Das neue Album von ZANSHIN wird wie ein Zen-Garten auf Acid – ungefilterte Einflüsse, absolute Durchlässigkeit, eine Reizüberflutung in vollkommener Harmonie. Der Wiener Producer, der Ende der 2000er als Hälfte von Ogris Debris zwischen Pratersauna und Panoramabar bekannt wurde, hat sich dafür lange Zeit gelassen. Zehn Jahre ist die letzte Soloplatte her. Dazwischen hat GREGOR LADENHAUF mit Dorian Concept an Uraltsynthesizern rumgeschraubt, einen Gong auf den Grazer Schlossberg gehievt und sich in japanischer Kampfkunst ausgebildet. Auf AFFINE RECORDS erscheint am 10. Juni mit „In Any Case By Any Chance“ sein zweites Album. Was Wittgenstein mit Zanshin zu tun hat, warum die neue Platte dem Autechre-Effekt nahekommt und wieso sich Ö3-Hörer:innen überfordert fühlen könnten, hat LADENHAUF mit Christoph Benkeser besprochen.
Fangen wir spannend an, reden wir über deinen Namen: Zanshin
Gregor Ladenhauf: Die Schriftzeichen kommen vermutlich aus China, existieren aber auch in Japan. „Shin“ lässt sich sowohl im Chinesischen als auch im Japanischen übersetzen – als Herz, Seele oder Zentrum. Das andere Schriftzeichen heißt in China „beschädigt“. In der Übersetzung, von der ich nicht ausgegangen bin, bedeutet es also broken heart.
Sehr melancholisch.
Gregor Ladenhauf: Im Japanischen bedeutet Zanshin dagegen so viel wie Übrigbleiben. Es ist ein Begriff, der zum Beispiel in Martial Arts verwendet wird, weil er einen Fokus bezeichnet, der nicht gerichtet ist, sondern im Moment vorhanden ist, ohne sich auf ein Detail zu konzentrieren. Ich praktiziere Aikidō. Dort steht es für einen Zustand von Mindfulness, der die ganze Handlung hindurch andauert und darüber hinausgeht. Man kann das auch aufs Bogenschießen übertragen: Zanshin dauert an, selbst wenn der Pfeil losgelassen wurde. Deshalb hat Zanshin eine poetische, aber auch eine praktische Bedeutung.
Du hast gerade Aikidō erwähnt, was ist das?
Gregor Ladenhauf: Es ist eine japanische Kampfkunst, allerdings ist es kein Kampfsport, denn es herrscht kein Wettbewerb in unserem herkömmlichen Sinn. Es ist ein Miteinander – eine Person greift ritualisiert an, die andere nimmt die Energie der Person auf und führt sie ins Leere. Das basiert stark auf Gleichgewicht und der Störung dessen im Gegenüber. Aikidō ist eine Mischung aus Körper- und Geistesbildung, weil es nicht darum geht zu lernen, wie man jemanden verletzt, sondern die eigene Balance zu halten und damit umzugehen, was auf einen zukommt.
Trotzdem braucht es dafür ein Gegenüber, mit dem man gemeinsam agiert.
Gregor Ladenhauf: Genau, es ist ein ritualisierter Angriff und eine Verteidigung – darüber will man eine Bewegungsharmonie herstellen, während der eine ungerichtete Aufmerksamkeit besteht: Zanshin. Übrigens: Den Begriff habe ich ursprünglich im Roman „Snowcrash“ von Neal Stephenson gefunden. Erst danach bin ich draufgekommen, dass er so viel wie ungerichtete Aufmerksamkeit bedeutet. Gregor kommt wiederum aus dem Griechischen und bedeutet „ich wache, ich bin aufmerksam“. Darin habe ich klarerweise eine Verbindung gesehen, auch weil ich mich gern mit östlicher Philosophie beschäftige.
„IN DER FALSCHEN AUSLEGUNG IST DIE KOMBINATION DER PRÄTENTIÖSESTE NAME, DEN MAN SICH VORSTELLEN KANN.“
Du verkörperst diesen Begriff Zanshin.
