„Ich will nicht ständig laut schreien müssen!“ – YELVILAA BODOMO und SHARI HOSSEINI (JUNGLE JADE) im mica-Interview

“they’ll whisper about what I did / that I stood on a bridge reaching out ‘front of me/ crawled my way up then looked down out to sea/ and I’m unsure about what I saw/ was it beauty? was it darkness?” – So kontemplativ wie ihre Texte ist auch die Musik von YELVILAA BODOMO und SHARI HOSSEINI. Das Wiener Musik-Duo JUNGLE JADE hat ein Debütalbum geschaffen, das dem Gefühl von Heimatlosigkeit, Sehnsucht und innerer Zerrissenheit den Finger in die Wunde legt – manchmal sanft, stellenweise düster, aber immer brutal ehrlich. 

SHARIS minimalistische Instrumentalpassagen ergänzen sich elegant mit YELVILAAS bluesiger Soulstimme. Daraus gereift ist ein intimes Klangfeuer von alternativer Popmusik, das noch lange nachhallt. Nach Jahren des gemeinsamen Improvisierens in Wiener Szeneclubs bedeuten die Songs für die beiden auch eine poetische Aufarbeitung ihrer persönlichen Migrationserfahrung: YELVILAA, ursprünglich aus Ghana und aufgewachsen in Hongkong, kam 2013 nach Wien – im gleichen Jahr wie SHARI, der zum Musikstudium in die Stadt zog und sich dadurch dem repressiven Regime in seiner Heimat Iran entziehen konnte.  

Auf Spotify schreibt ihr, eure Musik erzählt davon, wie es ist Wurzeln an einem neuen Ort zu schlagen. Aber Wien oder eure Migrationserfahrung ist in euren Texten nirgendwo explizit erwähnt. Ist die Stadt trotzdem ein Teil des Albums?  

Shari Hosseini: Wurzeln schlagen hing für uns eng damit zusammen, eine Gemeinschaft um unsere Musik herum aufzubauen. Wir spielen seit 2016 und sind allmählich mit der Wiener Gürtelszene und der Musik-Community zusammengewachsen. Viele mittlerweile sehr erfolgreiche Wiener Bands haben so angefangen. Vor Corona haben wir in so vielen Clubs am Gürtel gespielt und es war immer der Wahnsinn. Nach den Auftritten tanzten wir nächtelang zu Trash-Musik durch, und die Atmosphäre dort ist einfach das Beste an Wien. Ganz ohne alles ästhetisch Polierte, dass man von Wien erlebt, wenn man von außen kommt. Einfach dirty-ass Gürtel mit seinen Underground-Clubs. Insofern – natürlich ist Wien ein Teil unserer Musik.

Nach sechs Jahren gemeinsam Spielen habt ihr in diesem Frühling endlich eure zwei ersten Singles „Bittersweet Crime“ und „The Fall“ herausgebracht.

Yelvilaa Bodomo: Das war ein Prozess von tausend Schritten. Wir hatten keine Ahnung, wo er hinführt. Die Essenz unserer Musik ist genau dieselbe wie vor sechs Jahren, aber sie hat mit den Jahren ein Eigenleben entwickelt. Angefangen bei gemeinsamen Jam-Sessions und den ersten Akustik-Unplugged Auftritten. Irgendwann haben wir Demos aufgenommen, ohne darüber nachzudenken, dass wir Demos machen.

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Unterwegs habt ihr auch euren Produzenten Sebastian Wasner gefunden, den man in Österreich eigentlich von seiner Techno-Musik mit Austrian Apparel kennt.

Yelvilaa Bodomo: Sebastian kam zum ersten Mal zu einer Show von uns, wo wir irgendetwas Abstraktes mit dem Looper improvisierten. Und seine Reaktion war „Wow!“ Er stand ganz vorne und trat mit seinem Smartphone nah an den Lautsprecher heran, um uns aufzunehmen. Nachdem wir 2019 das erste Lied, „Bittersweet Crime“, mit ihm im Kasten hatten, wussten wir: Das wird richtig gut. Und ernst. Plötzlich waren wir auf einem ganz anderen Level. Für ihn war das genauso spannend, eben weil er aus der Techno-Szene kommt und Jungle Jade eine ganz andere Richtung ist. 

