Wenn das System schreit und der Alltag flüstert, hilft oft nur noch der Gegenschlag in Moll. ANDA MORTS liefern ihn. Lakonisch, laut und lustvoll unentschlossen brechen sie dabei mit gähnenden Dogmatismen. „ANS“ (VÖ: 19.9. auf Phat Penguin) heißt ihr Debütalbum, und es ist genauso wie das Gespräch, das Ania Gleich mit ANDA MORTS geführt hat: ein bisschen Chaos, ein bisschen Klartext, nie ganz ironiefrei, aber immer aus Überzeugung. Es geht um Laptops gegen Klampfen, moralische Märkte und warum Punk vielleicht einfach heißt: nicht zu erklären, sondern zu spielen.
Welche Teile deines Lebens sind Arbeit-Arbeit und welche Spaß-Arbeit?
Anda Morts: Es ist alles Spaß-Arbeit. Ich bin momentan in einer sehr privilegierten Position.
Fühlst du dich manchmal schuldig gegenüber anderen?
Anda Morts: Ja. Deshalb gibt es ja auch den Song „Freitag“. Ganz ohne schlechtes Gewissen geht es nicht.
Imposter-Syndrom?
Anda Morts: Ja, voll – da gibt es ja sogar ein eigenes Wort dafür!
Ein bisschen overused, aber trotzdem passend.
Anda Morts: Es gibt halt Leute, die hundertmal mehr arbeiten als ich.
Die haben meistens auch mehr Geld. Die Frage ist: Braucht man das?
Anda Morts: Es schadet auf jeden Fall nicht.
Wie viel sollte es sein?
Anda Morts: Küche, Bett und Bad: das reicht.
Geld ist ja auch ein Kommen und Gehen.
Anda Morts: Ja. Solange ich keinen Hunger haben muss, ist alles gut.
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Wann hast du denn das erste Mal Hunger auf Musik bekommen?
Anda Morts: Boah, mit zehn vermutlich. Mein älterer Bruder hat Nirvana rauf und runter gespielt. Ich weiß nicht, ob das schon mein eigener, intrinsischer Hunger war, aber er hat einfach geile Musik gehört. Das war so der Anfang der Laufbahn. Er ist dann irgendwann in den Death Metal abgebogen, ich hab ihm noch kurz nachgeeifert aber dann war ich schnell so: Na, nichts für mich. Und mit zwölf, dreizehn kamen dann Rise Against, und Gott sei Dank bald danach auch Rancid. Über diese Ecken bin ich dann beim richtigen Zeug gelandet.
Und wann kam der Moment, in dem du dir gedacht hast: „Ich will selber Songs schreiben“?
Anda Morts: Mit vierzehn. Ich habe Schlagzeug in einer Band gespielt und mir nach dem Fortgehen am Flohmarkt meine erste Klampfen gekauft – drei Saiten hatte die. Die Gitarre lag dann monatelang bei mir herum. Irgendwann habe ich einfach angefangen, mit den paar Saiten zu spielen. Und dann dachte ich mir: Ich kauf mir eine „richtige“. Für fünfzig Euro, eine Harley Benton. Die habe ich erst heuer ersetzt, aber auch nur durch eine teurere Harley Benton.
Hattest du jemals das Gefühl, du verlierst den Vibe, wenn du die Gitarre nicht mehr hast?
Anda Morts: Nein. Ich hab schon lange gedacht, dass das eine Arschloch-Gitarre ist. Hab mir ständig welche von Freund:innen ausgeborgt oder auf meiner E-Gitarre gespielt. Meine war einfach komplett verbogen: Ich habe mit der Auto gestoppt und sie in Zügen mitgeschleppt. Die war voll mit Gaffa-Tape, der Hals komplett krumm. Es wurde einfach Zeit!
Manche hängen sie dann an die Wand.
Anda Morts: Na, ich hab sie hergeborgt!
Aus den Augen, aus dem Sinn?
Anda Morts: Wer mit der Gitarre spielen lernt, kann mit jeder Gitarre spielen.
„MIT DEN ERSTEN DREI AKKORDEN HABE ICH DANN MEINE ERSTEN SONGS GESCHRIEBEN”
Glaubst du, es hängt von der Gitarre ab, wie gut man lernt?