Gregor Ladenhauf: Ich strebe höchstens danach. Beim Institut für Medienarchäologie habe ich einmal eine Japanerin kennengelernt, wir haben Kontakte ausgetauscht und sie fragt mich: Zanshin Kuge, ist das dein Ernst? Sie erklärte mir, dass man Zanshin im Japanischen auch als Avantgarde verstehen könne. „Kuge“ wiederum, das ich nur als Zuname auf Social Media verwende, entstamme einem alten Zen-Gedicht. Seine Bedeutung ließe sich im Kontext meiner Verwendung als „Blumen der Leere“ übersetzen. Der Begriff steht unter anderem für die Überzeugung, dass wir unsere Realität in unserer Vorstellung konstruieren. Aber, und das erklärte sie mir, stünde der Begriff auch für den Adel in Japan in früheren Zeiten.
Die adelige Avantgarde!
Gregor Ladenhauf: In der falschen Auslegung ist die Kombination der prätentiöseste Name, den man sich vorstellen kann. Dabei gibt es mehrere Bedeutungen für beide Begriffe. Weil ich westliche Schriftzeichen verwende, ergibt sich das Problem, dass er sich in falschen Bedeutungen interpretieren lässt, dumm gelaufen. Der Name birgt aber zusätzliche Probleme: Was glaubst du, wie oft ich in Line-ups schon falsch geschrieben worden bin? Manche Menschen tun sich eben schwer mit dem ungewohnten Wort und glauben, ich meine „Sunshine“.
Irgendwie sonnig.
Gregor Ladenhauf: Tja, der Name ist mir einfach passiert. So ähnlich ging es mir bei meinem Zugang für östliche Philosophie. Damals beschäftigte ich mich in Englisch als Spezialgebiet mit dem Autor J.D. Salinger, hab alles von ihm gelesen. „Catcher in the Rye“ kennen die meisten, aber den Rest fast niemand. Viele seiner Geschichten drehen sich um eine exzentrische Familie, eine Art Royal Tenenbaums. Oft haben mich seine Sätze auf eine seltsame Art berührt, zum Beispiel: „His hair jumping in the barbershop“. Daraufhin habe ich die Biographie von Salinger gelesen und bin draufgekommen, dass er sich viel mit Zen beschäftigt hat. Über den Umweg bin ich zu dieser Geisteshaltung gekommen.
Plötzlich haben seine Geschichten eine neue Ebene für dich bekommen.
Gregor Ladenhauf: Ja! Ich nenne es eher Erkenntnistheorie. Radikaler Konstruktivismus und japanischer Zen haben einiges gemeinsam. Es geht um Bewusstsein und Wahrnehmung. Manche Sätze sind auch hart formuliert: „Triffst du den Buddha, musst du ihn töten.“ Das bedeutet aber nur, dass man kein Konzept von irgendeiner Gottheit oder ähnlichen Instanzen haben soll. Das eigene Bewusstsein generiert ohnehin alles im Moment. Deshalb kann man mit der westlichen Auslegung des Konstruktivismus ansetzen: Es gibt keine Wahrheit in dem Sinn, es wird alles konstruiert und durch die Übereinkunft in der Kommunikation versuchen wir uns darüber zu verständigen.
Der Baum fällt nur um, wenn jemand sieht, wie er umfällt.
Gregor Ladenhauf: Im Japanischen ist Zen oft in Koans verpackt. Das sind manchmal Paradoxa, wo der Schüler zum Meister kommt und von ihm ein Rätsel bekommt: „Wie klingt das Klatschen einer Hand?“ Dabei geht es darum, das logische Denken auszuhebeln, also zu einem Moment zu führen, in dem man nicht mehr nachdenkt, sondern einfach existiert. Gleichzeitig ist es schwierig, diesen Ansatz in unser westliches Denken zu überführen.
Weil er sich nicht mit optimiertem Performance-Denken in Einklang bringen lässt?
