„FÜR MICH IST HAYDNS MUSIK HEUTE SO GUT ADAPTIERBAR WIE WENIG ANDERE MUSIK“ – MICHAEL LINSBAUER (HAYDNREGION NIEDERÖSTERREICH) IM MICA-INTERVIEW

Ab dem 23. März 2024 findet das Festival Haydnregion Niederösterreich statt. Michael Linsbauer ist der Künstlerische Leiter und er spricht im Interview mit Jürgen Plank über die Schwerpunkte des diesjährigen Festivals. Außerdem geht es im Gespräch darum, dass rund 80 Prozent der Programmpunkte von der Festivalleitung selbst kreiert werden. Ein Highlight wird neben dem Auftritt der Cellistin Harriet Krijgh die Album-Präsentation von The Erlkings am 30. Juni 2024sein. Zudem gibt es auch Angebote für Kinder und Jugendliche, etwa das Stück „Sternenhexe Elesemond“, das am 14. April 2024 in Haydns Geburtshaus in Rohrau zu sehen sein wird. Eine Lesung des Schauspielers Karl Markovics thematisiert den Diebstahl von Joseph Haydns Kopf.

Sie sind der Begründer des Festivals. Wie ist die Idee zur „Haydnregion Niederösterreich“ entstanden?

Michael Linsbauer: Die Idee ist im Jahr 2016 entstanden, bis dahin hat sich das Haydn-Geburtshaus in Rohrauim Dornröschen-Schlaf befunden. Dann wurde das Geburtshaus, das im Jahr 1959 eröffnet wurde, modernisiert und umgebaut. Auch in Richtung Barrierefreiheit und Beschriftungen in zwei Sprachen und es gab den Anbau eines Saales für rund 100 Besucher:innen. Da wurde recht viel investiert und so war die Idee da, nicht nur einen Museumsbetrieb zu haben, sondern auch Veranstaltungen. Haydns Werk besteht aber nicht nur aus der Kammermusik, sondern es gibt auch die Messen und die Sinfonien und das ist sich in dem neu gebauten Saal nicht ausgegangen.

Wie seid ihr weiter vorgegangen?

Michael Linsbauer: Wir haben gesagt: es gibt in der Umgebung einige Kirchen und Schlösser, die wir einbeziehen könnten. Und es gibt neben dem Geburtshaus in Rohrau auch andere authentische Haydn-Plätze, etwa Hainburg, wo Josephund Michael Haydn in der Schule waren. Auch Mannersdorf, wo Joseph Haydn – noch vor den Esterhazys – im Gefolge des italienischen Komponisten Nicola Antonio Porpora zu Gast war und dort den Komponisten Gluck getroffen haben soll. So hat sich die Frage gestellt: Warum machen wir nicht aus der gesamten Region eine Haydn-Region und bespielen dort die interessantesten Plätze?

So ist es in der Folge gekommen. Am 23. März 2024 eröffnet das Festival mit einem Frauenschwerpunkt. Was ist an diesem Tag geplant?

Michael Linsbauer: Wir schauen immer, dass wir zum Saison-Beginn eine Art Thementag haben und setzen jedes Jahr einen Fokus auf ein anderes Thema: Letztes Jahr war es Haydn in London bzw. die England-Reisen, im Jahr davor war es Haydn und die Frauen. Da ging es etwa um Haydns Geliebte Luigia Polzelli, seine Frau und Marianne Auenbrugger, eine Komponistin und Schülerin Haydns.

Dieses Mal ist es Marianna Martines, die an diesem Tag beleuchtet wird. Grundsätzlich steht im Zentrum: die Anhäufung an VIPs im Großen Michaelerhaus am Kohlmarkt 11 in Wien.Das ist ein Eröffnungsprogramm, das im Gespräch mit Chris Pichler entstanden ist. In diesem Haus hat nicht nur Haydn gewohnt, sondern auch seine Schülerin Marianna Martines, die dort so eine Art Salon hatte. Als eine Vorgängerin von Berta Zuckerkandl oder Alma Mahler. Der besagte Porpora hat auch dort gewohnt. Und wenn man den Bogen bis in die Gegenwart spannt: auch Elfriede Ott hat bis zu ihrem Tod mehrere Jahrzehnte lang in diesem Haus gewohnt. Das ist schon außergewöhnlich. In Hollywood würden etwa Paris Hilton und Justin Bieber in einem Haus wohnen.

