Popmusik, die sich bewusst abseits gewohnter Pfade bewegt – so lässt sich „Detached“, das neue Album von Tape Moon (Mottalon Music; VÖ: 17.10.), wohl am treffendsten beschreiben. Michael Naphegyi, der das Projekt verantwortet, verbindet sanften Psych-Pop mit experimentellen Ambient-Klängen und kreiert so eine nostalgisch-verträumte Klanglandschaft. Im Mittelpunkt steht das Zusammenspiel von einprägsamen Melodien und überraschenden klanglichen Experimenten. Avantgardistische Kompositionsideen treffen auf atmosphärische, fast filmische Soundbilder und schaffen Musik, die ihre ganz eigene Schwingung entfaltet. In Interview mit Michael Ternai spricht der in Wien lebende Vorarlberger über seine Liebe für Instrumentalstücke, darüber, warum er auf Englisch singt, um so Distanz zu der Schwere der Themen zu wahren, und welchen Einfluss das Albumcover auf den Sound der Musik hat.
Du bist ein Musiker, der ursprünglich aus dem Jazz kommt und sich mit seinem Soloprojekt dem Pop zuwendet – natürlich einem eher experimentellen Pop. Diesen Weg führst du nun auch auf dem neuen Album „Detached” konsequent fort. Dabei habe ich den Eindruck, dass du den Begriff Pop diesmal noch weiter dehnst und auf andere Weise mit Leben füllst als zuvor. Zu hören sind nicht nur Songs, sondern auch Instrumentals – ein erster Unterschied zu einem klassischen Popalbum. Zudem zerlegst du klassische Songstrukturen und gehst auch im Umgang mit Klangfarben eigene, ungewöhnliche Wege.
Michael Naphegyi: Das ist eigentlich ziemlich gut zusammengefasst. Ich weiß auch gar nicht genau, woher das mit den Instrumentals kommt – aber sie sind mir irgendwie sehr wichtig. Ich mag diese experimentellen Popalben, die Instrumentalstücke enthalten. Ich finde, sie bringen etwas Filmerisches, Träumerisches, Cineastisches in die Musik.
Für mich ist ein Album wie eine Geschichte – und eine Geschichte hat verschiedene Kapitel. Ein Kapitel ist eher melancholisch oder verträumt, das nächste vielleicht absurd oder abstrakt. Genau das lässt sich oft mit Klangflächen oder Instrumentalstücken besonders gut ausdrücken – wie Szenen in einem Film.
Aber dennoch fällt etwas auf: Auf der einen Seite ist die Musik – ich würde sie als experimentell bezeichnen –, weil man hört, dass du viel mit Sounds tüftelst und mit Strukturen spielst. Auf der anderen Seite wirkt sie sehr reduziert. Manchmal ist es nur eine simple Bassline, die repetitiv das Geschehen antreibt. Beim Hören der Songs verspüre ich außerdem immer wieder einen gewissen Retro-Vibe, der an die 1970er-Jahre erinnert. War die Musik dieser Zeit ein Einfluss für das Album?
Michael Naphegyi: Auf jeden Fall. Ein großer Einfluss für dieses Album – aber eigentlich auch schon für das letzte – ist dieser Kassettensound. Daher auch der Name Tape Moon für mein Projekt. Ich mag diesen leicht verschrobenen Klang alter Kassetten, VHS-Bänder oder eben Tapes.
Als Kind habe ich mir in den frühen Nullerjahren Dinge aus dem Radio, die mir gefallen haben, auf Kassette aufgenommen. Das war zwar nicht genau der Tape-Sound, dem ich jetzt nachgehe, aber diese Ästhetik – diese verwobenen, leicht verwaschenen Synth-Sounds – hat mich schon damals fasziniert. Irgendwie ist diese Art von Sound zu einer Grundcharakteristik dieses Projekts geworden. Und ich finde auch, dass die Musik dadurch auch einen sehr nostalgischen Touch bekommt.
Das Projekt ist für mich zu einer Art Experimentierkiste geworden, in der ich Dinge so verarbeiten und dieses Filmerische einfließen lassen kann – träumerische Sequenzen, die manchmal ganz unklar bleiben und sich in diesen verschwommenen Sounds widerspiegeln. Das dann mit popmusikalischen Strukturen zu verbinden, ist für mich unglaublich spannend.
