„Ich bin ein sehr visueller Mensch und liebe schön gefilmte Produktionen.“ – CHRISTIAN HESCHL im mica-Interview

Der Wiener Komponist Christian Heschl ist bekannt für seine Vielseitigkeit – von großen Orchesterwerken über elektronische Klangwelten bis hin zu intimen Ensemble-Stücken. Für die aufwendig produzierte Naturdoku „Europe – One Continent, Five Worlds“ arbeitete er gemeinsam mit seinem deutschen Kollegen Alex Komlew acht Monate lang an einem facettenreichen Soundtrack. Jede der sechs Folgen erhielt ihre eigene musikalische Handschrift – mal kraftvoll orchestriert, mal elektronisch oder humorvoll –, stets jedoch verbunden durch einen roten Faden, der Europas faszinierende Tierwelt klanglich zum Leben erweckt. Die Doku lief gerade auf ORF. Im September dann in Deutschland auf ARD. Im Interview mit Michael Ternai spricht Christian Heschl über die Freude an diesem Projekt, seine Erwartungen daran und seinen Umgang mit dem Thema KI.

Wir haben vor etwa zwei Jahren schon einmal wegen eines Interviews zusammengesessen. Damals warst du gerade dabei, deine ersten Schritte in der Branche zu machen, aber du hast dich auch gefragt, was da noch kommen wird. Was hat sich diesbezüglich bis heute für dich verändert? Hast du inzwischen mehr als nur einen Fuß in der Tür?

Christian Heschl: Ja. Ich würde schon sagen: Es läuft. Ich glaube mein Name ist inzwischen ein paar Leuten ein Begriff, und es kommen regelmäßig Jobs rein. Heuer hat sich der Fokus mehr hin auf Werbung und Kampagnen Vertonung bewegt – das hat sich einfach so ergeben. Film und TV sind im Moment ein bisschen weniger allgemein in der Industrie, aber das betrifft gerade die gesamte Branche. Der Grund dafür ist natürlich die allgemein angespannte wirtschaftliche Lage.

Nichtsdestotrotz hat mich eine Serie im letzten Jahr acht Monate lang beschäftigt, weil diese auch sehr umfangreich war und sehr viel Musik gebraucht hat. Ich habe dabei mit meinem deutschen Kollegen Alex Komlew zusammengearbeitet. Daneben habe ich aber trotzdem auch noch andere Projekte vertont.

Grundsätzlich passt es also, aber wie gesagt, man merkt, dass die Stimmung und auch die Zahl der Projekte nicht mehr auf dem Niveau von “vor Corona” sind – was, wie erwähnt, eher mit der allgemeinen Situation in der Branche zusammenhängt. Ich kenne eigentlich niemanden, der nicht jammert – ob Kameramänner und -frauen, Fotograf:innen oder Komponist:innen – es betrifft alle.

Kann man sagen, dass du inzwischen an einem Punkt bist, an dem du nicht mehr “alles” machen musst?

Poster „Europe – One Continent, Five Worlds“
Poster „Europe – One Continent, Five Worlds“

Christian Heschl: Nein, ich mache tatsächlich nicht mehr “alles” Und ich finde es völlig in Ordnung, zu selektieren, welche Projekte ich machen möchte.

Es gibt da ein Zitat– weiß nicht mehr von wem – dieses sinngemäß sagt: Es gibt zwei Arten von Projekten – die für den Kühlschrank und die für die Passion. Und ich glaube, beides muss im Gleichgewicht sein. Die Projekte für den Kühlschrank braucht man, um vom Beruf leben zu können. Aber es gibt eben auch jene, die einen künstlerisch erfüllen.

Ich bin ein sehr visueller Mensch und liebe schön gefilmte Produktionen – Werke, die großartig aussehen und bei denen man spürt, dass viel Leidenschaft und Liebe darin steckt, auch wenn das Budget nicht besonders hoch ist. Genau solche Projekte finde ich spannend. Am Ende kommt es einfach auf die richtige Balance an.

