„Ich wollte das Album genau so lassen, wie es war.“ – Martin Klein im mica-Interview

Fünf Jahre nach seinem letzten Studioalbum „Nachtlieder“ präsentiert sich der in Wien lebende Tiroler Pianist, Komponist und Singer-Songwriter Martin Klein auf „A Musician’s Life“ (Rossori Music) von einer neuen, überraschend elektronischen Seite. Bekannt für seine feinfühligen Kompositionen zwischen Klassik, Jazz und Pop, verbindet er diesmal analoge Wärme mit digitalen Klangfarben und schafft so eine dichte, zugleich fragile Atmosphäre. Entstanden ist ein Album, das Songwriting, Elektronik und emotionale Tiefe zu einem stimmigen Ganzen vereint – introspektiv, schwebend und von einer besonderen Klarheit getragen. Im Interview mit Michael Ternai spricht Klein darüber, warum er sich dieses Mal gegen eine große Produktion entschieden hat, was für ihn das Essenzielle am Klavierspielen ist und weshalb das neue Album eine gewisse Aufbruchsstimmung in sich trägt.

Dein neues Album ist – bis hin zur Produktion – komplett in Eigenregie entstanden. Und wie bei dir fast schon üblich, unterscheidet es sich erneut deutlich vom vorherigen. Besonders der elektronische Anteil im Sound scheint diesmal stärker in den Vordergrund gerückt zu sein. Was hat dich zu dieser Richtungsentscheidung bewegt?

Martin Klein: Vor etwas mehr als zehn Jahren habe ich mein Album „Tracks for my Keyboards“ herausgebracht. Darauf habe ich mit Keyboard-Loops gearbeitet – das Ganze war ziemlich abgespaced. Das Album erschien in einer sehr kleinen Auflage auf meinem eigenen Label und war das erste, auf dem ich meine „elektronische Seite“ gezeigt habe.
Seitdem habe ich im Grunde durchgehend mit meiner Loopstation und meinen Keyboards gearbeitet und immer wieder neue Loops produziert. Diese Arbeitsweise hat mich schon immer fasziniert.

War das für dich eine Rückkehr zu dieser früheren Arbeitsweise – oder eine Weiterentwicklung davon?

Martin Klein: In dieser Zeit war ich auch regelmäßig mit der eher modernen elektronischen Szene in Kontakt, weil mich dieser Bereich schon lange interessiert. Ich habe ja auch eine Single mit Elektro Guzzi veröffentlicht, mit denen ich gut befreundet bin.
Im Laufe der Jahre haben sich so unheimlich viele Miniaturen angesammelt. Ende letzten Jahres habe ich dann in ein paar Sessions aus diesen alten Skizzen ein neues Album zusammengestellt und darüber Vocals aufgenommen. Dabei habe ich versucht, diese zwei Welten miteinander zu verbinden. Viele Songs sind dabei sehr schnell entstanden – oft direkt in diesen Sessions, aus den alten Elektro-Skizzen heraus. Deshalb gibt es auch nicht so viele Lyrics; häufig besteht ein Stück nur aus einem Satz.
Schließlich habe ich zwei Tracks an Lisa Schneider von FM4 geschickt – und sie wurden von ihr gleich gespielt. Das war für mich das Zeichen, dass das Ganze jetzt fertig ist.
Natürlich habe ich mir dann überlegt, ob ich das überhaupt herausbringen kann. Ist das zu abgedreht? Zu schräg? Ich habe mit Freunden darüber gesprochen, darunter auch einige Produzenten. Die meinten, man könne das Ganze schon noch einmal aufmachen, ein bisschen cooler produzieren oder sauberer aufnehmen.
Aber ich dachte mir, dass ich dieses Kunstwerk einfach so lassen möchte, weil wir meiner Meinung nach ohnehin in einer Zeit leben, in der Musik durch KI immer stärker glattgebügelt wird. Es gibt mittlerweile unglaubliche Mastering- und Produktionstools, die Erstaunliches leisten können. Gerade deshalb fand ich es charmant, den Sound des Albums bewusst etwas rau zu belassen – und genau so ist es auch geblieben.

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Sprich, das Album ist also nicht in einem Aufwasch entstanden, sondern hat sich erst nach und nach zu einem Ganzen entwickelt.

Martin Klein: Genau. Manche Loops, die ich verwendet habe, sind schon vor sechs, sieben Jahren entstanden. Das Album ist daher so etwas wie eine Verwertungsproduktion. Die Instrumentals gab es also schon länger, zu Songs mit Gesangslinien sind sie dann eben im vergangenen Dezember geworden.

Das Interessante an dir ist ja, dass du ursprünglich aus dem Jazz kommst, aber schon recht früh in andere musikalische Richtungen eingebogen bist. Ich finde, dass man diesen musikalischen Background auf diesem Album ganz besonders hört. Zum einen belebst du den Mix aus Elektronik und Songwriting auf sehr vielfältige Weise, zum anderen hört man auch deinen Hang zum Experimentieren und zu komplexeren Formen.