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Weil du gerade „verträumt“ gesagt hast – für mich zieht sich durch das Album auch eine latent melancholische Stimmung. Es scheint sich nicht unbedingt mit den schönen Dingen des Lebens zu beschäftigen. Was ist eigentlich das Grundthema? Was meinst du mit dem Titel „Detached“?
Michael Naphegyi: “Detached“ bedeutet in etwa so viel wie „die Verbindung verlieren“. Für mich spiegelt das sehr stark die Zeit wider, in der wir leben. Wir sind alle so vernetzt wie noch nie zuvor – und doch sind Isolation, Depression und Vereinsamung große Themen. Dieses ständige Vernetztsein führt paradoxerweise oft dazu, dass man sich einsamer fühlt. Teilweise geht es auch um das Thema Freundschaft und wie sie sich entwickelt. Eigentlich ziemlich schwere Themen, wenn ich jetzt so darüber nachdenke – aber genau das waren die Grundthemen, die ich verarbeiten wollte.
Bist du eigentlich mit einem bestimmten Konzept in das Album hineingegangen, oder hat es sich erst nach und nach – Stück für Stück, klanglich – zu dem entwickelt, was es jetzt ist?
Michael Naphegyi: Lustigerweise hat das Cover des Albums die Richtung vorgegeben. Ich habe mir überlegt, welche Themen mich gerade beschäftigen – sowohl im Freundeskreis als auch in der großen Nachrichtenwelt. Letztlich waren es eher düstere Themen. Dann habe ich das Albumcover gemalt. Mir ist immer wichtig, dass das Cover die Musik beziehungsweise das Album in einer Weise repräsentiert. Und die Zeichnung, die dabei entstanden ist, passt meiner Meinung nach sehr gut zur Grundstimmung des Albums.
Danach hat sich eigentlich alles Schritt für Schritt entwickelt. Ich habe mit Sounds experimentiert und irgendwann jene Synth-Sounds gefunden, bei denen ich wusste: Das sind genau die Stimmungen, die ich suche. Von da an habe ich mich von Track zu Track weitergehangelt. Meist arbeite ich parallel an mehreren Stück. Irgendwann entsteht so eine Sammlung verschiedener Tracks, die nach und nach immer runder und vollständiger wird. Am Ende bekommt dann alles den finalen Feinschliff.
Du hast ja wirklich einige Projekte am Laufen – unter anderem Rosi Spezial, das Teleportive Collective, und du hast mir vor dem Interview erzählt, dass du aktuell auch als Substitut in der Band von Mira Lu Kovacs spielst. Bei diesem Projekt bist du aber völlig auf dich selbst zurückgeworfen. Wie ist das für dich, die komplette Verantwortung allein zu tragen und alles selbst zu gestalten? Das ist ja doch etwas ganz anderes, als in einer Gruppe zu arbeiten. Ist es für dich eine notwendige Befreiung von bestimmten Zwängen – oder eher die Freude daran, dich einfach ausleben zu können?
Michael Naphegyi: Ich würde sagen, beides. Es ist eine große Freude und unglaublich schön, mit so vielen unterschiedlichen Menschen in Projekten zu spielen.
Gleichzeitig ist es aber etwas völlig anderes, ein Projekt zu haben, bei dem ich wirklich machen kann, was ich will. Das war mir sehr wichtig, weil ich meine Ideen genau so umsetzen kann, wie ich sie im Kopf habe.
In anderen Projekten – und die sind mir genauso wichtig – bin ich eben Schlagzeuger. Da heißt es: Sag mir, was du brauchst, und ich mache das. Das hat auch etwas Entspannendes, weil ich dort nicht das Gefühl habe, meine eigenen Ideen einbringen zu müssen.
Tape Moon ist für mich eine Art Spielwiese für popmusikalische Experimente. Hier kann ich Dinge ausprobieren, die andernorts keinen Platz finden – und genau das ist wichtig und macht unglaublich viel Spaß.

Du hast beim neuen Album ja alles alleine gemacht. Läuft man dabei nicht manchmal Gefahr, sich in den Songs zu verlieren, weil kein Gegenüber da ist? Oder wie ziehst du die Reißleine und sagst: „Jetzt ist Schluss“?