Gregor Ladenhauf: Zen ist im Grunde neutral und nicht dogmatisch. Es gibt nicht vor, was gut oder schlecht ist. Man kann es aber leider in opportunistische Bereiche umdeuten. In den 90er Jahren kam nicht umsonst Business-Zen auf. Diese Auslegung ist aber einseitig. Schließlich sagt Zen nicht, dass man seine Shareholder-Values optimieren muss, sondern immer nur das Notwendige tun soll.
Das zeigt auf: Zen lässt sich instrumentalisieren …
Gregor Ladenhauf: Und wird sich dagegen nie wehren können, weil es eine Philosophie ist.
Was es formbar macht.
Gregor Ladenhauf: Kennst du die Flow-Forschung von Mihaly Csikszentmihalyi? Da geht es um gewisse Gehirnwellenzustände. Wenn dich etwas interessiert und dein Skillset gerade ausreicht, um eine Challenge zu bewältigen, denkst du nicht nach, sondern machst einfach – das ist Flow und deckt sich mit Meditationszuständen. Ich erlebe das beim Musikmachen. Die Dinge ergeben sich, ohne dass ich groß darüber nachdenken muss.
Das setzt ein Interesse für die Sache voraus.
Gregor Ladenhauf: Ich war immer ein neugieriger Mensch, wollte immer wissen, wie Dinge funktionieren und wieso sie so funktionieren. Philosophie verfolgt diese Fragen, steht aber auch irgendwann an. Deshalb hat mich Wittgenstein berührt. Er hat realisiert, dass unsere Kommunikation bis zu einem gewissen Punkt greift, aber irgendwann nicht mehr ausreicht. Deshalb hab ich mich in der östlichen Philosophie gefunden. Da wird nicht groß herumgeredet, es ist basic!
Die Erkenntnis, dass es nicht weitergeht, ist gewissermaßen auch eine Erkenntnis.
Gregor Ladenhauf: Trotzdem kommt man irgendwann zur Frage, wann Moral ein Thema wird und wo die Wertung in unser Leben einsteigt. Wer ist die Instanz, die sagt, dass man diese Mücke nicht hätte zertreten dürfen?
Darin schwingt die Frage der Be-wertung, aber auch jene der Ent-wertung mit.
Gregor Ladenhauf: Deshalb ist es als Künstler immer wieder anstrengend, diese Geisteshaltung zu verfolgen. Schließlich müssen wir ständig unseren eigenen Output bewerten.
Und werden von anderen dafür bewertet, was bereits bewertet wurde.
Gregor Ladenhauf: Deshalb ist es ein befreiendes Streben, so wenig wie möglich zu werten. Trotzdem passiert es mir die ganze Zeit. Eine Challenge!
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Du hast vorhin das Musikmachen mit einem Flow-Zustand verglichen.
Gregor Ladenhauf: Das hatte ich schon als Kind. Ich hab zwar Musiktheorie gelernt und kann sie theoretisch anwenden. Das Schönste ist aber oft ein Klang, genauso wie er schwingt. Es reicht eine Note am Klavier. Deshalb entstehen im Spielen ohne Ziel die besten Stücke. Man folgt dem, was sich ergibt, vermengt das Bekannte mit dem Unbekannten, eine Melodie mit einer neuen Herangehensweise. Das führt zu Musik, die mich herausfordert; von der ich also nicht sofort alles verstehe.
Die Balance zwischen einem Festhalten am Bekannten und dem Schritt ins experimentelle Neue.
Gregor Ladenhauf: Genau. Dabei lässt sich Musik auch funktional denken. Ob es sich um Kammer- oder Clubmusik handelt, man will damit einen Effekt erzeugen. Mein Ansatz ist ungerichteter. Ich will einen Effekt erzeugen, aber nicht einen bestimmten und bei allen denselben.
Deshalb wuselt es auf dem neuen Album. Man muss sich darauf einlassen.
Gregor Ladenhauf: Weil mir sonst langweilig werden würde! In den Tracks ist so viel drin, aber ich kann nicht anders.
