„‚sweet life‘ höre ich immer noch sehr gerne!“ – YVONNE MORIEL im mica-Interview

Beinahe hätten wir YVONNE MORIEL nicht als die großartige Musikerin kennenlernen dürfen, die sie ist – hat sie doch das Medizinstudium fast auf einen anderen Karriereweg gelenkt. Zum Glück aller Jazz- und Dub-Fans fand die gebürtige Tirolerin doch ihre Berufung in der Musik und hat so im Herbst 2021 ihre zweite EP namens „sweet life“ veröffentlicht. Rein instrumental überzeugen die Kompositionen von YVONNE MORIEL auf vielfache Weise: Moderner Jazz mischt sich mit Dub und Hip-Hop-Sounds und kreiert so ein einmaliges Hörerlebnis. Im Interview mit Itta Francesca Ivellio-Vellin erzählt YVONNE MORIEL von der Spontaneität, die ihren Kompositionen zu Grunde liegt, den Vor- und Nachteilen von Genre-Klassifizierungen und ihren diversen Erfahrungen und Einflüssen.

Ich habe mir gerade noch einmal deine neueste EP „sweet life“ angehört. Die ist ja letzten Oktober erschienen. Was verbindest du mit „sweet life“? Was macht das Leben für dich süß?

Yvonne Moriel: Also, ich bin eine Tagträumerin und ein sehr ästhetischer Mensch. Für mich ist es ganz klassisch, wenn ich mal nicht gestresst bin, durch die Straßen zu gehen und nach oben zu schauen und die Häuser zu bewundern – solche Momente, einfach mal kurz stehen zu bleiben und zu sehen, wie schön alles eigentlich ist, das ist für mich der Zeitpunkt, an dem ich mir immer wieder denke, wie schön das Leben doch ist. Im Stress nimmt man das oft nicht wahr.

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Wie spiegelt sich das auf der EP wider?

Yvonne Moriel: Die einzelnen Tracks geben Vibes wieder. Man kommt beim Hören immer in eine bestimmte Stimmung, finde ich. Es sind spontane Tracks, die so die Frage „Was spüre ich im Moment?“ reflektieren. So sind sie auch entstanden – ohne nachzudenken. Die Tracks sind sehr unterschiedlich, aber jeder beschwört eine eigene Stimmung. „sweet life“ ist der Begriff, der mir sofort in den Sinn gekommen ist, als ich die fertiggestellte EP angehört habe.

„Ich bin eine Tagträumerin und ein sehr ästhetischer Mensch“

Hörst du deine eigene Musik?

Yvonne Moriel: „sweet life“ schon, ja. [lacht] Bei meiner ersten EP war es anders, die konnte ich nach der Fertigstellung überhaupt nicht mehr hören. „sweet life“ höre ich immer noch sehr gerne.

Ein gutes Zeichen!

Yvonne Moriel: Ja, die Stücke auf „sweet life“ sind gesamtheitliche Kompositionen. Ich als Saxofonistin bin da nicht vorherrschend – die wenigen Soli sind kurz. Deshalb kann ich’s, glaube ich, auch gut anhören, weil ich nicht nur auf meine Spielweise achte und darüber nachdenke, was besser gewesen wäre. [lacht]

Das Artwork der EP ist ein Bild von Palmen mit viel rosa und grau. Symbolisiert das für dich „sweet life“?

Yvonne Moriel: Palmen sind so ein bisschen das Klischee von „sweet life“. Das hat mich sehr amüsiert, vor allem dann in diesem Grau. Der Künstlerin Kristina Casarez, die das Artwork gemacht hat, habe ich nicht viele Anweisungen gegeben, nur ein paar Inspirationen. Ich habe ihr gesagt, sie soll sich die EP anhören und dann schauen, wie es sich für sie anfühlt. Daraus sind dann die Palmen entstanden! Sie haben halt auch so einen Vibe, so wie die Songs. Das wird vom Artwork schon gut widergespiegelt.

„‚sweet life‘ ist quasi in einem Guss entstanden“

Wieso sind alle Songtitel klein geschrieben und haben einen Punkt dahinter?

Yvonne Moriel: Habe ich einfach schön gefunden so! Ich denke darüber nicht wirklich nach, das ist alles immer sehr spontan.

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Wie sind die Kompositionen entstanden? Mit wem hast du da zusammengearbeitet?

