Musik von ZANSHIN war bisher vor allem: viel. Befindlichkeitsapostel sagen auch anstrengend, weil sie nur Narkolepsieradio kennen. Jedenfalls: ZANSHIN hätte man nicht unbedingt einen allerweltlichen Ambient-Ausreißer zugetraut. „Ok Ocean” (VÖ: 31. Mai 2024 via Affine Records) ist das zum Glück auch nicht geworden. Es fehlt zwar alles, was klescht und knallt – aber man streckt die Arme aus, die Beine sowieso. Und dann treibt man dahin. Das ist dreimal billiger als das Afterworkticket in Oberlaa. Und sicher fünfmal so entspannend, versprochen!
Eineinhalb Stunden Ambient, kann man mal machen!
Zanshin: Auf Kassette, kein Problem! Die Laufzeit ist auch ein Gegengewicht zur allgemeinen Entwicklung in der Musik: Auf Spotify landen nur noch Zweiminutentracks. Also mach ich das Gegenteil.
Hat das nicht letzthin auch Billie Eilish über ihr neues Album gesagt …
Zanshin: Wo sie über die heutige Aufmerksamkeitsspanne spricht?
Genau, das Argument ist: Die Leute haben keine kürzere Aufmerksamkeit, sondern …
Zanshin: Wenn der Inhalt gut genug ist, hört man sich alles an. Es ist also eher ein Qualitätsdefizit, keines der Aufmerksamkeit, ja. Außerdem erfordern gewisse Musiken eine gewisse Länge. Damit man reinkippen kann, muss man sich Zeit lassen.
In deinem Fall ist das Deep Listening auf schön.
Zanshin: Ich hab mich getraut, die Schönheit zuzulassen – ohne extra einen Störfaktor reinzubringen. Für meine Verhältnisse habe ich also ziemlich wenig gemacht, was allgemein immer noch viel ist. Das ist mir erst beim Mastern aufgefallen: Es passiert vieles gleichzeitig. Was rewarding ist, weil man mehr hört, wenn man die Musik öfter hört. Das hat Mehrwert gegenüber kurzer Häppchenbefriedigung. Selbst wenn ich es auf random play über sechs Stunden im Hintergrund laufen lasse – man taucht ein.
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Tauchen ist das Stichwort.
Zanshin: Ich war bisher nur schnorcheln. Das Spannende an dem Thema teilt sich aber in mehrere Aspekte auf: die wohlwollende Liebe zum Meer und ein an Furcht grenzender Respekt dazu.
Man steht an der Klippe, blickt in die Ferne und neben einem sagt jemand: Da fühlt man sich ganz klein – so als Mensch.
Zanshin: Die romantische Verklärung! Aber auch die nahe Faszination. Freunde, die schon mal tauchen waren, sagen ja immer: Dort unten ist es ganz anders. Wie es klingen könnte, wenn man abtaucht, das Licht an der Oberfläche schimmern sieht und neben einem die Schwärme vorbeiziehen, all das hab ich mir vorgestellt.
Ich war unlängst tauchen, das Schöne daran: Du hast eine Dreiviertelstunde nur das Rauschen und dich, alles andere ist … ausgeschaltet.
Zanshin: Schade eigentlich, dass man meine Musik nicht unter Wasser verwenden kann.
Wie in diesen Spa-Landschaften mit Softrock-Unterwasserbedüdelung?
Zanshin: Ja, waach! Man müsste mal probieren, denen das Album anzudrehen. Das würde in dem Kontext sicher vielen Leuten taugen. Das Thema Ozean ist schließlich nahbar, oder? Jedenfalls muss ich einmal im Jahr für mein Seelenheil ans Meer fahren. Dort fällt mir auch auf, wie evident das Thema Plastik ist. Was alles von uns verursacht herumschwimmt im Meer, an diesem Ort, von dem wir alle kommen – fucking hell!
„NUR WIR EUROPÄER FAHREN DORT ZUM BADEN HIN.”
Trotzdem denken wir bei Meer an …
Zanshin: Urlaub und so weiter, ja. Man merkt aber, da ist ein Konflikt. Ich war auf Bali, die Menschen vor Ort haben richtig Respekt vor dem Meer. Weil das Böse immer von dort kam, egal ob als Eindringlinge über den Wasserweg oder durch die reine Naturgewalt. Nur wir Europäer fahren zum Baden ans Meer.
Nur wir kennen das Pauschalparadies aus der Tui-Werbung.
Zanshin: Ich hab mich deshalb gefragt, wie man dieses Dilemma auf einem Ambient-Album ansprechen kann. Ohne zum Beispiel plakativ save the ocean drüberzutexten. Den Themenkomplex aber anzureisen, führt dazu, dass Menschen zumindest darüber nachdenken.
Über das Meer, meinst du?
