Raab: Das ist ein sehr spannender Punkt, den du ansprichst. Ich kann hier wirklich nur für mich sprechen: Ich habe für mich entschieden, dass ich nicht auf so etwas wie Erfolg schielen möchte. Wir sind zwar jetzt für den österreichischen Jazzpreis nominiert, was mich enorm freut – es ist eine sehr schöne Form der Anerkennung –, dennoch versuche ich, demütig zu bleiben.
Diese Nominierung sehe ich eher als Ansporn dafür weiterzuarbeiten, wie ein Wegweiser auf einem Bergpfad, der mir den richtigen Weg zeigt. Sie bedeutet, dass wir auf dem richtigen Weg sind – nicht, dass wir schon oben angekommen sind. Und das werden wir auch nie, Gott sei Dank. Mir ist es einfach wichtig, mich immer wieder herauszufordern. Wenn ich spüre: „Da bin ich jetzt reingegangen“, dann möchte ich auch gerne den nächsten Schritt gehen. Für mich gibt es kein „Neuerfinden“, es ist einfach ein Weg.
Ich kann tatsächlich sagen, dass sich die drei Alben, deutlich unterscheiden. Klar, wir sind älter geworden und musikalisch gereift, aber dennoch wird man die Handschrift der Band Purple is the Color sofort erkennen.
Ihr seid alle drei auch in verschiedenen anderen Projekten tätig. Aber es scheint so, dass sei die emotionale Bindung aller an Purple ist the Color doch sehr stark ausgeprägt…
Simon Raab: Ich glaube, du bringst es auf den Punkt. Sicherlich bin ich der Motor, der Bandleader – ich habe die Band ins Leben gerufen, bin der Organisator und kümmere mich um alles. Was mir an meinen Kollegen wichtig ist – und das gilt generell –, ist, dass ich spüre, dass es jedem um die eigentliche Sache geht: ums Musizieren. Dass jeder auf der Bühne zu 100 % engagiert ist. Die Hingabe ist für mich entscheidend. Sie macht dann auch Dinge wie Perfektion sekundär.
Als Publikum interessiert mich auch nicht, ob jemand perfekt auf Hochglanz etwas präsentiert. Wenn ich merke, dass die Hingabe fehlt, verliere ich sehr schnell das Interesse.
Das Album wird am 18. Oktober im Porgy & Bess präsentiert. Stehen auch noch weitere Konzerte in diesem Jahr an, und was habt ihr sonst noch geplant?
Simon Raab: Nach der Albumpräsentation im Porgy & Bess wird es noch zwei weitere Konzerte geben: Am 23. Oktober spielen wir im Spielboden in Dornbirn und am 28. Oktober im Opus in Budapest. Außerdem arbeiten wir intensiv an einer großen Tour im Frühjahr und hoffen, dass sich auch bei Festivals etwas ergibt. Ich bin da aber guter Dinge.
Herzlichen Dank für das Gespräch!
Michael Ternai
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Purple is the Color live
18.10. Porgy & Bess, Wien
23.10. Spielboden, Dornbirn
28.10. Opus Jazzclub, Budapest
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