„Ich möchte meine Facetten zeigen und meine Geschichten mit dem Publikum teilen.“ – Madeleine Joel im mica-Interview

Mit einer Reihe von Konzerten verabschiedet sich Madeleine Joel zum Jahresende von einem Herzensprojekt, das sie fast ein Jahrzehnt begleitet hat. Am 27. Dezember beschließt die Wiener Musikerin und Sängerin im Porgy & Bess das Kapitel Hildegard Knef – mit einem großen Geburtstagskonzert zu Ehren der legendären Chansonsängerin, die tags darauf 100 Jahre alt geworden wäre. Bereits mit ihrer Single „Prosit Neujahr“ und dem Konzertprogramm „Tapetenwechsel“ hatte Joel das Jubiläumsjahr eingeleitet und Knefs Werk in neuem Licht erscheinen lassen: jazzig, poppig, elektronisch, stets respektvoll und doch mutig neu gedacht. Seit der gefeierten Premiere ihres Programms Alles oder Nichts 2022 hat sich Madeleine Joel mit ihrer Band The Hildeguards fest im österreichischen Musikleben verankert. Nun, nach Jahren intensiver Auseinandersetzung mit Knefs Leben und Kunst, richtet sie den Blick nach vorn – inspiriert und bereit für neue musikalische Wege. Im Interview mit Michael Ternai spricht die gebürtige Oberösterreicherin über ihre Entscheidung, ihr Erfolgsprojekt fürs erste Mal ruhen zu lassen, ihren Mut zum Dialekt und ihre neuen Projekte, die alle in eine andere musikalische Richtung gehen.

Du bist gerade mit deinem Projekt Madeleine Joel & The Hildeguards unterwegs. Das Projekt hast du erst vor wenigen Jahren gestartet, es war aber innerhalb kurzer Zeit schon sehr erfolgreich. Ich habe irgendwo gelesen, dass es eher aus der Motivation heraus entstanden ist, dir selbst einen Wunsch zu erfüllen – stimmt das?

Madeleine Joel: Genau, Hildegard Knef zu singen, war immer schon ein großer Wunsch von mir. Wobei am Anfang nicht wirklich ein großer Plan oder Ähnliches hinter dem Projekt stand. Die einzige Idee hinter Madeleine Joel & The Hildeguards war, dass ich Hildegard Knefs Lieder nicht mehr nur nachsingen, sondern sie mit meiner eigenen Band selbst interpretieren wollte. Diesen Wunsch habe ich mir mit einer großartigen Band auch erfüllt.

Generell ist es mit diesem Projekt von Anfang an super gelaufen – was auch mit dem Ö1-Jazzstipendium zu tun hatte, welches ich damals erhielt. Durch dieses Stipendium habe ich von Ö1 zum Albumrelease sehr viel Unterstützung bekommen. Auch das Medieninteresse war sehr groß; in allen Kanälen ist dieses Projekt quasi durch die Decke gegangen. Das war gleich einmal der erste Knall, mit dem ich überhaupt nicht gerechnet hatte. Ich war völlig überrascht.

Wir haben mit dem ersten Programm auch knapp 40 Konzerte gespielt – das ist eine Menge. Und ich sage mal: Zu 99 Prozent waren die Veranstalter und auch das Publikum sehr happy. Natürlich gab es manche, die sich mit unseren Versionen schwergetan haben. Sie hatten vor den Konzerten Knef gelesen und eine bestimmte Erwartung – nämlich die, dass sie die Songs originalgetreu präsentiert bekommen. Dem war aber nicht so. Darum sage ich: Zu 99 Prozent waren die Leute zufrieden und konnten wirklich etwas damit anfangen. Und ich denke mir, wenn es der Mehrheit gefällt, ist das ein Erfolg.

Die aktuell laufende Jubiläumskonzertreise ist jetzt quasi die zweite große Runde, die ihr mit diesem Programm macht.

Madeleine Joel: Das Witzige ist, dass alles so wirkt, als hätte ich das in irgendeiner Art und Weise geplant – noch dazu, weil im kommenden Dezember der 100. Geburtstag von Hildegard Knef wäre. Das war mir aber gar nicht bewusst. Eigentlich habe ich nach diesen ersten 40 Konzerten gesagt: „Okay, jetzt ist’s mal gut mit diesem ersten Programm.“
Aber dieser 100. Geburtstag ändert natürlich alles – den kann ich jetzt wirklich nicht auslassen. Das ist mir irgendwie wie eine Fügung vorgekommen. Ich habe mir gesagt: „Gut, diesen Flow nutze ich jetzt.“
Darum jetzt das zweite Liederprogramm und die EP – als Geburtstagsgeschenk für sie. Mein kleines Geburtstagsgeschenk.