In Bittersweet Crime” singt ihr Was it worth it? I don’t know. Yes and no.“ Es ist nicht schwer, sich in solchen Zuständen von Unsicherheit wiederzuerkennen. Aber beim Musikmachen muss man oft konkrete Entscheidungen treffen. Wenn ihr einen Song produziert, wie viel experimentiert ihr, bevor ihr euch auf etwas einigt?

Shari Hosseini: Wir kennen uns musikalisch in- und auswendig. Auch wenn sich manchmal einige Entscheidungen früher wie ein Mittelweg anfühlten, heute höre ich unser Album an und denke: Es ist perfekt so, wie es ist. Es gab einen Fall, als ich einen Beat im Kopf hatte und Sebastian sagte: „Das klingt, als ob jemand auf einem Cajon sitzt und sinnlos trommelt“. Ich habe das zu dem Zeitpunkt gar nicht eingesehen. Aber in solchen Momenten vertraue ich einfach auf ihn. Er ist unser Produzent und ein großartiger Musiker. Wenn es um Melodien geht, ist Yelvilaa ein Naturtalent. Wenn man diese Sachen weiß, fallen einem Kompromisse leichter. Sie schreibt die Texte und Melodien, ich den Instrumentalpart und danach fließt alles ineinander. Für Jungle Jade habe ich eine bestimmte Art, meine Solos zu spielen. Oft erwische ich mich beim Improvisieren auf der Gitarre bei dissonanten Akkorden. Manchmal denke ich: „Warum tust du das, das klingt so dissonant!“ Aber es ist auch provokant. Das ist das Tolle daran, independent zu sein. Als unabhängige Künstler können wir uns eine Ehrlichkeit leisten, die nicht selbstverständlich ist.

Bild Jungle Jade
Jungle Jade (c) Ina Aydogan

Zwischen heute und einigen eurer Lieder liegen teilweise Jahre, die ersten Songs entstanden 2015 – erkennt ihr euch nach all den Jahren überhaupt in den Menschen wieder, die ihr wart, als die Lieder geschrieben wurden? Habt ihr gefunden, was ihr in den Texten sucht?

Yelvilaa Bodomo: Wir haben oft immer noch mit den gleichen Dingen zu kämpfen – genauso wie früher spielt MA35 eine Riesenrolle in unserem Leben, weil dort unsere Visa verlängert werden. Eine Situation von permanenter Instabilität, die psychisch sehr belastend ist. Die Geschichten in unseren Songs sind keine konkreten Geschichten von etwas, das tatsächlich passiert ist. Sie repräsentieren unsere Gefühle und die sind zeitlos. Unsere Single „The Fall“ handelt von einer Person, die von einer Brücke springt, um an einen Ort zu kommen, wo sie schließlich sein will. Und natürlich habe ich das nicht selbst getan, aber manchmal fühlt sich das so an, als ob man so etwas tun will, um an einem anderen Ende wieder rauszukommen. Klar, im Rückblick fühlen sich die Kontexte, in denen die Lieder geschrieben wurden, sehr weit weg an. Damals haben wir ganz andere Sachen durchlebt und sind seitdem gewachsen. Aber es ist auch genau das, was einen Song so wertvoll macht: Dass es eben eine Momentaufnahme – selbst, wenn ich mich heute nicht mehr mit ihr identifiziere. Von einigen der Situationen, von denen die Lieder erzählen, bin ich heute sehr weit weg. Aber es macht mir trotzdem Freude, damit aufzutreten. Und im Nachhinein entdecke ich in oft etwas, das ich übersehen hatte.