Wie bist du zu der aktuell laufenden Dokureihe gekommen? Die ist ja sehr international und eine Koproduktion einiger großer Sender – ARTE, diverse deutsche Sender …

Christian Heschl: Ja, an dieser Produktion waren tatsächlich sehr viele beteiligt: ARD, WDR, NDR, SWR, ARTE, ORF und auch ein paar skandinavische Fernsehanstalten. Aber das ist heutzutage nicht ungewöhnlich, weil es für einen einzelnen Sender eher schwer ist, so große Produktionen alleine zu stemmen. Daher sind große Dokus oft Koproduktionen. Das ist aber ein großer Vorteil deswegen, weil sie dadurch auch eine entsprechend große Reichweite bekommen. Aktuell läuft die Serie in Österreich im ORF, und im Herbst dann in Deutschland in der ARD.

Ich hoffe auch, dass ich durch diese Serie in meinem Heimatland Österreich etwas mehr Aufmerksamkeit und Sichtbarkeit bei Produktionsstudios und Regisseuren bekomme. Momentan arbeite ich zwar hauptsächlich für Studios im Ausland – was natürlich sehr spannend ist –, aber hierzulande ergibt sich leider noch relativ wenig.

Bild eines probenden Orchesters
Orchester Shot © Christian Heschl

Dass diese Produktion wirklich groß ist, sieht man auch schon an der Qualität der Bilder – die sind wirklich beeindruckend …

Christian Heschl: Genau, deswegen war dieses Projekt für mich auch eine Art Luxusprojekt. Es hat einfach riesigen Spaß gemacht, zu diesen beeindruckenden Bildern etwas zu komponieren. Zudem hat das bereitgestellte Budget der Produktion vieles ermöglicht – zum Beispiel die Aufnahme des Scores mit einem kompletten Orchester in Köln. Hier haben wirklich beide Aspekte – die künstlerische und die finanzielle Komponente – perfekt zusammengepasst. Das ist schon ein seltener Luxus, wenn beides stimmt.

Du hast wahrscheinlich sofort Ja gesagt, als das Angebot reingeflattert ist.

Christian Heschl: Ja. Auch weil ich mit Alex Komlew schon zwei-, dreimal zusammengearbeitet habe und das immer sehr gut funktioniert hat. Außerdem haben die Verantwortlichen für die Produktion auch gleich signalisiert, dass sie uns als Komponisten für diese Serie haben wollten. Mein Kompositionsstil ist cinematic, groß-orchestral und genau das haben sie sich gewünscht. Daher musste ich nicht lange überlegen. Das war also ein No-Brainer.

Du machst Filmmusik jetzt schon seit einigen Jahren – und das sehr intensiv. Inwieweit ist die Arbeit mittlerweile eine Art Routine geworden, oder stellt sich jedes Projekt anders dar?

Christian Heschl: Ja und nein. Auf der einen Seite habe ich meinen eigenen Workflow weiterentwickelt, der sich bewährt hat – vor allem bei internationalen Produktionen. Natürlich ist nicht jede Produktion gleich, aber grundsätzlich läuft es meistens ähnlich ab. Es beginnt mit einer Spotting Session, in der wir festlegen, wo welche Musik eingesetzt wird. Dann folgen klassisch die Cuesheets, Temp Music, das Komponieren an sich, Reviews, einige Revision Schleifen – und schließlich die finale Abnahme. Das Grundkonzept ist immer dasselbe, die Zwischenschritte unterscheiden sich je nach Produktion und da passe ich mich natürlich dem jeweiligen Kunden an.

Was mir auch aus unserem letzten Interview in Erinnerung geblieben ist: dass du dich als ‚Dienstleister‘ siehst.

Christian Heschl: Ja, genau, stimmt…

… inwiefern ist es dir aber dennoch wichtig, dich kreativ herauszufordern?