Obwohl so viel passiert, führt das nicht zu Ermüdung. Für mich ist das der Autechre-Effekt – man steht im Auge des Sturms.
Gregor Ladenhauf: Oh, Autechre sind meine Heroes. Wenn sie ein Album veröffentlichten, weiß ich, dass ich es erlernen muss. Ich kann es nie beim ersten Hören verstehen. Sobald man sich aber darauf einlässt, gibt es viel zurück. Selbst nach Jahren lassen sich immer noch neue Elemente in den Stücken entdecken. Deshalb ehrt es mich, dass du mich damit vergleichst, auch wenn der Output von Autechre viel abstrakter ist als meiner.
Ich will nicht sagen, dass du dasselbe machst. Der Ansatz führt aber in eine ähnliche Richtung.
Gregor Ladenhauf: Ja, außerdem habe ich noch so viel unterschiedliches Material, das ich veröffentlichen will. Ich hadere immer mit der Frage, ob ich es als Zanshin oder unter anderen Pseudonymen veröffentlichen soll. Schließlich leben wir in einer Zeit, in der es schon schwierig ist, einem einzigen Artist zu folgen. Sobald du zehn unterschiedliche Projekte hast, ist es schwer zu verfolgen, was passiert. Mit der Grundidee kann ich allerdings viel anfangen. Es so weit zu pushen, dass man für jeden Track einen anderen Artistnamen erfindet, finde ich interessant.
Absolute Verweigerung der Zuordnung.
Gregor Ladenhauf: Und das Gegenteil eines Markennamens, mit dem Leute gewisse Merkmale verbinden. Trotzdem haben es Artists wie David Bowie geschafft, sich immer wieder neu zu erfinden.
Allerdings hat er ein Markenzeichen daraus gemacht, sich neu zu erfinden.
Gregor Ladenhauf: Deshalb trau ich mich nicht, zu abstrakte Sachen zu veröffentlichen. Auf einmal meinen zehn Heads, dass mein Sound so klinge wie Autechre. Ich will keinen Copycat-Status haben.
„WER SEIN GANZES LEBEN LANG NUR FREE JAZZ HÖRT, WIRD MEINE MUSIK FÜR POP HALTEN.“
Trotzdem kannst du deine Vergangenheit nicht leugnen.
Gregor Ladenhauf: Klar, ich habe eine Zeit erlebt, in der sich elektronische Musik zum ersten Mal maximalisiert hat in ihrer Komplexität. IDM war in den 90ern so etwas wie der Höhepunkt der Verjazzung elektronischer Musik. Hört man sich manche Alben von Squarepusher an … das ist Brainfuck! Es ging danach nicht mehr komplexer. Deshalb fingen viele an, wieder weiter zurückzugreifen. Nicht ohne Grund erscheinen heute Electro-Platten, die so klingen, als hätte man sie in den 80ern produziert. Man merkt: Retro ist wieder OK und erfüllt eine Funktion.
Wie meinst du das?
Gregor Ladenhauf: Mache ich das, was gerade funktioniert und damit gewissen Vorstellung folgt oder das, was aus mir rauskommt? Ich bewundere oft Menschen, die an einem Konzept stringent festhalten, es immer wiederholen. In meiner Selbstwahrnehmung kann ich das nicht – meine Interessen reichen weiter, aus mir kommt so viel raus, ich muss es filtern. Deshalb ist das Album auch meine Bemühung, weniger zu machen.
Hat ja ganz gut funktioniert.
Gregor Ladenhauf: Die Schwierigkeit ist: Innerhalb des Frequenzspektrums hat nur eine gewisse Menge an Information Platz.
Für dich zu wenig!
Gregor Ladenhauf: Das ist vielleicht ein Problem des Mediums. In meinen Tracks sind alle Elemente gleichberechtigt. Deshalb wird meine Musik so dicht. Schließlich ist mir das Zusammenspiel der einzelnen Teile wichtig. Würde ich manche Elemente in den Vorder- und andere in den Hintergrund rücken, klänge es nicht mehr so dicht, die Aussage wäre aber eine andere.