Anda Morts: Nein, das ist komplett wurscht. Meine Freundin macht gerade die Kindergartenschule – da lernen sie auch Gitarre – und sie hat mir ihre ersten Sheets mit Schlagmustern gezeigt und gefragt, ob ich ihr helfen kann. Ich hatte keinen Plan, was das sein soll! Und das war die allererste Stunde. Das ist wie, wenn du jemandem eine Playstation schenkst und sagst: „Hier ist das Spiel, aber lern jetzt mal die Anleitung.“ Wer macht das? Niemand! Man muss einfach spielen. Am besten findet man etwas, das man nachspielen kann und will. Ich hab dann halt Punk gehört, angefangen zu kiffen und bin dadurch einfach wahnsinnig in der Musik drinnen gewesen. Ich hab eh schon in Bands gespielt und die Leute einfach gefragt, ob sie mir ein paar Griffe zeigen können. Mit den ersten drei Akkorden habe ich dann meine ersten Songs geschrieben.
Wenn wir ins Jetzt vorspringen: Was sind die größten Unterschiede zwischen Songwriting damals und heute?
Anda Morts: Jetzt hört es halt wer! Und man wird natürlich besser.
Wie läuft das bei euch aktuell ab – wie entsteht ein Song?
Anda Morts: Mit der Band kommt zuerst immer die Musik. Bei mir selbst eigentlich auch. Ich habe in meinem Zimmer ein Interface, Boxen, eine Drum Machine – da bastle ich Beats, spiele Gitarre drüber und schau einfach, was passiert. Dann merke ich mir die Akkordfolgen oder nehme es mit in die Probe. Oder ich hab grad einen guten Moment und mir fällt spontan was ein. Dann hör ich es mir nochmal an und überleg, was gesanglich dazu passen könnte. Und aus dem „hmhmhm“ werden dann Wörter. Ganz selten habe ich mal einen fertigen Text. Es ist echt jedes Mal anders.

Und wie entscheidest du dich für Themen? Schwirren die in deinem Kopf herum, bis sie mal „ausbrechen“?
Anda Morts: Ja, so ist zum Beispiel „Kein Bock“ passiert. Und bei „Freitag“ habe ich einfach den Beat gefunden, und dann kam eh gleich die Hook: „Wann ist es endlich wieder Freitag…“ Den Text habe ich in einer Stunde geschrieben, dann war der Song fertig. Am Anfang haben wir noch den ärgsten psychedelischen 60s-Shit gespielt, komplizierte Sachen – so Rock’n’Roll-, Blues-Kram. Und am Schluss ist genau nur diese Hook übrig geblieben. Wir hatten nur noch drei Tage, um das Album abzugeben, deswegen haben wir uns ordentlich den Arsch abgearbeitet.
Wie viele Songs sollten es werden?
Anda Morts: Zwölf. Und es war eh schon alles sauknapp. „Kein Bock“, „Keine Lust“ und „Freitag“ haben wir insgesamt in vier, fünf Tagen geschrieben.
Da muss man dann aber schon Bock haben.
Anda Morts: Indeed! Die Titel sagen alles. Ich habe eine Stunde lang einfach nur überlegt, worauf ich alles keinen Bock habe!
Hauptsache dagegen?
Anda Morts: Ja, es ist immer leichter, dagegen zu sein.
Braucht man Punk deswegen heute mehr denn je?
Anda Morts: Na, „Punk“ ist ein Arschbegriff.
Wie würdest du es nennen?
Anda Morts: Ich würde es auch Punk nennen, aber man sollte nicht so viel reininterpretieren und den Begriff so bedeutungsschwanger machen. Wenn man das macht, was einem Spaß macht, und sein Leben ungefähr so lebt, dass man seine Interessen verfolgen kann, ohne komplett draufzugehen, ohne sich komplett auszubrennen oder sich für irgendwas zu verbiegen – dann ist das eh schon die halbe Miete. Ich habe früher 20 Stunden gearbeitet und wusste: Die restliche Zeit ist für Mucke. Damals dachte ich, das mache ich, bis ich dreißig bin und dann hören eh alle auf, weil sie Kinder kriegen oder wegziehen oder was anderes machen. Das war, bevor ich gecheckt habe, dass das, was wir machen, actually funktioniert.
