Musik als regel:bruch – das ORF musikprotokoll im steirischen herbst rückt unter diesem Motto vom 2. bis 5. Oktober 2025 zwei Schwerpunkte ins Zentrum: das Hinterfragen musikalischer Ordnungen sowie das Erforschen von Wahrnehmungsformen durch Musik für und von Gehörlosen.
Alles schwingt. Als Welle, als Licht, als Strahlung, als Vibration. Vieles davon können wir wahrnehmen. Manches davon halten wir für Musik. Wann Klänge unser ästhetisches Interesse wecken und warum wir sie für Musik halten, nach welchen Gesetzen wir sie ordnen und wie unterschiedlich wir sie jeweils erleben – all das wird bei der 58. Ausgabe von Österreichs ältestem Festival für zeitgenössische Musik diskutiert, vermittelt, vorgeführt, kurz: auf vielen Ebenen wahrnehmbar gemacht.
Wie gewohnt ist das ORF-Festival breitestmöglich aufgestellt, von Installation über Performance bis 3D-Audio für die 50 Lautsprecher des Dom im Berg, von Orchestermusik bis zur Oper. Über 260 Künstler:innen erschaffen an elf Locations in Graz Erfahrungsräume, in denen Musik hörbar, sichtbar und spürbar wird. Das geht nicht ohne enge Zusammenarbeit mit lokalen, nationalen und internationalen Partner:innen. Alle Konzerte werden aufgezeichnet, in Ö1 gesendet und über das Netzwerk der European Broadcasting Union weltweit angeboten.
Die meisten Regelsysteme, um Klang besser fassen zu können, basieren auf der normierenden Perspektive der Hörenden. „Doch was ist Taubheit, wenn nicht eine andere Form der Wahrnehmung?“, fragt Marco Donnarumma, der selbst spätertaubt ist, mit seinem Projekt „I Am Your Body“. Und für das musikprotokoll arbeitet das Duo Laikka zum ersten Mal mit dem Elektronikmusiker David Obermaier alias silentbeat zusammen, um ein neues Stück für Menschen mit unterschiedlichsten Hörfähigkeiten zu komponieren.
Weiterer Bezugspunkt im Festival ist „Gradus ad Parnassum“ von Johann Joseph Fux – das kompositorische Standards setzende Lehrwerk des steirischen Barockkomponisten wurde heuer vor 300 Jahren publiziert. Marko Ciciliani bezieht sich darauf mit seinem transmedialen Projekt „BAROGUE“. Komponist Klaus Lang führt uns in einer neuen Komposition für das Ensemble ĀRT HOUSE 17 akustisch durch die Prunketage des Schlosses Eggenberg: Neue Musik für historische, mitteltönige Stimmung und alte Instrumente.
Gemeinsam mit den Grazer Keplerspatzen verbindet das international erfolgreiche Ensemble Cantando Admont in „Junge Stimmen“ alte und neue Vokalmusik zu einem partizipativen Konzerterlebnis. Erarbeitet werden ein neues Werk der Schweizerin Annette Schmucki und die selten aufgeführte Messe für 24 Stimmen von Annibale Padovano (1527–1575), einem der bedeutendsten Komponisten der Grazer Hofmusikkapelle.
Drei Auftragskompositionen für das ORF Radio-Symphonieorchester Wien unter Dirigent Vimbayi Kaziboni denken die Rolle des Orchesters neu. Die aus Serbien stammende Komponistin Sara Stevanović sieht das Orchester als soziales Konstrukt und hat für dieses eine musikalische Analyse der Donau geschrieben. Sie fand im Donauwasser Kokain, Kaffee, Tabak, Steroide, Pestizide und Mikroplastik. Ailís Ní Ríain schafft als gehörlose Komponistin eine visuell gedachte Klangwelt. In „Scarscape“ spiegelt sich ihre Erschütterung im Angesicht aktueller Kriege. Der im April 2025 verstorbene Peter Ablinger hat in seinem letzten Orchesterwerk den Klangkörper elektronisch verdoppelt. In Graz werden zudem zwei Klanginstallationen von Peter Ablinger und Winfried Ritsch präsentiert, die sie einander gewidmet haben.
Am Samstag, 4. Oktober 2025 erweitert das 1993 gegründete Aleph Gitarrenquartett sein Repertoire um spannende Facetten: Anna Korsun, Bernhard Lang, Tristan Murail und Lisa Streich haben Neues für das Konzert in der Helmut List Halle komponiert.
Das musikprotokoll strahlt auch in die Stadt aus: Emanuel Gollob entwirft im esc medien kunst labor eine Performance für eine Flötistin, eine Tänzerin und einen Industrieroboter. Daniel Lercher und Sabine Maier erschaffen in der Akademie Graz eine raumgreifende Installation und Live-Performance.
Beim Wettbewerb phonoECHOES und der Student 3D Audio Production Competition erkunden Künstler:innen neue Dimensionen audiovisueller Kunst und dreidimensional projizierter Klänge. „DeComposing the Archive“ hinterfragt koloniale Wissensordnungen. Das Café Wolf ist die Late-Night-Bühne des Festivals. Den Abschluss bildet am Sonntag, 5. Oktober 2025 im MUMUTH die Kammeroper „Nachhall“ von Ui-Kyung Lee, die mit dem Johann-Joseph-Fux-Preis ausgezeichnet worden ist.
Das ORF musikprotokoll im steirischen herbst wird kuratiert von Rainer Elstner, Susanna Niedermayr und Fränk Zimmer. Leitung: Elke Tschaikner.