Martin Klein: Ich habe mich bei diesem Album wirklich an keine konventionellen Formen gehalten. Wenn ich das Gefühl hatte, dass es jetzt eigentlich reicht, einfach einen Refrain quasi die ganze Zeit zu wiederholen, dann habe ich das so gemacht. Auch bei den Drums bin ich ziemlich unkonventionell an die Sache herangegangen. Die Drumspuren habe ich im Grunde mit dem Keyboard eingespielt, wodurch sie manchmal so klingen, als würde ein Jazzdrummer ein bisschen „drüberzeugeln“. Darum ist das Ganze eindeutig keine konventionelle Popmusik, weil auch ein größerer Teil an Improvisation miteingeflossen ist. Das war bei älteren Alben wie „Lass uns bleiben“ und „Das Leben hat’s doch gut mit uns gemeint“ ganz anders – die waren in ihrer Form sehr streng. Damals habe ich gesagt: nur Klavier, nur Gesang, keine Overdubs, nur die Liedform. Diese Struktur habe ich zu der Zeit irgendwie gebraucht.Aber bei diesem Album hat dieses freiere Denken und die Improvisation hat schon eine starke Rolle gespielt.

Erstaunlich ist, wie es dir auf diesem Album gelingt, die Kühle der elektronischen Klänge mit deinem zarten, gefühlvollen Klavierspiel zu verbinden – das sticht hier besonders hervor.

Martin Klein: Das kommt, glaube ich, einfach daher, dass ich sehr gern Jazz-Balladen oder Stücke von Johann Sebastian Bach spiele – oder einfach für mich am Klavier sitze und improvisiere. Auf dem Album ziehen sich teils leise, fragile Klaviermelodien durch die Stücke. Dieses Sanfte, Zarte am Instrument hat mich schon immer fasziniert. Ich erinnere mich gut daran, wie ich als Jugendlicher am Klavier saß, das Pedal gedrückt hielt und ein paar Töne spielte – dieser Klang hat mich seither nicht mehr losgelassen. Das ist für mich das Essentielle am Klavierspielen, das macht mich unglaublich glücklich. Man muss gar nicht viel mit den Tasten machen, manchmal reicht das Pedal allein – das erzeugt einen ganz eigenen, coolen Vibe. Daher ist „A Musician’s Life“ auch ein sehr minimalistisches Album, das viel Raum lässt.

Man könnte die Stücke mit zusätzlichen Sounds ja auch noch verdichten und größer anlegen. War es eine bewusste Entscheidung, alles so reduziert zu halten?

Martin Klein: Das hat sich irgendwie ganz natürlich ergeben. Ich gebe dir da vollkommen recht – wenn man selbst produziert oder aufnimmt, ist es oft schwierig, den Punkt zu finden, an dem man wirklich fertig ist. Dieses Mal war ich künstlerisch völlig frei und hatte das Gefühl, genau zu wissen, wann der richtige Moment gekommen war, aufzuhören. Vielleicht hätte ich mit einem Produzenten noch weiter daran feilen können, aber ich wollte das Album genau so lassen, wie es war – das war mir wichtiger.

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Ein weiteres markantes Detail in deiner Musik ist deine Stimme. Man erkennt sie sofort – diese hohe, aber zugleich sehr zarte Stimme, würde ich sagen. Sie klingt unglaublich gefühlvoll. Zunächst einmal die Frage: Wann hast du deine Stimme eigentlich als Instrument entdeckt?

Martin Klein: Ich hatte eigentlich nie Gesangsunterricht. Ich komme ja vom Klavierspielen, und anfangs hat mich ausschließlich das Klavier interessiert. Eine Zeit lang habe ich in Holland gelebt und bin dort nach und nach immer stärker in die Songwriter-Welt eingetaucht. Ich habe an Songwriting-Sessions teilgenommen, und erst ab da begann ich, mich mit Klavier und Gesang gemeinsam zu beschäftigen und eigene Lieder zu schreiben. Das war ungefähr um 2004 herum. 2008 erschien dann das Album „Songs for my Piano“ – das erste, auf dem Songs mit Gesang zu hören waren. Das kam also eigentlich relativ spät, denn am Anfang stand wirklich nur das Klavier im Mittelpunkt.

Meine Stimme war zunächst eher ein Mittel zum Zweck, um einen Song entstehen zu lassen. Es war nicht so, dass ich dachte, ich wolle ein cooler Rocksänger sein oder unbedingt auf der Bühne singen. Der Antrieb war vielmehr, die Form des Songs zu finden – das war der eigentliche Impuls. Bei dem neuem Album ist es nun so, dass die Vocals wie ein Instrument eingesetzt werden. Ich habe sie mit meiner Loopstation und einem Hallgerät aufgenommen, wodurch sie Teil des instrumentalen Gesamtklangs werden.