Und das Konzert am 27. Dezember im Porgy & Bess in Wien ist dann der große, abschließende Höhepunkt der Tour?

Madeleine Joel: Ja, dort feiern wir ihren 100er. Und zu diesem Anlass habe ich drei Special Guests eingeladen – vielleicht kommt sogar noch ein vierter dazu. Für diesen Abend gibt es dann auch ein neues Programm, mit Duetten und ein paar neuen Songs.

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Die neue EP „Tapetenwechsel“ zeigt auf jeden Fall eine beeindruckende Bandbreite. Wie du vorher schon gesagt hast, sind darauf keine 1:1-Kopien zu hören, sondern wirklich ganz neue Versionen von Knefs Liedern. Ein Stück habt ihr eher in Richtung Pop angesiedelt, ein anderes total tanzbar gemacht, und dann wieder eines in der Sprache des Jazz interpretiert. Eigentlich schade, dass es auf der EP nur sechs Songs sind. Denkst du, dass es genau diese Offenheit gegenüber allen möglichen Genres – diese Neugier und Experimentierfreude – ist, die dich musikalisch ausmacht?

Madeleine Joel: Genau das ist es. Schön, dass du das jetzt auch so siehst. Es zeigt wirklich, wie offen ich der Musik gegenüber bin. Ich mag mich nicht in eine Schublade stecken lassen. Ich sage immer: Ich mache Musik, die mir taugt. Ich mache die Projekte, die mir gefallen.

Dabei ist es egal, ob es Jazz, Pop, Fusion, Latin oder irgendwann mal Austropop ist – ich lege mich da nicht fest. Eigentlich hatte ich für diesen Release ursprünglich mehr Songs vorgesehen. Aber nach diesen sechs Nummern habe ich gedacht: Ich fühle Zufriedenheit. Diese Songs zeigen meine musikalische Bandbreite, sie zeigen Facetten. Und damit war ich zufrieden.

Es hätte noch zwei Nummern gegeben, die ich hätte dazunehmen können – ein Swing-Stück und eine Ballade – aber die hätten jetzt keine wirklich neuen Facetten von mir gezeigt. Also hörte ich wieder auf mein Gefühl, und das sagte: That’s my present.

Jetzt begleitet Dich Hildegard Knef jetzt schon ein paar Jahre. Was ist es denn, was dich an ihr fasziniert? Warum bist Du so ein großer Fan von ihr?

Bild der Musikerin und Sängerin Madeleine Joel
Madeleine Joel © Lukas Beck

Madeleine Joel: Also, mich fasziniert ihre Charakterstimme. Wenn sie singt, erkennt man sie nach wenigen Sekunden – und das ist etwas, das mir extrem zusagt. Ihre Stimme ist nicht irgendwie hingetrimmt oder produziert, sie klingt nicht wie viele andere. Heute klingen so viele Stimmen gleich und austauschbar – das ist bei ihrer ganz anders. Und da macht es auch nichts, dass sie eigentlich nicht immer perfekt intoniert hat. Sie war ja gar nicht unbedingt eine besonders gute Sängerin. Aber sie war unglaublich authentisch im Geschichtenerzählen – und das hat mich beeindruckt.

Ich habe ihr immer zugehört, auch wenn ich ein Lied schon zum neunzigsten Mal gehört habe. Sie hatte immer wieder meine Aufmerksamkeit, weil sie alles so echt erzählt hat. Und das ist eine große Gabe. Das ist eigentlich die Kunst: Geschichten zu erzählen, die berühren.

Auch als Persönlichkeit hat sie mich fasziniert, weil sie so viel ausprobiert hat. Sie hatte diesen unglaublichen Facettenreichtum – oft auch aus der Not heraus. Wenn etwas nicht mehr funktioniert hat, hat sie einfach das Nächste probiert und sich quasi neu erfunden. Und das immer wieder. Das finde ich großartig.

Sie war Zeichnerin, Sängerin, Schauspielerin, Musikdarstellerin, Autorin, Sprecherin, Malerin – eigentlich alles. Und alles hat sie gut gemacht. Ich finde es faszinierend, wenn jemand sich immer wieder neu erfinden kann. Bei uns ist es leider oft so etabliert, dass man sich ab einem gewissen Alter für etwas entscheiden und dann dabeibleiben muss. Aber ich bin da anderer Meinung: Man kann sich immer wieder neu erfinden und neue Wege gehen – auch solche, die ganz woanders hin abbiegen.

Du bist ja nicht nur Sängerin, sondern auch Jazzmusikerin. Ist dir die Rolle als Musikerin im Knef-Projekt, in dem du vorwiegend als Sängerin agierst, nicht etwas ab?