Und die ungerichtete Aufmerksamkeit würde sich konzentrieren.
Gregor Ladenhauf: Vielleicht sollte man es wirken lassen, ohne sich zu konzentrieren. Oder gerade einzelne Elemente bewusst raushören. Wobei: Das selektive Hören muss man zuerst lernen. Oft verpacke ich in meiner Musik so viel Information zur gleichen Zeit, dass es auch zu Überforderung führen kann. Andererseits: Wer sein ganzes Leben lang nur Free Jazz hört, wird meine Musik für Pop halten.
Den Nullachtfünfzehn-Ö3-Hörer wirst du damit nicht abholen.
Gregor Ladenhauf: Eine Entscheidung, die ich nicht getroffen habe, sondern die mir passiert ist. Es ist ein Spagat zwischen Abstraktion und Gefälligkeit, ich lass alles zu, wehre mich nicht gegen Zugänglichkeit und folge dem Sound mehr als ihn zu formen.
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Du folgst dem Fluss, dem Flow.
Gregor Ladenhauf: Deshalb bemühe ich manchmal den Vergleich mit der Bildhauerei. Der Vergleich hinkt zwar ein bisserl – ich hab kein weißes Rauschen, aus dem ich wegnehme, bis etwas übrigbleibt – aber es entsteht etwas aus einem Anfangssound und wird immer mehr erweitert wie eine Plastik. Ich erlebe immer wieder, dass bestimmte Klänge schon musikalische Folgen in sich tragen und geradezu vorgeben. Für mich ist das ein Herantasten an die ideale Melodie für einen Sound.
Dadurch entsteht in deinem Fall direkte Musik, die so wirkt, als stände man neben einem Lautsprecher, der pausenlos pulsiert.
Gregor Ladenhauf: Hast du das Buch How Music Works gelesen. David Byrne beschreibt darin, dass man die passende Musik für die Räume, in denen sie gespielt wird, finden sollte. Er meint auch, dass manche Werke von Mozart heute in falschen Räumen aufgeführt werden. Seine Musik sei so kleinteilig, dass sie nur für kleinere Gruppen von Menschen und in trockenen Räumen funktioniere. Schließlich sei sie dafür komponiert worden und nicht für große Konzerthäuser. Damit spricht er einen wichtigen Punkt an: Wenn Musik nicht mehr nur Identitätsstiftung ist, sondern mehr der Klang im Vordergrund steht, wird es spannend – aber das ist ein Thema für Elektroakustiker:innen und Akusmatiker:innen, ich würde mich nie so weit hinauswagen, auch wenn ich damit experimentiert habe.Trotzdem bleibt ein Dilemma, wenn man sich mit Akustik beschäftigt: Ich war mal in der Stadthalle bei einen Konzert von Nine Inch Nails, hab mich extra zum Mischpult gestellt, um das beste Klangerlebnis zu bekommen – dort aber nichts gesehen. Daraufhin bin ich weiter nach vorne gegangen, dort war der Sound dann schlecht. Tja, was tun?
Schwierig.
Gregor Ladenhauf: Das fand ich an Japan immer super: Selbst die kleinsten Clubs haben tolle PA. Das ist in Österreich bisher nur teilweise angekommen. Der Staat müsste stärker eingreifen, Clubs noch stärker als Orte der Kultur anerkennen und so weit unterstützen, dass für das Kulturgut der entsprechende Sound geboten wird.
Bis sich dann ein Anrainer über die Lautstärke beschwert und …
Gregor Ladenhauf: Kennst du die Geschichte vom ehemaligen vom Morrison Club? Wenn ich mich richtig erinnere haben die Veranstalter einem Anrainer, der sich oft beschwert hat, manchmal Wellness-Wochenenden bezahlt, damit er die Veranstaltungen nicht zerstören kann.
Legendär!