Yvonne Moriel: Ich habe die EP gemeinsam mit Lukas Klement und Ross Stanciu gemacht. Ich setze mich zuerst mal zur Ideensuche hin und nehme dann einfach das, was dabei rauskommt mit in die Sessions, da arbeiten wir dann sehr unbedarft weiter und schauen, dass wir am Ende der Session einen fertigen Track haben. „sweet life“ ist quasi in einem Guss entstanden, denn wir haben eben genau so fünf Songs gemacht, und diese fünf Songs haben zufällig so gut zueinander gepasst, dass daraus direkt die EP entstanden ist. Wir wollten ja eigentlich einfach mal ein paar Tracks machen, eine EP war gar nicht geplant. Die Produktion, mit Komposition, Arrangement und Recorden, das war alles ein einziger Prozess. Auf der EP sind wirklich die ersten Spuren, die entstanden sind, zu hören. Es war so eine gute Energie, und das war uns viel wichtiger, als dass alles perfekt ist.

Lukas Klement begleitet dich schon länger, nicht wahr?

Yvonne Moriel: Ja genau, mit dem spiele ich oft live und er hat auch meine allererste EP „Dreamers“ recorded.

Spielt er auch in deinem Live-Ensemble?

Yvonne Moriel: Ja, bei den Konzerten mit meiner ersten EP „Dreamers“ hat er mit mir gespielt. Für die kommenden Konzerte habe ich mir allerdings ein neues Live-Konzept überlegt. Die Songs auf „sweet life“ haben alle ein bisschen einen Hip-Hop-Einfluss, weshalb ich gerne Leute wollte, die aus dem Bereich kommen. Neben Stephanie Weninger, mit der ich wahnsinnig gerne spiele – sie ist so gut –, und mir ist Raphael Vorraber an den Drums dabei und Paul Male an der Gitarre. Das Live-Konzept ist auch sehr anders als die Produktion, die auf der EP zu hören ist. Live ist es viel freier und spontaner, eher eine Jazz-Umsetzung.

Vor kurzem hattest du ja ein Konzert in Linz, wo du zum ersten Mal die neuen Sachen vor Publikum präsentieren konntest, auch in der neuen Formation. Wie war’s?

Yvonne Moriel: Es war super cool! Es ist immer mega-spannend, mit neuen Leuten zu spielen, vor allem die eigene Musik. Man neigt ja oft dazu, viel mit denselben Leuten zu spielen. Und es hat echt super funktioniert. Raphi spielt gerne sehr frei und pusht damit alle, auch aus uns rauszugehen. Hat voll Spaß gemacht!

„Das Live-Konzept ist auch sehr anders als die Produktion, die auf der EP zu hören ist“

Also war auch viel Improvisation dabei?

Yvonne Moriel: Steffi, Raphi und ich haben uns seit Februar viel getroffen um zu jammen, weil es schon wichtig ist, dass man gut aufeinander eingespielt ist. Aber wir haben auch viel geprobt, vor allem wegen der Electronics war das wichtig. Aber der Jam-Charakter ist im Konzept eingebettet.

Wenn ihr seit Februar zu dritt probt, wie hat sich Paul Male da eingefügt? Seit wann ist er dabei?

Yvonne Moriel: Wir wurden vom Brucknerhaus als Quartett gebucht und ich bin ein großer Fan von Gitarre beziehungsweise Jazz-Gitarre in Kombination mit Saxofon. So im Rock-Bereich hat mich Gitarre ehrlich gesagt nie so interessiert, da fand ich Bass immer spannender. Raphi hat Paul vorgeschlagen, und im Mai haben wir dann zum ersten Mal als Quartett geprobt.

Deine erste EP „Dreamers“ und „sweet life“ sind schon unterschiedlich, letztere ist mehr elektronisch, weniger klassisch-jazzig. Wie kam es dazu?

Yvonne Moriel: Ich habe mir einfach spontan gedacht, dass ich gerne einen neuen Zugang ausprobieren möchte. „Dreamers“ ist sehr klassisch produziert. Ich habe am Klavier komponiert, dann habe ich am Computer eine Vorproduktion gemacht, danach im Quartett aufgenommen und dann habe ich das mit Lukas fertigproduziert. Ross Stanciu, der neben Lukas bei „sweet life“ dabei war, ist ja eher im Indie-Pop-Bereich tätig, aber er ist ein Out-of-the-box-Denker, was ich spannend fand. Bei „sweet life“ hatte ich kein klares Ziel vor Augen, welche Art von Musik das werden sollte – ich war offen für alles. Festlegen im Vorhinein limitiert oft.