Christian Heschl: Am Ende des Tages bin ich Dienstleister, gerne kreativer Dienstleister. Es geht ja um die Vision des Regisseurs. Da kann ich nicht einfach sagen: „Ich mache das jetzt komplett anders, take it or leave it“…. Das würde nicht funktionieren. Natürlich kann und soll man Vorschläge einbringen, aber wenn der oder die Regisseur:in etwas nicht möchte und es ihrer bzw. seiner Vision widerspricht, dann ist das so.

Bei der aktuellen Serie hatte ich allerdings relativ viel künstlerische Freiheit, weil Alex Komlew und ich uns sehr einig waren, was die Serie braucht und was nicht, und was sie auf der musikalischen Ebene sein soll. Und es gab ein paar Momente, in denen ich eben gesagt habe: „Ihr habt hier einen Temp-Track als Referenz drunter gelegt, der in meinen Augen nicht so gut funktioniert.“ Dann habe ich gefragt, ob ich etwas anderes ausprobieren darf, es umgesetzt – und der Produktion gefiel es auf Anhieb. So etwas kommt natürlich vor und zeigt das gegenseitige Vertrauen. Es hängt immer davon ab, wie man kommuniziert, und natürlich wie offen das Gegenüber ist. Bei einem aktuellen österreichischen Film, an welchem ich arbeite, hat mir der Regisseur gesagt: „Tob dich einfach aus.“. Ich kann mich hier also kreativ austoben – und diese Freiheit genieße ich sehr.

Am Ende des Tages bin ich aber dennoch Dienstleister, weil ich mich als Komponist nie über das Projekt stellen darf. Es ist mein Job, Vorschläge zu machen und Ideen einzubringen, aber das letzte Wort hat immer der oder die Regisseur:in bzw. die Produktion.

Wenn man dir zuhört, gewinnt man den Eindruck, dass du sehr intensiv an deinen Projekten arbeitest und dafür enorm viel Zeit aufwendet. Wie sieht es da mit anderen wichtigen Tätigkeiten aus – wie etwa dem Netzwerken, dem du im letzten Interview besondere Bedeutung zugeschrieben hast?

Christian Heschl: Zunächst,ich arbeite bzw komponiere einfach gerne. Das liegt daran, dass mir die Sache sehr viel Spaß macht. Deswegen empfinde ich das, was ich tue, eigentlich auch nicht als Arbeit. Natürlich ist es manchmal anstrengend – aber von nichts kommt nichts. Die Branche ist keine leichte, und auch wenn man schon ein gewisses Standing hat, muss man dennoch dranbleiben. Als Beispiel: Nur weil ich vor zwei Jahren eine größere National Geographic-Serie („Lost Cities Revealed“) gemacht habe, welche ein gutes Aushängeschild ist, kann ich mich trotzdem nicht zurücklehnen. Das geht einfach nicht. Ich habe immer meine Augen offen und halte nach geeigneten Projekten Ausschau. Mittlerweile ist es jedoch auch so, dass Anfragen direkt an mich herangetragen werden, was ich natürlich sehr schätze.

Bezüglich des Netzwerkens. Natürlich ist das wichtig. Es ist zwar nicht so, dass ich auf jede Veranstaltung gehe, aber gewisse Events sind einfach wichtig– wie etwa der Österreichische Filmpreis oder vor kurzem die EMMY Award Reception im Theater in der Josefstadt. Man trifft Branchenkolleg:innen sowie Produzent:innen, kommt mit ihnen ins Gespräch und tauscht sich aus – das gehört einfach dazu.

Genauso wichtig ist es, kulturelle Gepflogenheiten zu beachten. Ich war zum Beispiel vor Kurzem in Südkorea, um mich dort mit Produktionsstudios zu vernetzen. Und dort ist die persönliche Komponente absolut entscheidend: Nichts passiert, bevor man sich nicht wenigstens einmal persönlich getroffen hat.

Du hast mittlerweile schon viele Erfahrungen gesammelt. Du kennst das Business und die Voraussetzungen, um darin zu bestehen. Wie sieht es mit der Wissensvermittlung an andere aus? Gibst du dein Wissen weiter – vielleicht an einer Universität?