Und jetzt bist du hier!
Anda Morts: Das stimmt!
Also, euer Erfolg ist gekommen, weil ihr euch nicht gestresst habt?
Anda Morts: Voll. Es ist einfach schön, wenn es den Leuten gefällt.
Mir kommt vor, es gibt diesen Zwang, Künstler:innen schon in jungen Jahren zu „machen“.
Anda Morts: „Ich wollte immer schon auf eine Bühne…“
Ist das nicht schon PR-Sprech?
Anda Morts: Da schlafe ich ein, wenn ich das höre.
Das sind dann so durchgelabelte Artists.
Anda Morts: Aber es gibt schon auch Leute, die wirklich „immer schon“ auf eine Bühne wollten und „alles dafür tun“ würden. Die sanktionieren sich dann selbst. So: „Wenn ich mich so und so verhalte oder so und so auftrete, hören das mehr Leute.“ Diese Zielgruppenoptimierungskacke…
„HEUTE STÜLPT MAN DEN PUNK-BEGRIFF EINFACH ÜBER ALLES DRÜBER”
Was macht dann euren Erfolg aus, deiner Meinung nach?
Anda Morts: Fuck the Costumer, Oida! „The customer doesn’t know what he wants“ – das hat doch Noel Gallagher mal gesagt. Und das ist das, was in den 60ern und 70ern funktioniert hat. Damals saßen da irgendwelche zigarrenrauchenden Anzugtypen in den Labels, und die hatten halt einen crazy Typen wie Jimi Hendrix vor sich und haben gesagt: „Hier hast du 20.000 Euro, mach was draus.“ Die waren zwar konservative Penner, mit zu viel Geld – aber genug Mut, um Dinge auszuprobieren. Und über die redet man heute noch! Das ist alles den Bach runtergegangen, als in den 80ern auf einmal „Creative Directors“ das große Ding wurden.
Wahrscheinlich kann man diese Zeit gar nicht wirklich verstehen, ohne dabei gewesen zu sein.
Anda Morts: Ja, und heute stülpt man den Punkbegriff einfach über alles drüber. Das ist eine popkulturelle Bezeichnung seit den Sex Pistols. Und sie hat weniger mit Subkultur zu tun als mit Popkultur. Inzwischen ist es mehr ein Style. Ich hab früher auch Springerstiefel, Lederjacke und Iro getragen, inklusive Saufen und auf die Fresse fliegen. Und ich feier es immer noch, wenn ich so geschissene 16-Jährige sehe, die auf nichts Rücksicht nehmen. Aber man darf da nicht hängen bleiben. Wenn ich dann 30-Jährige sehe, die sich am Hauptbahnhof noch immer ansaufen, denke ich mir: Die Revolution kommt so auch nicht. Dann haben sie eher ein Alkohol- oder Drogenproblem. Deswegen ist dieser überstrapazierte Punkbegriff einfach furchtbar.
Dabei hatte Subkultur meist eine politische Funktion!
Anda Morts: Revolution ist immer Grundlage von jeder Musik.
Aber es im Nachhinein so zu framen…
Anda Morts: Ja, genau! So: „1970 war die beste Zeit für…“ – Mir doch egal! Was hab ich davon? Da kann ich mich dann mit irgendeinem Trottel streiten, was „echter Punk“ ist.
Ich habe die Frage vorher auch deswegen gestellt, weil mir generell auffällt, dass klassische Bands wieder extrem ziehen. Das war gefühlt zehn Jahre lang eher rückläufig oder zumindest nicht im Mainstream.
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Anda Morts: Ja, voll! Und wir sagen immer scherzhaft: Das ist unsere Schuld – Wir haben das wieder zurückgebracht! Ganz ernst gemeint ist das natürlich nicht, aber ein bisschen Mitschuld haben wir vielleicht schon. Ich glaube aber, das ist wie bei Mode oder allem anderen: Sowas bewegt sich in Zyklen.
Warum glaubst du, ist das jetzt so? Also außer, dass es an euch liegt.