In den letzten Jahren ist Identitätspolitik öffentlich zu einem wichtigen Thema geworden. Wenn du als Künstlerin oder Künstler einer Minderheit angehörst, ist es schwierig, nicht Stellung zu beziehen. Wie wirken das politische Klima und eure Musik aufeinander?

Shari Hosseini: Das ist ein schwieriges Thema für uns. Ich möchte, dass unsere Musik gehört wird und dass man sich im Klaren darüber ist: Musik ist ein Spiegelbild unserer persönlichen politischen Erfahrung und sollte auch so interpretiert werden. Ich will nicht ständig laut schreien müssen, was ich auf politischer Ebene als Migrant in Österreich durchmache. Manchmal fühlt es sich aber so an, als ob wir unsichtbar seien für Organisationen, die Kunst von Migrantinnen und Migranten fördern. Wir sind ihnen nicht explizit politisch genug – stattdessen will man uns ein Identitätslabel aufdrücken. Dabei muss ich an die Frage denken, ob John Coltranes Musik als Teil der afroamerikanischen Bürgerrechtsbewegung gesehen werden kann. Natürlich kann man sagen, John Coltrane war niemals politisch. Aber Botschaften können auch subtil sein – Coltrane war ein schwarzer Musiker in den USA, im politischen Klima der 1960er Jahre. Diese Dinge können nicht isoliert voneinander betrachtet werden. Individueller Ausdruck war sehr wichtig in der Bürgerrechtsbewegung.

Yelvilaa Bodomo: In unseren Liedern geht es um unsere seelische Verfassung. Das Lied „Amor“ handelt von Liebe in einer Migrationssituation. Ich habe den Song 2015 geschrieben, als die meisten Flüchtlinge nach Europa kamen. Damals haben sich Medien massenhaft auf das Thema Flüchtlinge gestürzt, aber mein Gefühl war: das Einzelschicksal geht hier verloren hinter dem politischen Phänomen. Ich weiß noch, ich habe damals so viele Bilder von Wasser im Kopf gehabt, als Tausende über das Mittelmeer kamen. Diese Bilder haben „Amor“ inspiriert, aber im Zentrum steht immer noch das Individuum.

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Eure Album-Veröffentlichung habt ihr wegen Corona auf den Sommer verschoben. Was steht bei euch als nächstes an?

Shari Hosseini: Hoffentlich der Sommer und Live-Gigs! Wenn du als Künstlerin und Künstler nicht auftreten darfst so wie das letzte Jahr, ist das, als ob man seiner Nahrungsquelle beraubt ist, aber trotzdem irgendwie weiterleben muss. Mich erinnert das Gefühl daran, als ich noch im Iran lebte und wir als Teenager unsere „westliche“ Musik nicht vor Publikum spielen durften. Natürlich will ich die politische Situation im Iran nicht mit Corona vergleichen, aber die Pandemie ist hemmend auf eine ähnliche Art. Ich habe dann viel in der österreichischen Botschaft in Teheran gespielt, wo man mehr Freiheit hatte. Dort drinnen war es wie ein Mini-Österreich. Meine Eltern kamen gerne zu den Konzerten, um mir zuzuhören, weil meine Mutter dort drinnen nicht den Hijab tragen musste, den man sonst überall tragen muss.

Yelvilaa Bodomo: Ich kenne solche Situationen von Zensur zum Glück nicht. Zum Thema Zukunft: Wir arbeiten gerade an zwei neuen Songs. Aber im Moment träumen wir einfach nur davon, wieder zusammen auf der Bühne stehen. Das ist wichtiger als alles andere. Diese Woche durfte ich in Hongkong bei einem der ersten Wiedereröffnung-Events mit einem Song auftreten. Für mich war das super aufregend. Es war der erste Auftritt seit langem. Es gab Beschränkungen in der Besucherkapazität, und nur auf der Bühne durfte man maskenlos sein, aber es hat so viel Freude gemacht.

Vielen Dank für das Interview!

Marina Klimchuk

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