Christian Heschl: Das ist witzig, denn genau das habe ich letztes Jahr an der Medien-FH in Salzburg gemacht. Dazu muss ich sagen, dass ich dort inzwischen viele Leute kenne – obwohl ich selbst nie dort studiert habe. Mein Assistent zum Beispiel, der seit zwei Jahren für mich arbeitet, kommt von der FH Salzburg. Jedenfalls hat ein Professor davon erfahren und mich gefragt, ob ich nicht eine Guest Lecture halten möchte. Ich habe zugesagt – und hatte dabei großen Spaß, meine Erfahrungen mit den Studierenden zu teilen.

So etwas würde ich gerne viel öfter machen, auch weil ich glaube, dass ich denen, die sich wirklich für das Thema interessieren, etwas von meiner Erfahrung weitergeben kann. Zum Beispiel, dass zum Job nicht nur Kreativität gehört, sondern auch ein erheblicher administrativer Anteil. Ich habe versucht, den Leuten die Praxis näherzubringen – und das hat mir wirklich Freude gemacht. Außerdem finde ich: Giving back ist immer etwas sehr Wichtiges.

Aktuell ein großes Thema – auch in der Filmmusik – ist KI. Was bekommst du da mit? Wie reagiert die Filmmusikbranche auf dieses Thema?

Christian Heschl: Ich muss ganz ehrlich sagen, dass ich das Thema mittlerweile schon etwas anstrengend finde. Ich will dem Thema nicht ignorant gegenüberstehen, keineswegs, aber es gibt inzwischen wahnsinnig viele selbsternannte “KI-Experten” in der Musik. Ja, es ist ein wichtiges Thema. Ja, KI wird neue Herausforderungen bringen, sie ist riskant und natürlich auch ein rechtlich komplexes Thema. Viele tun unglaublich gescheit und wollen vorhersagen, was in fünf oder zehn Jahren passieren wird. Die Diskussion ist dabei oft von Frustration und Pessimismus geprägt, statt dass man Ideen oder Ansätze findet, wie man tatsächlich damit umgehen kann.

Mein persönlicher Zugang ist folgender: Ich bin froh, dass ich das machen kann und machen darf. Ich kann von meiner Arbeit leben – und ich möchte sie einfach so lange weitermachen, wie möglich. Das ist mein Ansatz. Was die KI-Frage betrifft, ist es wichtig, sich damit zu beschäftigen, aber nicht gleich in Depression zu verfallen, sondern eher nachzudenken, wie gehen wir damit um.

Natürlich stellen sich ja auch rechtliche Fragen. Ich bin zwar kein music lawyer, aber für mich wirkt die Situation im Moment wie der Wilde Westen. Was macht KI? Sie bedient sich an pre-existing material – und das ist urheberrechtlich geschützt. (Außer, es handelt sich um public domain-Inhalte). 

Mir ist derzeit auch kein Beispiel bekannt, wo in einer großen Produktion bzw. im kommerziellen Bereich tatsächlich KI-generierte Musik eingesetzt worden wäre – genau aus diesem Grund, weil sie nicht verwendet werden darf. Es gibt schlicht keine rechtliche Grundlage dafür. Und das ist genau das, womit sich die Performing Rights Organisations – ob PRS, GEMA oder AKM – auseinandersetzen müssen. Dort ist das bereits ein heißes Thema.

Für mich persönlich ist das kein Problem. KI-generierte Musik wird vielleicht als Referenz oder als Temp-Track eingesetzt – und das ist mir eigentlich egal, weil sie nur Referenz ist, ohnehin nicht verwendet werden darf. Zur allgemeinen Frage: Ob KI eine Bedrohung ist? Ja, es macht mich schon nachdenklich. Aber eher in ganz anderen Bereichen: im Sicherheitsbereich, im Energiebereich, im infrastrukturellen Bereich usw. Im Kunstbereich selbst aber, da bin ich vielleicht etwas zu romantisch – sehe ich Kunst doch als etwas zutiefst Menschliches.

Herzlichen Dank für das Interview.

Michael Ternai

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