Anda Morts: Keine Ahnung. Wenn man es in so Kapitalistensprech sagen will: Der Markt ist gesättigt. Vor fünf Jahren warst du mega alternativ, wenn du Techno gehört hast. Berlin und so. Jetzt kann halt jeder mit seinem Laptop Beats machen. Das haben sie früher eh auch schon gekonnt, aber jetzt wissen sie es besser. Und nun kommt eben die nächste Generation in der Jugendkultur! Ich denke, Pop wird immer funktionieren. Aber früher hattest du mit MTV in den 1990ern einen Sender, wo auch Nirvana gelaufen ist: Subkulturen hatten da ihren Platz im Mainstream. Und irgendwann, bevor Insta groß wurde, wurde das immer weniger. Diese Repräsentation von abseitiger Musik im Mainstream – das ist verschwunden. Nirvana war ja im Endeffekt ein riesiges Pop-Phänomen. Jetzt hast du durch Social Media halt deine eigene Bubble. Und in jeder Bubble kann alles funktionieren.
Findest du das gut?
Anda Morts: Es hat Vor- und Nachteile. Wie bei Nachrichten. Der Nachteil ist, dass jede:r in seiner Bubble lebt und seine eigene Wahrheit hat – bei Musik vielleicht weniger schlimm, aber das Bubble-Phänomen ist allgemein schwierig. Der Vorteil ist: Jeder kann das verfolgen, was ihn interessiert. Man kann sich das eigene Angebot suchen, was cool ist.
Heute kann aber auch jede:r Influencer:in sein und irgendwas daherreden. Diese vorselektierte Auswahl – sei es MTV oder die Nachrichten – war schon prägend.
Anda Morts: Ja, absolut. Früher haben alle zur selben Zeit dieselben Sachen gesehen. Am Abend gab es die ZIB, und am nächsten Tag hat man in der Arbeit über dasselbe geredet – basierend auf denselben Fakten. Das war gesellschaftlicher Diskurs. Dafür sind Medien ja eigentlich da. Genauso war es bei der Musik: Du hast dir am Montag eben erzählt: „Das hab ich um zwei Uhr früh auf MTV gesehen, kennt ihr das?“ Das hat unsere gemeinsame Erfahrung geprägt! Jetzt hast du halt den einen, der nur noch FPÖ-TV auf YouTube schaut, und den anderen, der ZIB2 schaut und wenn die zwei aufeinandertreffen, kann das nicht gut gehen. Das macht die Demokratie kaputt.
Vielleicht sind Bands auch deswegen wieder so “in”: Sie repräsentieren etwas Gemeinschaftliches?
Anda Morts: Ich glaube, als Band aufzutreten hat einen großen Impact. Unser Drummer spielt ohne Clicktrack, wir haben keine Backing-Tracks. Wenn er schneller wird, spielen wir halt alle schneller. Wenn er langsamer wird, werden wir auch langsamer. Wir schauen uns an und spielen miteinander. Auch das Album haben wir ohne Clicktrack aufgenommen – alles live in einer Session. Da sind Temposchwankungen drin. Das finde ich viel interessanter zum Hören als diese toten Drum-Machine-Sachen, wo jeder Schlag gleich laut ist.
„ICH WILL IN EINER BAND SEIN, NICHT DER BANDLEADER ODER SO EIN SCHAß”
Ich glaube auch, dass das die “Live-Experience” ganz anders macht.
Anda Morts: Voll. Und diese ganzen Popstars – die treten ja auch alle mit Band auf, aber die proben das so durch, mit Raumschiffen an Pedalboards, damit alles klingt wie auf der Platte. Diesen Anspruch haben wir nicht. Ich will mit Emil und Koi nicht nur Menschen haben, die meine Vision umsetzen, sondern wenn wir zu dritt sind, sind wir eine Band. Und wenn ich alleine bin, bin ich halt ich. Wenn ich einen Song alleine im Zimmer gemacht habe, nehme ich den mit in die Probe und sag: „Ich will euch hören.“ Und dann verändert sich was – im Aufbau, in der Tonart, damit es auf der Gitarre besser aufgeht. Das ist doch interessanter, als wenn man ewig an Effekten herumschraubt, nur um was Langweiliges auf die Bühne zu bringen. Das hat keinen Sinn. Lieber Chaos, jede:r bringt seinen Style ein: wir spielen miteinander. Nicht „ihr mit mir“. Ich will in einer Band sein, nicht der Bandleader oder so ein Schaß.