Zanshin: Nicht nur. In der Traumatherapie arbeitet man zum Beispiel mit geführten Reizen, auch im Sehen. Man ist draufgekommen, dass vertikale Augenbewegungen eher stress-inducing sind, während horizontale Bewegungen beruhigend wirken. Mir fällt das schon auf der Donauinsel auf: Sobald ich viel Horizont sehe, bin ich beruhigt. Am Meer ist es zwangsläufig so. Man sitzt am Strand und schaut in die Ferne. Das fühlen alle anders, aber es beruhigt.
Wie dieses Album.
Zanshin: Genau, die Geschichte, die das Album erzählt, kann für alle anders sein. Das ist im und am Meer nicht anders. Es passiert immer etwas, man existiert zeitlos. Fast wie in der Poesie. Sie steht für etwas Momenthaftes und weniger in einer großen Erzählung.
Genau deshalb war ich immer lieber am Meer als im Wald: Die Bäume erinnern einen permanent an die Vergangenheit. Dem Meer ist das wurscht, es ist jetzt da und gleich anders.
Zanshin: Es ist immer in Bewegung, ja. Nicht nur an der Oberfläche, wo kurzwellige, flirrende, reflektierende Bewegungen stattfinden. Sondern auch unter Wasser, wo sie langwierig und riesig sind. Diese unsichtbare Gleichzeitigkeit sollte auch parallel in den Tracks stattfinden.
Hinter der Unsichtbarkeit steckt auch immer: Spannung.
Zanshin: Ja, wenn ich in den Himmel schau, seh ich alles. Im Meer geht es runter und es ist dunkel. Da denk ich immer an dieses Cthulhu-Monster von Lovecraft. Das ist schräg, weil ich merke: Ich kann stundenlang den Wellen zuschauen. Gleichzeitig seh ich die Gefahr. Wie schlimm muss es sein, würde man wie im Film „Open Water” in den Weiten des Ozeans treiben?
Die Weite löst also auch Stress aus?
Zanshin: Die unüberschaubare, ja. Und doch sagen Leute, die tauchen: Wird man Teil des Ozeans, fühlt man sich verbundener. Das ist doch ein schöner Gedanke. Schließlich verwendet man das Meer oft als Synonym für das Unbewusste – als etwas, auf das man keinen Zugriff hat, weil es tief ist und verborgen. Wenn man mit dieser Tiefe Frieden schließt, also in Verbindung tritt, verliert man aber die Angst.
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Weil einem das Meer keine andere Wahl lässt. Wer dagegen ankämpft …
Zanshin: Verfällt in Panik. Und das ist schlecht, gerade wenn man taucht. Diesen Zwang zur Paniklosigkeit finde ich aber spannend, weil: In unserer Gesellschaft existieren viele Ängste, die zu Stress führen. Viele sind sich diesen Ängsten aber nicht bewusst. Deshalb können sie sie nicht bearbeiten. Unter Wasser hat man gar keine Wahl.
Weil da zwar viel Druck ist, aber kein sozialer.
Zanshin: Genau, man ist gewissermaßen frei, sofern man sich drauf einlässt – also im Moment existiert, schaut und zuhört. Da sehe ich die Verbindung zum Album. Die Musik steht in einer impressionistischen Tradition. Es geht um den inneren Eindruck, gerade bei Ambient.
„DER BASS STEHT FÜR DIE GEWALT, DIE DAS MEER AUSLÖSEN KANN.”
Viel Ambient hört sich an wie Wartezimmerwandtapeten: immer gleich, aber immer gleich. „Ok Ocean” ist sehr anders.
Zanshin: Weil ich produktionstechnisch viel Zeit mit Clubmusik verbracht habe. Ich weiß, wie wichtig der Subbass ist. Außerdem steht er für die Gewalt, die das Meer auslösen kann. Mein Ambient ist wuchtig, es muss drücken.
Ja, gute Beschreibung. Während Nullachtfünfzehnambient immer uplifting sein soll, drückt dich deiner nieder.
Zanshin: In diesem Wuchtigen steckt das Dunkle, darin schwingt natürlich Melancholie mit. Aber oft ist eben gerade das schön. Auch weil ich mich dadurch verletzbar zeigen kann.
Das war in der Vergangenheit anders. Was hat dich jetzt dazu befähigt, das Schöne zuzulassen?
Zanshin: Ich habe mich früher manchmal sabotiert: Disruptive, anstrengende und verstörende Elemente waren mir beim Hören immer wichtig. Wieso ich mittlerweile Zugänglichkeit zulasse, darüber kann ich nur mutmaßen. Vielleicht war die Harmonie in der DNA der Songskizzen bereits eingeschrieben. Vielleicht bin ich aber auch einfach ausgeglichener geworden.
Danke für deine Zeit!
Christoph Benkeser
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