Gregor Ladenhauf: Worauf ich hinauswill: Der Sound ist wichtig. Es wär doch interessant, würde man Umfragen mit dem Publikum in Clubs machen, um festzustellen, wie der Sound für sie war. Natürlich ist das individuell. Trotzdem ließe sich daraus ein Schnitt rausrechnen.
Wobei …
Gregor Ladenhauf: Die meisten wahrscheinlich sagen, dass ihnen der Sound gefallen hat, weil ihnen die Musik getaugt hat, ja.
Du fragst das dann Leute, die sonst Raf Camora am Handylautsprecher ballern.
Gregor Ladenhauf: Das denk ich mir beim Produzieren auch: Du machst was und hast keine Ahnung, wie es sich die Leute anhören werden. Deshalb versuche ich es so weit zu formen, dass es auch Sinn macht, wenn man es auf einem Handy hört.
Das funktioniert tatsächlich gut! Allein der Pop-Appeal bei „Because Why“ taugt dafür. Die geradlinigen Tracks wie „Brontoroc Brawl“ gehören halt in den Club.
Gregor Ladenhauf: Ah, der Track hatte schon so viele Namen. T-Rex-Tango, Rottweiler-Riot … ich wollte die Aggression, die in dem Track steckt, verwortlichen.
Nudging für den Underground.
Gregor Ladenhauf: Ha, sag: Wie findest du das neue Album im Vergleich zum vorherigen?
Das letzte erschien vor zehn Jahren. Das hatte so einen Beattape-Vibe. Auf der neuen Platte stehen die Tracks zwar für sich, sprechen mich aber im Gesamten mehr an.
Gregor Ladenhauf: Viele Leute meinen, dass es eher filmisch wirke, also Bilder erzeuge. Das find ich spannend, weil ich mir schwer tu, in Bildern zu produzieren. Hörst du diese Stimmung raus?
Ich finde, dass du mit der neuen Platte in der Dissonanz zur Resonanz findest. Das ist stimmig für mich – auch weil du öfter singst. Sag, wie kam es zum Titel der Platte „In Any Case By Any Chance“?
Gregor Ladenhauf: Findest du es wichtig, dass Musik einen theoretischen Überbau hat?
Gar nicht. Das meiste intellektuelle Geschwafel über Musik ist am Ende nur: intellektuelles Geschwafel ohne Geschichte.
Gregor Ladenhauf: Und da komm ich gleich mit einem daher. Ich hab Wittgenstein schon erwähnt, diesbezüglich ist mir seine Formulierung naheliegend. „Worüber man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen.“ Storytelling ist für mich oft der schwierigste Teil an einem Albumprozess. Außer ich hab von vornherein eine klare Idee. Sehr oft entstehen die Tracks aber aus dem Moment heraus. Deswegen haben sie nicht unbedingt einen Kontext. Darauf beziehe ich mich irgendwie im Titel, weil die Wörter „case“ und „chance“ drinnen vorkommen. Wittgenstein hat gesagt: „Die Welt ist alles, was der Fall ist.“ So seh ich es auch bei meiner Musik. Sie passiert, also ist sie der Fall – in any case. Gleichzeitig ist es ein kleines Wortspiel wegen des „record case“. Und in „chance“, dem Zufall, steckt wieder der Fall drinnen, weil auch in den Tracks Zufallselemente und -parameter eine Rolle spielen, also zusammenfallen. Lass mich aber dir eine Frage stellen: Wenn du meine Musik kategorisieren müsstest, wo würdest du sie einordnen?
Auch schwierig! Ich hab mir beim Hören gedacht, das ist ADHS-Electronica – mein ich aber ohne Abwertung!
Gregor Ladenhauf: Glaubst du nicht, dass Menschen mit ADHS eher Schwierigkeiten hätten mit meiner Musik?
Oder sie fänden darin ihren Heiland!
Gregor Ladenhauf: Deshalb steht in meinem Insta-Header: „leftfield, lush & hard to DJ“
Genau am Punkt. Danke dir für deine Zeit, Gregor!
Christoph Benkeser
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