Viele spielen zwar mit Band, aber ist das dann eine richtige Band?
Anda Morts: Nein, eben! Dann hast du halt Session-Drummer oder -Gitarrist:innen, die zwar super spielen können, aber wer sie sind, interessiert halt niemanden.
Gleichzeitig wird dieses Dahingerotzte, das Imperfekte wieder total gefeiert. Das siehst du ja schon in der Social-Media-Ästhetik.
Anda Morts: Wir machen ganz bewusst auch ganz wenig Posts. So dass es halt irgendwie gut kommt, aber ohne viel Aufwand. So: „Lass einfach, passt schon.“
Dieses laissez-faire auf Social Media kommt aber von Gen-Z, nicht?
Anda Morts: Ja, während Millennials hingegen schon wieder ganz betriebsoptimiert sind: Drei Reels am Tag, ein Post in der Woche, Story ohne Ende – alles so zwanghaft relevant und auf viral getrimmt. Das ist zum Oarsch. Da arbeitet man ja eh wieder für irgendein System, wo man ein Ziel verfolgt, das einen nur auslaugt. Ich glaube, genau deswegen kommt gerade dieses Imperfekte so gut an, ironischerweise. Die Leute haben einfach wieder Bock auf Ecken und Kanten, auf Ungeschliffenes. Und wir haben halt Glück, dass wir in einer Zeit unterwegs sind, in der das wieder funktioniert.
Das Hohlgeschliffene wird auch irgendwann langweilig: Du brauchst nur ChatGPT hernehmen: da lässt sich innerhalb von zwei Sekunden ein komplett glatt polierter Text rausrendern, ohne dass du selber denken musst.
Anda Morts: Voll! Deshalb haben wir – um das auf die Musik umzumünzen – zum Beispiel beim Equipment keinen Mini-Verstärker. Natürlich wäre so ein kleines Kastl super praktisch auf Tour, aber es klingt einfach scheiße. Klar wär das auch “klimafreundlicher”, aber wenn es dann schlecht klingt, bringt es mir nichts!

Besser ehrlich spielen, als immer posen zu wollen, wie gut man ist?
Anda Morts: Ja, voll. Das ist so ein moralischer Wettbewerb: Wer ist reflektierter, wer ist richtiger unterwegs, wer ist besser? Es geht nur noch um Selbstdarstellung.
Gibt es für dich irgendein Thema, das dir zu groß erscheint, um darüber zu schreiben?
Anda Morts: Zu groß? Nein, glaub ich nicht. Es gibt zu viele Themen.
Ich meinte mit der Frage eher: Gibt es Themen, wo du dir denkst: Da halte ich mich lieber raus?
Anda Morts: Ja, natürlich! Jede:r hat heutzutage so ein riesiges Maul, weil die eigene Meinung so wichtig ist. Deswegen positioniert sich jede:r zu allem. Und dann kommen eben Freund:innen in Linz zu mir, die aktivistisch unterwegs sind, und sagen: „Warum nutzt du deine Plattform nicht?“ Die meinen das gut, aber ich denke mir: „Hey, du kannst sofort fünf Minuten Redezeit von mir auf der Bühne haben und über das Frauenbüro Linz informieren. Aber ich will das nicht machen.“ Also ich hätte schon was zu sagen, klar. Aber es ist für mich schon anstrengend genug, mit meiner Musik auf die Bühne zu gehen. Wenn ich auf einem Konzert bin, will ich nicht, dass mir jemand erklärt, wie die Welt funktioniert. Dann kann ich gleich zum FPÖ-Fest gehen, die erklären mir auch alles.
Man muss nicht zu allem eine Meinung haben und schon gar nicht alles sofort als Musiker:in in die Welt rausschreien.
Anda Morts: Voll. Es ist so viel Selbstbeweihräucherung dabei. Man muss ja bei einem Konzert nicht die erreichen, die eh schon da sind.
Deswegen ist es ja so eine Zurschaustellung.