„Bei meiner Musik finde ich es zum Beispiel sehr schwer, sie einzuordnen“

Das bringt mich auch gleich zur Frage des Genres. Viele Künstler*innen finden es ja furchtbar, immer in ein willkürliches Genre gesteckt zu werden. Wie stehst du dazu? Findest du Genres einengend oder kannst du dem etwas abgewinnen? Von der praktischen Seite hat es klare Vorteile, aber künstlerisch gesehen?

Yvonne Moriel: Es hat Vor- und Nachteile! Natürlich kann man dadurch einen ungefähren Eindruck gewinnen, und man kann das Bild gestalten, das das Gegenüber haben sollte, indem man sich selber als einem Genre zugehörig klassifiziert. Das kann man auch sehr bewusst einsetzen, was ich als positiv empfinde. Andererseits ist es auch stressig – bei meiner Musik finde ich es zum Beispiel sehr schwer, sie einzuordnen. Jazz als Begriff ist schon cool, weil er meiner Meinung nach sehr viel zulässt, aber es gibt halt auch einige Leute die Jazz als Stilistik sehr eng sehen. Wie würdest du es denn benennen?

Jazziger Lo-fi-Hip-Hop, vielleicht? Oder hip-hopiger Lo-fi-Jazz?

Yvonne Moriel: Ja, das Jazzige kommt eben beim Live-Spielen mehr raus. Das war auch der Plan – Tracks zu machen und die dann mit Jazz-Zugang live umzusetzen.

Wenn die Tracks einzelne Stimmungen wiedergeben, fühlst du dich beim Live-Spielen dann wieder in diese Stimmungen oder Momente zurückversetzt?

Yvonne Moriel: Total. Die triggern das extrem. Letztes Mal in der Probe, als wir „ocean.“ gespielt haben, hat Paul auf der Gitarre begonnen und Raphi hat Geräusche mit so einer Muschel-Percussion-Kette gemacht, und wir haben uns plötzlich alle wie am Strand, ganz entspannt, gefühlt. Die Songs bringen einen einfach in diese Stimmung.

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„Ich finde es immer total spannend, wenn ich aus einer Welt so rausgerissen werde“

Du hast in vielen Formationen und Bands, von Avec bis zu Franui, bereits gespielt – welche dieser Banderfahrungen war besonders wertvoll für dich? Wo hast du am meisten gelernt?

Yvonne Moriel: Schwierig zu sagen. AVEC war zum Beispiel das erste Mal, dass ich Teil einer großen Produktion war, mit eigenem Monitor- und FOH-Techniker, viel Touring und so. Als Saxofonistin ist das nicht so alltäglich, vor allem weil ich ursprünglich aus der Klassik komme. Das war eine tolle Erfahrung. Franui war wiederum etwas ganz anderes, viele Instrumentenwechsel, extrem fordernd. Ich habe früher ja auch viel Kontrabass gespielt, und es ist halt komplett was anderes, ob man in einem Streichorchester, oder in einer Bigband, einer Popproduktion oder eben bei Franui spielt. Aber alles sehr spannend, weil die Zugänge total unterschiedlich sind. Man muss sich überall auch unterschiedlich verhalten. Da nimmt man so viel mit, und wird auch sehr flexibel. Und man erweitert den eigenen Horizont. Wenn man zum Beispiel immer Jazz-Gigs spielt, kennt man auch nur diese Art von Auftritten. Ich finde es immer total spannend, wenn ich aus einer Welt so rausgerissen werde. Ich glaube, ich habe davon sehr profitiert und ich genieße das auch sehr.

In welchen Formationen spielst du derzeit?

Yvonne Moriel: Ich bin jetzt nicht unbedingt fixes Bandmitglied, sondern mache eher mein Ding und bin dann bei verschiedenen Bands für gewisse Projekte dabei, als nächstes spiele ich jetzt zum Beispiel mit Yasmo und der Klangkantine einige Gigs, und beim Ralph Mothwurf Orchester.

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Mit Yasmo spielst du ja zum Bespiel beim Eröffnungskonzert der Wellenklänge dieses Jahr – ist leider schon längst ausverkauft. Gibt es sonst noch jemanden, mit dem du gerne zusammenarbeiten würdest?

Yvonne Moriel: Wenn ich’s mir aussuchen dürfte: Avishai Cohen, Bon Iver und Herbie Hancock!

Vielen Dank für das Interview!

Itta Francesca Ivellio-Vellin

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Live-Termine:

9.6.22 Release-Konzert im Kramladen (Tickets)
15.7.22 mit Yasmo & die Klangkantine, Eröffnung Wellenklänge Lunz
16.7.22 mit Yasmo & die Klangkantine, Ried im Innkreis
23.7.22 mit dem Ralph Mothwurf Orchester, Wellenklänge Lunz

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