Madeleine Joel: Nein, ganz ohne Saxophon geht es bei mir nicht. Ich greife bei den Konzerten immer wieder dazu und spiele gemeinsam mit den beiden „Hildegards“ an Posaune und Tenorsaxofon – da machen wir richtige Hornsections, also dreistimmige Bläserpassagen. Es gibt mittlerweile vier, fünf Songs, bei denen ich länger mitspiele, und im aktuellen Programm habe ich auch einige Soli. Auch auf der neuen EP bin ich am Saxophon zu hören.

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Aber dennoch ist das ja ein ganz anderer Kontext, als selbst als Jazzmusikerin auf der Bühne zu stehen.

Madeleine Joel: Ja, klar – es ist zwar nicht abendfüllend, aber es ist eine große Aufgabe, an diesen Abenden die Unterhalterin zu sein. Ich spiele mittlerweile ja immer wieder auf sehr großen Bühnen.

Und dann gehst du raus auf die Bühne, und da sitzt eine riesige Menge vor dir. Es braucht schon viel Energie, um in diesen zwei, drei Stunden, die du da oben stehst, die Leute einzufangen und „zu knacken“. Wenn sie am Anfang noch ganz ruhig dasitzen, fast ohne jede Emotion, und am Schluss mitklatschen und ein Lächeln im Gesicht haben – dann weiß ich immer: Heute Abend habe ich es wieder geschafft.

Mit dieser Tour, die im Porgy & Bess ihren krönenden Abschluss findet, schließt du zugleich das Kapitel Knef-Projekt fürs Erste, um dich neuen Dingen zu widmen. Brauchst du etwas Neues?

Madeleine Joel: Wenn ich sage, ich lege dieses Projekt zur Ruhe, bedeutet das, dass ich mich nicht mehr aktiv ums Booking kümmere. Wenn man sehr viel unterwegs ist und so viele Konzerte spielt, bleibt für neue Ideen einfach wenig Zeit. Und ich bin voller Ideen – das ist ja das Problem. Ich möchte nächstes Jahr drei neue Projekte umsetzen, und dafür brauche ich Raum und Zeit.

Da ist ein großer Kunstdrang in mir. Ich möchte meine Facetten zeigen und meine Geschichten mit dem Publikum teilen. Es ist schön, wenn mich die Leute mit der Knef verbinden und sagen: „Ah, die Joel, das ist die mit der Knef.“ Aber ich bin nicht nur die Knef. Ich will dieses Pickerl nicht dauerhaft auf der Stirn kleben haben.

Außerdem kann sich beim Publikum ja auch irgendwann eine gewisse Ermüdung einstellen. Wo soll das sonst hinführen – dass ich noch ein drittes Knef-Programm mache? Wir werden mit dem aktuellen Programm zwar noch ein bisschen unterwegs sein und im nächsten Jahr vielleicht ein paar Einzelkonzerte spielen, aber das Projekt ist jetzt eher auf dem Weg, in Ruhe auszulaufen.

Kannst du vielleicht schon ein bisschen über die Projekte erzählen, die du planst? Ich nehme an, es werden drei völlig verschiedene Dinge sein.

Madeleine Joel: Ja, auf jeden Fall. Es ist mir ganz wichtig, jetzt meine eigene Musik zu veröffentlichen. Ich schreibe sehr gerne Texte – und mittlerweile gibt es hunderte davon. Beim Schreiben denke ich aber nicht daran, einen Hit zu landen. Ich schreibe, um meinen Kopf freizubekommen, damit meine Gefühle nicht in mir stecken bleiben. Wenn ich mit niemandem reden mag, dann schreibe ich es einfach nieder. Das ist irgendwie befreiend, weil es dann draußen ist.
Ich schreibe auf Deutsch – teils Hochdeutsch, teils im Dialekt. Ich bin ja Oberösterreicherin, und es ist total spannend, wie anders es klingt, wenn ich Dialekt spreche.

Bild der Musikerin und Sängerin Madeleine Joel
Madeleine Joel © Lukas Beck

Es ist eine ganz andere Stimmung, eine andere Farbe. Viele wissen gar nicht, dass ich komplett Dialekt sprechen kann. Und wenn sie mich dann so hören, sagen sie: „Boah, was ist denn das? Du klingst ja völlig anders!“
Für mich ist das irgendwie ein neuer Kanal, um meine Gefühle auszudrücken. Es fällt mir sehr leicht, im Dialekt zu schreiben, weil das einfach das Natürlichste für mich ist. Ich bin am Land groß geworden, ich bin eine Mühlviertlerin. Hochdeutsch habe ich erst später im Gymnasium gelernt – in Rhetorikkursen und so weiter.