Anda Morts: Ja, genau – „Ich bin einer von euch!“ Und ganz ehrlich: ich gehe ja auf Demos, ich teile auch oft Sachen, besonders in Linz, weil mir schon was wichtig ist. Aber das hier ist ein Anda-Morts-Konzert, nicht die Veranstaltung der jungen Sozialist:innen. Dafür gibt es andere Räume.
Voll.
Anda Morts: Ich meine, wenn ein Thema grundsätzlich zur Band gehört – fair enough. Aber ich als österreichischer, weißer Mann? Ich gebe meine Bühne gern her für Frauen, die über ihre Themen reden. Aber ich stell mich doch nicht auf die Bühne und erkläre Frauen im Publikum, wie sie zu leben haben. Und das gilt für alles. Wenn ich zum Beispiel von einem FLINTA*-Moshpit rede, dann sage ich das kurz, erkläre vielleicht, was das Konzept ist. Aber ich würde es auch schön finden, wenn sich FLINTA*-Personen selbst organisieren. Ich will nicht der Typ sein, der fünf Minuten erklärt, wie das jetzt abläuft. Das kommt dann so von oben herab.
Ich wusste gar nicht, dass FLINTA*-Moshpits ein Ding sind.
Anda Morts: In Deutschland schon, ziemlich witzig eigentlich. Ich habe es manchmal zu wenig moderiert, manchmal zu viel. Irgendwer ist immer unzufrieden. Aber generell bin ich kein Fan von Moshpits. Ich bin eher so der Fugazi-Mensch, der sagt: Wenn du boxen willst, geh in einen Boxclub.
„ICH MUSS NICHT ÜBER JEDES THEMA EINEN SONG MACHEN, NUR WEIL ICH DAZU EINE MEINUNG HABE”
Anda Morts: Ich kann bei meinen Konzerten natürlich auch nicht einfach sagen: „Hört auf zu moshen!“ Das steht mir gar nicht zu. Klar ist, dass es Dinge wie Sexismus oder Rassismus gibt, die auch auf Konzerten stattfinden – gerade da, wo viele Menschen zusammenkommen, viel Bier fließt und irgendein Trottel glaubt, er darf wen angrapschen. Solche Dinge darf man nicht dulden, das ist eh klar. Ich will, dass es auf unseren Konzerten allen gut geht. Der Rest geht mich aber nichts an. Ganz ehrlich, das ist wie in meiner alten Arbeit: Wenn ich rausgeh, bin ich draußen. Punkt. Sollen sich die Leute untereinander streiten, aber ich misch mich da nicht ein.
Wenn ich an eure Songs denke, habe ich das Gefühl, sie sprechen schon konkrete Dinge an, aber auf eine Art, die sehr allgemein gelesen werden kann. Weißt du, was ich mein?
Anda Morts: Ja, voll. Ich mag einfach keinen dogmatischen Kack. Ich hab das alles schon in meinen alten Punkbands gemacht. Super politisch, voll aufgeladen. Anda Morts war für mich von Anfang an eher ein Singer-Songwriter-Ding. Ich muss jetzt nicht über jedes Thema einen Song machen, nur weil ich dazu eine Meinung habe. Nur weil jemand sagt: „Das müsstest du deinem Publikum sagen“, wird es für mich nicht interessanter. Ich habe zehn Jahre lang politische Songs auf Englisch gemacht, die niemand gehört hat. Ich könnte das wieder tun, aber ich habe keinen Bock drauf. Sorry.
Hinweis: Mit dem Abspielen des Videos laden sich sämtliche Cookies von YouTube.
Zum Schluss: Gibt es einen Song, den ihr jemandem zeigen würdet, der euch noch nie gehört hat?
Anda Morts: Von uns? Ich würde „Bett“ sagen. Das ist eine meiner Lieblingsnummern. Ich spiele die sehr gern.
Irgendwas, was du unbedingt noch loswerden willst?
Anda Morts: Geht’s wählen, seid lieb!
Das ist ein gutes Schlusswort. Danke dir!
Anda Morts: Ich sag danke.
++++
Ania Gleich
++++
Anda Morts – Live (Ö)
15.10.Graz / PPC
16.10.Salzburg / Rockhaus
17.10.Dornbirn / Conrad Sohm
18.10.Innsbruck / Treibhaus
24.10.Wien / Arena
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