Mit Irene Suchy haben wir eine Martines-Spezialistin dabei, deswegen haben wir gesagt, dass wir mit einem Vortrag starten und uns auf Martines fokussieren und am Abend werden sozusagen alle Hausparteien zu Wort kommen.

Bild The Erlkings
The Erlkings (c) Julia Wesely

„THE ERLKINGS HABEN SICH, WIE DER NAME SCHON VERMUTEN LÄSST, IN ERSTER LINIE MIT SCHUBERT BESCHÄFTIGT“

Im Laufe des Jahres wird es eine Album-Präsentation von The Erlkings geben.

Michael Linsbauer: The Erlkings haben sich, wie der Name schon vermuten lässt, in erster Linie mit Schubert beschäftigt. Diese Formation gibt es jetzt schon seit rund 10 Jahren und sie übersetzt die klassischen Liedkompositionen in einen zeitgemäßen Sound. Mit Tuba, Schlagwerk, Gitarre, Cello und Gesang. Bryan Benner ist der Lead-Sänger, der ursprünglich auch eine klassische Gesangsausbildung hat. Und es wird eben auch der Text ins Englische übersetzt, es ist unglaublich toll, wie es überhaupt möglich ist diese Texte so plastisch zu übersetzen. Das ist phänomenal wie Bryan Benner das macht.

Vor drei oder vier Jahren gab es von The Erlkings ein Schumann-Album und zum Beethoven-Jahr auch ein Beethoven-Album. Nachdem ich schon länger mit The Erlkings zusammenarbeiten wollte, habe ich mir gedacht, es wäre doch eine Idee auch mal ein Haydn-Programm mit ihnen zu machen. Wir haben uns getroffen und das überlegt und sie haben sich die Lieder angehört. Es ist nicht so, dass die Lieder von Haydn jedem klassischen Musiker so viel sagen, die sind nicht so bekannt. Aber es hat sich rasch gezeigt, dass es für The Erlkings interessant und machbar ist, sich mit diesen Liedern zu beschäftigen. Sie haben ein Programm mit Haydn-Liedern erarbeitet, das wurde vor zwei Jahren im Rahmen der Haydnregion uraufgeführt und das war ein großartiges Konzert und ist beim Publikum gut angekommen. So lag es auf der Hand, dazu eine CD zu veröffentlichen, die am 30. Juni 2024 im Haydn-Geburtshaus im Innenhof präsentiert wird.

Im Programm findet sich auch ein Angebot für Kinder: „Sternenhexe Elesemond“. Was habt ihr vor?

Michael Linsbauer: Das ist ein musikalisches Märchen, für Kinder ab 6 Jahren, von Sophie Reyer. Alexander Medem, der Schauspieler, Regisseur aber auch ausgebildeter Musik- und Theaterwissenschaftler ist, hat das zu einem Kinderkonzert und Kindertheater zusammengefügt. In diesem Fall ist auch Tanz dabei und spielt eine wichtige Rolle. Es geht um den Cellofanten und um eine Hexe und die Quintessenz ist, dass es schöner ist auf einem Cello zu spielen als auf einem Besen zu fliegen. Im Mittelpunkt stehen eine Tänzerin und eine Cello-Spielerin. Es gab schon eine Uraufführung in München, aber in Niederösterreich war das Stück noch nicht zu sehen.

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Ein historisch konnotierter Programmpunkt mit dem Titel „Haydns Kopf – Geschichte eines Grabraubs“ ist mir aufgefallen, in diesem Rahmen wird der Schauspieler Karl Markovics lesen.

Michael Linsbauer: Rund 80 Prozent der Programmpunkte werden für uns zusammengestellt oder von uns selbst konzipiert. Eine Ausnahme ist der Abend mit Karl Markovics, weil er wie für uns gemacht ist. Das gab es schon mal im Rahmen der Klangräume in Waidhofen an der Ybbs. Es geht da um den berühmten Schädelraub, um den Kopf des Joseph Haydn. Damals gab es ja diese Schädellehre, die besagt hat, dass die Form und das Aussehen eine Aussage über den Genius des Schädelinhabers erlauben. So haben sich auch geschäftstüchtige Leute diesen Schädel angeeignet und es hat bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts gedauert, bis er in Eisenstadt beigesetzt wurde.