Ist es eigentlich vorstellbar, dass du wieder zu einem reinen Klavieralbum zurückkehrst?

Martin Klein: Ja, es gibt tatsächlich schon einiges an Material. Ich habe im Radiokulturhaus ein Klavierbüchlein aufgenommen, das bisher noch nicht veröffentlicht ist – das sind ausschließlich Klavierkompositionen. Ich hoffe, dass es irgendwann einmal herauskommt. Momentan liegt es noch auf der Festplatte.

Das Album heißt „A Musician’s Life“. Nun sagst du, du setzt die Stimme eher als Mittel zum Zweck ein. Wie ist es mit den Texten – gilt das für sie ebenso? Worüber singst du?

Martin Klein: Die Texte sind durchaus sehr persönlich. Da das Album über einen langen Zeitraum entstanden ist und viele der Loops bereits vor Jahren entstanden sind, haben sie mich über eine lange Zeit begleitet. Ich habe mir gedacht, dieses Album wäre eine schöne Gelegenheit, auf meine teilweise eher undergroundige Musikerlaufbahn zurückzublicken. Jetzt bin ich 42 und habe schon einiges erlebt – durch die verschiedenen Songs lässt sich gewissermaßen ein Rückblick auf diese Zeit nachvollziehen.

Wenn du auf deine bisherigen Alben blickst – welches ist für dich das wichtigste? Und welchen Stellenwert hat das neue im Vergleich dazu? Ist es etwas Besonderes für dich?

Martin Klein: Für mich persönlich hat es einen sehr hohen Stellenwert. Umso mehr freue ich mich, dass es jetzt erschienen ist. Das liegt vor allem daran, dass es meine Punk-Elektro-Seite zeigt. In seiner Bedeutung steht es für mich auf einer Stufe mit meinem Debüt „Songs for my Piano“, das damals so etwas wie ein Initialmoment war. Und irgendwie habe ich jetzt wieder ein ganz ähnliches Gefühl – dieses Album trägt eine gewisse Aufbruchsstimmung in sich.

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Du hast vorhin erwähnt, dass schon zwei Lieder vom neuen Album im Radio gespielt worden sind. Das ist ja schon mal ein schöner Start.

Martin Klein: Man wird sehen, wie sich das alles entwickelt. Das war damals ziemlich spontan – schauen wir mal. Es ist sicher nicht so einfach zu verwerten, weil es eben nicht in diese konventionelle Pop-Struktur hineinpasst. Aber unterm Strich bin ich sehr happy, dass es so geworden ist.

Ich denke da oft an Malerinnen und Maler: Sie malen ein Bild – und dann ist es fertig. Von Musikerinnen und Musikern wird dagegen häufig erwartet, dass sie ihr Kunstwerk noch einmal „aufschrauben“, es neu produzieren, anders aufnehmen oder weiter daran herumbasteln. Das finde ich manchmal sehr schade. Ich finde oft gerade Demo-Versionen von Musikerinnen und Musikern irrsinnig reizvoll, weil darin dieser ursprüngliche Guss noch spürbar ist.

Natürlich kann man Dinge im Nachhinein besser machen, natürlich kann man auch besser singen – mit mehreren Overdubs und so weiter. Bei diesem Album ist es aber so, dass die Lead-Vocals einfach über die bestehenden Spuren gekommen sind. Das ging relativ schnell; ich habe da kaum etwas geschnitten oder neu aufgenommen.

Das war im Grunde eine Session mit den Leads – und dann war das Ding fertig. Man kann sich ja unglaublich schnell verlieren, so wie du vorher richtig gesagt hast, wenn man immer noch neue Spuren drüberlegt. Aber ich finde es manchmal einfach cool, wenn man sagen kann: Okay, that’s it.

Vielleicht zum Abschluss: Was hast du mit dem Album vor? Wird es Konzerte geben? Und was steht sonst noch an – vielleicht ein Video?

Martin Klein: Der nächste große Schritt ist zunächst die Release-Party am 21. Oktober im Radiokulturhaus. Ich bin gespannt, wie ich das auf die Reihe bekomme. Bisher war es ja mit Klavier und Gesang allein immer recht gemütlich. Live mit den Electronics zu arbeiten und sie in das Set einzubauen, ist schon eine Herausforderung. Ich möchte aber unbedingt, dass sie eine zentrale Rolle einnehmen. Ansonsten steht im Moment nichts Großes auf dem Programm. Ich bin in einem Alter, in dem ich lieber Schritt für Schritt denke – und dann sehen wir, wohin der nächste führt.

Vielen Dank für das Interview.

Michael Ternai

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Martin Klein live
21.10.2025
20 Uhr
Radiokulturhaus Wien
Albumpräsentation

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Rossori Music