Was super ist – ich liebe es, dass ich damit jonglieren kann und sozusagen ein Chamäleon bin. Aber der Dialekt ist mir sehr nah, sehr vertraut. Und ich möchte meine Geschichten teilen. Ich habe schon viel erlebt – Positives, aber auch Trauriges.

Ich beobachte auch sehr gern. Ich setze mich oft einfach irgendwo hin, schaue den Leuten zu und denke mir: Was ist deine Geschichte? Wie geht es dir? Was fühlst du? Was denkst du?
Von solchen Beobachtungen lasse ich mich inspirieren – und dann schreibe ich meine Texte. Die sind zum Teil autobiografisch, zum Teil erfunden. Auf jeden Fall habe ich vor, nächstes Jahr ein Album mit eigenen Songs herauszubringen. Das ist das eine Projekt.

In welche Richtung wird dieses eine Projekt musikalisch gehen?

Madeleine Joel: Dieses Projekt ist eher poppig und wird mit einer Liveband umgesetzt. Ich liebe es einfach, gemeinsam mit einer Band auf der Bühne zu stehen. Trotzdem lasse ich mir musikalisch alle Freiheiten. Die Songs können einen Jazz- oder Fusion-Touch haben, vielleicht ist auch ein Latin-Stück dabei – oder etwas ganz Trauriges. Die Idee ist, dass das erste Album „Facetten“ heißen wird. Es soll die vielen Seiten meines Lebens zeigen – alles, was dazugehört. Von „Oasch“ bis „super“, von Höhenflügen bis zu Tiefpunkten.

Wie sieht es mit den beiden anderen Projekten aus? Was kann man von ihnen erwarten?

Madeleine Joel: Das zweite Projekt ist mein Trio, das es schon etwas länger gibt und mit dem ich im Grunde mein Leben vertont habe. Es heißt Autobiografie und ist auch in der Besetzung sehr besonders: Saxophon, Drums und Percussion sowie E-Bass. Wir arbeiten viel mit Sounds und Stimmungen. Ich singe dabei auch – allerdings ohne Worte. Das Ganze ist eine richtige Reise. Ich habe das Programm bereits ein paar Mal in kleineren Venues gespielt, und die Reaktionen waren immer sehr berührend. Die Menschen hören zu, und in ihnen läuft ihr ganz eigener Film ab.
An diesem Projekt möchte ich unbedingt weiterarbeiten und es stärker auf die Bühne bringen – am liebsten in Verbindung mit einem Filmprojekt. Ich könnte mir vorstellen, im Hintergrund einen Kunstfilm laufen zu lassen, der stark mit Stimmungen arbeitet. Momentan bin ich am Brainstormen, mit wem ich dafür zusammenarbeiten möchte. Ich glaube, das könnte etwas sehr Spannendes werden. Es ist ein Kunstprojekt – auch musikalisch. Eigentlich lässt sich das, was wir da machen, gar nicht richtig kategorisieren.

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Das dritte Projekt ist sehr jazzig. Es heißt A Tribute to Porgy and Bess und ist eine Hommage an das legendäre Album von Ella Fitzgerald und Louis Armstrong. Die Musik ist bereits fertig arrangiert, und die Band steht. Jetzt müssen wir nur noch mit den Proben beginnen – und dann wird es auch dieses Projekt live auf der Bühne geben.

Das heißt, es wird relativ arbeitsintensiv nächstes Jahr. Wenn all das auf die Bühne kommt, wirst du wieder viel unterwegs sein.

Madeleine Joel: Ja, aber ich liebe das – auf der Bühne zu stehen. Trotzdem braucht es davor die Zeit zum Arbeiten. Ich bin sehr gerne kreativ, ich bereite Dinge gerne vor – aber in Ruhe. Nicht so nach dem Motto: Wo kann ich noch schnell eine Stunde reinzwicken? Darum sage ich auch: Das Projekt Hildegard Knef darf jetzt einmal zur Ruhe kommen.

Vielen Dank für das Interview.

Michael Ternai

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Madeleine Joel live
13.11. Kammerlichtspiele, Klagenfurt
14.11. Jazzclub, Drosendorf
15.11. Jazz-Zirkel Weiden (D)
16.11. Lions Club, Ammersee (D)
12.12. Birdland, München (D)
13.12. Café Museum, Passau (D)
14.12. Cafe Traxlmayr, Linz
27.12. Porgy & Bess, Wien, Großes Geburtstagskonzert anlässlich Hildegard Knefs 100. Geburtstags mit Special Guests

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