Markovics erzählt diese Geschichte so lebendig, dass man das Gefühl hat, er wäre dabei gewesen. Die Erzählung ist mit Streichquartetten umrahmt und die unterbrechen den Textfluss von Markovics.Wir freuen uns auf dieses Konzert, es ist das erste in der Pfarrkirche von Rohrau, das ist die Taufkirche von Joseph Haydn. Die Kirche liegt schräg gegenüber vom Haydn-Geburtshaus, dort werden wir vor der Lesung einen Vortrag von einem Arzt über die Krankengeschichte von Joseph Haydn haben. Die Besucher:innen müssen sich da auf einen eher makabren Nachmittag und Abend gefasst machen.

„DIE FRAGE LAUTET: INWIEFERN HABEN SICH ZEITGENOSSEN VON HAYDN INSPIRIEREN LASSEN?“

Das Motto heuer lautet „Inspiration Haydn“ – wie wirkt Haydn heute noch nach?

Michael Linsbauer: Wir haben heuer versucht, viele Zeitgenossen von Haydn ins Programm zu nehmen. Neben Michael Haydn und Ignaz Pleyel, der in Niederösterreich eine große Rolle spielt, haben wir auch ein Werk von einem englischen Zeitgenossen im Programm. John March hat auch eine Jagd-Sinfonie geschrieben, die wir mit Haydns Jagd-Sinfonie „La Chasse“ kombinieren. Außerdem ist Anton Eberl im Programm, ebenfalls ein spannender Zeitgenosse. Johann Nepomuk Hummel hört man schon ein wenig öfter, aber auch nicht so oft. Die Frage lautet: inwiefern haben sich Zeitgenossen von Haydn inspirieren lassen? Und inwiefern lassen sich auch heute noch aktuelle Formationen und Ensembles von seiner Musik inspirieren und adaptieren diese, wie etwa The Erlkings. Beim Heurigen haben wir ein Konzert von der Formation Kammerfunk, da sind Wiener Symphoniker dabei: mit Violine, Klarinette, Cello plus Akkordeon. Kammerfunk übersetzen Haydns Musik sozusagen auch ins Heute. Oder wir haben ein Saxofon-Quartett, das Haydns Musik interpretiert. Für mich ist Haydns Musik heute so gut adaptierbar wie wenig andere Musik. Und das ist auch wieder eine Inspiration.

Was sind weitere Highlights im Rahmen des heurigen Festivals?

Michael Linsbauer: Es ist natürlich toll, dass wir in einer Saison beide Cello-Konzerte haben, mit der tollen Cellistin Harriet Krijgh, die wirklich ein Cello-Star ist. Die Sängerknaben hatten wir noch nie dabei, das ist für uns spannend und auch in dem Kontext zu sehen, dass die Haydn-Brüderbei den Sängerknaben waren. Und weil ich ja selbst vom Gesang komme, möchte ich noch den Gesangswettbewerb erwähnen, den wir heuer zum sechsten Mal veranstalten. Es ist fantastisch, dass wir so viele junge Sänger:innen dabei haben. Letztes Jahr haben sich rund 70 Sänger:innen aus der ganzen Welt angemeldet und sind nach Rohrau gekommen. Das freut mich wirklich ganz besonders, Angelika Kirchschlager ist die Jury-Vorsitzende.

Ihr geht heuer auch an eine neue Location, eine ehemalige Papierfabrik in Klein-Neusiedl.

Michael Linsbauer: Das ist eine tolle, neue Location, die sich vor allem mit Kleinkunst, Kabarett und Varieté versucht zu etablieren. Da wollen wir uns auch im westlichen Teil des Bezirks präsentieren. Auch natürlich, um der Location ein bisschen zu helfen, an ein anderes Publikum heran zu kommen.

Herzlichen Dank für das Interview.

Jürgen Plank

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Eröffnung:
Sa 23.3.2024: 15:30 Uhr, Rohrau, Haydn Geburtshaus, Konzertsaal:
„Marianna Martines: Wunderkind – Komponistin – Virtuosin“

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Link:
Haydnregion Niederösterreich