Michael Naphegyi: Ich setze mir immer sehr klare Deadlines. Tatsächlich hatte ich viel mehr Songs, diese sind aber zum Ende der Frist nicht fertig geworden, oder passten einfach nicht auf das Album. Sie haben mich nicht auf die Weise gepackt, wie ich es mir gewünscht hätte. Ganz alleine zu arbeiten ist manchmal schwierig, weil man selbst die einzige Instanz ist, die Entscheidungen fällt. Aber ich glaube, genau das gehört zum Risiko eines Soloprojekts dazu. Ich hole mir zwar bis zu einem gewissen Grad Feedback aus meinem Umfeld, möchte die anderen aber nicht überstrapazieren. Deshalb helfen mir die Deadlines, den Prozess zu strukturieren.
„Detached“ ist natürlich ein Soloalbum, aber wie viel Persönliches steckt tatsächlich in den Stücken? Wie sehr spiegelt sich du selbst in ihnen wider?
Michael Naphegyi: Einerseits bin ich froh, dass ich die Texte auf Englisch schreibe – das schafft eine gewisse Distanz. Themen, die ich auf „Detached” verarbeite, könnte ich auf Deutsch nie singen, weil sie mir einfach zu nah wären. Andererseits versuche ich, die Inhalte so zu verschachteln, dass sie letztlich vielleicht nur für mich vollständig entschlüsselbar sind oder Sinn ergeben.
Generell verstecke ich mich schon ein Stück weit, weil ich mich frage, ob ich überhaupt das Wissen habe, über solche Themen zu schreiben. Vereinsamung, Angstzustände in unterschiedlichen Formen – das sind große Themen. Ich versuche, mich so weit wie möglich in sie hineinzuversetzen, wie ich sie selbst erlebt habe.
Wie sieht es auf der Bühne aus? Wie sehr öffnest du dich da?
Michael Naphegyi: Auf der Bühne ist es für mich immer wieder spannend, weil ich plötzlich als Frontmann singe. Ich merke deutlich, dass das eine ganz andere Art ist, sich auszudrücken, als hinter dem Schlagzeug zu sitzen. Das Schlagzeug ist für mich immer wie ein Schutzschild: Ich weiß genau, was ich tue, bin mehr oder weniger im Hintergrund und habe trotzdem eine wichtige Rolle. Jetzt stehe ich im Fokus des Publikums.
Bei Rosi Spezial, einem meiner anderen Projekte, bin ich zwar auch Sänger, habe aber das Schlagzeug direkt vor mir. Dort pendelt das Programm zwischen abstrakten Vorarlberger Dialekt und freier Improvisation, was viel Raum für Spaß und Freiheit lässt. Bei Tape Moon gibt es diesen Spielraum weniger, weshalb ich froh bin, zumindest einen kleinen Synthesizer, ein Drum Pad und ein Becken vor mir zu haben. Das ersetzt zwar nicht den Schutzschild des Schlagzeugs, aber es ist trotzdem eine völlig neue Erfahrung für mich.
Das Album erscheint am 17. Oktober. Was ist danach geplant? Konzerte, eine Tour?
Michael Naphegyi: Konzerte spielen wir recht selten, weil alle, die in der Band sind, andere Projekte haben und sehr fleißig unterwegs sind. Aber dennoch haben wir es geschafft, eine kleine Tour aufzustellen. Die startet am 29. Oktober in Graz im Café Wolf, am 30. Oktober sind wir im rhiz in Wien, am 1. November im Spot in Brünn und am 14. November im Raumteiler in Linz. Am 15. November gibt es dann noch ein Konzert in Vorarlberg, da steht die Location aber noch nicht fest. Das ist quasi Heimspiel. Weitere Konzerte wird es dann wahrscheinlich im Frühjahr geben. Aber das ist jetzt alles noch in der Planung.
Herzlichen Dank für das Gespräch!
Michael Ternai
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Tape Moon live
29.10.2025 Cafe Wolf, Graz (AT)
30.10.2025 Rhiz, Wien (AT)
01.11.2025 Spot, Brno (CZ)
14.11.2025 Raumteiler, Linz (AT)
15.11.2025 tba, Dornbirn (AT)
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Links:
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Tape Moon (bandcamp)
